Baurecht

Kein Schadensersatzanspruch des Nachbarn für Beschädigung eines Baumes auf dem Nachbargrundstück

Aktenzeichen  20 U 4831/15

Datum:
11.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 09995
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB §§ 823 I, 823 II, 910 I 1, II, 923

 

Leitsatz

1. Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 I BGB wegen einer Eigentumsverletzung an einem Grundstück ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer des Nachbargrundstücks im Wege der Selbsthilfe nach § 910 I 1 BGB eine durch eingedrungene Wurzeln eines Baumes hervorgerufene Beeinträchtigung seines Grundstücks beseitigt. (red. LS Alke Kayser)
2. Das Recht aus § 910 I 1 BGB steht dem Eigentümer des durch die Wurzeln des Baumes beeinträchtigten Grundstücks auch bei einem Grenzbaum zu. (red. LS Alke Kayser)
3. Eine kommunale Baumschutzverordnung dient ausschließlich dem öffentlichen Interesse. Sie beschränkt weder die Rechte aus § 910 BGB noch ist sie Schutzgesetz im Sinne von § 823 II BGB (entgegen OLG Bremen BeckRS 1998, 31134544 und OLG Düsseldorf BeckRS 9998, 27964).   (red. LS Alke Kayser)

Verfahrensgang

30 O 10650/15 2015-11-25 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 25.11.2015, Az. 30 O 10650/15, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieses Urteil und das Endurteil des Landgerichts München I sind vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 12.546,50 € festgesetzt.

Gründe

II. Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Klägerin stehen wegen der Kappung von Wurzeln der Wildkirsche durch die im Auftrag des Beklagten zu 2) handelnde Beklagte zu 1) keine Schadensersatzansprüche nach §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. der Baumschutzverordnung der Landeshauptstadt München zu.
1. Ein Schadensersatzanspruch der Klagepartei wegen Verletzung ihres Nießbrauchs gemäß § 823 Abs. 1 BGB besteht nicht, weil der Beklagte zu 2) bzw. die von ihm beauftragte Beklagte zu 1) nach § 910 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BGB zur Kappung der Wurzeln berechtigt war.
a) Der Beklagte zu 2) war im Rahmen seiner vom Eigentümer abgeleiteten Nutzungsbefugnisse berechtigt, Gartenbauarbeiten auf dem Grundstück durchführen zu lassen, einschließlich des Abrisses und der Neuerrichtung eines Gartenhauses samt Fundament. Darin liegt auch die Ermächtigung durch den Grundstückseigentümer, an dessen Stelle die Rechte aus § 910 BGB wahrzunehmen.
b) Das Landgericht musste nicht klären, ob es sich bei der Wildkirsche (prunus avium, Vogelkirsche) um einen Grenzbaum gehandelt hat, denn diese Frage ist nicht entscheidungserheblich.
Ein Baum ist ein Grenzbaum im Sinne von § 923 BGB, wenn sein Stamm dort, wo er aus dem Boden heraustritt, von der Grundstücksgrenze durchschnitten ist. Von einem Grenzbaum gehört jedem Grundstückseigentümer der Teil, der sich auf seinem Grundstück befindet (vertikal geteiltes Eigentum; vgl. BGH NJW 2004, 3328/3329). Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, darf in diesem Fall grundsätzlich jeder Grundstückseigentümer die auf seinem Grundstück befindlichen Zweige und Wurzeln schon aufgrund seines Eigentums abschneiden.
Es bedarf keiner Entscheidung, ob das Recht des jeweiligen Eigentümers auch bei einem Grenzbaum entsprechend § 910 Abs. 2 BGB dahin eingeschränkt ist, dass er Wurzeln und Zweige dann nicht abschneiden darf, wenn diese die Benutzung seines Grundstücks nicht beeinträchtigen (so Staudinger/Roth BGB § 923 Rn. 6). Hier haben Wurzeln der Wildkirsche die Nutzung des Nachbargrundstücks beeinträchtigt, weil sie bei der Errichtung eines Fundaments für das dortige Gartenhaus hinderlich waren.
§ 923 BGB enthält für Grenzbäume einzelne Sonderregelungen, nämlich zur Teilung der Früchte und des gefällten Baumes sowie zum Beseitigungsanspruch jedes Nachbarn. Daraus kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht abgeleitet werden, dass ein Grenzbaum anders zu behandeln wäre als jeder andere Baum. Es ist deshalb für die Entscheidung ohne Belang, ob die Wildkirsche „auf der gemeinsame Grenze“ stand (vgl. Schriftsatz der Klägerin vom 15.10.2015, Bl. 50 d. A.), sich „an der Grundstücksgrenze“ befand (vgl. Klageschrift vom 17.6.2015, S. 2, Bl. 2 d. A.) oder „von der Grundstücksgrenze betroffen“ war (vgl. Berufungsbegründung vom 1.2.2016, S. 4, Bl. 89 d. A.).
c) Die Rechte des Nachbarn aus § 910 BGB werden nicht durch die Baumschutzverordnung der Landeshauptstadt München vom 18.1.2013 eingeschränkt, an deren Verfassungsmäßigkeit der Senat keinen Zweifel hat. Die streitgegenständliche Vogelkirsche hatte zwar unstreitig einen Stammumfang von über 80 cm aufgewiesen und war damit Schutzgegenstand der Verordnung (§ 1 Abs. 1 BaumschutzV; die Ausnahme für Obstgehölze in Abs. 4 gilt nicht für die Vogelkirsche – prunus avium). Die Verordnung stellt auf den Stammumfang und nicht auf den optischen Eindruck ab. Es ist deshalb unerheblich, ob die Wildkirsche – wie von den Beklagten behauptet – dünn, schief, hässlich und nicht erhaltenswert war. Die kommunale Baumschutzverordnung schränkt jedoch das Selbsthilferecht des Nachbarn nicht ein.
Die Baumschutzverordnung der Landeshauptstadt München vom 18.1.2013 bezweckt, eine angemessene innerörtliche Durchgrünung sicherzustellen, das Ortsbild zu beleben, die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts zu erhalten und zu verbessern und schädliche Umwelteinwirkungen zu mindern (§ 2 – Schutzzweck). Die Verordnung verfolgt somit ausschließlich Zwecke des öffentlichen Interesses; sie dient weder dem Schutz des einzelnen Eigentümers eines von der Verordnung umfassten Baumes und noch gilt sie für privatrechtliche Ansprüche der Nachbarn untereinander. Sie stellt deshalb kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dar. Ebenso wenig kann der Eigentümer eines Baumes aus der behaupteten Zuwiderhandlung gegen die Verordnung einen Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB herleiten, der nach den nachbarrechtlichen Bestimmungen nicht besteht. Nichts anderes gilt für die Klägerin als Nießbraucherin.
Soweit ein Verbot der Baumschutzverordnung (§ 3) besteht, kann der beeinträchtigte Nachbar aufgrund dieser öffentlich-rechtlichen Bestimmungen – in gleicher Weise wie der Eigentümer des Baumes – daran gehindert sein, Maßnahmen an dem geschützten Gehölz durchzuführen, zu denen er nach Vorschriften des Privatrechts wie etwa § 910 Abs. 1 BGB berechtigt wäre, und bei Zuwiderhandlung Adressat von Sanktionen (§ 11) der zuständigen Behörde sein. Der Schutzzweck der Baumschutzverordnung geht jedoch nicht dahin, dem Eigentümer nach einer bereits erfolgten Zuwiderhandlung des Nachbarn einen Schadensersatzanspruch zu verschaffen, der ihm nach den Vorschriften des Nachbarrechts nicht zusteht. Für privatrechtliche Ansprüche der Nachbarn untereinander bleibt es deshalb dabei, dass ein Schadensersatzanspruch wegen Eigentumsverletzung nach § 823 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist, wenn der Eigentümer des Nachbargrundstücks (oder der von ihm zur Ausübung ermächtigte Mieter) im Rahmen der Selbsthilfe nach § 910 BGB die durch eingedrungene Wurzeln bedingte Beeinträchtigung seines Grundstücks beseitigt (ebenso Staudinger/Roth a. a. O. § 910 Rn. 22).
Entgegen der Auffassung der Klägerin erfordert es der Schutzzweck der Verordnung nicht, dass dem Eigentümer des Baumes eine Handhabe gegen den Dritten eingeräumt wird, der gegen die Vorschriften verstößt. Die Verordnung sieht in § 11 Sanktionen (Geldbußen) gegen denjenigen vor, der gegen die Vorschriften verstößt; die Ahndung erfolgt durch die zuständige Behörde.
Den Entscheidungen des OLG Bremen (Urteil vom 15.5.1998, AZ: 4 U 4/98, zitiert nach juris, Rz. 10) und des OLG Düsseldorf (Urteil vom 18.10.1991, AZ: 22 U 220/90, juris Rz. 7 ff) folgt der Senat aus den oben dargestellten Gründen nicht. Die von der Klägerin zitierten Entscheidungen des OLG Hamm (NJW 2008, 453 – Bußgeldverfahren) und des OLG Düsseldorf (NJW 1989, 1807 – Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB) betreffen nicht die Frage von Schadensersatzansprüchen.
2. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 3 Abs. 4 der Baumschutzverordnung der Landeshauptstadt München vom 18.1.2013 scheidet aus, weil letztere – wie oben ausgeführt – nicht den Schutz privater Rechte und Interessen bezweckt.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 ZPO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 47 GKG.
Die Revision wird zugelassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO). Der Senat weicht von den Entscheidungen des OLG Bremen (Urteil vom 15.5.1998, AZ: 4 U 4/98, zitiert nach juris, Rz. 10) und des OLG Düsseldorf (Urteil vom 18.10.1991, AZ: 22 U 220/90, juris Rz. 7 ff) ab, die eine Begrenzung des nachbarlichen Selbsthilferechts durch die Bestimmungen einer kommunalen Baumschutzverordnung bejahen.


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