Baurecht

Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für zwei Werbeanlagen

Aktenzeichen  Au 4 K 21.670

Datum:
30.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 21397
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 lit. g
BauGB § 30, § 31 Abs. 2
BGB § 242

 

Leitsatz

1. Das Rechtsschutzinteresse kann fehlen, wenn der Antragsteller dadurch, dass er zur Durchsetzung eines geltend gemachten Rechts das Gericht anruft, sich zu seinem eigenen früheren Verhalten in einen mit Treu und Glauben unvereinbaren Widerspruch setzt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das kann etwa der Fall sein, wenn der Rechtsschutzsuchende zunächst die ihm günstigen Festsetzungen eines Bebauungsplans ausnützt und sich erst später gegen die für ihn ungünstigen Festsetzungen wendet. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hinsichtlich der VDI-RL 2719 ist ein Verweis auf die Einsehbarkeit im Bebauungsplan entbehrlich. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.   

Gründe

Über die Klage konnte aufgrund des übereinstimmenden Einverständnisses der Parteien ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
I.
Die Klage ist unzulässig. Der Klägerin fehlt das Rechtsschutzbedürfnis für ihre Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung der beiden bereits errichteten Werbeanlagen, weil sie mit der Geltendmachung der Nichtigkeit des vorhabenbezogenen Bebauungsplans gegen Treu und Glauben verstößt.
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) die Befugnis zur Geltendmachung der Unwirksamkeit eines Bebauungsplans beschränken und einem gestellten Normenkontrollantrag oder einer erhobenen Klage damit das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlen. So wurde entschieden, dass in die Prüfung eines Normenkontrollantrags nicht mehr eingetreten werden kann, wenn der Antragsteller dadurch, dass er zur Durchsetzung eines geltend gemachten Rechts das Gericht anruft, sich zu seinem eigenen früheren Verhalten in einen mit Treu und Glauben unvereinbaren Widerspruch setzt. Das kann etwa der Fall sein, wenn der Rechtsschutzsuchende zunächst die ihm günstigen Festsetzungen eines Bebauungsplans ausnützt und sich erst später gegen die für ihn ungünstigen Festsetzungen wendet. Diese Rechtsprechung gilt nicht nur für Normenkontrollanträge, sondern auch für vergleichbare prozessuale Lagen. Ob der Tatbestand der Treuwidrigkeit erfüllt ist, richtet sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls (vgl. BVerwG, B.v. 11.2.2019 – 4 B 28.18 – juris Rn. 6 ff.; B.v. 19.12.2018 – 4 B 6.18 – ZfBR 2019, 275; B.v. 14.11.2000 – 4 BN 54.00 – juris Rn. 4; B.v. 23.1.1992 – 4 NB 2.90 – NVwZ 1992, 974), wobei nach der jüngsten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs diese Grundsätze auch bei Personenverschiedenheit von bspw. Grundstückseigentümer und Nutzer der Immobilie gelten (BayVGH, B.v. 12.2.2021 – 1 ZB 20.1186 – juris Rn. 6).
Gemessen hieran erweist sich das Verhalten der Klagepartei als treuwidrig, weil zunächst die für die Bebauung des sich ansonsten im Außenbereich befindlichen Baugrundstücks die dem Vorhabenträger günstigen Festsetzungen des Bebauungsplans ausgenutzt wurden. Der Bebauungsplan setzt für das Grundstück Fl.Nr. * ein Sondergebiet – Einkaufszentrum fest. Die Art der baulichen Nutzung ist in Bezug auf das Sondergebiet detailliert geregelt (§ 2 Art der baulichen Nutzung, Nr. 3). Die Baugrenzen ergeben sich aus der Planzeichnung, die Vorgaben für Werbeanlagen und Grünordnung folgen aus § 8 und § 12 des Bebauungsplans. Das Grundstück ist (mittlerweile) mit einem Lebensmittelsupermarkt entsprechend den satzungsrechtlichen Vorgaben bebaut. Die Klägerin verhält sich damit vorliegend treuwidrig bzw. rechtsmissbräuchlich, indem zunächst der Bebauungsplan, der dem Grundstück überhaupt erst eine Bebaubarkeit vermittelt und die Errichtung eines Lebensmittelsupermarktes zulässt (Sondergebiet – Einkaufszentrum), ausgenutzt wird und für einen späteren Bauantrag bzw. eine Klage einerseits die Unwirksamkeit des Bebauungsplans geltend gemacht, aber andererseits die mit dem Bebauungsplan ermöglichte Bebaubarkeit des Grundstücks herangezogen wird.
II.
Dessen ungeachtet wäre die Klage auch unbegründet. Die Klägerin hat jedenfalls keinen Anspruch auf Erteilung der nachgesuchten Baugenehmigung für die beiden Werbeanlagen. Der streitgegenständliche Versagungsbescheid des Beklagten ist demzufolge rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
1. Das geplante Vorhaben ist genehmigungspflichtig, insbesondere liegt kein Fall eines privilegierten Anbringungsortes im Sinne des Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. g BayBO vor, obwohl für das Vorhabengrundstück ein Sondergebiet festgesetzt ist. Die Werbeanlagen wirken in die freie Landschaft (s. hierzu bspw. Bilddokumentation Bl. 25 der BA) und der Bauantrag ist zudem nicht auf eine Eigenwerbung beschränkt (vgl. Weinmann in BeckOK Bauordnungsrecht Bayern, Spannowsky/Manssen, Stand 1.4.2021, Art. 57 Rn. 185 m.w.N.).
2. Die geplanten Werbeanlagen sind jedoch bauplanungsrechtlich unzulässig, da sie den Festsetzungen des Bebauungsplans „1. Änderung des Bebauungsplanes Nr. S. 5 – Gewerbegebiet zwischen *“ widersprechen und ein Anspruch auf Befreiung von den Festsetzungen nicht besteht.
a) Unstreitig widersprechen die Vorhaben den Festsetzungen nach § 8 (Werbeanlagen) des Bebauungsplans, da diese nicht freistehend, sondern den Gebäuden zugeordnet sein sollen (Nr. 1), die zulässige Höhe nach Nr. 2 überschreiten und zudem die Festsetzungen zur Grünordnung nach § 12 Nr. 1 (Pflanzgebot für nicht überbaute Flächen des Baugebietes) sowie die Baugrenzen nicht einhalten.
b) Der Bebauungsplan ist entgegen der Auffassung der Klagepartei wirksam. Er leidet insbesondere nicht an einem formellen Fehler der fehlerhaften Bekanntmachung. Zwar hat die Beigeladene in § 15 Immissionsschutz unter Nr. 1, dort zur Zone 1, der textlichen Festsetzungen ausgeführt, dass bei der Neuerrichtung von Gebäuden Fenster als Schallschutzfenster nach VDI 2719, Schalldämmung von Fenstern und deren Zusatzeinrichtungen, auszuführen sind und dass das erforderliche Schalldämm-Maß R’w nach DIN 4109, „Schallschutz im Hochbau; Anforderungen und Nachweise“ Ausgabe November 1989, zu berechnen ist.
Insofern ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine in den textlichen Festsetzungen eines Bebauungsplans in Bezug genommene DIN-Vorschrift, die bestimmt, unter welchen Voraussetzungen bauliche Anlagen im Plangebiet zulässig sind, nur dann den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verkündung von Rechtsnormen entspricht, wenn die Gemeinde sicherstellt, dass die Betroffenen von der DIN-Vorschrift verlässlich und in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen können (vgl. BVerwG, B.v. 18.8.2016 – 4 BN 24.16 – juris Rn. 7; BayVGH, B.v. 4.11.2015 – 9 NE 15.2024 – juris Rn. 7; B.v. 18.10.2017 – 9 CS 16.883 – juris Rn. 19 m.w.N.). Dies gilt unabhängig davon, ob der Plangeber eine Regelung insgesamt dem Ergebnis der Anwendung der DIN-Vorschrift überlässt oder ob er – wie hier – zwar dem Grunde nach selbst bestimmt, welchen Anforderungen die baulichen Anlagen genügen müssen, aber erst der Verweis auf die DIN-Vorschrift ergibt, nach welchen Methoden oder Berechnungsverfahren der Inhalt der Anforderungen im Einzelnen zu ermitteln ist (BayVGH, U.v. 28.10.2014 – 9 N 14.2326 – juris Rn. 56). Vorliegend sind auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass dies seitens der Beigeladenen geschehen wäre, insbesondere weil weder in der Bekanntmachung noch in der Planurkunde darauf hingewiesen wurde, an welcher Stelle die Vorschriften, die im Bebauungsplan weder im Volltext wiedergegeben sind, noch als Anlage beigefügt wurden, für die Betroffenen zu finden oder einzusehen sind.
Dennoch vermag die Klägerin mit ihrer Rüge eines Bekanntmachungsfehlers hier nicht durchzudringen. Denn zum einen ist die in Bezug genommene DIN 4109 „Schallschutz im Hochbau“ (AllMBl Nr. 10/1991, S. 218) veröffentlicht (vgl. BayVGH, B.v. 25.10.2016 – 9 N 13.558 – juris Rn. 30). Zum anderen wird hinsichtlich der VDI-RL 2719 ein Verweis auf die Einsehbarkeit nach Auffassung der Kammer schon deswegen als entbehrlich erachtet, weil sich die Qualifizierung von den Vorgaben dieser Richtlinie entsprechenden Schallschutzklassen mittlerweile im Fachhandel und der Allgemeinheit durchgesetzt hat, der Planbetroffene auch ohne nähere Befassung mit der VDI-Richtlinie die Mindestschutzklassen erkennen und danach handeln kann (vgl. BayVGH, U.v. 24.11.2020 – 1 N 17.1019 – juris Rn. 17; U.v. 28.11.2019 – 2 N 17.2338 – juris Rn. 22). Die Einteilung von Schallschutzfenstern in Schallschutzklassen ist bspw. im Internet abrufbar (Bayerisches Landesamt für Umwelt: https://www.lfu.bayern.de/laerm/ laerm_allgemein/foliensammlung/bauleitplanung/doc/b18.pdf; Umweltbundesamt: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/420/dokumente/fenster. pdf); eine einfache Internetrecherche mit den Suchworten „Schallschutzfenster“ und „VDI 2719“ ergibt eine Vielzahl von Treffern mit Angeboten/Informationen von Fachhändlern, in denen die Einteilung der sechs Schallschutzklassen (meist tabellarisch) dargestellt ist. Der wohl bekannteste Punkt der VDI 2719 ist die Einführung von Schallschutzklassen zur Vereinfachung der Kennzeichnung, Auswahl und Ausschreibung von Fenstern. Die in § 15 Nr. 1 des Bebauungsplans getroffene Festsetzung beschränkt sich in Bezug auf die VDI 2719 lediglich darauf, dass in der „Zone 1“ Fenster als Schallschutzfenster auszuführen sind (1. Absatz). Die konkrete (und u.U. komplexe) Berechnung des Schalldämmmaßes R’w ist indes nicht der VDI 2719 vorbehalten (siehe hierzu BayVGH, U.v. 24.11.2020 – 1 N 17.1019 – juris Rn. 17), sondern hat nach der veröffentlichten (s.o.) DIN 4109 zur erfolgen (2. Absatz).
c) Der Anspruch auf Erteilung der beantragten Befreiung scheitert vorliegend daran, dass dadurch die Grundzüge der Planung berührt würden. Denn nach § 31 Abs. 2 BauGB kann von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nur dann befreit werden, wenn die Grundzüge der Planung nicht berührt werden. Ob dies der Fall ist, hängt von der jeweiligen Planungssituation ab. Die Grundzüge der Planung bilden die den Festsetzungen des Bebauungsplans zugrundeliegende und in ihnen zum Ausdruck kommende planerische Konzeption. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um-)Planung möglich ist (vgl. BayVGH, U.v. 3.11.2010 – 15 B 08.2426 – juris). Die Befreiung darf nicht als Vehikel dafür herhalten, die von der Gemeinde getroffene planerische Regelung beiseite zu schieben (vgl. BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 5.99 – juris Rn. 6). Dabei kommt es darauf an, ob die fragliche Festsetzung Bestandteil eines Planungskonzepts ist, das das gesamte Plangebiet oder doch maßgebliche Teile davon gleichsam wie ein roter Faden durchzieht, so dass eine Abweichung zu weitreichenden Folgen führt. Eine Wahrung der Grundzüge der Planung kann dagegen angenommen werden, wenn die Festsetzung, von der abgewichen werden soll, entweder gewissermaßen „zufällig“ erfolgt ist oder aber doch – wird von ihr abgewichen – der damit verbundene Eingriff in das Plangefüge eingegrenzt, also quasi „isoliert“ werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 31.7.2008 – 9 ZB 05.1476 – juris Rn. 6; U.v. 9.8.2007 – 25 B 05.3055 – juris Rn. 37).
Gemessen daran liegen die Voraussetzungen für die Erteilung der nachgesuchten Befreiung nicht vor, denn das Vorhaben der Klägerin berührt die Grundzüge der Planung der Beigeladenen. Diese hat unter § 8 des Bebauungsplans detaillierte Festsetzungen zu Werbeanlagen getroffen und damit zu erkennen gegeben, dass jene Ausdruck der planerischen Konzeption sind. In der Begründung des Bebauungsplans unter Ziffer 3.3 „Übergeordnete Planungsziele“ werden u.a. ausdrücklich die Begrenzung der Werbeanlagen sowie Festsetzungen der Grünordnung angeführt. Diese Regelungen wurden somit im „Angesicht des Falles“ getroffen.
III.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da sich die Beigeladene nicht durch Antragstellung am Prozess- und Kostenrisiko beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, § 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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