Baurecht

Nachbareilantrag, gebietsübergreifender Nachbarschutz (verneint), „kleinklimatische Auswirkungen“ eines Bauvorhabens auf die Nachbarschaft, Gebot der Rücksichtnahme

Aktenzeichen  M 11 SN 21.5901

Datum:
31.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 10609
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80a Abs. 3
BauGB § 31
GG Art. 2 Abs. 2
GG Art. 21a

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Doppelhauses mit einer Doppelgarage.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. … der Gemarkung …, das am südwestlichen Ortsrand von … gelegen und mit einem Wohnhaus sowie einem Nebengebäude bebaut ist. Südlich des Anwesens der Antragstellerin und von diesem durch eine Verkehrsfläche (Stichstraße mit Wendeplatz, Fl.Nrn. … und …) getrennt befinden sich die derzeit unbebauten Grundstücke Fl.Nr. …, …, … und …, auf denen das Vorhaben realisiert werden soll (Vorhabengrundstücke). Nordwestlich der Vorhabengrundstücke und mit seiner nordöstlichen Grundstücksgrenze unmittelbar angrenzend an das Grundstück der Antragstellerin befindet sich ein solitär stehendes Villenanwesen (Haus Nr. 20), dessen Parkanlage im Westen in angrenzende Waldflächen übergeht. Weiter südlich des zur Bebauung vorgesehenen Bereichs findet sich lockerere Bebauung entlang der Straße „…wiese“.
Die Vorhabengrundstücke liegen – anders als das Grundstück der Antragstellerin – im Geltungsbereich des Bebauungsplans für das Gebiet „Westlich S … straße/ …wiese“, der am 17. Juli 2006 in Kraft getreten ist (nachfolgend: Bebauungsplan 2006). Ein Bebauungsplan „Westlich der S … straße“ aus dem Jahre 2015, welcher das Grundstück der Antragstellerin einbezog und die in seinem Geltungsbereich bislang bestehenden Bebauungspläne ersetzen sollte, wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. September 2020 (1 N 16.1258) für unwirksam erklärt.
Unter dem 18. Mai 2021 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Doppelhauses mit Garagen. Hinsichtlich der Garagen wurden Befreiungen von den Festsetzungen des Garagenbauraums und der Dachneigung beantragt. Der Bauausschuss der Gemeinde … erteilte hierzu mit Beschluss vom 8. Juni 2021 das gemeindliche Einvernehmen.
Mit Schreiben vom … August 2021 machte der damalige Bevollmächtigte der Antragstellerin im behördlichen Verfahren unter Verweis auf das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. September 2021 geltend, dass das Vorhaben im Außenbereich gelegen sei und der dort vorhandene schützenswerte Waldbestand der Baugenehmigung entgegenstünde.
Mit Bescheid vom 14. Oktober 2021 erteilte das Landratsamt … (nachfolgend: Landratsamt) der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung unter Befreiung von den im Bebauungsplan 2006 festgesetzten Garagenflächen. Hinsichtlich der Dachgestaltung der Garagen wurde eine Befreiung von der gemeindlichen Bausatzung erteilt. Der Bescheid wurde am 19. Oktober 2021 zur Post gegeben und ging dem damaligen Bevollmächtigten der Antragstellerin am 20. Oktober 2021 zu.
Für den 26. Oktober 2021 zeigte die Beigeladene dem Landratsamt den Baubeginn an.
Die Antragstellerin hat am … November 2021 Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamts vom 14. Oktober 2021 erhoben und zugleich beantragt,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Verhinderung der Schaffung vollendeter Tatsachen wurde zudem sinngemäß beantragt,
im Wege einer gerichtlichen Zwischenregelung die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 14. Oktober 2021 bis zur Entscheidung des Gerichts über den gestellten Eilantrag einstweilen anzuordnen.
Mit Schriftsatz vom 23. November 2021 wurde im Wesentlichen vorgetragen, für das Bauvorhaben sei eine Befreiung in Bezug auf die Verschiebung des Garagenbauraums erteilt worden, nach Auffassung der Antragstellerin habe indes eine weitere Befreiung erteilt werden müssen. In dem gültigen Bebauungsplan aus dem Jahre 2006 sei für das damals ungeteilte Grundstück Fl.Nr. 424/2, welches die Grundstücke Fl.Nr. 424/7 und 424/8 eingeschlossen habe, ein einziges Gebäude mit einer höchstzulässigen Grundfläche von 190 m² zulässig gewesen. Die Festsetzungen des Bebauungsplans dürften nicht dadurch unterlaufen werden, dass die Grundstücke im Nachhinein geteilt und die zulässige Bebauung vervielfacht würde. Auch wenn Festsetzungen eines Bebauungsplans über das Maß der baulichen Nutzung in der Regel nicht nachbarschützend seien, berühre eine erhebliche Überschreitung von Grundflächenzahlen und Baugrenzen nachbarliche Interessen. Dies gelte insbesondere dann, wenn ein Bebauungsplan explizit die Bebauung begrenzt habe, um die von wertvoller Natur geprägte Umgebung eines Baugebiets zu schützen. Darüber hinaus könne sich die Antragstellerin auch auf das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte Rücksichtnahmegebot berufen, welches vorliegend durch Art. 20 a GG im Sinne einer Schutzpflicht bezüglich der Folgen des Klimawandels konkretisiert werde. Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 24. März 2021 ausgeführt, dass das Grundrecht auf Leben und Gesundheit inhaltlich auch durch objektive Staatsfundamentalnormen wie das Staatsziel Umweltschutz „geladen“ werden könne. Dabei sei nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch die Verwaltung bei der Anwendung von Recht und Gesetz an die Grundrechte gebunden, was bedeute, dass unbestimmte Rechtsbegriffe im Lichte der Grundrechte auszulegen und die betroffenen Grundrechte bei der Interessenabwägung im Einzelfall zu berücksichtigen seien. Die Antragstellerin sei Nachbarin im Sinne des Baurechts. Ihr Grundstück liege lediglich 12 m von dem Baugrundstück Fl.Nr. 424/9 entfernt. Durch die geplanten Gebäude entstehe ein Bebauungsriegel gegenüber dem südlich anschließenden Wald, der den Kaltluftstrom zum angrenzenden Baugebiet unterbreche. Nach den Voraussagen der Wissenschaftler sei in der Zukunft vermehrt mit sehr heißen Temperaturen in den Sommermonaten und „tropischen Nächten“ zu rechnen. Wälder, insbesondere alte Laubbäume, würden sich ein eigenes Innenklima schaffen und Kaltluft produzieren, die sie an die Umgebung abgeben würden. Da der ökologisch wertvolle Waldbestand im Süden des Baugebiets an der S … straße etwas höher liege als das Baugebiet selbst und Kaltluft bekanntlich schwerer als warme Luft sei, mäßige dieser Wald die Temperaturen in dem angrenzenden Baugebiet, insbesondere auch auf dem Grundstück der Antragstellerin. Durch eine Abschwächung oder gar Unterbrechung des Kaltluftstroms werde ganz konkret die kleinklimatische Situation auf dem Grundstück der Antragstellerin verschlechtert, was gesundheitliche Folgen für die Antragstellerin haben könne. Die Klage sei daher in der Hauptsache begründet, weshalb die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen sei. Die Interessen der Antragstellerin würden in dem angegriffenen Bescheid nicht berücksichtigt. Das Landratsamt habe deren geschützte Interessen überhaupt nicht gesehen, jedenfalls würden diese im Rahmen der erteilten Befreiung mit keinem Wort angesprochen. Dies gelte umso mehr, als das Landratsamt zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass eine Befreiung von der Festsetzung über die zulässige Grundflächenzahl nicht erforderlich sei, obwohl der Maßstab für die Grundflächenzahl durch die Teilung des Grundstücks Fl.Nr. 424/2 missbräuchlich geändert worden sei. Die Intentionen des Bebauungsplans, nämlich die größtmögliche Berücksichtigung der naturräumlichen Gegebenheiten, würden dadurch ausgehebelt. Eine Abwägung zwischen den Interessen des Bauherrn und der unmittelbar angrenzenden Nachbarn im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB sei nicht erkennbar. Ferner habe die Behörde nicht erkannt, dass das Vorhaben in der genehmigten Form der staatlichen Pflicht zuwiderlaufe, die Umwelt zu schützen, und dabei die Folgen des Klimawandels zu bedenken und im Verwaltungshandeln zu berücksichtigen. Die Behörde habe keinerlei Ermittlungen zu der Frage angestellt, wie sich das Vorhaben auf das Kleinklima in der näheren Umgebung auswirke, obwohl dies angesichts der topographischen Situation nahegelegen hätte. Die untere Naturschutzbehörde sei im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nicht beteiligt worden. Indem die Behörde den Sachverhalt insoweit nicht ermittelt habe, werde die Antragstellerin in ihrem Recht auf Gesundheit aus Art. 2 Abs. 2 GG verletzt.
Mit Schreiben vom 7. Dezember 2021 beantragte das Landratsamt,
den Antrag abzuweisen.
Der Antrag sei zulässig, jedoch unbegründet. Planungsrechtlich sei das Vorhaben auf Grundlage des Bebauungsplans 2006 zu beurteilen. Entgegen der Ausführungen der Antragstellerseite halte das Vorhaben die innerhalb des Bauraums zulässige Grundfläche ein, der im Übrigen keine nachbarschützende Funktion zukomme. Kleinklimatische Auswirkungen seien im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nicht zu berücksichtigen, vielmehr bestehe ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Baugenehmigung, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstünden, die zum Prüfprogramm des Art. 59 BayBO gehörten. Da das Vorhaben insbesondere den Vorgaben des § 30 Abs. 1 BauGB entspreche, sei die Baugenehmigung zu erteilen gewesen. Eine Verletzung drittschützender Rechte, auf die sich die Antragstellerin allein berufen könne, sei nicht ersichtlich.
Die Beigeladene äußerte sich im Verfahren bislang nicht und stellte keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten in diesem sowie im zugehörigen Klageverfahren M 11 K 21.5900 Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist die Antragstellerin als Nachbarin im baurechtlichen Sinne antragsbefugt (§ 42 Abs. 2, 1. Alt. VwGO). Zwar grenzt ihr Grundstück nicht unmittelbar an die zur Bebauung vorgesehenen Fl.Nrn. 424/7, 424/8, 424/9 und 424/10 an. Letztere sind allerdings nur durch eine relativ schmale Wegefläche bzw. die in den Eingabeplänen als „Aufstellfläche Feuerwehr u. Wendemöglichkeit“ dargestellte Fl.Nr. 424/4 vom Grundstück der Antragstellerin getrennt, sodass eine mögliche Beeinträchtigung nachbarschützender Rechte jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.
2. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Gemäß § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht der Hauptsache gemäß § 80a Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die Aussetzung der Vollziehung anordnen. Hierbei kommt es auf eine Abwägung der Interessen des Bauherrn an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung mit den Interessen des Dritten, keine vollendeten, nur schwer wieder rückgängig zu machenden Tatsachen entstehen zu lassen, an. Im Regelfall ist es dabei unbillig, einem Bauwilligen die Nutzung seines Eigentums durch Gebrauch der ihm erteilten Baugenehmigung zu verwehren, wenn eine dem summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO entsprechende vorläufige Prüfung des Rechtsbehelfs ergibt, dass dieser letztlich erfolglos bleiben wird.
Dies zugrunde gelegt ergibt die im Eilverfahren auch ohne Durchführung eines Augenscheins mögliche Überprüfung der Angelegenheit anhand der Gerichtsakte und der vorliegenden Behördenakte, dass die Klage der Antragstellerin aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben wird. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verletzt die Antragstellerin voraussichtlich nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Interesse der Beigeladenen, von der Baugenehmigung vorläufig Gebrauch machen zu können, ist daher höher zu bewerten, als das Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Rahmen der Nachbarklage eine Aufhebung der Baugenehmigung nicht allein wegen objektiver Rechtswidrigkeit in Betracht kommt, sondern nur, wenn dritt- oder nachbarschützende Normen verletzt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt. Die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (zur sog. Schutznormtheorie vgl. etwa Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 42, Rn. 89 ff.).
2.1 Zunächst ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin aufgrund erteilter oder – wie von ihr gerügt – fehlender Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans 2006 in subjektiven Rechten verletzt wird.
Bei Befreiungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans hängt der Umfang des Rechtsschutzes des Nachbarn davon ab, ob die Festsetzungen, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dienen oder nicht. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39/13 – juris Rn. 3 m.w.N.). Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht zumindest auch den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Gebots der Rücksichtnahme. Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung aus irgendeinem Grund rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98 – juris Rn. 5; vgl. auch BayVGH, B.v. 20.2.2013 – 1 ZB 11.2893 – juris Rn. 6 m.w.N.).
2.1.1 Vorliegend hat das Landratsamt Befreiungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans 2006 für die Errichtung der Doppelgaragen außerhalb des festgesetzten Bauraums erteilt. Eine Befreiung von festgesetzten maximal zulässigen Grundfläche wurde weder beantragt noch erteilt. Es kann jedoch dahinstehen, ob auch insofern eine Befreiung hätte erteilt werden müssen. Fehlt es an einer an sich erforderlichen Befreiung (sog. „versteckter Dispens“), können Rechte des Nachbarn nur durch die Baugenehmigung selbst, nicht jedoch durch die – nicht existierende – Befreiung verletzt sein (BayVGH, B.v. 5.9.2016 – 15 CS 16.1536 – juris Rn. 33). Maßgeblich ist auch hier, ob die entsprechende Festsetzung des Bebauungsplans nachbarschützend ist. Dies ist indes nicht der Fall.
Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung haben grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion (vgl. BVerwG, B.v. 23.6.1995 – 4 B 52/95 – juris Rn. 3). Ob und in welchem Umfang Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung ausnahmsweise auch darauf gerichtet sind, dem Schutz des Nachbarn zu dienen, hängt allein vom Willen der Gemeinde als Trägerin der Planungshoheit ab (BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3; U.v. 9.8.2018 – 4 C 7/17 – juris Rn. 14). Dieser ist im Einzelfall durch Auslegung zu ermitteln. Er muss sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan, seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen der Gemeinde (Sitzungsprotokolle etc.) ergeben (BayVGH, B.v. 30.6.2009 – 1 ZB 07.3058 – juris Rn. 29).
Die Gemeinde verfolgte mit dem Bebauungsplan 2006 das Ziel, auf dem damals ungeteilten Grundstück Fl.Nr. 424/2 unter größtmöglicher Berücksichtigung der naturräumlichen Gegebenheiten ein zweites Wohngebäude zu ermöglichen. Zugleich sollte die vorhandene Splittersiedlung südlich der Straße „…wiese“ in ihrem Bestand festgeschrieben werden, um im Sinne einer städtebaulich geordneten Entwicklung einer flächenmäßigen Ausweitung der Bebauung in diesem landschaftlich und ökologisch bedeutsamen Bereich entgegenzuwirken (vgl. S. 3 der Planbegründung). Daraus ergibt sich, dass die Gemeinde eine Bebauung in dem streitgegenständlichen Bereich durch ihre Planung gerade ermöglichen wollte. Dabei war sie sich der Sensibilität des Bereichs als Gebiet mit hoher Bedeutung für Naturhaushalt und Landschaftsbild (vgl. dazu auch Ziff. 5.4 der Planbegründung) durchaus bewusst, sah andererseits aber auch die Bestandsgebäude entlang der Straße „…wiese“ und war insoweit insgesamt um einen Ausgleich bemüht. Es ergeben sich damit weder aus dem Bebauungsplan noch aus dessen Begründung Anhaltspunkte dafür, dass den Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung nachbarschützende Funktion zukommen sollte.
Zu berücksichtigen ist zudem, dass das Grundstück der Antragstellerin nicht innerhalb des gegenständlichen Plangebiets des Bebauungsplans 2006 liegt, sondern nach den in der Datenbank GeoLis hinterlegten Daten wohl im angrenzenden Plangebiet des Bebauungsplans „F …feld-W …“. Der planerische Wille der Gemeinde ist aber regelmäßig auf das Bebauungsplangebiet beschränkt (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 143. EL August 2021, BauNVO, § 16, Rn. 54). Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die Festsetzungen eines Bebauungsplans im Einzelfall auch bestimmten Grundeigentümern außerhalb des Plangebiets Nachbarschutz vermitteln können (BVerwG, U.v. 14.121973 – IV C 71.71 – BVerwGE 44, 244). Die planübergreifende Schutzwirkung einzelner Festsetzungen muss im Bebauungsplan jedoch einen eindeutigen Niederschlag gefunden haben (VGH Mannheim, B.v. 7.7.1994 – 3 S 628/94 – juris Rn. 7). Für eine drittschützende Wirkung der Festsetzung der Garagenflächen oder auch der festgesetzten Grundflächen zugunsten der Eigentümer bebauter Grundstücke außerhalb des Plangebiets ist hier jedoch nichts ersichtlich. Auch dem Umstand, dass der zwischenzeitlich für unwirksam erklärte Bebauungsplan aus dem Jahre 2015 u.a. das Grundstück der Antragstellerin einbezog, führt zu keiner anderen Entscheidung. Die Antragstellerseite verhält sich hierzu nicht.
2.1.2 Eine Unwirksamkeit des Bebauungsplans 2006 wurde im gerichtlichen Verfahren nicht geltend gemacht, vielmehr gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass dieser Bebauungsplan infolge der seitens des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs festgestellten Unwirksamkeit des Bebauungsplans aus dem Jahre 2015 wieder aufgelebt ist (vgl. dazu: BayVGH, B.v. 6.12.2004 – 26 ZB 04.2051 – juris). Lediglich ergänzend wird in Hinblick auf den Vortrag des früheren Bevollmächtigten der Antragstellerin im behördlichen Verfahren darauf hingewiesen, dass der Antrag selbst im Falle einer Unwirksamkeit (auch) des Bebauungsplans 2006 bzw. einer unterstellten Außenbereichslage des Vorhabens voraussichtlich kein Erfolg beschieden wäre. Ein allgemeiner Schutzanspruch des Nachbarn auf die Bewahrung des Außenbereichs und damit ein Abwehranspruch gegen Vorhaben, die im Außenbereich objektiv nicht genehmigungsfähig sind, besteht – unabhängig davon, ob das Grundstück des Nachbarn im Außen- oder Innenbereich liegt – nicht (BVerwG, B.v. 3.4.1995 – 4 B 47/95 – juris Rn. 2). Ebenso lässt sich aus Art. 41 Abs. 3 Satz 1 der Bayerischen Verfassung kein einklagbares Abwehrrecht gegen unberechtigte Eingriffe in die Natur und auf Erhaltung der Natur herleiten (vgl. Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Stand Sept. 2021, Art. 66, Rn. 266 m.w.N.).
2.2 Das Vorhaben verletzt aller Voraussicht nach auch nicht das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme.
Ungeachtet des Umstands, dass eine Konfliktlösung im Baugenehmigungsverfahren über das Gebot der Rücksichtnahme in qualifiziert beplanten Bereichen voraussetzt, dass der Bebauungsplan dafür noch offen ist (vgl. BVerwG, U.v. 12.09.2013 – 4 C 8.12 – juris Rn. 20; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 15) und damit eine „Nachsteuerung“ im Baugenehmigungsverfahren nach § 15 Abs. 1 BauNVO in Verbindung mit den zum Gebot der Rücksichtnahme entwickelten Regeln nur in Frage kommt, soweit die Festsetzungen eines Bebauungsplans lediglich ergänzt, aber nicht korrigiert werden können (BVerwG, U. v. 12.9.2013 a.a.O.; BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.576 – juris Rn. 29), hängen die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist.
2.2.1 Soweit die Antragstellerin unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021 und die dortigen Rn. 145-147 ausführt, dass das Rücksichtnahmegebot vorliegend durch Art. 20 a GG im Sinne einer „Schutzpflicht“ bezüglich der Folgen des Klimaschutzes „konkretisiert“ sei, werden die Kategorien subjektiver Abwehrrechte einerseits und objektiver staatlicher Schutzpflichten andererseits vermengt. Maßgeblich ist vorliegend allein, ob subjektive Nachbarrechte der Antragstellerin verletzt werden. Auch nach dem Beschluss des BVerfG kommt Umwelt- / Klimaschutzbelangen zudem weder ein genereller Vorrang im Rahmen bauplanerischer Abwägungen zu, noch können Erwägungen des Klimaschutzes zu geänderten Maßstäben in Bereichen führen, in denen bereits ein abschließendes Regelungskonzept besteht. Gerade im Fall gebundener Zulassungsentscheidungen wie der Baugenehmigung besteht bei Vorliegen der gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungsvoraussetzungen ein Rechtsanspruch auf die Erteilung der entsprechenden Genehmigung (vgl. zum Ganzen: Uechtritz/Ruttloff Der Klimaschutzbeschluss des Bundesverfassungsgerichts – Auswirkungen auf Planung und Genehmigungsentscheidungen, NVwZ 2022, S. 9 ff.). Ein solcher Rechtsanspruch der Beigeladenen würde nur dann nicht bestehen, wenn sich das Vorhaben der Antragstellerin gegenüber als rücksichtslos im Rechtssinne erwiese, was jedoch nicht der Fall ist.
2.2.2 Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme hinsichtlich der Belichtung, Belüftung und Besonnung scheidet in aller Regel aus, wenn die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen eingehalten werden (BayVGH, B.v. 03.6.2016 – 1 CS 16.747 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 15.2.2017 – 1 CS 16.2396 – juris Rn. 10). Dies ist nach den vorgelegten Planunterlagen jedenfalls zum Grundstück der Klägerin hin offensichtlich der Fall, auch wenn die Planung die Abstandsflächen noch nach der bis zum 1. Februar 2021 geltenden Rechtslage ausweist. Die Antragstellerseite selbst trägt vor, dass das Grundstück der Antragstellerin 12 m von der Fl.Nr. 424/9 entfernt liegt, wobei auf der FlNr. … lediglich die in den Hang gebaute Doppelgarage errichtet werden soll. Ein Verstoß gegen Abstandsflächenrecht wird von Antragstellerseite nicht behauptet.
2.2.3 Trotz Einhaltung der baurechtlichen Abstandsflächen kann eine Nachbarklage erfolgreich sein, wenn der Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme darin liegt, dass andere schützenswerte Belange, die nicht durch die landesrechtlichen Abstandsflächenvorschriften abgedeckt sind, in unzumutbarer Weise beeinträchtigt werden (vgl. BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 18). Dies kann etwa der Fall sein, wenn ein Nachbaranwesen durch die Ausmaße eines Bauvorhabens geradezu „erdrückt“, „eingemauert“ oder „abgeriegelt“ wird. Eine erdrückende oder unzumutbar einengende Wirkung ist dabei jedoch nur anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem es diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht, oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls derart übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden Gebäude“ dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird. Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind die Höhe des Vorhabens und seine Länge sowie die Distanz in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2018 – 2 ZB 16.2168 – juris Rn. 4 m.w.N.). Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (vgl. etwa BVerwG U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38 für den Fall eines 12-geschossigen Gebäudes in 15 m Entfernung zu einem 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus).
Daran gemessen ist eine erdrückende Wirkung des Vorhabens auf das nördlich gelegene Anwesen der Antragstellerin schon aufgrund der Entfernung und Positionierung der Gebäude nicht ersichtlich. Die nördliche Gebäudekante des Doppelhauses liegt bei einer Messung mit dem Lineal anhand des genehmigten Lageplans knapp 20 m von der südlichen Gebäudekante des Wohnhauses der Antragstellerin entfernt, allein zwischen den Grundstücksgrenzen liegt nach den Angaben der Antragstellerseite noch ein Abstand von ca. 12 m. Selbst wenn das Vorhaben in einer Hanglage errichtet wird, hält es sich mit seiner Kubatur und den genehmigten Wand- und Firsthöhen im Rahmen des Üblichen. Hinzukommt, dass die Antragstellerin durch das Vorhaben allenfalls wie eine Punktnachbarin an ihrer südlichen Grundstücksecke tangiert wird, während die bauliche Situation ihres Grundstücks im Übrigen gänzlich unverändert bleibt. Danach ist das Grundstück der Antragstellerin bereits aktuell an drei Seiten (Nordwesten, Nordosten und Südosten) in einen Bebauungszusammenhang an der S … straße eingebettet, im Südwesten grenzt das Grundstück zu etwa 2/3 der Grundstücksgrenze an die Gartenanlage des Villenanwesens Nr. 20 und nur zu etwa 1/3 an den Wendeplatz auf der Fl.Nr. … Nur in diesem eng begrenzten Bereich können sich durch das weiter südlich gelegene Vorhaben überhaupt Auswirkungen auf das Grundstück der Antragstellerin ergeben. Dies ist bei einem Abstand von immerhin ca. 12 m (Grundstücksgrenzen) bzw. 20 m (Hauptgebäude) nicht ersichtlich, zumal das geplante Doppelhaus nur mit seiner Giebelseite in Richtung der Antragstellerin in Erscheinung tritt.
2.2.4 Soweit die Antragstellerin eine Verschlechterung der „kleinklimatischen Situation“ auf ihrem Grundstück infolge der Beeinträchtigung von Kaltluftströmen durch eine „Riegelwirkung“ des Vorhabens zum höher gelegenen Wald befürchtet, erscheint dies aufgrund der Positionierung des Vorhabens (s.o.) und anhand der Luftbildaufnahmen des Geodatenportals Bayern Atlas kaum nachvollziehbar. Ohne dass es hierauf entscheidungserheblich ankäme, dürfte im Bereich der südlichen Grundstücksecke der Antragstellerin bzw. südöstlich des Anwesens Nr. 20 und nordwestlich der Bebauung entlang der „…wiese“ bereits bislang keine dicht bewaldete Fläche bestanden haben. In der Begründung des Bebauungsplans 2006 (S. 4) ist für das Gebiet von einer „Lichtung“ bzw. einem „strukturreichen Gartenbereich“ die Rede.
2.2.5 Soweit aufgrund der angenommenen Verschlechterung der kleinklimatischen Situation schließlich weiter vorgetragen wird, dass dies „gesundheitliche Folgen“ für die Antragstellerin haben könne, ist eine unzumutbare Beeinträchtigung der Antragstellerin weder substantiiert vorgetragen noch ansatzweise ersichtlich. Ein Grundstückseigentümer muss grundsätzlich damit rechnen, dass auf Nachbargrundstücken Bauvorhaben unter Einhaltung der gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften realisiert werden. Möglicherweise kann die Antragstellerin auf die kleinklimatische Situation ihres Anwesens im Übrigen selbst unmittelbaren Einfluss nehmen, indem sie ihre Grünflächen mit (weiteren) Bäumen und Sträuchern bepflanzt (zur architektonischen Selbsthilfe bei baurechtlichen Nachbarklagen generell vgl. etwa: BayVGH, B.v. 14.2.2018 – 15 CS 17.2549 – juris Rn. 10; BayVGH, B.v. 10.1.2020 – 15 ZB 19.425 – juris Rn. 17).
2.3 Eine fehlende Beteiligung der unteren Naturschutzbehörde kann dem Antrag schließlich schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil eine solche Mitwirkung der Naturschutzbehörden nicht den Interessen baurechtlicher Nachbarn dient.
3. Soweit eine Zwischenregelung beantragt wurde, besteht hierfür jedenfalls kein Bedürfnis mehr, da mit vorliegendem Beschluss umfassend über den Eilantrag der Antragstellerin entschieden worden ist.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. Es entspricht der Billigkeit, ihm nicht auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese keine Anträge gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 162 Abs. 3 und § 154 Abs. 3 VwGO).
5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs. Der Streitwert beträgt die Hälfte des im Hauptsacheverfahren voraussichtlich anzusetzenden Streitwerts. Die beantragte Zwischenregelung wurde wegen Identität des Streitgegenstands nicht erhöhend berücksichtigt.


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