Baurecht

Keine Feststellung einer Veränderungssperre

Aktenzeichen  M 9 K 17.2856

Datum:
12.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 25709
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 113 Abs. 1 S. 4, Abs. 5 S. 1
BauGB § 14 Abs. 1, Abs. 2, § 35 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Nr. 7
BayBO Art. 71 S. 1

 

Leitsatz

1 § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 BauGB kann auch bei sog. Außenbereichsinseln zum Tragen kommen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die Entstehung einer Splittersiedlung iSv § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 7 BauGB kann auch bei Ausuferung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils anzunehmen sein. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage bleibt sowohl im Haupt- als auch im Hilfsantrag erfolglos.
1. Die zulässige Verpflichtungsklage in Form der Versagungsgegenklage ist unbegründet, da die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten Vorbescheids hat, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, Art. 71 Satz 1 BayBO.
a) Dem steht bereits die wirksame Veränderungssperre für die Grundstücke FlNrn. 26/48/T, 26/44, 362/2/T und 26/19/T, jeweils Gemarkung H., bekanntgemacht am 25. September 2018, als materieller Versagungsgrund entgegen. Das Gericht schließt sich den Erwägungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in seiner Entscheidung über den gegen die Veränderungssperre gerichteten Eilrechtsbehelf des Vaters der Klägerin (B.v. 23.5.2018 – 2 NE 17.2189 – juris) vollumfänglich an und macht sich diese zu eigen. Dass dem Beschluss, wie der Klägerbevollmächtigte richtig erkennt, keine förmliche Bindungswirkung zukommt, § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO e contrario (vgl. auch Eyermann, VwGO, Stand: 14. Auflage 2014, § 47 Rn. 103), ist demnach von vorn herein irrelevant. Gerade das Argument, durch die Veränderungssperre habe nur die Vorlage von Gutachten ermöglicht werden sollen und im Übrigen sei das Prozedere auf eine Verfahrensverschleppung angelegt, verfängt nicht, es geht vielmehr um die Sicherung eines ausreichenden Planungskonzepts („Vorbereitung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit einer Wohnbebauung“, Bl. 148 d. Gerichtsakts).
b) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme von der Veränderungssperre, § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB. Dem stehen öffentliche Belange entgegen: Durch die Zulassung einer Ausnahme würde die Durchführung der Planung erschwert, vgl. u.a. die versetzte Bauraumausweisung für das im Vorbescheidsantrag als „Haus Ost“ bezeichnete Gebäude, die gedrehte Firstrichtung für „Haus West“ und die geplante generelle Einschränkung auf Doppelhäuser für den einschlägigen Bereich B1, Ziff. 5.1 der geplanten textlichen Festsetzungen (Bl. 143 und Bl. 146 d. Gerichtsakts). Es fehlt also bereits am Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen, weswegen auch das gemeindliche Einvernehmen zu Recht versagt wurde.
Ein wie auch immer gearteter „Vertrauenstatbestand“ wegen des abgeschlossenen Notarvertrags kommt nicht in Betracht. Infrastrukturaufwendungen als Regelungsgegenstand sind irrelevant; der Notarvertrag begründet weder einen Anspruch auf entsprechende Bauleitplanung (siehe BayVGH, a.a.O.) noch auf eine Ausnahme von der Veränderungssperre.
2. Der Hilfsantrag ist zwar zulässig.
Der Vorbescheidsantrag war seit 2015 anhängig und die Frage, ob mit der Umstellung auf den Fortsetzungsfeststellungsantrag der ablehnende Bescheid abzuwarten gewesen wäre, kann dahinstehen, da zwischenzeitlich ein entsprechender Ablehnungsbescheid ergangen ist, womit der Hilfsantrag jedenfalls in die Zulässigkeit hineinwächst (BVerwG, U.v. 27.3.1998 – 4 C 14/96 – juris). Auch das notwendige Feststellungsinteresse ist nicht von vorn herein und nach jeder denkbaren Betrachtungsweise von der Hand zu weisen, da zumindest die Möglichkeit von Schadenersatz- bzw. Entschädigungsansprüchen (u.a. § 42 BauGB) in Betracht zu ziehen ist.
3. Der Hilfsantrag ist aber unbegründet, es besteht kein Anspruch auf die begehrte Feststellung, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog.
a) Das Vorhabengrundstück liegt nach dem Ergebnis des Augenscheins vollumfänglich im Außenbereich. Nach Ansicht des Gerichts besteht auch an der A.-Straße, zwischen FlNr. 26/40, Gemarkung H., im Norden und FlNr. 358/5, Gemarkung H., im Süden, kein Bebauungszusammenhang mehr, der es rechtfertigen würde, wenigstens das sog. Haus West dem Innenbereich zuzuordnen. Die Freifläche mit knapp 15.000 m² stellt nach dem optischen Eindruck vor Ort eine klare Zäsur auch an dieser Flanke dar, der Abstand zwischen den auf den genannten Grundstücken vorhandenen Gebäuden beträgt überdies knapp 80 m (abzustellen ist nicht auf die Flurgrenzen, vgl. statt aller BVerwG, B.v. 4.1.1995 – 4 B 273/94 – juris; B.v. 22.7.1993 – 4 B 78.93 – juris). Es liegt keine Baulücke mehr vor. Die Frage der Teilbarkeit des Vorbescheidantrags stellt sich demnach von vorn herein nicht mehr.
b) Das Vorhaben beeinträchtigt als sonstiges Vorhaben, § 35 Abs. 2 BauGB, jedenfalls die geschriebenen Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 7 BauGB und den ungeschriebenen Belang des Planungsbedürfnisses.
Das Vorhaben widerspricht den Darstellungen des Flächennutzungsplans (Spiel- und Bolzplatz bzw. Fläche für die Landwirtschaft). Diese Darstellungen wurden im Jahr 2006 auch nicht geändert, es handelt sich unmissverständlich nur um einen Aufstellungs- und nicht um einen Feststellungsbeschluss, vgl. die Bekanntmachung vom 10. Februar 2006: „gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB“ (i.V.m. § 1 Abs. 8 BauGB). Die Änderungsplanung wurde in der Folge nicht umgesetzt.
Infolge seiner Vorbildwirkung für weitere Bauvorhaben beeinträchtigt das Vorhaben weiter § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB. Dass dieser Belang auch bei sog. Außenbereichsinseln zum Tragen kommen kann, folgt nicht zuletzt aus § 246 Abs. 9 BauGB (vgl. auch VGH BW, B.v. 23.2. 2017 – 3 S 149/16 – juris; Scheidler, UPR 2015, 41). Die Entstehung einer Splittersiedlung kann dabei auch durch die Ausuferung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils anzunehmen sein (statt aller BVerwG, U.v. 25.1.1985 – 4 C 29/81 – juris). Eine Abgrenzung zwischen Entstehung und Verfestigung einer Splittersiedlung ist irrelevant, da die Übergänge fließend sind und da als übergreifender Gesichtspunkt entscheidend ist, ob der Vorgang „zu befürchten ist“, d.h. ob das Bauvorhaben zu einer unorganischen und damit unerwünschten Siedlungsentwicklung im Außenbereich führt (vgl. bspw. BayVGH, U.v. 9.9.2015 – 1 B 15.251 – juris). Die Genehmigung des Bauvorhabens würde sich als Beginn einer Zersiedelung darstellen, da es eine weitreichende oder doch nicht genau übersehbare Vorbildwirkung besitzen und daher seine unabweisbare Konsequenz sein könnte, dass in nicht verlässlich eingrenzbarer Weise noch weitere Bauten hinzutreten werden, nicht nur auf FlNr. 26/48, Gemarkung H., sondern bspw. auch auf 27/25, Gemarkung H. (z.B. BVerwG, B.v. 7.8.2016 – 4 B 47.14 – juris; U.v. 3.6.1977 – IV C 37.75 – juris).
Wollte man die Tatbestände von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB verneinen, würde das Bauvorhaben jedenfalls den ungeschriebenen Belang beeinträchtigen, eine entsprechende siedlungsstrukturell zu missbilligende Entwicklung in den Außenbereich hinein zu verhindern (vgl. BVerwG, B.v. 4.7.1990 – 4 B 103/90 – juris; U.v. 25.1.1985 – 4 C 29/81 – juris; auch König, Baurecht Bayern, 5. Auflage 2015, Rn. 558).
Die vielfältigen Bauleitplanverfahren, die sich mit den Grundstücken und der nächsten Umgebung beschäftigen, zeigen weiter, dass dem Bauvorhaben auch das berechtigte Anliegen, die Fläche nicht ungeordnet zu entwickeln (Planungsbedürfnis), entgegensteht. Für den südlichen Teil der ehemals noch weiterreichenden Freifläche wurde bereits ein rechtsgültiger Bebauungsplan erlassen (Nr. 38, „Nördlich des R. Weges“). Für die streitgegenständlichen Grundstücke wurde bereits 1998 ein Entwurf ausgearbeitet – der dem Notarvertrag zugrunde lag -, der zwar nicht rechtsgültig wurde, aber ebenso wie der Entwurf aus 2016 belegt, dass das Gebiet berechtigterweise durch Bauleitplanung zu entwickeln ist (Anbindung des Geviertinneren, Erschließung usw.). Nur ergänzend wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass mit der Planung aus 2016 der Bebauungsplanentwurf aus 1998 – von kleinen Anpassungen abgesehen – absprachegemäß aufgegriffen und der Klägerin Baurecht für das Vorhabengrundstück verschafft wird. Auch sie profitiert von der in Umsetzung begriffenen Bauleitplanung.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO – der Beigeladene stellte im Hinblick auf eine mögliche gütliche Einigung keinen Antrag und begab sich somit in kein Kostenrisiko -, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708ff. ZPO.


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