Baurecht

Isolierte Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans

Aktenzeichen  1 ZB 15.443

Datum:
14.7.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 48870
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2 Nr. 2
BauNVO § 14 Abs. 1 S. 1, S. 3, § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Wenn eine Gemeinde durch die entsprechende Befreiungspraxis zu erkennen gegeben hat, dass der Ausschluss von untergeordneten Nebengebäuden nicht zu den tragenden Erwägungen der Planung gehört, so verstößt eine Befreiung für eine derartige bauliche Anlage nicht gegen die Grundzüge der Planung. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 14.186 2014-12-04 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner. Die Beigeladenen tragen ihre außer-gerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, weil der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Weder haben die Kläger ihre Rechtsverletzung durch die angegriffene Befreiung ausreichend dargelegt noch bestehen an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils im Ergebnis ernstliche Zweifel.
Die Kläger wenden sich als Grundstücksnachbarn gegen die den Beigeladenen von der Beklagten erteilte isolierte Befreiung von der textlichen Festsetzung A 4. a) des Bebauungsplans Nr. …/Gebiet M. Feld für ein Gartenhaus. Nach dieser Festsetzung sind untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen im Sinn des § 14 Abs. 1 BauNVO – ausgenommen Einfriedungen und bauliche Anlagen zur Aufnahme von beweglichen Abfallbehältern – unzulässig. Das Verwaltungsgericht hat die Klage, die darauf gerichtet war, die Befreiung aufzuheben, im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass der Bebauungsplan von Anfang an bezogen auf die Festsetzung A 4. a) des Bebauungsplans unwirksam gewesen bzw. aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Funktionslosigkeit unwirksam geworden sei, jedenfalls aber die erteilte Befreiung nicht zu beanstanden sei.
Zu der hier maßgeblichen Frage der Rechtmäßigkeit der erteilten Befreiung nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 BauGB führen die Kläger lediglich aus, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts insoweit offensichtlich auf Wunschvorstellungen und nicht auf eine sachliche und damit rechtliche Grundlage gestützt sei. Diese Darlegung genügt nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO. Gegenteiliges ergibt sich nicht aus den ergänzenden Ausführungen zu einer möglichen späteren anderweitigen Nutzung des Gartenhauses der Beigeladenen als Aufenthaltsraum oder als Garage, da das streitgegenständliche Vorhaben mit der Nutzung zur gerichtlichen Prüfung steht, die dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegt.
Im Übrigen ist die den Beigeladenen erteilte isolierte Befreiung nicht zu beanstanden. Dabei kann zugunsten der Kläger unterstellt werden, dass die Festsetzung A 4. a) des Bebauungsplans wirksam und der Bebauungsplan nicht funktionslos geworden ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1977 – IV C 39.75 – BVerwGE 54, 5). Im Hinblick auf die für das Vorhaben der Beigeladenen somit erforderliche Befreiung kann gleichermaßen auch die nachbarschützende Wirkung des § 14 BauNVO unterstellt werden (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2004 – 4 C 10.03 – BauR 2004, 1567).
Ungeachtet dessen haben die Kläger jedoch keinen Anspruch auf Aufhebung des Bescheids, da ein Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erkennbar ist (vgl. BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – BauR 1987, 70). Die Grundzüge der Planung im Sinn von § 31 Abs. 2 BauGB werden im vorliegenden Fall nicht berührt. Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Entscheidend ist, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwider läuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung in der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist (vgl. BVerwG, B.v. 19.5.2004 – 4 B 35.04 – BRS 67 Nr. 83 m. w. N.).
Ausweislich der vorgelegten Unterlagen sind im Bebauungsplangebiet bereits zahlreiche Nebengebäude vorhanden, für die von der Beklagten jeweils entsprechend der bisherigen Befreiungspraxis die erforderlichen Befreiungen erteilt wurden. Die Beklagte selbst hat damit zu erkennen gegeben, dass der Ausschluss von untergeordneten Nebengebäuden nicht zu den tragenden Erwägungen der Planung gehört und damit eventuelle Abweichungen dem planerischen Grundkonzept nicht entgegenstehen. Dabei ist auch in den Blick zu nehmen, dass es sich bei dem Gartenhaus um eine untergeordnete Nebenanlage, nicht aber um ein Hauptgebäude, handelt und die Beklagte auch nicht sämtliche Nebengebäude im Bebauungsplangebiet ausgeschlossen hat, da u. a. bauliche Anlagen zur Aufnahme von beweglichen Abfallbehältern zugelassen sind. Die Befreiung ist auch städtebaulich vertretbar (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 BauBG). Angesichts der Maße des Gartenhauses der Beigeladenen (Länge von 4,80 m bei einer Länge der gemeinsamen Grundstücksgrenze von ca. 19 m, Höhe von 2,30 m) sowie einem Abstand von ca. 14 m zwischen der südwestlichen Wand des Wohnhauses der Kläger und der nordöstlichen Wand des Gartenhauses der Beigeladenen werden nachbarliche Belange offensichtlich nicht berührt. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich ferner, dass die Erteilung der Befreiung für das Vorhaben der Beigeladenen, das im Übrigen auch im Abstand von 1 m zur Grundstücksgrenze errichtet worden ist, auch in Einklang mit dem Rücksichtnahmegebot steht (vgl. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO).
Die Kläger haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldner zu tragen, weil ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, weil sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert haben (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (vgl. Beilage 2/2013 zu NVwZ Heft 23/2013).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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