Baurecht

Leistungen, Vergabekammer, Bieter, Ausschreibung, Vergabeverfahren, Verwertung, Vergabeunterlagen, Bewerber, Verletzung, Bekanntmachung, Vermarktung, Leistungsbeschreibung, Dienstleistungen, Auftragnehmer, von Amts wegen, im eigenen Namen, Entscheidung der Vergabekammer

Aktenzeichen  Verg 6/20

Datum:
30.11.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49892
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Auf die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 19. Juni 2020, Gz. …, in den Ziffern 1., 2. und 4. aufgehoben.
II. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen hat die Antragstellerin zu tragen.
IV. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin und die Beigeladene für das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt.
V. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 39.837,29 € festgesetzt.

Gründe

I.
Gemäß EU-Bekanntmachung vom 3. Dezember 2019 beabsichtigt die Antragsgegnerin die Vergabe von Dienstleistungen im offenen Verfahren. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.
In Ziffer II.1.1) der Bekanntmachung wird der Auftrag folgendermaßen bezeichnet:
„Übernahme und Vermarktung von Altpapier aus dem Sammelsystem der Stadt … ab 01.03.2020“.
Ziffer II.1.4) der Bekanntmachung lautet:
„Leistungsgegenstand ist die Übernahme und Vermarktung zur ordnungsgemäßen Verwertung von jährlich ca. 21.000 Mg PPK (Papier, Pappe und Kartonagen; AVV 15 01 01. AVV 20 01 01) aus dem Sammelsystem der Stadt … ab 01.03.2020 – Stellung eines Umschlagplatzes
– Übernahme der Altpapiermengen
– Vermarktung / Verwertung der Altpapiermengen“
In Ziffer II.2.4) der Bekanntmachung wird die Beschaffung folgendermaßen beschrieben:
„Leistungsgegenstand ist die Übernahme und Vermarktung zur ordnungsgemäßen Verwertung von jährlich ca. 21.000 Mg PPK (Papier, Pappe und Kartonagen; AVV 15 01 01. AVV 20 01 01) aus dem Sammelsystem der Stadt … ab 01.03.2020.
Die Sammlung der PPK-Fraktionen und die Beförderung zur Übergabestelle sind nicht Gegenstand der ausgeschriebenen Leistung. …“
Bezüglich der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit ist in Ziffer III. 1.2) der Bekanntmachung festgelegt:
„1) Mit dem Angebot sind vorzulegen:
– Nachweis einer Betriebshaftpflichtversicherung zur Deckung etwaiger Ansprüche aus diesem Vertrag über mind. 5 Mio. € für Personen-/Sachschäden und mind. 1 Mio. € für Vermögensschäden. Die genannten Mindestversicherungssummen müssen zumindest für zwei Schadensfälle pro Jahr (also 2-fach maximiert) zur Verfügung stehen und nachgewiesen werden. Die Betriebshaftpflichtversicherung hat beim Einsatz von Unterauftragnehmern auch Ansprüche aus Auswahlverschulden zu decken. Der Nachweis kann etwa durch Bestätigung einer Versicherung oder Scan des Versicherungsscheins erbracht werden. Gleichwertig ist die Vorlage einer Bereitschaftserklärung einer Versicherung zum Abschluss einer solchen Versicherung. Der Abschluss der Versicherung ist zum Leistungsbeginn unaufgefordert nachzuweisen.“
Zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit ist in Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung festgelegt:
„1) Mit dem Angebot sind vorzulegen:
– Vorlage der Zertifizierung gemäß § 56 KrWG (Entsorgungsfachbetrieb) oder Einzelnachweis der Zertifizierung Voraussetzung/Fachkunde jeweils für die einzelnen zu erbringenden Leistungen in Register 7 (Formular F6). … Alternativ kann … auch ein Auszug aus dem Genehmigungsbescheid der Verwertungsanlage vorgelegt werden, aus dem die genehmigte Kapazität, der Genehmigungsstatus, der Genehmigungszeitraum sowie die anzunehmenden PPK-Fraktionen hervorgehen,
– Angaben zum Entsorgungskonzept einschl., o dem Gesamtkonzept der Leistungserbringung (mit Erklärung zur Gewährleistung der Entsorgungssicherheit), o der technischen Ausrüstung des Unternehmens, o den Maßnahmen des Unternehmers zur Qualitätssicherung,
– freiwillige Angaben zum Verwertungsweg
– für die vom Bieter benannte Übergabestelle ist eine detaillierte Beschreibung (einschließlich Anschrift, Name des Betreibers, Darlegung der Eignung als Übergabestelle gemäß Leistungsbeschreibung) und ein Ausdruck des Routenplaners (…) vorzulegen für die einfache Wegstrecke ab dem Hauptdepot des Auftraggebers …, aus der (einfache) Entfernung und Dauer der Wegstrecke zu entnehmen sind. Erklärung des Bieters zum Einsatz von Unterauftragnehmern.
2) Auf Verlangen des Auftraggebers sind zusätzlich vorzulegen:
– Verbindliche Erklärung des Verwertungsbetriebs oder der Verwertungsbetriebe zur Annahme oder Verwertung der jeweils zur Verwertung anfallenden PPK-Fraktionen für den gesamten Leistungszeitraum. Die Erklärung hat Angaben über die zu verwertende Menge, die einzuhaltenden Annahmekriterien sowie eine Absichtserklärung über den Abschluss eines entsprechenden Verwertungsvertrages bei Zuschlagserteilung an den Bieter zu enthalten.
– Vorlage der vom Bieter geforderten Nachweise, Angaben und Erklärungen zur technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit auch vom Unterauftragnehmer.“
Kapitel I der Vergabeunterlagen enthält die Bewerbungsbedingungen und auszugsweise folgende Regelungen:
„2.1 Art und Umfang der Leistung
Leistungsgegenstand ist die Übernahme und Vermarktung zur ordnungsgemäßen Verwertung von jährlich ca. 21.000 Mg PPK (Papier, Pappe und Kartonagen; AVV 15 01 01, AVV 20 01 01) aus den Sammelsystemen der Stadt ab dem 01.03.2020. …
10. Hinweis zu Steuern
Vor dem Hintergrund der umsatzsteuerlichen Anwendung tauschähnlicher Umsätze bei der Entsorgung werthaltiger Abfälle … ist es für die durch den Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen (Übernahme und Verwertung; gegebenenfalls Bereitstellung von Systembetreibermengen) einerseits und für den Wert der dem Auftragnehmer vom Auftraggeber überlassenen PPK-Fraktionen andererseits aus Gründen beiderseitiger Rechtssicherheit erforderlich, dass der Auftraggeber eine ordnungsgemäße Rechnung ausstellt. …“
Die Vergabeunterlagen enthalten in Kapitel II die Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis. Nach Ziffer 1.1. hat die Stadt … zur Erfassung von Altpapier ein Hol- und Bringsystem über die Papiertonne (Grüne Tonne) sowie über Wertstoff- und Servicepunkte eingeführt. Die Einsammlung des Altpapiers erfolge im Eigenbetrieb. Die Stadt … beabsichtige, Dritte gemäß § 22 Abs. 1 KrWG mit der Übernahme und der Vermarktung von Altpapier aus den Sammelsystemen der Stadt … zu beauftragen.
Im Zusammenhang mit der Menge der zu verwertenden PPK-Abfälle ist in Ziffer 1.2.1. auszugsweise geregelt:
„… Im Rahmen der Verwertung (einschließlich des Transportes von der Übergabestelle des Auftragnehmers bis zur Verwertungsanlage) von PKK ist … davon auszugehen, dass gesamte überlassene Abfallmenge an PPK zu übernehmen und zu verwerten ist. … Gegenstand dieser Ausschreibung ist … die Übernahme (ggf. Transport und) Verwertung einer Altpapiermenge von 21.000 Mg/a, die dem Auftraggeber in der Stadt … überlassen wird.“
Unter der Überschrift „Herkunft und Qualität der PPK-Abfälle“ heißt es in Ziffer 1.3. auszugsweise:
„Eine Garantie für eine vollständig satzungsgemäße und sortenreine Bereitstellung kann vom Auftragsgeber nicht übernommen werden. … Der Bieter hat darzustellen, dass auch insoweit eine ordnungsgemäße Entsorgung erfolgt.“
Ziffer 1.5. legt zu „Übernahme und Verwertung der PPK-Abfälle“ auszugsweise Folgendes fest:
„Der Auftragnehmer übernimmt die angelieferten PPK-Abfälle an der von ihm benannten Übergabestelle und transportiert die Abfälle weiter zu einer Sortier- oder Verwertungsanlage, soweit keine Bereitstellung an Systembetreiber erforderlich ist.“
Ziffer 1.7 regelt unter der Überschrift „Verwertung von PPK“:
„Nach Übernahme der PPK-Abfälle an der Übergabestelle und Transport zur angebotenen Sortier- oder Verwertungsanlage hat der Auftragnehmer die PPK-Sammelware einer ordnungsgemäßen Verwertung zuzuführen.
Zwischenschritte der Sortierung/Aufbereitung/Veredelung der PPK-Fraktionen sind nicht gefordert, stehen dem Auftragnehmer jedoch im Rahmen seines wirtschaftlichen Ermessens frei.
Art und Umfang der einzusetzenden und für den Zweck des Einsatzes geeigneten Technik sind vom Auftragnehmer zu bestimmen. Auch die verkehrstechnischen Gegebenheiten sind vom Auftragnehmer nach dessen freiem Ermessen zu berücksichtigen. Der Auftragnehmer trägt die volle Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der von ihm geforderten Leistung. Die Verwertung der PPK-Sammelware schließt die ordnungsgemäße Entsorgung ggf. anfallender Störstoffe und Sortierreste mit ein.“
Kapitel IV der Vergabeunterlagen enthält die Besonderen Vertragsbedingungen.
In § 1 Abs. 1 des „Entsorgungsvertrags“ wird der Vertragsgegenstand folgendermaßen beschrieben:
„Vertragsgegenstand sind die Leistungen der Übernahme an der im Angebot vom Auftragnehmer benannten Übergabestelle und der Vermarktung von Papier, Pappe und Kartonagen, die vom Auftraggeber zuvor im Holsystem über die Grüne Tonne und im Bringsystem an den Wertstoff- und Servicepunkten, die vom Auftraggeber in der Stadt … betrieben werden, gesammelt werden. Der Inhalt und der Umfang der Beauftragung ergeben sich aus der Leistungsbeschreibung ‘Übernahme und Vermarktung von Altpapier aus den Sammelsystemen der Stadt … ab 01.03.2020’.“
§ 5 des Vertrags lautet auszugsweise:
„(1) Der Auftragnehmer stellt die für die Übernahme und die Verwertung der PPK-Sammelware notwendigen Betriebsmittel bereit. …
(2) Der Auftragnehmer stellt sicher, dass alle technischen Vorrichtungen und Anlagen zur Leistungserbringung (Übernahme und Verwertung einschließlich Transport ab der Übernahmestelle – sowie gegebenenfalls Zwischenlagerung, Sortierung und Vermarktung – des Altpapiers) dem Stand der Technik entsprechen und der gefahrlose Umgang für Mensch und Umwelt gewährleistet ist.“
§ 6 Abs. 3 des Vertrags lautet auszugsweise:
„Der Auftragnehmer ist verpflichtet, nach Übernahme der PPK-Fraktionen die PPK-Sammelware zur angebotenen Verwertungsanlage zu transportieren und sie dort einer ordnungsgemäßen schadlosen Verwertung gem. den geltenden rechtlichen Bestimmungen zuzuführen “
In § 7 ist zu Leistungshindernissen auszugsweise Folgendes geregelt:
„(1) Der Auftragnehmer verpflichtet sich, jegliche Leistungshindernisse unverzüglich auszuräumen. Er hat, insbesondere bei Ausfall von Fahrzeugen, Ersatzfahrzeuge auf eigene Kosten einzusetzen oder die sonstigen Betriebsstörungen umgehend zu beseitigen. Ist die Verwertung des PPK oder die Übernahme der vom Bieter benannten Übergabestelle vorübergehend oder dauerhaft nicht möglich, hat der Auftragnehmer mit Zustimmung des Auftraggebers für einer anderweitige zulässige Verwertung bzw. Übernahme Sorge zu tragen
(2) Ist die Übernahme oder Verwertung der PPK-Sammelware infolge von Betriebsstörungen, Streiks, betriebsnotwendigen Arbeiten, behördlichen Verfügungen oder höherer Gewalt vorübergehend eingeschränkt oder unterbrochen, führt der Auftragnehmer unverzüglich eine Abstimmung mit dem Auftraggeber über die Entsorgung herbei “
§ 10 Abs. 4 des Vertrags lautet:
„Soweit der Auftragnehmer nach Maßgabe der Leistungsbeschreibung Unterauftragnehmer für die Erfüllung der ihm obliegenden Leistungen einsetzt, hat der Auftragnehmer für das Handeln des Unterauftragnehmers in gleichem Umfang wie für sein eigenes zu haften.“
Die Angebote der Antragstellerin und der Beigeladenen wurden fristgerecht eingereicht. Weitere Angebote sind nicht eingegangen.
Dem Angebot der Beigeladenen war eine Versicherungsbestätigung nach § 6 Entsorgungsfachbetriebsverordnung (EFV) beigefügt, wonach das versicherte Risiko die abfallwirtschaftlichen Tätigkeiten des Sammelns, Beförderns, Lagerns, Handelns, Behandelns und Makelns, nicht dagegen des Verwertens und Beseitigens umfasst. Dem Angebot war ferner eine nur von der Beigeladenen unterschriebene Bereitschaftserklärung (F7) beigefügt.
Mit Schreiben vom 17. Januar 2020 hat die Antragsgegnerin bei der Beigeladenen weitere Unterlagen angefordert. Hinsichtlich der Angaben zur Unterbeauftragung bestehe Aufklärungs- bzw. Ergänzungsbedarf. Dem Formular F10 sei zu entnehmen, dass die Beigeladene neben den in F3 genannten Unterauftragnehmern beabsichtige, die Papierfabrik … mit der Verwertung der Abfälle zu beauftragen. Papierfabriken, die Teilleistungen erbrächten, ohne selbst Bieter oder Mitglied einer Bietergemeinschaft zu sein, seien als Unterauftragnehmer zu qualifizieren. Die vorgelegte Versicherungsbestätigung genüge nicht den Anforderungen, da die versicherten abfallwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht die Aufgabe der Verwertung umfassten, die ausdrücklich Gegenstand der Ausschreibung sei. Da die Beigeladene beabsichtige, Unterauftragnehmer einzusetzen, fehle bei der übermittelten Versicherungsbestätigung auch der Nachweis, dass Ansprüche aus Auswahlverschulden gedeckt seien. Mit E-Mail vom 23. Januar 2020 hat die Beigeladene die ergänzten Formulare F2 und F3 sowie eine Versicherungsbestätigung vom 20. Februar 2020 und für den Fall, dass diese hinsichtlich der gestellten Anforderungen nicht ausreichen sollte, eine Erklärung der Versicherung gemäß dem Formblatt F7 eingereicht.
Mit Schreiben vom 27. Januar 2020 hat die Antragsgegnerin die Beigeladene zur Angebotsaufklärung des ungewöhnlich niedrigen Angebots bzw. des ungewöhnlich hohen Erlöses aufgefordert. Die Beigeladene hat fristgerecht das angeforderte Passwort für die Urkalkulation und eine an die Papierfabrik gerichtete Rechnung für den Monat Oktober 2010 übersandt und ausgeführt, sie habe eine verbindliche Zusicherung der Papierfabrik zur Abnahme der gesamten Altpapiermenge.
Nachdem der Antragstellerin mit Schreiben vom 7. Februar 2020 nach § 134 GWB mitgeteilt, worden war, es sei beabsichtigt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, hat sie mit Schreiben vom 10. Februar 2020 die Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zuschlagsentscheidung gerügt. Die Beigeladene könne keinen geeigneten Umschlagsplatz haben. Zudem ergebe sich die Eignungsanforderung, dass der angebotene Umschlagplatz im Umkreis von 10 km liegen müsse, nicht aus der Bekanntmachung. Daneben sei das Angebot der Beigeladenen ungewöhnlich niedrig, was von der Antragsgegnerin nicht überprüft worden sei und wohl darauf beruhe, dass insbesondere die Kosten für den Transport zur Sortieranlage von der Beigeladenen nicht ordnungsgemäß angegeben worden seien.
Nach Zurückweisung der Rüge am 12. Februar 2020 hat die Antragstellerin am 14. Februar 2020 einen Nachprüfungsantrag gestellt und beantragt,
1. es der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen,
2. und das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen.
Die Antragstellerin hat zur Begründung insbesondere vorgetragen, die Beigeladene bringe, anders als sie selbst, Altpapier von der Umladestelle zur Sortierung an ihren, in einer anderen Stadt gelegenen Betrieb. Die im Preisblatt separat auszuweisenden Umschlagskosten müssten daher erheblich höher liegen als bei ihr. Vor diesem Hintergrund und angesichts des derzeitigen Preisverfalls auf dem Markt für Altpapier bezweifele sie, dass die Beigeladene eine auskömmliche Kalkulation vorgelegt habe. Dass die Übergabestelle innerhalb eines Radius von maximal 10 km einfache Wegstrecke vom Hauptdepot der Auftraggeberin liegen müsse, ergebe sich nur aus Kapitel I Ziffer 2.3 der Vergabeunterlagen, nicht dagegen aus Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung. Sei bezweifle, dass die Beigeladene einen geeigneten Umladeplatz benennen und eine verbindliche Erklärung eines Verwertungsbetriebs vorlegen könne.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin hat ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei teilweise unzulässig. Hinsichtlich der Rüge, der vorgegebene Radius für die Lage der Übergabestelle sei nicht in der Bekanntmachung aufgeführt, sei die Antragstellerin nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GWB präkludiert und nicht antragsbefugt. Auch hinsichtlich des Vorwurfs, das Angebot der Beigeladenen könne bei einer von der Antragstellerin unterstellten Verbringung des Altpapiers in eine andere Stadt und aufgrund des derzeitigen Preisverfalls auf dem Markt für Altpapier nicht auskömmlich sein, fehle der Antragstellerin mangels substantiierter Darlegung einer Rechtsverletzung die Antragsbefugnis. Sie, die Antragsgegnerin, habe mit Schreiben vom 27. Januar 2020, eine Preisaufklärung gemäß § 60 VgV vorgenommen. Da die Beigeladene entgegen der Vermutung der Antragstellerin keine zwingende Sortierung der PPK-Abfälle in ihrem Betrieb vorgesehen habe und die angegebene Verwertungsanlage in der Nähe gelegen sei, habe sie keine Bedenken gehabt, dass die Beigeladene die Kosten unter Position 1a zu gering angesetzt haben könnte.
Nach dem Hinweis der Vergabekammer vom 28. April 2020, der Nachprüfungsantrag könne insoweit begründet sein, als das Angebot der Beigeladenen wegen eines inhaltlich unzureichend eingereichten Eignungsnachweises nach § 57 Abs. 1 VgV auszuschließen sei, hat die Antragsgegnerin ausgeführt, sie sehe keinen Anlass das Angebot der Beigeladenen auszuschließen; sie habe das Angebot dahingehend verstehen dürfen, dass die Beigeladene jedenfalls zum Leistungsbeginn über eine den Anforderungen in den Vergabeunterlagen entsprechende Versicherung verfügen werde. Die Nachforderungen der Versicherungsbestätigung sei gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV zulässig gewesen. Die Beigeladene hat die Ansicht vertreten, Gegenstand der ausgeschriebenen Leistungen sei die Vermarktung des Altpapiers, wobei die ordnungsgemäße Verwertung durch die Abnehmer des Auftragnehmers sichergestellt sein musste. Der technische Vorgang der Verwertung selbst, das Recycling des Altpapiers sei dagegen erkennbar nicht Gegenstand der Leistungspflichten des Auftragnehmers. Es sei im Übrigen auch nicht zu erwarten gewesen, dass der Versicherungsnachweis Tätigkeiten erfassen sollte, die nicht vom Bieter selbst, sondern durch einen Dritten erbracht würden. Andernfalls ergebe die Forderung nach einer Deckung von Ansprüchen aus Auswahlverschulden keinen Sinn. Die Antragstellerin hat sich der Meinung der Vergabekammer angeschlossen und die Ansicht vertreten, die Verwertung sei Gegenstand der Ausschreibung. Die Antragsgegnerin habe die Beigeladene vergaberechtswidrig zur Vorlage einer weiteren Versicherungsbestätigung aufgefordert.
Mit Beschluss vom 19. Juni 2020 hat die Vergabekammer der Antragsgegnerin untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen und (sic) die Wertung der Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen. Der Nachprüfungsantrag sei nur teilweise zulässig und begründet, da die Beigeladene nur nach einer im offenen Verfahren unzulässigen Änderung ihres Angebots durch die nachträgliche Beibringung von Unterlagen die geforderten Eignungsanforderungen bezüglich der Betriebshaftpflichtversicherung nachgewiesen habe. Unzulässig sei die unsubstantiierte Rüge der Antragstellerin bezüglich des Nachweises eines geeigneten Umladeplatzes und der verbindlichen Erklärung des Verwertungsbetriebs. Hinsichtlich der Rüge, in der Bekanntmachung sei nicht angegeben, dass sich der Umladeplatz innerhalb eines Radius von 10 km vom Hauptdepot der Antragsgegnerin befinden müsse, sei der Nachprüfungsantrag zwar zulässig, aber unbegründet; die Antragstellerin sei insoweit nicht in ihren Rechten verletzt, da nur zwei Angebote eingegangen seien und beide die Anforderung erfüllten. Hinsichtlich der Rüge eines ungewöhnlich niedrigen Angebots sei der Nachprüfungsantrag ebenfalls zulässig, aber unbegründet. Der Auftraggeber sei der sich aus § 60 Abs. 1 VgV ergebenden Prüfungspflicht in vergaberechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise nachgekommen. Begründet sei der Nachprüfungsantrag allerdings insoweit, als die von der Beigeladenen am 23. Januar 2020 nachgereichte Versicherungsbestätigung sowie die Bereitschaftserklärung bei der Prüfung der Eignung berücksichtigt worden seien. Die Voraussetzungen einer Nachforderung nach § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV hätten nicht vorgelegen. Die Verwertung der PKK-Fraktionen sei Teil der ausgeschriebenen Leistung gewesen. In Kapitel I Ziffer 10 der Vergabeunterlagen sei die Verwertung als vom Auftragnehmer zu erbringende Leistung eindeutig und unmissverständlich benannt. In Kapitel II der Vergabeunterlagen werde die Verwertung an mehreren Stellen eindeutig aufgeführt (Ziffer 1.2 und 1.7). In Kapitel IV der Vergabeunterlagen werde unter den besonderen Vertragsbedingungen in § 5 Abs. 1 ausgeführt, dass der Auftragnehmer die für die Übernahme und Verwertung der PPK-Sammelbare notwendigen Betriebsmittel bereitstelle. In den Vergabeunterlagen sei somit angelegt gewesen, dass ein Bieter zwar die Leistung der Verwertung zu erbringen habe, es aber als marktüblich angesehen werde, dass die eigentliche Verwertung durch einen Nachunternehmer erfolge. Diese Auslegung werde auch durch die Vorschriften des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) gestützt. Die Antragsgegnerin habe ein erhebliches Interesse daran, dass auch die Verwertung Leistungsbestandteil sei, da sie nach § 22 KrWG bei der Übertragung an Dritte so lange verantwortlich bleibe, bis die Verwertung endgültig und ordnungsgemäß abgeschlossen sei. Es sei keine fehlende Unterlage nachgefordert worden, denn die Versicherungsbestätigung der Beigeladenen habe die Verwertung als abfallwirtschaftliche Tätigkeit explizit nicht umfasst. Die Beigeladene könne sich auch nicht im Hinblick auf die von ihr unterschriebene Bereitschaftserklärung darauf berufen, die Nachforderung dieser fehlenden Unterlage sei zulässig gewesen. Die Nachforderung der Versicherungsbestätigung sei auch nicht als Korrektur einer fehlerhaften Unterlage zulässig gewesen.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene beantragen,
den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 19. Juni 2020 aufzuheben und den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen sowie festzustellen, dass für sie jeweils die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Nachprüfungsverfahren notwendig war.
Die Antragsgegnerin vertritt die Ansicht, der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, so dass etwaige weitere, von der Antragstellerin nicht gerügte Vergaberechtsverstöße von der Vergabekammer nicht hätten berücksichtigt werden dürfen. Unzutreffend sei die Feststellung der Vergabekammer, eine Nachforderung der Versicherungsbestätigung bzw. der Bereitschaftserklärung sei nicht zulässig gewesen.
Die Beigeladene führt aus, die von ihr mit dem Angebot vorgelegte Versicherungsbestätigung habe den gestellten Anforderungen bei objektiver Betrachtung entsprochen.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortigen Beschwerden der Antragsgegnerin und der Beigeladenen gegen die Entscheidung der Vergabekammer Südbayern vom 19. Juni 2020 zurückzuweisen und die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.
Die Antragstellerin hält an ihrem erstinstanzlichen Vorbringen insbesondere zur Überprüfung des Angebots der Beigeladenen nach § 60 VgV fest und verteidigt die Feststellung der Vergabekammer, die Nachforderung von Unterlagen sei vergaberechtswidrig gewesen.
Bei der Erörterung in der mündlichen Verhandlung, ob das Verständnis der Ausschreibung kalkulatorische Auswirkungen hat, hat die Antragstellerin die Frage bejaht, die Beigeladene dagegen verneint.
Ergänzend wird auf die Entscheidung der Vergabekammer und die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2. November 2020 Bezug genommen.
II.
Die zulässigen, insbesondere nach den §§ 171,172 GWB form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerden haben in der Sache Erfolg.
1. Ohne Erfolg wendet sich die Antragsgegnerin allerdings gegen die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, soweit die Antragstellerin bezweifelt, dass die Beigeladene eine auskömmliche Kalkulation vorgelegt hat. Auch soweit die Antragstellerin geltend macht, die Beigeladene verfüge nicht über einen Umladeplatz in der geforderten Distanz zum Hauptdepot der Antragsgegnerin und könne deshalb nicht den Zuschlag erhalten, hält der Senat den Nachprüfungsantrag für zulässig. Hinsichtlich der übrigen Rügen ist der Nachprüfungsantrag dagegen unzulässig.
1.1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16 Notärztliche Dienstleistungen, Rettungsdienst, BGHZ 214, 11 Rn. 12) ist für die Zulässigkeit eines auf § 160 Abs. 2 Satz 1 und 2 GWB gestützten Nachprüfungsantrags erforderlich, dass ein Unternehmen mit Interesse am Auftrag eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB schlüssig aufzeigt. Daran fehlt es hier – entgegen der Ansicht der Vergabekammer – bezüglich der Rüge, die maximale Entfernung des Umschlagplatzes von dem Hauptdepot der Antragsgegnerin hätte als Eignungskriterium bereits in die europaweite Bekanntmachung aufgenommen werden müssen. Dabei kann dahinstehen, ob es sich dabei überhaupt um ein Eignungskriterium handelt. Denn in Bezug auf Mängel der Bekanntmachung von Eignungskriterien ist ein Nachprüfungsantrag nur zulässig, wenn der Antragsteller aufzeigt, er erfülle einzelne Anforderungen nicht bzw. habe sie nicht oder nicht rechtzeitig erkannt (OLG Rostock, Beschluss vom 12. August 2020, 17 Verg 3/20, juris Leitsatz 2). Dies ist hier nicht der Fall. Die Antragstellerin verfügt über ein entsprechend nahe gelegenen Umschlagplatz und hat auch ein Angebot abgegeben. In welcher Rechtsposition sie durch eine mangelnde Aufnahme dieses Aspekts in die Bekanntmachung verletzt sein könnte, erschließt sich nicht.
Auch der Verweis der Antragstellerin auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf zu der Problematik der nicht ordnungsgemäßen Bekanntmachung von Eignungskriterien (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018, Verg 24/18) führt hier nicht weiter. Werden zentrale Eignungskriterien nicht wirksam aufgestellt und bekanntgemacht, kann ein Bieter nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil er sie nicht erfüllt. Handelt es sich um unverzichtbare Eignungsanforderungen, sieht die Rechtsprechung dies als schwerwiegenden Mangel des Verfahrens, der eine Rückversetzung und Korrektur erfordert. Auf diese Weise wird die Beauftragung eines Bieters ermöglicht, der die für den Auftrag objektiv notwendige Eignung hat. Erfüllt dagegen der bestplatzierte Bieter alle Eignungskriterien, fehlt jeglicher Anlass für eine Rückversetzung des Verfahrens, mögen die Kriterien auch nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden sein. So stellt sich die Sachlage hier dar: der Beigeladenen steht ein Umschlagplatz in der geforderten Nähe zum Hauptdepot der Antragsgegnerin zur Verfügung, den sie in ihrem Angebot auch benannt hat.
Versäumt die Vergabestelle die ordnungsgemäße Festlegung von Eignungskriterien, lässt sich eine Verletzung subjektiver Bieterrechte auch nicht daraus herleiten, dass sich der Kreis der potentiellen Bieter erhöht und/oder ein Konkurrent möglicherweise ein besser kalkuliertes Angebot einreichen kann.
1.2. Anders als die Vergabekammer hält der Senat dagegen die Rüge der Antragstellerin, die Beigeladene verfüge nicht über einen geeigneten Umschlagplatz in der Nähe des Hauptdepots der Antragsgegnerin und erfülle damit nicht die Vorgaben der Ausschreibung, für zulässig. Die Rüge wurde rechtzeitig erhoben, sie ist auch hinreichend klar formuliert. Es handelt sich auch nicht um eine gänzlich substanzlose und damit unbeachtliche Rüge „ins Blaue“. Angesichts der engen räumlichen Begrenzung der Distanz zwischen Umschlagplatz und Hauptdepot und den damit ersichtlich überschaubaren Möglichkeiten, über eine geeignete Fläche zu verfügen, erscheint der auf ihre Marktkenntnisse gestützte Zweifel der Antragstellerin, dass die Beigeladene dieses Kriterium erfüllt, nicht als bloße Spekulation ohne Anlass.
1.3. Gleiches gilt für den von der Antragstellerin im Rügeschreiben vom 10. Februar 2020 monierten Preis der Beigeladenen als unauskömmlich.
Die Vorschrift des § 60 VgV ist bieterschützend (BGHZ 214, 11 Rn. 20; Dicks in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2017, § 57 Rn. 99). Soll der Zuschlag nach der Vorinformation (§ 134 Abs. 1 GWB) auf ein Angebot mit einem Preis erteilt werden, den der Antragsteller für unangemessen niedrig hält, gehört es in Anbetracht der Regelung in § 60 VgV nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Schlüssigkeit, genügt insoweit aber auch, dass die Unangemessenheit des Preises indizierende Umstände dargelegt werden (BGHZ 214, 11 Rn. 13).
Ohne Erfolg wendet die Antragsgegnerin ein, derartige Indizien, die in ihrem Gehalt über bloße Behauptungen hinausgingen, habe die Antragstellerin nicht vorgetragen. Bei den Anforderungen an eine ordnungsgemäße ist Rüge ist nach der Rechtsprechung ein großzügiger Maßstab anzulegen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein Bieter nur einen begrenzten Einblick in den Ablauf des Vergabeverfahrens hat, weswegen ihm auch gestattet ist, Aspekte zu beanstanden, die er redlicherweise für wahrscheinlich oder möglich halten darf. Allerdings ist – auch zur Vermeidung völlig haltloser und missbräuchlicher Rügen – ein Mindestmaß an Substantiierung einzuhalten sowie eine Darlegung zu fordern, welche tatsächlichen Anhaltspunkte und Indizien aus Sicht des Bieters den hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Oktober 2020, VII-Verg 36/19, juris Rn. 73 m. w. N.).
Zutreffend hat die Vergabekammer darauf abgestellt, dass die Antragstellerin in ihrer Rüge konkrete Punkte wie den aktuellen Preisverfall für Altpapier, die Transportkosten zu einer Sortieranlage sowie eine komplexe Berechnung der Umsatzsteuer als Anhaltspunkte für ein ungewöhnlich niedriges Angebot benannt hat, so dass unter besonderer Berücksichtigung dieser Informationen eine vertiefte Prüfung des Angebots der Beigeladenen erfolgen konnte. Dass der allgemeine Preisverfall des Altpapiers kein Aspekt ist, der nur das Angebot der Beigeladenen betrifft, lässt entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin die Rüge nicht unsubstantiiert erscheinen; sie gibt der Antragsgegnerin vielmehr Anlass, das Angebot der Beigeladenen darauf zu überprüfen, ob der von der Beigeladenen angegebene Vermarktungserlös auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruht und nachvollziehbar ist. Unerheblich ist auch, dass der Transport der PPK-Abfälle von der Übergabestelle zu dem Betrieb der Beigeladenen, um das Altpapier dort zu sortieren, nicht in den Vergabeunterlagen vorgegeben ist. Diese Rüge hat die Antragstellerin mit ihrer Marktkenntnis begründet.
1.4. Rein spekulativ ist hingegen die Behauptung der Antragstellerin im Rügeschreiben vom 10. Februar 2020, das Angebot der Beigeladenen enthalte nicht die geforderten Preisangaben und habe versäumt, fristgerecht die erforderlichen Abnahmeerklärungen der Verwertungsbetriebe für den gesamten Leistungszeitraum und die geforderten Mengen vorzulegen. Was die Antragstellerin zu dieser Mutmaßung veranlasst, ist nicht ersichtlich.
1.5. Nicht von der Rügepflicht erfasst sind Umstände, die erst im laufenden Nachprüfungsverfahren bekannt werden, wie hier die von der Vergabekammer mitgeteilte Korrespondenz zwischen der Vergabestelle und der Beigeladenen zu den Versicherungsbescheinigungen.
2. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet.
Die Beigeladene verfügt über einen Umschlagplatz, der sich in der von der Vergabestelle vorgegebenen (geringen) Distanz zu ihrem Hauptdepot befindet. Dieser von der Antragstellerin geltend gemachte Aspekt steht der beabsichtigten Zuschlagserteilung mithin nicht entgegen.
Hinsichtlich des von der Vergabekammer von Amts wegen offen gelegten und auch bejahten Vergaberechtsverstoß ist festzustellen, dass der Nachprüfungsantrag – wie dargelegt – zumindest teilweise zulässig. Ein amtswegiges Aufgreifen eines Vergaberechtsverstoßes war damit grundsätzlich möglich (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Mai 2019, VII-Verg 47/18, juris Rn. 65; Beschluss vom 11. Juli 2018, Verg 24/18, juris Rn. 58 ff.). Allerdings sieht der Senat die von der Vergabestelle durchgeführte Aufklärung und Nachforderung von Unterlagen zur Betriebshaftpflichtversicherung der Beigeladenen nicht als vergaberechtswidrig an. Das Angebot der Beigeladenen ist grundsätzlich wertbar und zuschlagsfähig.
Die Leistungsbeschreibung genügt den Anforderungen des § 121 GWB, so dass vom Senat auch eine in der mündlichen Verhandlung erwogene Aufhebung der Ausschreibung (vgl. Stein/Wolf in Beck OK Vergaberecht, 17. Ed. Stand 30. April 2020, § 121 GWB, Rn. 31) von Amts wegen nicht für angezeigt hält.
Die Antragsgegnerin ist mit der den Nachprüfungsantrag zurückweisenden Entscheidung des Senats allerdings nicht gezwungen, die Ausschreibung mit einem Zuschlag an die Beigeladene abzuschließen (§ 63 Abs. 1 Satz 2 VgV). Es bleibt ihr vielmehr unbenommen, von dem Beschaffungsvorhaben auch dann Abstand zu nehmen, wenn dafür kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt, etwa weil die Ausschreibung ihren Beschaffungsbedarf nicht vollumfänglich deckt.
Im Einzelnen:
2.1. Zu Recht hat die Antragsgegnerin das Angebot der Beigeladenen nicht nach § 57 Abs. 1 Hs. 2 Nr. 2 VgV mit der Begründung ausgeschlossen, die vorgelegte Versicherungsbestätigung umfasse nicht die Verwertung.
Vom Auftragnehmer geschuldet ist nur die Übernahme der PPK-Fraktionen und deren Zuführung zu einer ordnungsgemäßen Verwertung, nicht aber die Durchführung der Verwertung selbst. Dass diese abfallwirtschaftliche Tätigkeit nicht von der Betriebshaftpflichtversicherung umfasst sein muss, ergibt sich bei der gebotenen Auslegung der Leistungsbeschreibung. Die Anforderung in Ziffer III.1.3) der Bekanntmachung ist insoweit eindeutig.
2.1.1. Wegen des Transparenzgebots und der bei Nichtbeachtung von Ausschreibungsbedingungen drohenden Gefahr eines Angebotsausschlusses müssen die Bieter der Ausschreibung klar entnehmen können, welche Voraussetzungen an ihre Eignung gestellt werden und welche Erklärungen/Nachweise von ihnen in diesem Zusammenhang verlangt werden (BGH, Urt. v. 3. April 2012, X ZR 130/10 juris Rn. 9; OLG München, Beschluss vom 21. April 2017, Verg 2/17, juris unter 2.2.2.).
Die vorzulegenden Eignungsnachweise müssen nach Art, Inhalt und Zeitpunkt der Vorlage eindeutig gefordert sein (Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2017, § 57 Rn. 99). Für das Verständnis maßgeblich ist der objektive Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, also eines abstrakt bestimmten Adressatenkreises. Die Eignungskriterien sind nach § 122 Abs. 4 GWB in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen und müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen, der in der Leistungsbeschreibung, für die die allgemeinen Auslegungsgrundsätze gelten (Stein/Wolf in BeckOK Vergaberecht, 17. Ed. 30. April 2020, GWB § 121 Rn. 13 m. w. N.), nach § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben ist.
Dass Bieter oder Bewerber Vergabeunterlagen auslegen müssen, um das vom öffentlichen Auftraggeber Verlangte zu erkennen, ist als solches nicht vergaberechtswidrig (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Dezember 2017, II-Verg 19/17 LKW-Maut, juris Rn. 56; Friton/Prieß in Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, 5. Aufl. 2020, § 121 Rn. 30). Bestehen nach dieser Auslegung noch Unklarheiten und Widersprüche, gehen sie allerdings zu Lasten des Auftraggebers (OLG Düsseldorf a. a. O. Rn. 64; OLG Frankfurt, Beschluss vom 8. August 2019, 11 Verg 3/19, juris Rn. 123; Friton in BeckOK Vergaberecht, 17. Ed. 31. März 2020, GWB § 122 Rn. 58).
2.1.2. Gemessen an diesen Maßstäben lässt sich den Unterlagen entgegen der Ansicht der Vergabekammer eindeutig entnehmen, dass sich die Betriebshaftpflichtversicherung, deren Nachweis der Auftraggeber nach § 122 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 GWB i. V. m. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 Nr. 2 VgV verlangen kann, nicht auf die Durchführung der Verwertung, sondern nur auf die „Vermarktung zur ordnungsgemäßen Verwertung“ beziehen muss.
Nachgewiesen werden muss eine Betriebshaftpflichtversicherung „zur Deckung etwaiger Ansprüche aus diesem Vertrag“. Dass die Durchführung der Verwertung im Sinne des Recyclingvorgangs des Altpapiers zur Leistungspflicht des Auftraggebers gehört, ist nicht festgelegt.
2.1.2.1. Nach Wortlaut und Systematik der Vergabeunterlagen besteht die Leistungspflicht des Auftraggebers darin, das Altpapier einer ordnungsgemäßen Verwertung zuzuführen.
In der Bekanntmachung werden ganz überwiegend die Formulierungen „Übernahme und Vermarktung von Altpapier“ oder „Übernahme und Vermarktung zur ordnungsgemäßen Verwertung“ verwendet. In Ziffer II 1.4) lautet der letzte Spiegelstrich zwar „Vermarktung / Verwertung der Altpapiermengen“, dies ist jedoch alternativ zu verstehen, zumal im ersten Satz dieser Ziffer festgelegt ist, dass die „Übernahme und Vermarktung zur ordnungsgemäßen Verwertung“ Leistungsgegenstand ist. Dass die Sammlung der PPK-Fraktionen und Beförderung zur Übergabestelle in Ziffer II.2.4) der Bekanntmachung ausdrücklich nicht Gegenstand der ausgeschriebenen Leistung sind, die Verwertung aber nicht ausgenommen ist, spricht entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht zwingend dafür, dass sie vom Auftragsgegenstand umfasst ist.
In den Vergabeunterlagen wird zwar an verschiedenen Stellen (Kapitel II Ziffer 1.2.1, 1.7, 1.9.2) von Verwertung gesprochen, entgegen der Ansicht der Vergabekammer ergibt sich daraus jedoch nicht, dass die Durchführung der Verwertung eine vom Auftragnehmer geschuldete Leistung ist. Bei der Auslegung sind vorrangig die Regelungen in den Blick zu nehmen, die sich ausdrücklich mit der Leistungspflicht befassen, die den Auftragnehmer neben der Übernahme des Altpapiers trifft.
Nach der Regelung in Ziffer 1.7 mit der Überschrift „Verwertung von PPK“ hat der Auftragnehmer die PPK-Sammelware „einer ordnungsgemäßen Verwertung zuzuführen“. Die Formulierung im letzten Absatz, nach der „die Verwertung der PPK-Sammelware“ die ordnungsmäße Entsorgung ggf. anfallender Störstoffe und Sortierreste einschließt, ist im Gesamtzusammenhang der Regelung dahingehend zu verstehen, dass auch diese einer ordnungsgemäßen Verwertung zuzuführen sind. Dafür spricht auch die im Zusammenhang mit dem Leistungsgegenstand verwendete Formulierung der Übernahme und der „Vermarktung“ von Altpapier (Kapitel I Ziffer 2.1; Kapitel II Ziffer 1.1; Kapitel IV § 1 Abs. 1).
Die von der Vergabekammer zur Begründung herangezogene Regelung in Kapitel I Ziffer 10 befasst sich nicht dem Leistungsgegenstand, sondern mit der umsatzsteuerlichen Behandlung tauschähnlicher Umsätze und ordnungsgemäßer Rechnungsstellung. Dass in diesem Zusammenhang die von dem Auftragnehmer zu erbringenden Leistungen in einem Klammerzusatz mit „Übernahme und Verwertung; ggf. Bereitstellung von Systembetreiber-Mengen“ angegeben werden, ist für die Bestimmung des Leistungsgegenstands nicht aussagekräftig.
Auch soweit in der Regelung zur Menge der PPK-Abfälle (Kapitel II Ziffer 1.2.1) die Formulierung „Verwertung“ verwendet wird, ist dies im Kontext der Vormerkung in Ziffer 1.1. und der speziellen Regelung in Ziffer 1.7. dahingehend zu verstehen, dass diese Mengen einer ordnungsgemäßen Verwertung zuzuführen sind. Entsprechendes gilt für die weiteren Regelungen, die den Begriff des „Verwertens“ enthalten, aber einen anderen Schwerpunkt als die Festlegung des Leistungsgegenstands haben.
Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin auf die Besonderen Vertragsbedingungen. Aus § 6 Abs. 3 des Entsorgungsvertrags ergibt sich die Verpflichtung, die PPK-Sammelware zur angebotenen Verwertungsanlage zu transportieren und sie dort einer „ordnungsgemäßen schadlosen Verwertung zuzuführen“. Aus der Regelung in § 7 Abs. 1 des Entsorgungsvertrags, wonach der Auftragnehmer für eine anderweitige zulässige Verwertung Sorge zu tragen hat, wenn die Verwertung des PPK vorübergehend oder dauerhaft nicht möglich ist, ergibt sich die Verpflichtung, die PPK einer ordnungsgemäßen Verwertung zuzuführen und dafür eine andere als die ursprünglich angegebene Papierfabrik mit Zustimmung des Auftraggebers auszuwählen. Aus den in § 5 des Entsorgungsvertrags geregelten Anforderungen an die „für die Übernahme und die Verwertung der PPK-Sammelware“ notwendigen Betriebsmittel ergibt sich im Zusammenhang mit den anderen Regelungen des Vertrags nicht, dass auch die Durchführung der Verwertung selbst geschuldet wäre.
Dafür dass, der Auftragnehmer lediglich verpflichtet ist, die PPK-Sammelware einer ordnungsgemäßen Verwertung zuzuführen, spricht ferner, dass gemäß Ziffer III.1.3 der Bekanntmachung „freiwillige Angaben zum Verwertungsweg“ vorzulegen sind, auf Verlangen des Auftraggebers weitere Erklärungen „des Verwertungsbetriebs“ (4. Spiegelstrich unter 2]) bzw. der „Unterauftragnehmer“ (3. und 5. Spiegelstrich unter 2]) vorzulegen sind, und dass im Formblatt F3 die Unterauftragnehmer zu benennen, im Formblatt F10 dagegen die vorgesehenen Entsorgungsanlagen zu bezeichnen sind. Daraus folgt, dass ein Verwertungsbetrieb nicht unbedingt ein Unterauftragnehmer sein muss.
2.1.2.2. Wenn es marktüblich ist, dass das Recycling des Altpapiers von Papierfabriken vorgenommen wird, besagt dies – entgegen der Ansicht der Vergabekammer – nicht zwingend, dass es marktüblich ist, diese als Nachunternehmer zu beauftragen.
2.1.2.3. Die verschiedenen Regelungen zur Gewährleistung der Entsorgungssicherheit beruhen auf der abfallrechtlichen Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin. Dass sie nach § 22 Satz 2 KrWG nur die Erfüllung der Entsorgungspflicht Dritten (Erfüllungsgehilfen) übertragen kann, aber – im Rahmen einer verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung – zur Entsorgung verpflichtet bleibt (vgl. zur Vorgängervorschrift des § 16 KrWG: BVerwG, Urt. v. 28. Juni 2007, 7 C 5/07, juris Rn. 16), ist für die Frage, welche Leistung die Bieter zu erbringen haben, ohne Belang (vgl. OLG München, Beschluss vom 10. September 2009, juris Rn. 71). Entscheidend ist nicht die abfallrechtliche Verantwortlichkeit der Antragsgegnerin, sondern wie ein Bieter bei objektiver Betrachtungsweise die Vorgaben verstehen konnte und durfte. Im Übrigen kann ein Entsorgungsträger seiner fortbestehenden abfallrechtlichen Verantwortung dadurch Rechnung tragen, dass er den Auftragnehmer dazu verpflichtet, die PPK-Sammelware einer ordnungsgemäßen Verwertung zuzuführen und auf Verlangen einen Genehmigungsbescheid der Verwertungsanlage oder eine Erklärung des Verwertungsbetriebs zur Annahme oder Verwertung vorzulegen, zumal nach der von der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung geäußerten, für den Senat durchaus plausiblen Ansicht, das abfallrechtliche Risiken bei der Verwertung von Altpapier gering seien.
Schließlich spricht die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 1. Februar 2005, X ZB 27/04, NZBau 2005, 290) nicht gegen die Auslegung, geschuldet sei nur die Übernahme und Vermarktung zur ordnungsgemäßen Verwertung. Für den hier entscheidenden Umfang der Leistungspflichten ist die im Zusammenhang mit der Frage der Entgeltlichkeit eines Vertrags getroffene Aussage des Bundesgerichtshofs, aus vergaberechtlicher Sicht sei der Verkauf des Altpapiers das rechtliche Gewand, in dem sich der öffentliche Auftraggeber die Leistungen beschaffe, die die ihm obliegende geordnete Altpapierverwertung sicherstellen oder zumindest fördern sollten (juris Rn. 30), ohne Bedeutung. An anderer Stelle (juris Rn. 25) führt der Bundesgerichtshof aus, die öffentliche Auftraggeberin sei zur Entsorgung der im Stadtgebiet anfallenden und ihr überlassenen Abfälle verpflichtet und zu Erfüllung dieser Verpflichtung bedürfe das Altpapier weiterer Behandlung, insbesondere in Form von Handlungen, die bestimmt und geeignet seien, das Altpapier einer stofflichen Verwertung zuzuführen.
2.1.3. Die von der Beigeladenen mit ihrem Angebot vorgelegte Versicherung umfasst insbesondere die abfallwirtschaftlichen Tätigkeiten des Beförderns und Handelns. Händler im Sinne des § 3 Abs. 12 KrWG ist, wer in eigener Verantwortung Abfälle erwirbt und weiterveräußert. In eigener Verantwortung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass der Händler im eigenen Namen handelt und insoweit selbst Vertragspartner wird und nicht wie ein Makler lediglich an dem Zustandekommen eines Vertrags zwischen anderen mitwirkt. Nicht entscheidend ist, ob für den Erwerb der Abfälle oder für die Weiterveräußerung ein Entgelt gezahlt wird (Beckmann in Landmann/Rohmer Umweltrecht, 92. EL Februar 2020, KrWG § 3 Rn. 127). Damit ist die Zuführung des Altpapiers zu einer ordnungsgemäßen Verwertung durch Abschluss eines Verwertungsvertrags mit der Papierfabrik (vgl. II. 1.3] der Bekanntmachung) von der Betriebshaftpflichtversicherung der Beigeladenen umfasst.
2.1.4. Da die Leistungsbeschreibung nach der gebotenen Auslegung, den Anforderungen des § 121 GWB genügt, bedarf es keiner Aufhebung der Ausschreibung von Amts wegen. Die Antragsgegnerin, die verpflichtet war, ihren Beschaffungsbedarf vorab sorgfältig zu ermitteln (vgl. Eichler in Münchener Kommentar Europäischen und Deutsches Wettbewerbsrecht. 2. Aufl. 2018, 1. Teil. Einleitung zum Vergaberecht Rn. 237), hat nun Gelegenheit, zu prüfen, ob ihr Beschaffungsbedarf durch die Leistungsbeschreibung in dem unter Ziffer 2.1.2. dargestellten Sinn gedeckt wird.
Die Vergabestelle hat in ihrem an die Beigeladene gerichteten Schreiben vom 17. Januar 2020 im Zusammenhang mit dem Nachweis der Betriebshaftpflichtversicherung und den Formblättern F2 und F3 zum Ausdruck gebracht, dass die „Aufgabe der Verwertung“ Gegenstand der Ausschreibung ist und eine vom Auftraggeber – für das Recycling – ausgewählte Papierfabrik daher Subunternehmerin sein muss. Dieses Verständnis des Beschaffungsbedarfs ergibt sich indes aus den oben dargelegten Erwägungen nicht aus der Bekanntmachung.
Möchte die Antragsgegnerin eine Dienstleistung beschaffen, die die Übernahme und Verwertung (einschließlich der Durchführung) von Altpapier aus ihrem Sammelsystem umfasst, kann sie eine Aufhebung des Vergabeverfahrens, das sich auf die Übernahme und Vermarktung von Altpapier bezieht, in Erwägung ziehen (vgl. BGH, Beschl.v. 20. März 2014, X ZB 18/13, NZBau 2014, 310 Rn. 20 f.; Steck in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, GWB § 168 Rn. 20; Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 63 Rn. 12 f.).
2.2. Zu Recht hat die Antragsgegnerin das Angebot der Beigeladenen nicht nach § 57 Abs. 1 Hs. 2 Nr. 2 VgV mit der Begründung ausgeschlossen, die vorgelegte Versicherungsbestätigung umfasse nicht die Haftung für Ansprüche aus Auswahlverschulden.
2.2.1. Hinsichtlich der Anforderung an die Vorlage von Eignungsnachweisen wird auf die Ausführungen unter 2.1.1. Bezug genommen. Wird in den Vergabeunterlagen nicht mit der gebotenen Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass eine bestimmte Erklärung vom Bieter schon bis zum Ablauf der Angebotsfrist beizubringen ist, darf die Vergabestelle ein Angebot, in dem diese Erklärung fehlt, nicht ohne Weiteres ausschließen (BGH, Urt. v. 3. April 2012, X ZR 130/10, juris Rn. 11).
Die Nachforderung nach § 56 Abs. 2 VgV und die Aufklärung nach § 15 Abs. 5 VgV stehen grundsätzlich in einem aliud-Verhältnis. Beide Vorschriften stellen eine Art der Aufklärung dar, deren Anwendbarkeit sich nach dem Ziel des Aufklärungsverlangens richtet. Will der Auftraggeber fehlende oder unvollständige Unterlagen aufklären, so hat er den Weg über die Nachforderungsmöglichkeit nach § 56 VgV zu wählen. Möchte er hingegen den Inhalt eines vollständig eingereichten Angebots aufklären, so hat er Aufklärung nach § 15 VgV zu ersuchen. Dieses Ausschlussverhältnis gerät in eine Grauzone, wenn es um die Aufklärung zwar fehlerhaft aber tatsächlich doch eingereichter Unterlagen geht. In diesem Fall wird im Zweifel aber auf die Nachforderung nach § 56 VgV zurückzugreifen sein, da sie mit ihren strengeren Anforderungen die speziellere Vorschrift darstellt (Schneevogl/Müller in BeckOK Vergaberecht, 17. Ed. Stand 31. Juli 2017, VgV § 15 Rn. 19.1). Geht es um die bloße Nachforderung von in der Auftragsbekanntmachung bereits verlangten Unterlagen, gilt § 56 Abs. 2 VgV (Pünder/Klafki in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, VgV § 15 Rn. 35).
Im Rahmen der § 56 Abs. 2, § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV ist eine inhaltlich unzureichende Unterlage nicht mit einer fehlenden gleichzusetzen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. September 2019, VII-Verg 10/19, juris Rn. 39 m. w. N.; OLG München, Beschluss vom 27. Juli 2018, Verg 02/18, juris Rn. 82).
2.2.2. Die Formulierung in Ziffer III. 1.2) der Bekanntmachung, die Betriebshaftpflichtversicherung habe beim Einsatz von Unteraufnehmern auch Ansprüche aus Auswahlverschulden zu decken, ist in mehrfacher Hinsicht unklar.
Zum einen ist damit nicht eindeutig festgelegt, dass die Deckung von Ansprüchen aus Auswahlverschulden durch die Betriebshaftpflichtversicherung von der Versicherung gesondert bestätigt werden muss. Denn anders als im Satz davor und danach, ist ein „Nachweis“ insoweit nicht erwähnt.
Zum anderen ist das Interesse der Antragsgegnerin an dieser Anforderung unklar, deren Verständnis durch die Verbindung der Begriffe „Unterauftragnehmer“ und „Auswahlverschulden“ erschwert wird. Aus der Betriebshaftpflicht haftet der Betreiber, der u. a. auch gemäß §§ 278, 831 BGB für seine Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen eintreten muss. In der Betriebshaftpflichtversicherung sind daher einerseits die spezifischen Gefahren des Betriebes versichert, andererseits die Haftung des Betriebsinhabers (der regelmäßig auch Versicherungsnehmer sein wird), der Vertretungsbefugten und der Personen, die in einem Dienstverhältnis zu dem Unternehmen stehen (Langheid in Rixecker/Langheid, 6. Aufl. 2019, VVG § 102 Rn. 5). Auch wenn die von der Beigeladenen mit dem Angebot vorgelegte Versicherungsbestätigung keine ausdrückliche Aussage zur Deckung bei Auswahlverschulden enthält, folgt daraus weder, dass die Versicherung Haftung für Auswahlverschulden, bei dem es sich um eigenes Verschulden handelt, nicht umfasst, noch ist dies naheliegend. Setzt der Auftragnehmer zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit Unterauftragnehmer ein (vgl. OLG München, Beschluss vom 10. September 2009, Verg 10/09, juris Rn. 68), haftet er nach § 278 BGB für deren Verschulden, was hier in § 10 Abs. 4 des Entsorgungsvertrags explizit geregelt ist. Obliegt dem Schuldner dagegen nur die Auswahl einer sachkundigen Person, nicht aber die Erfüllung der Verbindlichkeit selbst, ist § 278 BGB nicht anwendbar (BGH, Urt. v. 3. März 2016, IX ZR 119/15, juris Rn. 20). Der Ansicht der Beigeladenen, die Anforderungen in Ziffer III 1.2) der Bekanntmachung seien dahingehend zu verstehen, dass beim Einsatz von Nachunternehmern die Haftpflichtversicherung des Auftragnehmers nur Ansprüche aus Auswahlverschulden, nicht aber Ansprüche wegen Leistungspflichtverletzungen des Unterauftragnehmers abdecken müsse, vermag der Senat im Hinblick darauf, dass es sich bei der Haftung für das Handeln des Unterauftragnehmers um „Ansprüche aus diesem Vertrag“ handelt, zwar nicht zu folgen. Darauf kommt es hier allerdings nicht entscheidend an. Eine entsprechende fehlende Bestätigung der Deckung von Ansprüchen aus Auswahlverschulden durfte jedenfalls bei der Beigeladenen nachgefordert werden.
2.3. Der Nachprüfungsantrag hat auch keinen Erfolg wegen unzureichender Aufklärung des Angebots der Beigeladenen nach § 60 Abs. 1 VgV.
2.3.1. § 60 Abs. 1 VgV verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber vom Bieter Aufklärung zu verlangen, wenn Preis oder Kosten eines Angebots im Verhältnis zu der zu erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig erscheinen (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16 Notärztliche Dienstleistungen, Rettungsdienst, BGHZ 214, 11 Rn. 20).
Die Prüfung hat sich auf die bedeutsamen Einzelfallumstände zu erstrecken, die Aussagen über die Auskömmlichkeit des Gesamtpreises erlauben (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. September 2019, VII-Verg 10/19, juris Rn. 49). Die Prüfung muss darauf gerichtet sein, eine gesicherte Erkenntnisgrundlage für die nach § 60 Abs. 3 Satz 1 VgV zu treffende Entscheidung zu schaffen. Die Ablehnung des Zuschlags ist grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären kann (BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017, X ZB 10/16, BGHZ 214, 11 Rn. 31; a. A. wohl OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. April 2014, VII-Verg 41/13, juris Rn. 26; Dicks in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 60 Rn. 25: Unterkostenangebote führten nicht per zu einem Ausschluss). Die Überprüfung durch Vergabekammern und -senate hat sich darauf zu beschränken, ob die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers auf einer vollständigen und zutreffenden Tatsachengrundlage beruht und aus vernünftigen Erwägungen heraus und im Ergebnis vertretbar getroffen worden ist (OLG Rostock, Beschluss vom 6. Februar 2019, 17 Verg 6/18, juris Rn. 40). Die Anforderungen an den zu erreichenden Grad der Erkenntnissicherheit des öffentlichen Auftraggebers sind im Übrigen beschränkt. Wegen des Interesses nicht nur des öffentlichen Auftraggebers, sondern auch der Allgemeinheit an einer zügigen Umsetzung von Beschaffungsabsichten und einem raschen Abschluss von Vergabeverfahren sowie wegen der begrenzten Ressourcen und Möglichkeiten des öffentlichen Auftraggebers sind seiner Überprüfungspflicht durch den Grundsatz der Zumutbarkeit Grenzen gesetzt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. September 2019, VII-Verg 10/19, juris Rn. 50).
Bei dieser Sachlage ist die Nachfrage der Vergabestelle vom 17. Januar 2020 nicht als „Nachforderung fehlender Unterlagen“ zu qualifizieren, sondern als zulässige Aufklärung über den Inhalt und die Reichweite der vorgelegten Versicherungsbescheinigung, gegen die keine vergaberechtlichen Bedenken bestehen.
2.3.2. Gemessen an diesen Grundsätzen hat die Vergabekammer zutreffend festgestellt, dass die Antragsgegnerin hier ihrer Prüfungspflicht in vergaberechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise nachgekommen ist. Der Preisunterschied ergibt sich hauptsächlich aus dem zu erzielenden Verwertungserlös, zu dem die Beigeladene erläutert hat, die angegebene veränderliche Vergütung basiere auf den Konditionen der Papierfabrik, die sich der vorgelegten Rechnung für den Monat Oktober 2019 entnehmen ließen. Aus den Akten der Vergabestelle ergibt sich, dass sie die Preisangaben der Beigeladenen bei den Positionen 2a und 2b überprüft und als nachvollziehbar angesehen wurden.
III.
Die Kostenentscheidung folgt für das Verfahren vor der Vergabekammer aus § 182 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 und 2 GWB und für das Beschwerdeverfahren aus § 175 Abs. 2 i. V. m. § 78 GWB. Danach hat unterliegende Antragstellerin die Kosten einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin und er Beigeladenen zu tragen. Dabei war die Notwendigkeit der Hinzuziehung ihrer Verfahrensbevollmächtigten gemäß § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i. V. m. § 80 Abs. 2 VwVfG für das Verfahren vor der Vergabekammer – nicht hingegen für den Anwaltsprozess im Beschwerdeverfahren – gesondert auszusprechen.
Für die Bemessung des Streitwerts nach § 50 Abs. 2 GKG wurden 5% der von der Antragstellerin in ihrem Angebot veranschlagten Bruttokosten zugrunde gelegt (OLG Koblenz, Beschluss vom 23. Mai 2018, Verg 2/18, juris Rn. 9).


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