Baurecht

Kein Nachbarschutz gegen Festsetzungen im Bebauungsplan zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche

Aktenzeichen  M 11 K 15.4360

Datum:
13.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 131128
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 29 Abs. 1, § 30
BauNVO § 16

 

Leitsatz

Enthält der Bebauungsplan neben Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung auch Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche, haben diese Festsetzungen grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion. Vielmehr hängt es vom Willen der Gemeinde als Planungsträgerin ab, ob die Festsetzungen des Bebauungsplanes auf der Grundlage von §§ 16 ff. bzw. §§ 22 ff. der Baunutzungsverordnung (BauNVO) dem Nachbarschutz dienen. (Rn. 22 – 24) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 26. August 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Zu berücksichtigen ist im vorliegenden Fall, dass Nachbarn – wie sich aus § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergibt – eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten können, wenn sie hierdurch in einem ihnen zustehenden subjektiv öffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke dienen. Eine baurechtliche Nachbarklage kann allerdings auch dann Erfolg haben, wenn ein Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt (BVerwG, U.v. 25.02.1977 – 4 C 22.75 BVerwGE 52, 122).
Vorliegend verletzt die angefochtene Baugenehmigung die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit beurteilt sich hier gemäß § 29 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) nach § 30 BauGB. Der insoweit maßgebliche Bebauungsplan enthält neben Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung auch Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung und zur überbaubaren Grundstücksfläche. Die Klägerin wird jedoch durch die streitgegenständliche Baugenehmigung insofern nicht in nachbarschützenden Rechten verletzt.
Anders als bei der Festsetzung der Nutzungsart haben Festsetzungen hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung sowie der überbaubaren Grundstücksfläche grundsätzlich bereits keine nachbarschützende Funktion (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.1995 – 4 B 52/95; BayVGH, B.v. 5.3.2010 – 2 ZB 07.788).
Vielmehr hängt es vom Willen der Gemeinde als Planungsträgerin ab, ob die Festsetzungen des Bebauungsplanes auf der Grundlage von §§ 16 ff. bzw. §§ 22 ff. der Baunutzungsverordnung (BauNVO) dem Nachbarschutz dienen.
Hinsichtlich der Geschossflächenzahl, der Zahl der Vollgeschosse, der Firstrichtung, der Dachneigung und der Art des Daches geht aus dem Bebauungsplan und seiner Begründung nicht hervor, dass die Regelungen dem Nachbarschutz dienen sollten. Dies gilt auch bezüglich der festgesetzten Baugrenzen.
Es wurde nach dem Bebauungsplan kein Bauraum für die Garage festgesetzt, sondern nur der Bestand eingezeichnet.
Das Bauvorhaben ist auch nicht rücksichtslos.
Das Gebot der Rücksichtnahme findet in qualifiziert beplanten Bereichen nach § 30 Abs. 1 BauGB über § 15 Abs. 1 BauNVO bzw. bei der Gewährung von Befreiungen bezüglich nicht nachbarschützender Vorschriften gemäß § 31 Abs. 2 BauGB über das Tatbestandsmerkmal der „Würdigung nachbarlicher Interessen“ Eingang in die bauplanungsrechtliche Prüfung. Es soll dabei einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten und vermittelt insofern Drittschutz, als die Baugenehmigungsbehörde hierdurch gezwungen wird, in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Belange eines erkennbar abgrenzbaren Kreises Dritter zu achten. Die insofern vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist, was sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke beurteilt. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 -, juris Rn. 40). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt dem Nachbarn jedoch nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung, insbesondere von jeglicher Verschlechterung verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung kann erst bejaht werden, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht. Ob dies der Fall ist, ist im Wege einer Gesamtschau, die den konkreten Einzelfall in den Blick nimmt, zu ermitteln. Das Gebot der Rücksichtnahme soll dabei einen angemessenen Interessenausgleich gewähren.
Daran gemessen liegt eine Verletzung des planungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes nicht vor.
Zunächst ist in die Abwägung einzustellen, dass die landesrechtlichen Vorschriften über die Grenzabstände – die eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Belüftung von Nachbargrundstücken sowie einen ausreichenden Sozialabstand sicherstellen sollen – eingehalten sind. Das bedeutet zwar nicht, dass damit von einem solchen Bauvorhaben in keinem Fall eine „erdrückende“ Wirkung ausgehen kann. Jedoch spricht die Einhaltung der landesrechtlich verlangten Abstandsfläche regelmäßig indiziell dafür, dass eine „erdrückende Wirkung“ oder „unzumutbare Verschattung“ nicht eintritt (BVerwG, B.v. 11.1.1999 – 4 B 128.98, NVwZ 1999, 879; BayVGH, B.v. 15.3.2011 – 15 CS 11.9).
Maßgeblich ist die Bayerischen Bauordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 2007, zuletzt geändert am 24. Juli 2015, und nicht – wie der Bevollmächtigte der Klägerin meint – die BayBO 1974.
Zwar wird zum Beispiel unter „C. weitere Festsetzungen“ zum Maß der baulichen Nutzung auf §§ 5, 9 BundesbauGB und §§ 1, 17 BauNVO verwiesen, dies führt aber nicht dazu, dass in diesem Bebauungsplan auf die zum Zeitpunkt des Erlasses des Bebauungsplanes geltenden Abstandsflächen der Bayerischen Bauordnung statisch verwiesen wird und demnach die BayBO 1974 gilt. Vielmehr finden sich keine Abstandsflächenregelungen im Bebauungsplan.
Zum Grundstück der Klägerin wird unter Inanspruchnahme des 16 m-Privilegs V2 H eingehalten (Art. 6 Abs. 5 Satz 1, Art. 6 Abs. 6 Satz 1, Art. 6 Abs. 4 Satz 1, Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO).
Auch sonst ist kein Grund ersichtlich, weshalb das Vorhaben rücksichtslos sein könnte. Eine „einmauernde“ oder „abriegelnde“ Wirkung liegt nicht vor.
Die Kostenentscheidung sowie der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgen aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 154 Abs. 3, 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).


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