Baurecht

Nachbarklage, Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans die nicht nachbarschützend sind, keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots

Aktenzeichen  W 4 K 20.810

Datum:
6.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41777
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2
GaStellV § 2 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen. 
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen der Beigeladenen zu tragen. 
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet. 

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierauf im Rahmen des durchgeführten Augenscheintermins verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage hat keinen Erfolg. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 18. Mai 2020 ist sowohl formell als auch materiell rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Kammer hat zunächst keine Bedenken im Hinblick auf die formelle Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids. Es ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt, dass ein Verstoß gegen die in Art. 66 BayBO vorgesehene Nachbarbeteiligung nicht zu einer materiell-rechtlichen Fehlerhaftigkeit der Baugenehmigung bzw. hier der isolierten Befreiung und Zulassung einer isolierten Abweichung führt, denn die Vorschrift des Art. 66 BayBO ist selbst nicht nachbarschützend (vgl. die Nachweise bei Simon/Busse/Dirnberger, 133. EL, Art. 66 Rn. 208). Dies ergibt sich schon daraus, dass Art. 66 BayBO in erster Linie eine formelle Vorschrift darstellt, die dem Schutz der materiellen Rechte des Nachbarn dient, aber gerade nicht die nachbarlichen Beteiligungsrechte selbst wahren soll (vgl. BVerwG, U.v. 5.10.1990 – 7 C 55/89 – BVerwGE 85, 368 f.). Hinzu kommt, dass Art. 66 BayBO lex specialis gegenüber der allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Anhörungsvorschrift des Art. 28 BayVwVfG ist, dessen Verletzung ebenfalls nicht allein zur Begründetheit einer Anfechtungsklage führen kann. Ferner ergibt sich aus Art. 46 BayVwVfG, dass die Aufhebung der Baugenehmigung nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil sie unter Verletzung von Art. 66 BayBO zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Stattdessen ist die Heilung einer unterbliebenen Beteiligung nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG möglich (vgl. Busse/Kraus, 143. EL, Art. 66 Rn. 208, m.w.N.).
Entgegen dem Vortrag des Klägervertreters ist auch die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids nicht zu beanstanden, insbesondere lässt die Begründung des Bescheids auch die Gesichtspunkte erkennen, von denen die Beklagte bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (Art. 39 Abs. 1 BayVwVfG).
Auch in materieller Hinsicht hat die Kammer keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids.
Dritte können sich gegen eine isolierte Befreiung bzw. die Zulassung einer isolierten Abweichung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Entscheidung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit auch auf der Verletzung von Vorschriften beruht, die gerade dem Schutz der betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. nur BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20, m.w.N.).
Unter Berücksichtigung dieser Vorgabe und der im Rahmen des Augenscheinstermins vor Ort festgestellten Gegebenheiten ist eine Rechtsverletzung des Klägers vorliegend nicht zu erkennen, denn der streitgegenständliche Bescheid verstößt nicht gegen nachbarschützende Vorschriften.
Soweit der Kläger vorträgt, im hier streitgegenständlichen Bescheid sei in rechtswidriger Weise zu Unrecht von den Festsetzungen des Bebauungsplans betreffend die Garagenstandorte befreit worden, führt dies nicht zum Erfolg der Klage, da die Festsetzung der Garagenstandorte im Bebauungsplan keinen drittschützenden Charakter hat.
Eine unmittelbar nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen eines Bebauungsplans ist im Regelfall nur dann anzunehmen, wenn diese die Art der baulichen Nutzung betreffen (vgl. nur BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39.13 – BauR 2013, 211). Andere Festsetzungen, insbesondere solche zum Maß der baulichen Nutzung oder zur überbaubaren Grundstücksfläche, haben dagegen grundsätzlich keine nachbarschützende Funktion, sondern können Nachbarschutz nur dann vermitteln, wenn ihnen nach dem Planungswillen der Gemeinde diese Funktion ausnahmsweise gerade zukommen soll (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – NVwZ 1996, 888; BayVGH, B.v. 1.12.2016 – 1 ZB 15.1841 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 18.11.2016 – 1 ZS 16.1864 – juris Rn. 4). Der planenden Gemeinde steht es dabei frei, eine Festsetzung ausschließlich aus städtebaulichen Gründen, etwa aus Gründen der Gestaltung des Ortsbildes oder auch zum Schutz eines bestimmbaren und von der Allgemeinheit abgrenzbaren Personenkreises zu erlassen (BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – NVwZ 1996, 888). Nachbarschutz besteht somit hinsichtlich solcher Festsetzungen nur dann, wenn die Gemeinde einer entsprechenden Festsetzung im Bebauungsplan gezielt eine solche Schutzfunktion zukommen lassen will. Ob dies der Fall ist und wie weit eine eventuell drittschützende Wirkung einer Festsetzung reicht, muss sich jedoch mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Inhalt der erlassenen Vorschrift oder aus den übrigen, objektiv erkennbaren Umständen, also aus dem Bebauungsplan selbst, seiner Begründung oder aus sonstigen, die Planung betreffenden Unterlagen der Gemeinde ergeben (BayVGH, B.v. 23.11.2015 – 1 CS 15.2207 – juris Rn. 8). Lässt sich daraus eine solche Zweckbestimmung nicht hinreichend erkennen, ist eine nachbarschützende Wirkung abzulehnen.
Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte den von ihr getroffenen Festsetzungen über Garagenstandorte über die städtebaulichen Funktionen hinaus zumindest auch eine Schutzfunktion zugunsten benachbarter Grundstückseigentümer im Plangebiet beimessen wollte. Dies lässt sich weder der Begründung des zugrundeliegenden Bebauungsplans noch dem Bebauungsplan selbst entnehmen. Die Festsetzungen von Garagenstandorten sind damit lediglich Ausdruck des Planungskonzepts, welches allein städtebaulichen Zielen dient.
Wenn aber – wie hier – von nicht nachbarschützenden Festsetzungen des Bebauungsplans gemäß § 31 Abs. 2 BauGB befreit wurde, hat der Nachbar über die das Rücksichtnahmegebot konkretisierende „Würdigung nachbarlicher Interessen“ hinaus keinen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung oder Einhaltung der sonstigen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 8.7.1998 – 4 B 64/98, BayVBl 1999, 26 – juris Rn. 5).
Auch eine Verletzung des subjektiv-rechtlichen Rücksichtnahmegebots liegt nicht vor.
Das Gebot der Rücksichtnahme kommt im vorliegenden Zusammenhang insbesondere in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO und – hinsichtlich der erteilten Befreiung(en) von den nicht nachbarschützenden Festsetzungen – im Erfordernis der Würdigung nachbarlicher Interessen im Rahmen der Befreiungsentscheidung nach § 31 Abs. 2 BauGB zum Ausdruck.
Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Bei der Interessengewichtung spielt es eine maßgebliche Rolle, ob es um ein Vorhaben geht, das grundsätzlich zulässig und nur ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen nicht zuzulassen ist, oder ob es sich – umgekehrt – um ein solches handelt, das an sich unzulässig ist und nur ausnahmsweise zugelassen werden kann. Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position innehat (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215/96 – juris Rn. 9 m.w.N.). Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmeberechtigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75, BVerwGE 52, 122 – juris Rn. 22; U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93, NVwZ 1994, 686 – juris Rn. 17; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04, NVwZ 2005, 328 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8/11, BVerwGE 145, 145 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
Das Rücksichtnahmegebot ist dann verletzt, wenn unter Berücksichtigung der Schutzwürdigkeit des Betroffenen, der Intensität der Beeinträchtigung und der wechselseitigen Interessen das Maß dessen, was billigerweise noch zumutbar ist, überschritten wird (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75, BVerwGE 52, 122 – juris Rn. 22). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn aber nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Eine Veränderung der Verhältnisse durch ein Vorhaben, das den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt und städtebaulich vorgegeben ist, ist aber regelmäßig als zumutbar hinzunehmen (BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 6).
Unter Beachtung dieser Vorgaben vermag das Gericht unter Berücksichtigung der dem Bauvorbescheid zugrundeliegenden Planunterlagen und der im Rahmen des Augenscheintermins gewonnenen Erkenntnisse über die Verhältnisse vor Ort keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zu erkennen. Ein solcher Verstoß wurde vom Kläger auch nicht substantiiert behauptet.
Insbesondere kann die Kammer nach der im Rahmen des Augenscheins gewonnenen Erkenntnisse nicht nachvollziehen, wie der Kläger, wie von ihm behauptet, in seinem Recht auf Belüftung, Belichtung und Besonnung beeinträchtigt sein will. Wie der Augenschein und die dort gefertigten Bilder zeigen, liegt das Wohnhaus des Klägers im rückwärtigen Bereich des Grundstücks, hangaufwärts, so dass der Kläger schon aus diesem Grund durch die geplante Garage in keinster Weise tangiert sein kann. Er selbst hat an der gemeinsamen Grundstücksgrenze eine Grenzgarage errichtet, die den im Bebauungsplan festgesetzten Garagenstandort nicht einhält. Damit kann er aber von der Beigeladenen nicht mehr verlangen, als er dieser selbst zumutet.
Auch in bauordnungsrechtlicher Hinsicht ergeben sich unter dem eingeschränkten Gesichtspunkt nachbarschützender Rechte keine Bedenken gegen die der Beigeladenen erteilte Abweichung von der Verordnung über den Bau und Betrieb von Garagen sowie über die Zahl der notwendigen Plätze (Garagen- und Stellplatzverordnung – GaStellV). Der Kläger hat bisher im Einzelnen nicht vorgetragen, inwieweit er in seinen Rechten durch die Abweichung von § 2 Abs. 1 GaStellV, wonach zwischen Garagen und öffentlichen Verkehrsflächen Zu- und Abfahrten von mindestens 3 m Länge vorhanden sein müssen, betroffen sein könnte. Auch der Augenschein der Kammer hat diesbezüglich keine Anhaltspunkte ergeben. Für eine ungeachtet der ohnehin fehlenden drittschützenden Wirkung des § 2 Abs. 1 Satz 1 GaStellV gegebene Beeinträchtigung nachbarlicher Interessen des Klägers fehlt somit jeder Anhaltspunkt.
Dass durch den streitgegenständlichen Bescheid sonstige nachbarschützende Vorschriften verletzt würden, wurde weder vorgetragen, noch ist dies sonst ersichtlich. Die Klage war demgemäß abzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Da die Beigeladene einen eigenen Sachantrag gestellt hat und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass der Kläger auch ihre außergerichtlichen Kosten trägt (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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