Baurecht

Nachbarklage eines einzelnen Wohnungseigentümers gegen Baugenehmigung

Aktenzeichen  M 8 K 15.2783

Datum:
6.6.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO BauNVO § 12, § 15 Abs. 1 S. 2
BayBO BayBO Art. 6, Art. 59, Art. 61
FeuV § 9 Abs. 1
BImSchG BImSchG § 3 Abs. 1, § 5 Nr. 1
WEG WEG § 1 Abs. 2, § 13 Abs. 1 Hs. 2
VwGO VwGO § 42 Abs. 2

 

Leitsatz

Der einzelne Wohnungseigentümer kann grundsätzlich baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nach § 13 Abs. 1 Hs. 2 WEG geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums im Raum steht. (redaktioneller Leitsatz)
Eine Klagebefugnis des Sondereigentümers ist zu bejahen, wenn der Behörde bei ihrer Entscheidung über eine Baugenehmigung auch der Schutz der nachbarlichen Interessen des Sondereigentums aufgetragen ist. Dies ist möglicherweise dann der Fall, wenn das Sondereigentum im Bereich der Abstandsflächen liegt oder das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot unmittelbar das Sondereigentum betrifft. (redaktioneller Leitsatz)
Dem Sondereigentümer steht kein Anspruch auf Wahrung der Gebietsart zu. Am wechselseitigen Austauschverhältnis des Grundeigentums in einem Baugebiet nimmt grundsätzlich nur das Grundeigentum zur gesamten Hand teil. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg, da die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 26. Mai 2015 die Klägerin jedenfalls nicht in ihren Nachbarrechten verletzt, die zum Prüfumfang im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 Satz 1 BayBO gehören, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klägerin als Sondereigentümerin klagebefugt i. S. v. § 42 Abs. 2 VwGO.
Grundsätzlich kann der einzelne Wohnungseigentümer (§ 1 Abs. 2 WEG) baurechtliche Nachbarrechte aus eigenem Recht nach § 13 Abs. 1 Halbsatz 2 WEG geltend machen, wenn eine konkrete Beeinträchtigung seines Sondereigentums im Raum steht (vgl. BVerwG, U .v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – juris LS 1; BayVGH, B. v. 2.10.2003 – 1 CS 03.1785 – BayVBl 2004, 664 – juris LS; B .v. 11.2.2004 – 2 CS 04.18 – juris; B. v. 21.1.2009 – 9 CS 08.1330 -1336 – juris Rn. 2; B. v. 22.3.2010 – 15 CS 10.352 – juris Rn. 10; U. v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – BayVBl 2013, 51 – juris LS 1; B .v. 08.07.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 5 und 6; Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 66 BayBO Rn. 12).
Das Bundesverwaltungsgericht (U. v. 20.8.1992 – 4 B 92/92 – juris LS 1) bejaht eine Klagebefugnis des Sondereigentümers, sofern der Behörde bei ihrer Entscheidung über die Baugenehmigung auch der Schutz der nachbarlichen Interessen des Sondereigentums aufgetragen ist. Dies ist möglicherweise dann der Fall, wenn das Sondereigentum beispielsweise im Bereich der Abstandsflächen liegt oder aber das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot unmittelbar das Sondereigentum betrifft. Da letzteres ebenfalls geltend gemacht wird, ist jedenfalls insoweit die Klagebefugnis gegeben (vgl. BayVGH, B. v. 08.07.2013 – 2 CS 13.807 – juris Rn. 5 und 6).
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
2. Der Einwand, das Vorhaben verletze die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenregelungen des Art. 6 BayBO, führt im vorliegenden Fall – unabhängig davon, ob überhaupt Abstandsflächen auf den Bereich des Sondereigentums der Klägerin fallen – jedenfalls deshalb nicht zum Erfolg der Klage, da für das streitgegenständliche Vorhaben mangels Sonderbau im Sinne von Art. 2 Abs. 4 BayBO ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO durchzuführen war (vgl. BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 11) und eine Abweichung von den Abstandsflächen weder beantragt noch erteilt wurde. Die Feststellungswirkung der Genehmigung ist deshalb auf die in Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO genannten Kriterien beschränkt (vgl. BayVGH, B. v. 28.9.2010 – 2 CS 10.1760 – BayVBl 2011, 174; B. v. 7.2.2011 – 2 ZB 11.11 – juris; BayVGH, B. v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 3 m. w. N.). Eine Verletzung von Nachbarrechten der Klägerin durch die angefochtene Baugenehmigung wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen scheidet deshalb im vorliegenden Fall schon allein aus diesem Grund aus (vgl. BayVGH, B. v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 17.3.2014 – 15 CS 13.2648 – juris Rn. 14 jeweils m. w. N.; BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 11 m. w. N.).
3. Als nachbarschützende Rechte im Bauplanungsrecht kommen vorliegend der Anspruch auf Erhaltung der Gebietsart (vgl. 4.) sowie auf Wahrung der gebotenen Rücksichtnahme (vgl. 5. bis 8.) in Betracht, die jedoch beide keinen Erfolg haben.
Da für den Bereich des Vorhabengrundstücks weder ein qualifizierter noch ein einfacher Bebauungsplan und auch keine Festsetzungen eines einfachen übergeleiteten Baulinienplanes vorliegen, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens in bauplanungsrechtlicher Hinsicht nach § 34 BauGB. Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist im Innenbereich ein Vorhaben bauplanungsrechtlich zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt.
4. Ein nachbarlicher Abwehranspruch im Hinblick auf die Wahrung der Gebietsart hat vorliegend keinen Erfolg (vgl. BVerwG U. v. 16.9.1993 – 4 C 28/91, BVerwGE 94, 151 – juris Rn. 13), da der Klägerin als Sondereigentümerin kein Anspruch auf Wahrung der Gebietsart zusteht (BayVGH, U. v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 22, 23 m. w. N.; bestätigt durch BVerwG, B. v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – juris).
Hinsichtlich der geltend gemachten Verletzung des sogenannten allgemeinen Gebietserhaltungsanspruchs ist das Sondereigentum der Klägerin allenfalls im gleichen Maß wie das Anwesen insgesamt betroffen und somit das Gemeinschaftseigentum.
Der Gebietserhaltungsanspruch gewährt dem Eigentümer eines Grundstücks hinsichtlich der durch einen Bebauungsplan festgesetzten Nutzungsart einen Abwehranspruch gegen die Genehmigung eines Bauvorhabens im Plangebiet, das von der zulässigen Nutzungsart abweicht und zwar unabhängig davon, ob die zugelassene gebietswidrige Nutzung des Nachbarn selbst unzumutbar beeinträchtigt oder nicht (vgl. Stühler, BauR 2011, 1576/1577; Decker, JA 2007, 55/56). Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses (vgl. BVerwG U. v. 11.5.1989 – 4 C 1.88 – BVerwGE 82, 61; B. v. 18.12.2007 – 4 B 55/07 – BayVBl 2008, 583). Aus der Gleichstellung geplanter und faktischer Baugebiete entsprechend der Baunutzungsverordnung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 BauGB ergibt sich, dass ein identischer Nachbarschutz schon vom Bundesgesetzgeber festgelegt worden ist (vgl. BVerwG, B. v. 22.12.2011 – 4 B 32.11 – ZfBR 2012, 378).
Diese rechtliche Schicksalsgemeinschaft aufgrund des bestehenden wechselseitigen Austauschverhältnisses besteht im Hinblick auf das konkret betroffene Grundstück, wie auch sonst das Bauplanungsrecht allein grundstücksbezogen ist. Bei einer Wohnungseigentümergemeinschaft steht das Grundstück im Gesamthandeigentum der Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft. Entsprechend besteht primär eine Betroffenheit der Wohnungseigentümergemeinschaft als solcher und keine Betroffenheit eines einzelnen Sondereigentümers. Am wechselseitigen Austauschverhältnis nimmt grundsätzlich nur das Grundeigentum zur gesamten Hand teil. Auch bestimmt nicht der Sondereigentümer die Art der baulichen Nutzung des Grundstücks, sondern die zulässige Art der baulichen Nutzung bestimmt sich grundstücksbezogen aus dem Bauplanungsrecht.
Eine konkrete Beeinträchtigung des Sondereigentums der Klägerin, welche über das hinausginge, was die Eigentümergemeinschaft als solche für das Gemeinschaftseigentum geltend machen kann, ist nicht erkennbar (vgl. BayVGH, B. v. 26.3.2003 – 8 ZB 02.2918 – BayVBl 2004, 50 = NVwZ 2004, 629; U. v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – BayVBl 2013, 51; bestätigt durch BVerwG, B. v. 10.1.2013 – 4 B 48.12 – juris). Insbesondere ist nicht zu sehen, dass insoweit der Beklagten als Genehmigungsbehörde der Schutz der nachbarlichen Interessen hinsichtlich des Sondereigentums speziell aufgetragen gewesen wäre.
5. Vorliegend wird die Klägerin durch die streitgegenständliche Baugenehmigung auch nicht in ihren nachbarschützenden Rechten aus dem bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebot verletzt. Gemessen am allgemeinen Gebot der Rücksichtnahme stellt sich das streitgegenständliche Vorhaben weder im Hinblick auf die Remise (vgl. 6.) noch in Bezug auf den geplanten Feinkostladen mit zugehöriger Freifläche (vgl. 7.) und schließlich auch nicht hinsichtlich der gerügten Stellplätze (vgl. 8.) als unzumutbar und damit rücksichtslos dar.
Es entspricht der ganz herrschenden Meinung, dass die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht nachbarschützend sind (vgl. BVerwG, B. v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12; B. v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 3; B. v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9). Für die Verletzung von nachbarlichen Rechten hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung kommt es daher vorliegend allein darauf an, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) geforderte Rücksichtnahme auf die Klägerin einhält (vgl. BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12; B. v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – juris Rn. 4).
6. Die Errichtung der sogenannten Remise verletzt die Klägerin nicht in ihrem Anspruch auf Wahrung der gebotenen Rücksichtnahme, und zwar weder in Bezug auf die vorgebrachte erdrückende Wirkung (vgl. 6.1) noch hinsichtlich der gerügten Emissionen (vgl. 6.2) und ferner auch nicht wegen des geltend gemachten Abstandsflächenverstoßes (vgl. 6.3).
6.1 Soweit die Klägerin rügt, dass die Remise eine abriegelnde und erdrückende Wirkung habe, kommt vorliegend keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots in Betracht.
Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind unter anderem die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung. Für die Annahme der „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (BayVGH, B. v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B. v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9).
Vorliegend ist bereits nicht ersichtlich, inwieweit durch die Remise eine konkrete Beeinträchtigung des Sondereigentums der Klägerin hervorgerufen wird oder, ob nur die Wohnungseigentümergemeinschaft als solche betroffen ist (vgl. BayVGH, U. v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 22, 23 m. w. N.). Es fehlt aber jedenfalls schon an einer erheblichen Höhendifferenz zwischen dem Vorhabengebäude und dem klägerischen Anwesen. Die Remise ist eingeschossig mit Satteldach und das klägerische Gebäude zweigeschossig, so dass es an den für die Annahme einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung erforderlichen Voraussetzungen fehlt.
6.2 Auch durch den auf der Remise geplanten Kamin bzw. dessen zu erwartenden Emissionen wird die Klägerin nicht in ihrem Anspruch auf Wahrung der gebotenen Rücksichtnahme verletzt.
Das Ausmaß der gebotenen Rücksichtnahme wird vorliegend durch § 9 Abs. 1 Nr. 4 der Feuerungsverordnung (FeuV) bestimmt. Danach muss in einem Umkreis von 8 m bei Feuerstätten für flüssige oder gasförmige Brennstoffe bis 50 kW Gesamtnennwärmeleistung die Mündung einer Abgasanlage die Oberkante von Lüftungsöffnungen, Fenstern oder Türen um mindestens 1 m überragen. Gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 Ziffer b) FeuV vergrößert sich der erforderliche Abstand je weitere angefangene 50 kW Leistung um einen weiteren Meter.
Nach der Baubeschreibung und den Eingabeplänen handelt es sich vorliegend um eine Gastherme mit 90 kW Leistung. Der gesetzlich erforderliche Abstand zu den Oberkanten der Fenster und sonstigen Öffnungen des klägerischen Gebäudes muss damit 9 m betragen. Nach dem Eingabeplan beträgt der Abstand des Kamins zur Grundstücksgrenze abgegriffen rund 9,5 m und etwa 15 m bis zu dem Teil des Wohnhauses, das im Sondereigentum der Klägerin steht. Damit hält der Kamin den erforderlichen Abstand nicht nur ein, sondern überschreitet ihn sogar deutlich. Seine Mündungsöffnung darf deshalb unterhalb der Oberkante der Öffnungen des klägerischen Gebäudeteiles liegen.
Von der Klägerin wurde weder substantiiert dargelegt noch ist es sonst ersichtlich, dass es sich vorliegend um einen besonders gelagerten Ausnahmefall handeln könnte, bei dem auch unter Beachtung der gesetzlichen Regelungen der Feuerungsverordnung mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen zu rechnen ist. Damit verbleibt es bei dem gemäß § 9 FeuV festzusetzenden Mindestabstand, der im vorliegenden Fall nicht nur eingehalten, sondern sogar deutlich überschritten wird, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots ausscheidet.
Darüber hinaus sind auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 FeuV nach den eingereichten Bauvorlagen eingehalten, unabhängig davon, dass es sich bei dieser Regelung ohnehin nicht um eine dem Schutz der Nachbarschaft dienende Vorschrift handelt.
6.3 Soweit sich die Klagepartei darauf beruft, das Vorhaben der Beigeladenen verletze die Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO und sei daher bauplanungsrechtlich rücksichtslos, ist klarzustellen, dass zwar die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften für das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot in tatsächlicher Hinsicht indiziert, dass auch das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot im Regelfall nicht verletzt ist (vgl. BVerwG, B. v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 NVwZ 1999, 879 – juris Rn. 4; BayVGH, B. v. 15.3.2011 – 15 CS 11.9 – juris). Daraus lässt sich aber nicht der Umkehrschluss ableiten, dass bei einer Verletzung der bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften regelmäßig auch eine Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes zu bejahen oder indiziert wäre (vgl. BayVGH, B. v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris; B. v. 6.9.2011 – 1 ZB 10.1301 – juris; Schwarzer/König, 4. Aufl. 2012, BayBO, Art. 6 Rn. 7). Daher kann schon allein aus diesem Grund nicht davon ausgegangen werden, dass selbst eine – unterstellte – Verletzung der Abstandsflächenvorschriften auch eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots indizieren würde (vgl. BayVGH, B. v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17; BayVGH, B. v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 11), unabhängig davon ob die Abstandflächen überhaupt im Bereich des Sondereigentums liegen.
7. Es liegt auch keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch die Zulassung des Feinkostladens und der zugehörigen Freifläche vor.
7.1. Nach § 5 Nr. 1 BImSchG sind Anlagen so zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Immissionen, die das immissionsschutzrechtlich zulässige Maß nicht überschreiten, begründen keine Verletzung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots, das insoweit keinen andersartigen oder weitergehenden Nachbarschutz vermittelt (vgl. BVerwG, U. v. 30.9.1983 – 4 C 74/78 – juris Rn. 11/14).
7.2 Der Feinkostladen soll eine Verkaufsfläche von 50 m2, einen Sitzbereich von 14,8 m2 und eine Außenfläche von abgegriffen etwa 11 m2 mit 8 Sitzplätzen erhalten. Als Betriebszeit ist nach der Betriebsbeschreibung die Zeit von 8 bis 19 Uhr vorgesehen. Ein derart kleiner Laden mit seiner geringen Zahl von Sitzplätzen dient offensichtlich der Versorgung des Gebietes. Von einem allgemein zulässigen Ladengeschäft von üblicher Art und Größe wie vorliegend gehen jedoch regelmäßig keine Lärmemissionen aus, die geeignet sind, erhebliche Nachteile und Gefahren für die Nachbarschaft herbeizuführen.
Das gilt auch für die kleine zugeordnete Freifläche. Es ist vorliegend nicht zu erwarten, dass auf der lediglich 11 m² großen Freifläche, die Platz für nur 2 Tische mit maximal 8 Sitzplätzen aufweist und in etwa so groß ist wie die angrenzenden Terrassen der geplanten Wohnungen, Lärm erzeugt wird, der über die gewöhnliche Gesprächslautstärke hinausgeht, zumal die Betriebszeit auf die Tageszeit (8.00 – 19.00 Uhr) sowie auf Werktage begrenzt ist und sich die grundsätzlich nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 15 d) BayBO verfahrensfreie Freischankfläche in mehr als 18 m Entfernung von dem klägerischen Gebäude befindet. Hinzu kommt, dass es sich um keine Gaststätte, sondern lediglich um eine Freifläche zu einem kleinen Feinkostladen handelt. Durch die geringe Dimensionierung, die Begrenzung der Betriebszeit und die Entfernung von knapp 20 m wird dem Ruhebedürfnis der Nachbarn ausreichend Rechnung getragen. Insoweit sind keine Umstände ersichtlich, die dazu geeignet wären, einen Immissionskonflikt hervorzurufen. Die Nutzung der Freifläche lässt lediglich Lärmimmissionen erwarten wie auf den angrenzenden Terrassen und Gärten der Wohneinheiten, deren Nutzung jedoch auch an Feiertagen und nach 19.00 Uhr zulässig ist. Im Übrigen handelt es sich bei der …straße auch nicht um eine ruhige Anwohnerstraße, sondern gemäß der in den Akten befindlichen „Lärmkarte … 2007 nach EU-Umgebungslärmrichtlinie“ und der Lärmkarte 2012 um eine lärmintensive Durchgangsstraße, deren Lärmpegel im Bereich des klägerischen Anwesens mit 70 bis 75 dB(A) dem Lärmpegel eines Industriegebietes entspricht. Daher ist keine bemerkbare zusätzliche Beeinträchtigung der Klägerin bzw. der Nachbaranwohner zu erwarten und damit auch kein Immissionskonflikt, der durch eine Lärmprognose, der Festsetzung von Lärmrichtwerten und weiteren Lärmschutzauflagen gelöst werden müsste.
8. Auch die Errichtung der Kraftfahrzeugstellplätze entlang der östlichen gemeinschaftlichen Grundstücksgrenze zwischen dem Vorhabengrundstück und dem klägerischen Grundstück verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
8.1 Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Stellplätzen nach der Art der Nutzung bestimmt sich nach § 12 BauNVO. Gemäß § 12 Abs. 1 BauNVO sind Stellplätze und Garagen in allen Baugebieten zulässig, soweit sich aus § 12 Abs. 2 bis 6 BauNVO nichts anderes ergibt. Daraus folgt, dass die aus der bestimmungsgemäßen Nutzung planungsrechtlich nach § 12 Abs. 2 BauNVO zulässiger Garagen und Stellplätze erwachsenden Störungen regelmäßig von der Nachbarschaft hinzunehmen sind (vgl. BayVGH, B. v. 15.9.2008 – 15 CS 08.2123 – juris Rn. 4).
Bei den Stellplätzen auf dem Vorhabengrundstück entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze handelt es sich (nur) um diejenigen, welche nach der Stellplatzsatzung der Beklagten herzustellen sind. Für die vorgesehenen 11 Wohnungen sind 11 Stellplätze erforderlich, die beiden Büroräume benötigen drei Stellplätze. Somit ist sogar der Einschränkung des § 12 Abs. 2 BauNVO entsprochen, wonach in reinen Wohngebieten und allgemeinen Wohngebieten Stellplätze und Garagen nur für den durch die zugelassenen Nutzungen verursachten Bedarf zulässig sind.
8.2 Soweit sich die Klagepartei darauf beruft, dass Garagen und Stellplätze auf dem Baugrundstück unter dem Blickwinkel der Rücksichtnahmegebots des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO grundsätzlich nicht an jeder beliebigen Stelle errichtet werden können und dass sie gerade in ruhigen rückwärtigen Gartenbereichen hinter Wohnhäusern im Einzelfall rechtlich bedenklich sein können (vgl. VG München, B. v. 1.3.2016 – M 8 SN 15.4049 m. w. N.), ist festzuhalten, dass nach dem Ergebnis des Augenscheins am 6. Juni 2016 dem von der …-straße abgewendeten nördlichen Teil des klägerischen Grundstücks nicht die Qualität eines bisher von Kraftfahrzeugen verschonten rückwärtigen Ruhebereichs zukommt.
Der im Rahmen des Vorhabens für die Stellplätze vorgesehene Bereich des Grundstücks der Beigeladenen wird bereits jetzt als Parkplatz genutzt. Nach dem Ergebnis des Augenscheins ist er geteert und es sind Markierungen für Stellplätze an der gemeinsamen Grenze zum klägerischen Grundstück aufgebracht, die als Parkplätze für den nach der Baugenehmigung vom 2. November 2006 auf dem Vorhabengrundstück zeitlich befristet genehmigten Getränkemarkt dienen.
Ebenso wird die Freifläche des östlich an das klägerische Anwesen angrenzenden Grundstücks Fl. Nr. … ausschließlich als Kraftfahrzeugabstellfläche und Anfahrtszone für die in dem Gebäude …-straße 168 befindliche „…-zentrale …“ sowie die ebenfalls dort betriebene Kfz-Meisterwerkstatt mit drei Werksgaragen genutzt. Das klägerische Grundstück wird also im rückwärtigen Bereich an den zwei Längsseiten im Osten wie im Westen bereits gegenwärtig von Kraftfahrzeugabstellflächen eingerahmt. Von einem ruhigen bisher von Kraftfahrzeuglärm und anderen Immissionen verschonten Ruhebereich kann folglich nicht die Rede sein.
Darüber hinaus befinden sich nach dem Ergebnis des Augenscheins auch auf dem Anwesen … Allee 187 im rückwärtigen Bereich grenzständig zum Vorhabengrundstück Stellplätze der dortigen Großgaststätte. Parkplätze im rückwärtigen Grundstücksbereich sind folglich in der unmittelbaren Umgebung des klägerischen Anwesens allgemein vorhanden, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt kein rückwärtiger Ruhebereich erkennbar ist.
Von den Stellplätzen im östlichen Bereich des Vorhabengrundstücks sind weder besondere Beeinträchtigungen noch überdurchschnittliche Lärmemissionen zu erwarten. Es gibt keine Höhendifferenz zur Straße, es liegt kein extrem enger Rangierbereich vor und die Anzahl der Fahrten wird sich aufgrund der Nutzung auf dem Vorhabengrundstück (11 Wohneinheiten und zwei Büroräume) im Rahmen des allgemein Üblichen halten. Die Stellplätze für den Betrieb des Feinkostladens sind ohnehin auf der westlichen Seite des Vorhabengebäudes situiert und werden daher von diesem gegen das klägerische Anwesen wirksam abgeschirmt, so dass auch in dieser Hinsicht eine Beeinträchtigung der Klägerin ausgeschlossen werden kann. Auch die von Klägerseite gerügten nächtlichen Lichtimmissionen durch Scheinwerferlicht führen zu keinem Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot, da es angesichts der geringen Zahl von genehmigten Stellplätzen auf unmittelbarer Höhe des klägerischen Gebäudes nur zu geringfügigen Beeinträchtigungen kommen kann, die darüber hinaus als sozialadäquat hinzunehmen sind und die im Übrigen durch architektonische Selbsthilfemaßnahmen (Anbringung von Vorhängen, blickdichter Gartenzaun, Rollläden, etc.) auf ein Minimum reduziert werden können.
Damit hat die Klägerin als Sondereigentümerin auch vor dem Hintergrund, dass insoweit bereits fraglich ist, ob hier lediglich eine Belastung des gesamten Grundstücks im Raum steht, so dass nur die Wohnungseigentümergemeinschaft als solche betroffen ist (vgl. BayVGH, U. v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 22, 23 m. w. N.), jedenfalls die von den zulässigen Stellplätzen zu erwartenden Störungen hinzunehmen.
9. Soweit die Anpflanzung von Silberlinden auf dem Vorhabengrundstück gerügt wird, ist bereits nicht ersichtlich, inwiefern die Klägerin dadurch in nachbarschützenden Vorschriften des öffentlichen Rechts verletzt sein könnte, die vom Prüfumfang der Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren umfasst sind. Die Klagepartei hat jedenfalls weder dargelegt, dass die Pollen der Silberlinden als heimische Baumart für Allergiker von einer gesteigerten allergenen Bedeutung sind noch, dass der Ehemann der Klägerin gegen die Pollen von Silberlinden in besonderem Umfang allergisch ist bzw. überhaupt an einer Allergie leidet. Die bloße unsubstantiierte Behauptung reicht jedenfalls für eine Verletzung in Nachbarrechten, ebenso wie die bloße Befürchtung von zukünftigen Schäden durch das Wurzelwerk nicht aus. Im Übrigen wird die Baugenehmigung gem. Art. 68 Abs. 4 BayBO unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt.
10. Soweit die Klägerin die Bauvorlagenberechtigung der Entwurfsverfasserin bestreitet, ist auf den Beschluss des Eintragungsausschusses bei der Bayerischen Architektenkammer vom 11. März 2003 hinzuweisen, wonach diese als Architektin in die Liste der auswärtigen Architekten eingetragen wurde, so dass die Voraussetzungen des Art. 61 Abs. 2 BayBO erfüllt sind (vgl. Behördenakte S. 47). Eine Verletzung nachbarschützender Rechte der Klägerin kommt im Übrigen schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei Art. 61 BayBO um eine nicht drittschützende Verfahrensvorschrift handelt und auch insoweit nicht erkennbar ist, inwieweit die Klägerin als Sondereigentümerin im Vergleich zur Wohnungseigentümergemeinschaft in besonderem Maße betroffen sein soll (vgl. BayVGH, U. v. 12.7.2012 – 2 B 12.1211 – juris Rn. 22, 23 m. w. N.).
11. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Es entspricht billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, der Klägerin die Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Sachantrag gestellt und sich somit entsprechend § 154 Abs. 3 VwGO einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf Euro 7.500,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG -).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes Euro 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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