Baurecht

Nachbaranfechtung, Erschließung, Notwegerecht für, Ausschluss eines zivilrechtlichen Notwegerechts zu Lasten eines Nachbarn bei selbst, verursachter Abtrennung vom öffentlichen Wegenetz durch Bauherrn, Abstandsflächen (Bestimmtheit)

Aktenzeichen  AN 3 S 22.01095

Datum:
19.5.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 12036
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1
BGB § 917, § 918
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
3. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten im Wege einstweiligen Rechtsschutzes über die Rechtmäßigkeit einer dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilien- und eines Doppelhauses mit sechs Stellplätzen auf dem Grundstück FlNr. 488/6 der Gemarkung … ( … ) in … Der Beigeladene ist Eigentümer des eingangs genannten Grundstücks. Das Grundstück ist in seinem nördlichen Bereich bereits mit einem Einfamilienhaus mit Garage bebaut. Im Zuge der Realisierung des hier streitgegenständlichen Vorhabens ist beabsichtigt, den nördlichen (bebauten) Teil des Grundstücks abzutrennen, wodurch der nördliche Teil seinen unmittelbaren Anschluss an die … straße verlieren würde. Ein Bebauungsplan für den Vorhabenstandort existiert nicht. Westlich und südlich des Vorhabenstandorts befindet sich in erster Linie Wohnbebauung. Nördlich grenzt das streitgegenständliche Grundstück an die Flächen eines Reiterhofs an.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. 488/12, Miteigentümerin zu ½ des Grundstücks 488/13 sowie Inhaberin einer Auflassungsvormerkung für den südlichen Teil des Grundstücks FlNr. 488/2 und des restlichen Miteigentumsanteils am Grundstück FlNr. 488/13 (jeweils der Gemarkung …). Das mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück FlNr. 488/12 liegt südöstlich des Vorhabengrundstücks und wird durch das private Wegegrundstück FlNr. 488/13 vom Beigeladenengrundstück getrennt. Der südliche Grundstücksteil von FlNr. 488/2, welcher zukünftig im Eigentum der Antragstellerin stehen wird, grenzt unmittelbar östlich an das Vorhabengrundstück an und ist derzeit unbebaut.
Mit Bauantrag vom 26. Juli 2021 beantragte der Beigeladene die Baugenehmigung für das eingangs beschriebene Vorhaben. Mit Schreiben vom 28. September 2021 erteilte die Standortgemeinde ihr Einvernehmen. Mit Bescheid vom 21. Januar 2022 wurde die Baugenehmigung für obiges Vorhaben erteilt.
Mit Schriftsatz vom 21. Februar 2021 – hier eingegangen am selben Tag – ließ die Antragstellerin Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid erheben, über die bis heute noch nicht entschieden ist. Mit Schriftsatz vom 13. April 2022 ließ die Antragstellerin auch Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz einreichen und begründete ihr Begehren dahingehend, dass in tatsächlicher Hinsicht für das Bestandsgebäude auf dem Grundstück FlNr. 488/6 ein Hinterliegergrundstück gebildet werden solle. Im Rahmen der streitgegenständlichen Baugenehmigung sei eine Zufahrt für das zukünftige Hinterliegergrundstück mitgenehmigt worden. Im Zuge der Baugenehmigung sei für dieses Hinterliegergrundstück eine Änderung der wegemäßigen Erschließung über das Grundstück der Klägerin mit der FlNr. 488/13 vorgesehen und genehmigt worden. Auf diesem Wegegrundstück der Antragstellerin befinde sich die in den Bauplänen eingezeichnete Zufahrt zum Bestandsgebäude auf dem zukünftigen „Restgrundstück“ FlNr. 488/6. Eine andere Zufahrtsmöglichkeit zum Bestandsgebäude sei ausweislich der Pläne nach Vollziehung des Baugenehmigungsbescheids nicht mehr möglich. In Richtung auf das von der Antragstellerin erworbene Grundstück Teilfläche FlNr. 488/2 werde die relevante Wandhöhe mit 8,41 m und die Firsthöhe mit 14,81 m angegeben. Das vorhandene Gelände weise ein erhebliches Gefälle auf. Aus dem Abstandsflächenplan ergebe sich, dass zwischen dem genehmigten Gebäude des Beigeladenen und dem Grundstück der Antragstellerin FlNr. 488/2 ein Abstand von ca. 4,50 m liege. In den Bauzeichnungen fehle die Darstellung des Anschnitts der vorhandenen und der geplanten Geländeoberfläche. Die geplante Geländeoberfläche sei allenfalls in Teilbereichen zu erahnen.
In rechtlicher Hinsicht sei auszuführen, dass durch die im Bauantrag vorgesehene Grundstücksteilung der Beigeladene von seiner Teilungsbefugnis nach § 19 Abs. 1 BauGB Gebrauch gemacht habe. Die Vollziehung der Baugenehmigung setze die im Bauantrag vorgesehene Grundstücksteilung voraus. Das nach der Grundstücksteilung vorliegende Restgrundstück (gemeint Hinterliegergrundstück) verliere durch die Grundstücksteilung seine gesicherte wegemäßige Erschließung. Hierauf könne sich die Antragstellerin berufen, da sie gegebenenfalls zivilrechtlich zur Duldung eines Notwegerechts verpflichtet sei. Die Baugenehmigung sei rechtswidrig, da die Erschließung nach § 34 BauGB nicht gesichert sei (wird weiter ausgeführt). Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verletze die Antragstellerin in ihren drittschützenden Rechten, da sie durch das Vorhaben in ihrem Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt werde, weil sie gezwungen werde, ein Notwegerecht gemäß § 917 Abs. 1 BGB auf dem Grundstück mit der FlNr. 488/13 zu dulden. Die Befahrung des beschriebenen Hinterliegergrundstücks des Beigeladenen könne nur über das Grundstück der Klägerin mit der FlNr. 488/13 erfolgen. Die Zugangslosigkeit könne nach Vollziehung der Baugenehmigung nicht mehr auf andere Art und Weise behoben werden. Eine bestandskräftige Baugenehmigung würde daher gemäß § 917 Abs. 1 BGB zum Entstehen eines Notwegerechts führen, da die Nutzung des Bestandsgebäudes auf dem Hinterliegergrundstück des Beigeladenen ansonsten nicht möglich sei. Im Fall der Bestandskraft könne der Beigeladene auf Grundlage einer dann insoweit nicht mehr anfechtbaren Baugenehmigung von der Antragstellerin verlangen, die Befahrung über ihr Grundstück zu dulden. Die Baugenehmigung sei außerdem in einem für Nachbarrechte entscheidenden Punkt, nämlich der Einhaltung der gesetzlichen Abstandsflächen, unbestimmt und könne deshalb keinen Bestand haben (unter Verweis auf Rechtsprechung). Die Wandhöhe werde in der Ansicht Ost mit 8,41 m im Plan angegeben. Dies sei jedenfalls insoweit unzutreffend, da der untere Bezugspunkt der Wandhöhe stets das vorhandene Gelände sei. Die einheitliche Berechnung des Beigeladenen sei damit fehlerhaft. Vorliegend bestünden damit zum einen Zweifel bezüglich der Bestimmung der Wandhöhe und der Abstandsflächentiefe. Entsprechendes gelte für das dargestellte Gelände und die damit aufgeworfene Frage nach einer im Raum stehenden Veränderung des natürlichen Geländes. Im Übrigen ergebe sich eine Unbestimmtheit der Baupläne daraus, dass in den Bauzeichnungen bei der Darstellung des Geländeschnitts nur das vorhandene Gelände vollständig und das geplante Gelände allenfalls teilweise dargestellt werde. Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b) BauVorlV sei in den Bauzeichnungen der Anschnitt der vorhandenen und geplanten Geländeoberfläche darzustellen. Die Bauvorlagen erfüllten damit nicht die Anforderungen der entsprechenden Vorschrift. Die Bauvorlagen ließen sich im Wege der Auslegung zwar so verstehen, dass jedenfalls die Angabe des Höhenniveaus an den Gebäudeecken die Höhenlage der geplanten baulichen Anlagen i.S.v. § 7 Abs. 3 Nr. 11 BauVorlV definieren solle; für eine abschließende Beurteilung fehle es allerdings an weiteren Festlegungen. Ohne diese Darstellung könne die zulässige Wandhöhe nicht geprüft werden.
Mit Schriftsatz vom 13. April 2022 beantragt die Antragstellerin,
die aufschiebende Wirkung der am 21. Februar 2022 erhobenen Klage anzuordnen.
Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2022 beantragt der Antragsgegner,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass, sofern die Antragstellerin eine fehlende Erschließung des Hinterliegergrundstücks beanstande, darauf zu verweisen sei, dass dies nicht im materiellen Prüfungsumfang des streitgegenständlichen Vorhabens nach Art. 59 BayBO enthalten sei. Die Erschießung des streitgegenständlichen Vorhabens erfolge unzweifelhaft über die öffentliche Verkehrsfläche und sei somit gesichert. Die von der Antragstellerin vorgebrachte Verletzung ihrer Eigentumsrechte durch Erzwingung eines Notwegerechts sei rein spekulativ. Insbesondere da der Beigeladene zwischenzeitlich mitgeteilt habe, mittels einer zeitnahen Tekturplanung das Hinterliegergrundstück über den öffentlichen Straßenraum zu erschließen. Soweit die Antragstellerin eine Unbestimmtheit der Baugenehmigung bezüglich der Darstellung der Abstandsflächen in den Planunterlagen rüge, sei dies unbegründet. Gemäß der von der Antragstellerin zitierten Rechtsprechung sei eine etwaige Unbestimmtheit nur dann nachbarrechtlich erheblich, wenn infolge des Mangels nicht beurteilt werden könne, ob das Vorhaben den geprüften nachbarschützenden Vorschriften entspreche. Dies treffe jedoch im vorliegenden Fall nicht zu. Aus dem Abstandsflächenplan sei eindeutig erkennbar, dass die geplanten Gebäude die Abstandsflächen auf keiner Seite bis zur Grundstücksgrenze ausreizten und auf allen Seiten noch mehrere Zentimeter Platz bis zu den Grundstückgrenzen vorhanden seien. Daraus und aus den Dimensionen der Gebäude im Allgemeinen lasse sich – bei eigener Abstandsflächenberechnung – also ohne Weiteres folgern, dass die Abstandsflächen der Gebäude in jedem Fall eingehalten sein würden, selbst wenn diese aufgrund fehlerhafter Annahmen oder Berechnungen des Planfertiges des Bauherrn einige Zentimeter tiefer sein sollten als im Abstandsflächenplan dargestellt.
Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2022 beantragt der Beigeladene, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung bezog sich der Beigeladene im Wesentlichen auf beim Antragsgegner eingereichte Tekturunterlagen.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid ist zulässig, aber unbegründet.
Nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, soweit der Klage – wie im vorliegenden Fall – aufgrund § 80 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 212a BauGB keine aufschiebende Wirkung zukommt. Hierbei trifft das Gericht eine originäre Ermessensentscheidung, welche sich in erster Linie an den Erfolgsaussichten der Hauptsache (BayVGH, B. v. 26.4.2021 – 15 CS 21.1081 – juris Rn. 22) orientiert. Dem Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes entspricht es, dass diese Prüfung grundsätzlich nur summarisch erfolgt, da für eine Beweisaufnahme grundsätzlich bei diesen Verfahren kein Raum bleibt. Bei offenen Erfolgsaussichten wird die Ermessensentscheidung anhand einer Interessenabwägung getroffen (BayVGH a.a.O.).
1. Die Anfechtungsklage hat nach summarischer Prüfung wohl keine Aussicht auf Erfolg, da die angegriffene Baugenehmigung rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Einem Kläger kommt im Rahmen einer Drittanfechtungsklage gegen eine an einen Dritten gerichtete Baugenehmigung kein Vollüberprüfungsanspruch zu. Vielmehr kann der Kläger als Nachbar nur solche Rechtsverletzungen ins Feld führen, die auf Normen beruhen, die in qualifizierter und individualisierter Weise gerade auch dem Schutz des Klägers dienen (BayVGH, B. v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231 – juris Rn. 8). Soweit ein Vorhaben im Innenbereich in Streit steht, sind solche (bauplanungsrechtlich) drittschützenden Rechte regelmäßig nur aus dem Gebot der Rücksichtnahme oder aus einem im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 2 BauGB denkbaren Gebietserhaltungsanspruch ableitbar.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung im Rahmen einer Drittanfechtungsklage ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Behördenentscheidung. Eine davon abweichende Verlagerung auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung kommt allerdings dann in Betracht, wenn sich die Sach- und Rechtslage zugunsten des Genehmigungsinhaber verändert hat, da kein Grund besteht, eine in der Vergangenheit rechtswidrig erteilte Genehmigung aufzuheben, wenn sie mittlerweile sofort wieder erteilt werden müsste (BVerwG, B. v. 23.4.1998 – 4 B 40/98 – juris Rn. 3 m.w.N. = NVwZ 1998, 1179).
1.1 Die gesicherte Erschließung eines Bauvorhabens, welche nach § 30 Abs. 1, § 34 Abs. 1 Satz 1 und § 35 Abs. 1 und 2 BauGB Voraussetzung für die Erteilung einer Baugenehmigung ist, ist nach ständiger Rechtsprechung keine drittschützende Regelung, welche der Klage eines Nachbarn zum Erfolg verhelfen kann (BayVGH, B.v. 18.2.2020 – 15 CS 20.57 – juris Rn. 30 = NVwZ-RR 2020, 671; B.v. 26.1.2021 – 9 ZB 18.2316 – juris Rn. 7 m.w.N.). Nur in den Fällen, in denen die Umsetzung der Baugenehmigung die unmittelbar gegenständliche Inanspruchnahme eines Nachbargrundstücks zur Folge hat, also quasi „automatisch“ zivilrechtlich den Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechts nach § 917 BGB am Grundstück des klagenden Nachbarn auslöst, kann aus Art. 14 Abs. 1 GG ein nachbarschützender Abwehranspruch abgeleitet werden (BayVGH, B.v. 25.3.2022 – 15 ZB 22.267 – juris Rn. 9 m.w.N.). Hintergrund ist insofern, dass eine bestandskräftige Baugenehmigung – gerade auch, wenn sie rechtswidrig sein sollte – dennoch die „ordnungsmäßige Benutzung“ i.S.v. § 917 Abs. 1 Satz 1 BGB definiert und somit dem eventuell notwegepflichtigen Nachbarn den Einwand der ordnungswidrigen Benutzung auch zivilrechtlich abschneidet (BVerwG, B.v. 11.5.1998 – 4 B 45/98 – juris Rn. 8 m.w.N. = NJW-RR 1999, 165; BGH, U.v. 24.4.2015 – V ZR 138/14 – juris Rn. 16 = NJW-RR 2015, 1234; BayVGH, B.v. 30.9.2019 – 9 CS 19.967 – juris Rn. 28). Ein oben beschriebener „Automatismus“ liegt jedoch nicht vor, wenn andere Erschließungsmöglichkeiten – ohne Einräumung eines Notwegerechts – bestehen, wobei umständlichere, weniger bequeme und auch kostspieligere Erschließungsmöglichkeiten genutzt werden müssen (BayVGH, B.v. 25.3.2022 – 15 ZB 22.267 – juris Rn. 10 m.w.N.).
Zur wegemäßigen Erschließung, welche gesichert werden muss und welche zur Einräumung eines Notwegerechts führen kann, gehört regelmäßig auch die Anfahrbarkeit des Grundstücks mit einem Kraftfahrzeug von einem öffentlichen Weg aus (BGH, U.v. 24.4.2015 – V ZR 138/14 – juris Rn. 14 m.w.N. = NJW-RR 2015, 1234). Nicht erforderlich ist jedoch eine Abstellmöglichkeit für ein Kraftfahrzeug, wenn es sich um ein bloßes Wohngrundstück handelt (BGH, U.v. 12.12.2008 – V ZR 106/07 – juris Rn. 24 = NJW-RR 2009, 515).
Vorliegend ist davon auszugehen, dass der Antragstellerin nach summarischer Prüfung nicht die automatische Einräumung eines Notwegerechts im oben beschriebenen Sinne droht. Zu Recht weist die Antragstellerseite allerdings darauf hin, dass dies nicht aufgrund eines lediglich eingereichten Tekturantrags anzunehmen ist. Erst eine erfolgte „Tekturgenehmigung“ vermag eine andere Sachlage zu begründen, da das Risiko der Genehmigungsfähigkeit der Tektur nicht auf die Antragstellerin abgewälzt werden kann (vgl. auch BayVGH, B v. 22.1.2013 – 1 CS 12.2709 – juris Rn. 14 ff. = NVwZ 2013, 671).
Hier ist jedoch die Besonderheit zu beachten, dass – auch von der Antragstellerin – nicht die Einräumung eines Notwegerechts zugunsten des Vorhabengrundstücks, sondern zugunsten des im Rahmen der Umsetzung des Bauvorhabens entstehenden „Hinterliegergrundstücks“ befürchtet wird. Das bisherige Grundstück FlNr. 488/6 ist unstreitig wegemäßig erschlossen, worauf auch der Antragsgegner hinweist. Die geplante Teilung des Grundstücks führt aber für das dann entstehende Hinterliegergrundstück zum Verlust der wegemäßigen Erschließung. In einer solchen – vom Bauherren selbst herbeigeführten – Notlage ist kein Abwehrrecht des Nachbarn aus Art. 14 Abs. 1 GG erforderlich.
Zum einen ist anzuführen, dass die Rechtsprechung davon ausgeht, dass der Anspruch auf Einräumung des Notwegerechts zugunsten des Vorhabengrundstücks drohen muss, um einen Abwehranspruch auszulösen (BayVGH, B.v. 5.3.2018 – 2 ZB 15.1558 – juris Rn. 7). Eine Baugenehmigung kann die „ordnungsmäßige Benutzung“ i.S.v. § 917 Abs. 1 BGB nur für das Baugrundstück und nicht für ein Nachbargrundstück bewirken (VG München, U.v. 11.5.2015 – M 8 K 14.841 – juris Rn. 63). Ob dies im vorliegenden Fall anders zu beurteilen ist, weil die Bauvorlagen die Errichtung der Zufahrt zum zukünftigen „Hinterliegergrundstück“ – über das Wegegrundstück der Antragstellerin – ausweisen, bedarf keiner Klärung.
Denn zum anderen wird die Richtigkeit dieser Annahme – jedenfalls für den vorliegenden Fall – durch eine Betrachtung der zivilrechtlichen Lage bestätigt. Der Anspruch auf Einräumung eines Notwegerechts gegenüber dem Nachbarn nach § 917 Abs. 1 BGB ist gemäß § 918 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, wenn die vormals bestehende Erschließung des berechtigten Grundstücks durch eine willkürliche Handlung des Eigentümers aufgehoben worden ist. Dies ist vorliegend der Fall, denn erst durch die angestrebte Grundstücksteilung bzw. die Errichtung des geplanten Wohngebäudes wird das Bestandsgebäude Teil eines nicht mehr an das öffentliche Wegenetz angeschlossenen Hinterliegergrundstücks. Das Abschneiden der bisher bestehenden wegemäßigen Erschließung durch Errichtung eines Hauses stellt eine „willkürliche Handlung“ im Sinne von § 918 Abs. 1 BGB dar (BGH, U.v. 25.10.1974 – V ZR 69/73 – juris Rn. 21 = ZMR 1975, 115). Selbst im Falle einer späteren Veräußerung des Vorhabengrundstücks an eine andere Person droht der Antragstellerin kein Notwegerecht, denn diesen Fall regelt § 918 Abs. 2 BGB explizit. Dabei ist höchstrichterlich geklärt, dass sich im Falle des § 918 Abs. 2 BGB der Anspruch auf Einräumung eines Notwegs ausschließlich gegen den Eigentümer des abgetrennten Grundstücks (also hier des Baugrundstücks) richtet und gegen andere Nachbarn – wie die Antragstellerin – nicht mehr in Betracht kommt (BGH, U.v. 23.1.1970 – V ZR 2/67 – juris Rn. 31 = BGHZ 53, 166; vgl. auch U.v. 26.1.2018 – V ZR 47/17 – juris Rn. 14 = NJW-RR 2018, 913; U.v. 19.11.2021 – V ZR 262/20 – juris Rn. 17 = NJW-RR 2022, 522).
Nach alledem bedarf die Antragstellerin keines Schutzes vor einem zivilrechtlichen Anspruch auf Einräumung eines Notweges. Insofern kann nach summarischer Prüfung auch keine Rechtsverletzung der Antragstellerin in diesem Punkt gesehen werden.
1.2 Eine Baugenehmigung muss nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG hinreichend bestimmt sein, was bedeutet, dass die Beteiligten – gegebenenfalls nach Auslegung – erkennen können müssen, was von ihnen verlangt oder was ihnen zugemutet werden kann (BVerwG, U.v. 20.4.2005 – 4 C 18/03 – juris Rn. 53 = NVwZ 2005, 933). Der Inhalt der Baugenehmigung bestimmt sich nach der Bezeichnung und den Regelungen im Baugenehmigungsbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen (BayVGH, B.v. 30.3.2021 – 1 CS 20.2637 – juris Rn. 15 m.w.N.; vgl. BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 4 C 8/11 – juris Rn. 13 = BVerwGE 145, 145.). Nachbarn können eine Baugenehmigung unter Verweis auf den Bestimmtheitsgrundsatz nur dann erfolgreich angreifen, wenn sich die Unbestimmtheit gerade auf ein nachbarschützendes Recht bezieht und deswegen eine Verletzung dieses Rechtes nicht ausgeschlossen werden kann (BayVGH, B. v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231 – juris Rn. 11 m.w.N.).
Eine zur Nachbarrechtsverletzung führende Unbestimmtheit der Baugenehmigung, insbesondere im Hinblick auf die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO kann das Gericht nach summarischer Prüfung nicht erkennen. Vielmehr ist es so, dass die Abstandsflächen des Bauvorhabens wohl sicher auf dem Grundstück des Beigeladenen liegen werden (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO), weshalb trotz einiger Ungenauigkeiten in Details auszuschließen ist, dass eine Verletzung des Abstandsflächenrechts vorliegt.
Soweit die Antragstellerseite die Nachvollziehbarkeit der Wandhöhe und des Bezugspunkts für die Berechnung der Abstandsflächentiefe nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 und 2 BayBO bemängelt, führt dies wohl nicht zum Erfolg der Klage.
Nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO bemisst sich die Abstandsfläche nach der Wandhöhe. Gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO wird die Wandhöhe ab der Geländeoberfläche bis zum Abschluss der Dachhaut gemessen. Unterer Bezugspunkt für die Bemessung ist nach gefestigter Rechtsprechung die natürliche Geländeoberfläche ohne Berücksichtigung von bereits erfolgten oder beabsichtigten Aufschüttungen oder Abgrabungen (BayVGH, B.v. 27.7.2021 – 1 CS 21.1294 – juris Rn. 9 m.w.N., B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – juris Rn. 98 f. m.w.N.).
Insofern ist der Antragstellerseite zuzugestehen, dass die natürliche Geländeoberfläche – soweit für das Gericht ersichtlich – nur im Schnittplan „Ost-Ansicht“ erkennbar und der Anstieg des Geländes von Süden nach Norden nicht überall mit Höhenmarkierungen versehen ist. Jedoch wird für das Gericht aus diesem Ansichtsplan ebenso wie aus dem Abstandsflächenplan deutlich, dass das Gelände von Süden nach Norden von einer Höhe von 3,77 m bis auf 6,05 m (über dem gewählten Nullpunkt) ansteigt. An keiner für die Bemessung der Abstandsflächen nach Osten hin relevanten Stelle liegt die natürliche Geländeoberfläche unterhalb der Höhemarke von 3,77 m über dem Nullpunkt. Bringt man dieses Maß mit den übrigen Höhenpunkten in Abgleich, so ergibt sich für die Firsthöhe (14,81 m über Nullpunkt) eine maximal mögliche Wandhöhe von 11,04 m. Unter Anwendung der Abstandsflächentiefe von 0,4 H ergibt sich eine maximale Abstandsfläche von 4,42 m. Der Abstand zwischen der östlichen Hauswand (ohne den Vorbau mit höhenversetztem Balkon) und der Grundstücksgrenze beträgt laut Abstandsflächenplan 5,30 m. Damit ist diese Abstandsfläche sicher eingehalten.
Was den Vorbau mit Balkon anbetrifft ragt dieser 1,30 m aus der östlichen Hauswand heraus. Insofern beträgt der Abstand zur Grundstücksgrenze nur 4,00 m. Die Oberseite der Balkonumwehrung als maßgeblicher oberer Bezugspunkt der Abstandsfläche für einen Balkon (BayVGH, B.v. 10.7.2015 – 15 ZB 13.2671 – juris Rn. 16 m.w.N. = BayVBl 2016, 311) liegt auf einer Höhe von 8,91 m über dem Nullpunkt. Somit ergibt sich eine maximale Wandhöhe von 5,14 m und unter Anwendung des Abstandsflächenrechts lediglich eine Mindestabstandsfläche von 3 m. Auch diese Abstandsfläche liegt sicher auf dem Grundstück des Beigeladenen.
Eine Gefährdung der Einhaltung der Abstandsflächen durch eine eventuell anzunehmende Unbestimmtheit der Bauvorlagen ist für das Gericht nicht ersichtlich.
Nach alledem wird die Anfechtungsklage wohl keinen Erfolg haben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Da sich der Beigeladene durch Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es auch der Billigkeit gemäß § 162 Abs. 3 VwGO, ihm einen Kostenerstattungsanspruch zuzusprechen.
3. Die Entscheidung zum Streitwert fußt auf § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs.


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