Baurecht

Klage gegen vom Bauherrn nicht beantragte Abweichung

Aktenzeichen  Au 5 K 15.1869

Datum:
20.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 59, Art. 63 Abs. 1

 

Leitsatz

Das Prüfprogramm des Art. 59 BayBO kann durch die Bauaufsichtsbehörde nicht einseitig entgegen der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in Art. 59 S. 1 Nr. 2 BayBO durch eine nicht beantragte Abweichung erweitert werden (vgl. Bay VGH BeckRS 2014, 45253). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat der Kläger zu tragen.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger wird durch den der Beigeladenen erteilten Ergänzungsbescheid vom 23. November 2015 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Eine Baunachbarklage kann ohne Rücksicht auf die etwaige objektive Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung nur dann Erfolg haben, wenn die erteilte Genehmigung gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die gerade auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind und dieser dadurch in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist. Eine Verletzung von Nachbarrechten kann darüber hinaus wirksam geltend gemacht werden, wenn durch das Vorhaben das objektiv-rechtliche Gebot der Rücksichtnahme verletzt wird, dem drittschützende Wirkung zukommen kann. Dies ist hier nicht der Fall.
a) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Vorhaben den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO widerspricht.
Die Baugenehmigung vom 23. April 2015 ist im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO erteilt worden. Prüfungsumfang sind insoweit die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO sowie beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayBO). Nachdem die Prüfung der Abstandsflächenvorschriften im Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nicht enthalten ist, kann sich der Kläger – abgesehen von den von der Beigeladenen beantragten und im bestandskräftigen Genehmigungsbescheid vom 23. April 2015 erteilten Abweichungen nach Art. 63 Abs. 1 BayBO – nicht auf die Verletzung von Nachbarrechten wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen berufen (BayVGH, B. v. 17.3.2014 – 15 CS 13.2648 – juris Rn. 14; BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 11; VG Ansbach, U. v. 21.10.2015 – AN 9 K 14.01875 – juris Rn. 41).
Die Prüfung und Zulassung einer Abweichung von abstandsrechtlichen Vorschriften im Ergänzungsbescheid vom 23. November 2015 führt vorliegend nicht zu einer Erweiterung des Prüfungsrahmens des Art. 59 BayBO gegenüber dem Kläger (vgl. hierzu auch BayVGH, B. v. 17.7.2013 – 14 ZB 12.1151 – juris Rn. 15). Die Abweichung wurde nicht auf Antrag der Beigeladenen erteilt. Der Architekt der Beigeladenen hat mit eidesstattlicher Versicherung vom 27. Januar 2016 bekräftigt, die mit Bescheid vom 23. November 2015 erteilte Abweichung nicht beantragt zu haben. Auch die Bauherrin selbst habe keinen solchen Antrag gestellt. Aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen ergibt sich ebenfalls kein Hinweis auf einen Antrag auf Erteilung der Abweichung seitens der Beigeladenen. Dies behauptet im Übrigen nicht einmal der Kläger selbst. Das Prüfprogramm des Art. 59 BayBO kann jedoch durch die Bauaufsichtsbehörde nicht einseitig entgegen der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung in Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO durch eine nicht beantragte Abweichung erweitert werden (BayVGH, B. v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 3). Der bayerische Landesgesetzgeber hat zwar in Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO ausdrücklich eine erweiterte Ablehnungsmöglichkeit für die Bauaufsichtsbehörden geschaffen. Eine Erweiterung des Prüfungsumfangs bei Erteilung der Baugenehmigung ist jedoch nicht vorgesehen (BayVGH, B. v. 12.12.2013 a. a. O.; Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Band I, Stand: Mai 2015, Art. 59 Rn. 18). Denn damit würde die gesetzgeberische Entscheidung, das Bauordnungsrecht im Rahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nicht prüfen zu lassen, konterkariert (Simon/Busse, a. a. O., Art. 59 Rn. 65). Allein der Bauherr hat es in der Hand, durch den Antrag auf Erteilung von Abweichungen nach Art. 59 Satz 1 Nr. 2, Art. 63 Abs. 1 BayBO das Prüfprogramm zu erweitern und damit auch erteilte Abweichungen an der Feststellungswirkung der Baugenehmigung teilhaben zu lassen. Ohne einen entsprechenden Antrag des Bauherrn bleibt auch der Regelungsinhalt der Baugenehmigung und damit der Nutzen der Baugenehmigung für den Bauherrn beschränkt (s. hierzu BayVGH, B. v. 12.12.2013 a. a. O.; BayVGH, U. v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – juris Rn. 35; Simon/Busse, a. a. O., Art. 63 Rn. 49). Demgemäß kann auch ein Nachbar nicht verlangen, dass Abweichungen in Bezug auf die Abstandsflächentiefe geprüft werden, die nicht im Sinn von Art. 59 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Art. 63 Abs. 2 Satz 2 BayBO beantragt worden sind (BayVGH, U. v. 29.10.2015 a. a. O. Rn. 36).
Die mit Ergänzungsbescheid vom 23. November 2015 erteilte Abweichung wird somit nicht von der Feststellungswirkung der Baugenehmigung vom 23. April 2015 umfasst. Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften durch den Ergänzungsbescheid im Hinblick auf die vom Kläger gerügte Abstandsflächenverletzung kommt deshalb nicht in Betracht. Die Baugenehmigung selbst ist bereits rechtskräftig geworden und kann vom Kläger nicht mehr angefochten werden.
b) Eine Verletzung sonstiger nachbarschützender Vorschriften ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Die vom Kläger gerügte fehlende Beteiligung am Baugenehmigungsverfahren verpflichtet nach Art. 66 Abs. 1 Satz 6 BayBO zwar zur Zustellung einer Ausfertigung der Baugenehmigung. Die Verletzung nachbarschützender Vorschriften kann damit jedoch nicht begründet werden (Simon/Busse, a. a. O., Art. 66 Rn. 208). Ein sonstiger Verstoß, etwa gegen das Gebot der Rücksichtnahme, ist angesichts der nur geringfügigen Überschreitung der Abstandsflächen nicht erkennbar.
Damit erweist sich die Klage als unbegründet.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 3 VwGO erstattungsfähig, weil sie einen Antrag gestellt und sich am Prozesskostenrisiko beteiligt hat.
Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zugelassen wird. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich zu beantragen.
Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstr. 23, 80539 München, oder
Postfachanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München,
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind die in § 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 VwGO bezeichneten Personen und Organisationen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch die in § 67 Abs. 4 Satz 4 VwGO genannten Personen vertreten lassen.
Der Antragsschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.

Beschluss:
Der Streitwert wird auf 7.500,- EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200,- EUR übersteigt oder die Beschwerde zugelassen worden ist.
Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg,
Hausanschrift: Kornhausgasse 4, 86152 Augsburg, oder
Postfachanschrift: Postfach 11 23 43, 86048 Augsburg,
schriftlich einzureichen oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Der Mitwirkung eines Bevollmächtigten bedarf es hierzu nicht.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift sollen 4 Abschriften beigefügt werden.


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