Baurecht

Nachbaranfechtung der Genehmigung eines Carports

Aktenzeichen  M 1 K 15.3168

Datum:
27.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 59 S. 1, Art. 68 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Da die Prüfung der Abstandsflächenvorschriften im Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nicht enthalten ist, können sich Kläger im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung nicht auf die Verletzung von Nachbarrechten wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen berufen.  (redaktioneller Leitsatz)
Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BayBO erweitert nicht den Prüfkatalog des Art. 59 S. 1 BayBO unabhängig von einer beantragten Abweichung auf alle im Rahmen des Ermessens potenziell zu prüfenden drittschützenden Normen, denn bei Anwendung der Schutznormtheorie ist nicht erkennbar, dass Art. 68 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 BayBO auch dem Schutz Dritter dienen soll. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Die Kläger haben als Nachbarn nicht schon bei objektiver Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung einen Rechtsanspruch auf ihre Aufhebung. Sie können den angegriffenen Bescheid vielmehr nur dann erfolgreich anfechten, wenn er rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zu einer Verletzung der Kläger in eigenen Rechten führt. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz der Nachbarn zu dienen bestimmt ist, sie also drittschützende Wirkung hat (vgl. BayVGH, B. v. 2.9.2013 – 14 ZB 13.1193 – juris Rn. 11). Vorliegend können die Kläger keine Verletzung drittschützender Normen geltend machen.
I.
Mit der Rüge der Nichteinhaltung von Abstandsflächen können die Kläger nicht die Aufhebung der streitgegenständlichen Baugenehmigung erreichen. Denn sie wurde im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO erteilt. Prüfungsumfang sind hiernach (nur) die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 Baugesetzbuch (BauGB) und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinn des Art. 81 Abs. 1 BayBO sowie beantragte Abweichungen im Sinn des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO. Diesen beschränkten Prüfungsumfang kann die Bauaufsichtsbehörde außer im Fall der Versagung nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO nicht selbst erweitern. Da die Prüfung der Abstandsflächenvorschriften im Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nicht enthalten ist, können sich die Kläger im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung nicht auf die Verletzung von Nachbarrechten wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen berufen (vgl. BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 11; BayVGH, B. v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 3 m. w. N.; VG Ansbach, U. v. 21.10.2015 – AN 9 K 14.01875 – juris Rn. 41). Ebenso wenig kommt es darauf an, ob für den Carport eine Abweichung hätte beantragt werden müssen, da sich das Prüfprogramm des Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO ausschließlich auf tatsächlich beantragte Abweichungen erstreckt (vgl. Wolf in Simon/Busse, BayBO, 121. EL Sept. 2015, Art. 59 Rn. 65). Gemessen am Prüfungsumfang des Art. 59 Satz 1 BayBO ist daher keine Verletzung von drittschützenden Vorschriften ersichtlich.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem von den Klägern zitierten Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Juni 2010 (9 B 08.3162 – juris). Dort wurde eine Baugenehmigung aufgehoben, weil sich aus den Bauvorlagen der Gegenstand der Baugenehmigung nicht eindeutig ergab und damit nicht festgestellt werden konnte, ob die einzuhaltenden Abstandsflächen eingehalten waren und daher eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen war. Allerdings erging diese Entscheidung auf Grundlage der Art. 72 Abs. 1 Satz 1, Art. 73 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1998, die auch im vereinfachten Genehmigungsverfahren eine Überprüfung der Abstandsflächenvorschriften vorsahen. Dies ist heute nicht mehr der Fall. Aufgrund des beschränkten Prüfprogramms des Art. 59 Satz 1 BayBO können die Kläger die angefochtene Baugenehmigung mit der Rüge der Verletzung von Abstandsflächenvorschriften nicht erfolgreich anfechten. Ebenso wenig ist die von den Klägern zitierte Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. Mai 1994 (10 A 1025/90 – juris) mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Denn Grundlage der Erteilung der dort streitigen Baugenehmigung waren ebenfalls – anders als vorliegend – die Überprüfung der Abstandsflächenvorschriften.
II.
Der klägerische Vortrag, es bestünde jedenfalls ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung aus Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO, überzeugt nicht, da diese Norm nicht drittschützend ist und den Klägern damit keinen Anspruch auf Aufhebung der Baugenehmigung bei einem Verstoß gegen nicht zum Prüfprogramm des Art. 59 Satz 1 BayBO gehörenden drittschützenden Vorschriften vermittelt. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO erweitert nicht den Prüfkatalog des Art. 59 Satz 1 BayBO unabhängig von einer beantragten Abweichung auf alle im Rahmen des Ermessens potenziell zu prüfenden drittschützenden Normen. Denn bei Anwendung der Schutznormtheorie ist nicht erkennbar, dass Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO auch dem Schutz Dritter dienen soll. Mit der Eröffnung des Ermessens sollen nur öffentliche Interessen geschützt werden. Andernfalls würde die Intentionen des Gesetzgebers, das Prüfprogramm aus Gründen der Deregulierung einzuschränken, ad absurdum geführt (vgl. BayVGH, B. v. 28.9.2010 – 2 CS 10.1760 – juris Rn. 21; BayVGH, B. v. 14.10.2010 – 15 ZB 10.1584 – juris Rn. 8 ff.; VG Ansbach, U. v. 21.10.2015 – AN 9 K 14.01875 – juris Rn. 62).
Aus der von den Klägern zitierten Gesetzesbegründung zu Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO (LT-Drs. 16/1351 v. 13.5.2009, S. 2) ergibt sich nichts anderes. Hiernach sollte klargestellt werden, dass die Bauaufsichtsbehörden Bauanträge wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses als unzulässig ablehnen dürfen, wenn ein Verstoß gegen Vorschriften erkannt wird, die nicht im Prüfprogramm der Art. 59, 60 BayBO enthalten sind, sofern sich das Hindernis nicht – etwa durch eine Abweichung nach Art. 63 BayBO – ausräumen lässt. Dabei wird Art. 63 BayBO nur beispielhaft für Fälle erwähnt, in denen sich ein entgegenstehendes Hindernis ausräumen lässt und die Baugenehmigung daher nicht aufgrund fehlenden Sachbescheidungsinteresses abgelehnt werden darf. Hierdurch wird dem Umstand Rechnung getragen, dass ein Bauwerber grundsätzlich einen Anspruch auf Erteilung einer Baugenehmigung hat, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO. Dass im Rahmen des beispielhaft erwähnten Art. 63 Abs. 1 BayBO nachbarliche Belange zu berücksichtigen sind, führt aber nicht dazu, dass auch in Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BayBO eine drittschützende Wirkung hineingelesen werden könnte. Vielmehr ist aus der Gesetzesbegründung gerade nicht erkennbar, dass die Novellierung einen Drittschutz bezwecken sollte (vgl. auch BayVGH, B. v. 28.9.2010 – 2 CS 10.1760 – juris Rn. 21).
III.
Die Kläger können sich nicht darauf berufen, dass es aufgrund des unklaren tatsächlichen Grenzverlaufs nicht nachvollziehbar sei, worauf sich die Höhenangaben im Eingabeplan bezögen. Soweit sie hierdurch eine etwaige Abstandsflächenverletzung aufgrund falscher Höhenangaben geltend machen, verhilft dieser Vortrag der Klage nicht zum Erfolg, da Abstandsflächen nicht zum Prüfprogramm des Art. 59 Satz 1 BayBO gehören und die Rüge eines Abstandsflächenverstoßes damit auch nicht zur Aufhebung der Baugenehmigung führen kann (s.o.). Soweit die Kläger damit den tatsächlich vermessenen Grenzverlauf bestreiten, führt dies ebenfalls nicht zu einer Rechtsverletzung durch den angegriffenen Bescheid. Denn die Kläger bezweifeln nicht die Bestimmtheit des vorgelegten Katasterauszugs, aus dem sich eindeutig die Lage des genehmigten Vorhabens ergibt. Sie rügen vielmehr die Eindeutigkeit des tatsächlich vermessenen Grenzverlaufs und sprechen damit die Problematik eines etwaigen Überbaus an. Diese ist zivilrechtlich, nicht aber öffentlich-rechtlich zu lösen (Lechner in Simon/Busse, BayBO, 121. EL Sept. 2015, Art. 68 Rn. 258).
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 7.500,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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