Baurecht

Nachbarklage, Einfügen, Maß der baulichen Nutzung, Gebietsprägungserhaltungsanspruch, Rücksichtnahmegebot, Erschließung

Aktenzeichen  AN 3 S 21.02047

Datum:
16.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40603
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO  § 80 Abs. 5
BauGB § 34
BauNVO § 15 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen eine zugunsten des Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für den Abbruch einer Doppelhaushälfte sowie die Errichtung eines Wohnhauses mit sieben Wohneinheiten.
Der Antragsteller ist offensichtlich Eigentümer des Grundstückes FlNr. …der Gemarkung … (nachfolgend wird auf die Angabe der Gemarkung verzichtet; alle erwähnten Flurnummern beziehen sich auf die Gemarkung …*), welches mit einer von ihm bewohnten Doppelhaushälfte mit zwei Wohneinheiten bebaut ist.
An der nordwestlichen Ecke des Antragstellergrundstückes, wo sich ausweislich der vorliegenden Luftbildaufnahmen der rückwärtige Gartenbereich befindet, grenzt auf einer Länge von circa 9 m das streitgegenständliche, über das Weggrundstück FlNr. … an die … straße anliegende Vorhabengrundstück FlNr. … an, welches bislang mit einer Doppelhaushälfte bebaut ist.
Beide Grundstücke liegen im unbeplanten Innenbereich. In der näheren, von Wohnbebauung geprägten Umgebung zwischen der … straße, dem* …, der* … straße sowie der … straße befinden sich überwiegend Einfamilienhäuser sowie Doppelhaushälften mit ein oder zwei Wohneinheiten; nordwestlich der … straße befinden sich mehrere Reihenhäuser.
Mit Bauantrag vom 2. Juni 2021, eingegangen bei der Stadt … am 9. Juni 2021 sowie bei dem Antragsgegner am 27. Juli 2021, beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für das Vorhaben „Abbruch einer Doppelhaushälfte, Neubau eines Wohnhauses in Verdichtungslücke“ auf dem Grundstück FlNr. … Ausweislich der genehmigten Baubeschreibung weisen das Baugrundstück eine Fläche von 688 qm sowie das Bauvorhaben eine Grundfläche von 382 qm und eine Geschossfläche von 444 qm auf. Dies ergebe eine Grundflächenzahl von 0,56 sowie eine Geschossflächenzahl von 0,65. Ausweislich der genehmigten Bauvorlagen sind sieben Wohneinheiten, verteilt auf drei Geschosse (EG, 1. OG und DG), vorgesehen. An der südwestlichen Ecke zum Antragstellergrundstück hin sind zwei Stellplätze geplant. In Richtung Antragstellergrundstück verfügt der Flachdachanbau im ersten Obergeschoss sowie im Dachgeschoss über jeweils einen Balkon. Die Firsthöhe des Satteldachgebäudeteiles, welches darüber hinaus über ein Untergeschoss mit Kellerräumen, Haustechnik und Aufzug verfügt, beträgt 10,08 m bzw. 9,97 m im Übergang zu dem Flachdachanbau, die des Flachdachanbaus 9,87 m. Ausweislich des genehmigten Abstandsflächenplanes vom 24. August 2021 hält die Doppelhaushälfte nach Norden, Westen sowie Richtung Antragstellergrundstück nach Süden hin 0,4 H ein.
Ausweislich des vorgelegten Stellplatznachweises gemäß der Stellplatzbedarfssatzung der Stadt … seien acht Stellplätze erforderlich.
Mit am 30. August 2021 bei dem Antragsteller eingegangenem Formblatt zeigte der Beigeladene die Beseitigung für das Vorhaben „Abbruch einer Doppelhaushälfte, Neubau eines Wohnhauses in Verdichtungslücke“ an.
Die Stadt … erteilte ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben, welches nach ihrer Auffassung in einem reinen Wohngebiet liege und den Rahmen der vorhandenen Bebauung einhalte. Des Weiteren sei die Erschließung, insbesondere die Zufahrt gemäß Art. 4 BayBO, gesichert.
Mit Bescheid vom 27. Oktober 2021 erteilte der Antragsgegner dem Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung für den Abbruch einer Doppelhaushälfte sowie die Errichtung eines Wohngebäudes. Gemäß der Auflage … sind die erforderlichen acht Pkw-Stellplätze bzw. Garagen bis zur Aufnahme der Gebäudenutzung auf dem Baugrundstück benutzbar herzustellen.
Eine Ausfertigung des Baugenehmigungsbescheides wurde mittels Einschreiben an den Antragsteller am 28. Oktober 2021 zur Post gegeben.
Am 23. November 2021 erhob der Antragsteller gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung Klage (AN 3 K 21.02048) und beantragte zugleich die Anordnung der aufschiebenden Wirkung dieser Klage. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass sich das im Innenbereich gelegene Baugrundstück in einem kleinen Wohngebiet des ländlich geprägten Ortsteils … befinde und das streitgegenständliche Vorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung sowie im Hinblick auf die überbaubaren Grundstücksflächen massiv von der umliegenden Bebauung abweiche. Dieses füge sich nicht annähernd in die Umgebung ein. Die Untersuchung von neun direkt angrenzenden Grundstücken mit fünf Einfamilienhäusern sowie vier Zweifamilienhäusern habe eine durchschnittliche Grundflächenzahl von 0,16 sowie eine durchschnittliche Geschossflächenzahl von 0,24 ergeben. Das inmitten stehende Mehrfamilienhaus mit sieben Wohneinheiten weise hingegen eine Grundflächenzahl von 0,56 sowie eine Geschossflächenzahl von 0,65 auf. Des Weiteren sei fraglich, ob die Erschließung gesichert sei. Es existiere lediglich ein unbefestigter Zufahrtsweg mit einer Durchfahrtsbreite von 3,10 m, welcher als Zu- und Abfahrt für die acht vorgesehenen Stellplätze sowie als Rettungsweg ungeeignet erscheine. Aus den genannten Gründen sei das Vorhaben des Beigeladenen nach § 34 BauGB objektiv nicht genehmigungsfähig. Alle angrenzenden Nachbarn hätten sich gegen das Vorhaben des Beigeladenen ausgesprochen; auf die diesbezüglich zur Vorlage gebrachten Schreiben wird verwiesen. Aufgrund der bereits begonnenen Entkernungsmaßnahmen bestehe die Gefahr, dass sehr schnell Fakten geschaffen werden.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß:
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 23. November 2021 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 27. Oktober 2021 wird angeordnet.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich das inmitten stehende Vorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise sowie der überbaubaren Grundstücksflächen in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge und auch die Erschließung gesichert sei.
Es sei nicht ersichtlich, inwiefern sich das streitgegenständliche Bauvorhaben der Art nach nicht in den von Wohnnutzung geprägten Innenbereich einfügen sollte. Auch füge es sich mit seinem Maß, etwa durch baugleiche Trauf- und Firsthöhen im Hinblick auf die angrenzende Nachbarbebauung (FlNr. …*), in die von zweigeschossigen Satteldachwohngebäuden geprägte umliegende Wohnbebauung ein. Ein ähnlich überbautes Flächenverhältnis wie das des Bauvorhabens finde sich im Übrigen auch auf den Anwesen FlNr. … (Flächenverhältnis von 0,35 bei Gebäudefläche von ca. 92 qm und Grundstücksfläche von ca. 263,4 qm) sowie FlNr. … (Flächenverhältnis von 0,31 bei Gebäudefläche von ca. 126,10 qm und Grundstücksfläche von ca. 407,7 qm). Des Weiteren sei auf dem Anwesen FlNr. … auf einer Grundstücksfläche von ca. 699 qm eine Gebäudefläche von ca. 236 qm geplant, was ein Flächenverhältnis von 0,34 ergebe.
Die Klagebegründung stütze sich vordringlich auf nicht drittschützende Gegebenheiten. Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die Ausführungen des Antragstellers auf das Rücksichtnahmegebot anspielen, so sei dieses nicht verletzt. Eine hierfür notwendige unzumutbare Beeinträchtigung sei unter Berücksichtigung der vorherrschenden Umstände des konkreten Einzelfalles nicht erkennbar. Insbesondere sei mangels übergroßem Baukörper mit zu geringem Abstand eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung des Bauvorhabens nicht ersichtlich. Die Abstandsflächen seien zudem nachweislich eingehalten.
Im Übrigen entspreche die Anzahl der geplanten und nachgewiesenen Stellplätze den Vorgaben der gemeindlichen Stellplatzsatzung. Eine Wohnbebauung in zweiter Reihe zur … straße sei vorliegend zulässig. Aus der Stellungnahme der Gemeinde ergebe sich ferner, dass die Erschließung gesichert sei.
Der Beigeladene beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Streitgegenstand vorliegenden Antrages ist die sofortige Vollziehbarkeit der dem Beigeladenen mit Bescheid des Antragsgegners vom 27. Oktober 2021 erteilten Baugenehmigung für den Abbruch einer Doppelhaushälfte sowie die Errichtung eines Wohngebäudes mit sieben Wohneinheiten.
Der zugunsten des Antragstellers nach § 88 VwGO als Antrag gemäß §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 VwGO auszulegende Antrag ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Erhebt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte Baugenehmigung Anfechtungsklage, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung nach summarischer Prüfung also als rechtswidrig im Hinblick auf nachbarschützende Vorschriften, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen. Hat dagegen die Anfechtungsklage des Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der Interessenabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung. Bei offenen Erfolgsaussichten findet eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris; B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403 – juris).
Nach diesen Grundsätzen muss der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Klage des Antragstellers ohne Erfolg bleiben. Im vorliegenden Fall überwiegen die Interessen des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung, da die Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den streitgegenständlichen Bescheid vom 27. Oktober 2021 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Die von dem Antragsgegner erteilte Baugenehmigung verletzt nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Antragsteller kann die streitgegenständliche Baugenehmigung mit dem Ziel der (teilweisen) Aufhebung nur dann erfolgreich anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, welche auch dem nachbarlichen Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und Gegenstand des vorliegenden vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens gemäß Art. 59 Satz 1 BayBO sind.
Derartige Vorschriften sind hier aller Voraussicht nach nicht verletzt.
1. Der Antragsteller kann sich nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht erfolgreich auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruchs berufen.
a) Planungsrechtlich beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens hinsichtlich der Art der Nutzung nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 oder § 4 BauNVO.
Das Baugrundstück befindet sich ebenso wie das Grundstück des Antragstellers aufgrund der in der relevanten näheren Umgebung vorhandenen Bebauung in einem faktischen reinen oder allgemeinen Wohngebiet. Demnach ist das streitgegenständliche Wohnbauvorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 3 bzw. § 4 BauNVO allgemein zulässig.
b) Dem Antragsteller steht auch kein § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO zu entnehmender Abwehranspruch in Gestalt des sogenannten Gebietsprägungserhaltungsanspruchs zu.
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Gebietsart widersprechen.
In seinem Beschluss vom 13. Mai 2002, 4 B 86.01 – juris, hat das Bundesverwaltungsgericht diesbezüglich ausgeführt, dass in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht nur das Gebot der Rücksichtnahme verankert ist, sondern auch ein Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung des Baugebiets.
Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg meint, dass § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO eine einzelfallbezogene „Feinabstimmung“ bezwecke, in dem er Anlagen und Nutzungen, die nach der „Grobabstimmung“ der § 2 bis 14 BauNVO zulässig sind, unter den genannten Voraussetzungen als nicht genehmigungsfähig bewertet (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 27.7.2001 – 5 S 1093.00 – juris).
Nach diesem speziellen Gebietsprägungserhaltungsanspruch könnte ein allgemein oder ausnahmsweise zulässiges, also im Einklang mit den Vorgaben der Baunutzungsverordnung zur Gebietsart stehendes Vorhaben dennoch unzulässig sein wegen Widerspruchs des Vorhabens zur allgemeinen Zweckbestimmung des maßgeblichen Baugebiets (vgl. Decker, JA 2007, 55/57). Ein solch an sich zulässiges, aber gebietsunverträgliches Vorhaben könnte damit vom Nachbarn ohne konkrete und individuelle Betroffenheit abgewehrt werden.
Jedoch ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung bereits die Existenz eines derartigen besonderen Gebietsprägungserhaltungsanspruchs umstritten (vgl. etwa BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – juris; B.v. 15.10.2019 – 15 ZB 19.1221 – juris; B.v. 22.6.2021 – 9 ZB 21.466 – juris).
Die seitens des Antragsteller bemühten Kriterien hinsichtlich der Grundflächen- und Geschossflächenzahl des streitgegenständlichen Bauvorhabens betreffen ausschließlich das Maß der baulichen Nutzung, mithin Kriterien, die vorliegend bauleitplanerisch nicht geregelt sind, die jedoch nur bei entsprechendem Planungswillen der Gemeinde überhaupt drittschützende Wirkung vermitteln können. Durch die vorliegend mit dem streitgegenständlichen Vorhaben verfolgte Zweckbestimmung der Wohnnutzung wird hingegen kein Widerspruch zur Zweckbestimmung des Baugebietes begründet. Ein Vorhaben, das wie das streitgegenständliche in dem gegebenen reinen bzw. allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig ist, wahrt die Zweckbestimmung des inmitten stehenden Baugebietes und kann deshalb in aller Regel nicht an einem Gebietsprägungserhaltungsanspruch scheitern.
Etwas Anderes könnte ausnahmsweise allenfalls dann anzunehmen sein, wenn – in Ansehung des in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO genannten Kriteriums „Umfang“ – im Einzelfall „Quantität in Qualität“ umschlägt, d. h., wenn die Größe der baulichen Anlage die Zulässigkeit der Nutzungsart erfassen und beeinflussen kann (vgl. z. B. BayVGH, B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris).
Für diese Annahme ist es jedoch nötig, dass wegen der Dimensionen der Anlage eine neue Art der baulichen Nutzung ins Baugebiet hineingetragen wird. Dies ist vorliegend unter Berücksichtigung der in der näheren Umgebung bereits vorhandenen Bebauung sowie der Größenverhältnisse des streitgegenständlichen Vorhabens mit insgesamt sieben Wohneinheiten nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aller Voraussicht nach zu verneinen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass ausnahmsweise „Quantität in Qualität“ umschlagen könne, mithin die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen könne, so weisen Wohngebäude wie das streitgegenständliche keine Größe oder Anzahl von Wohneinheiten auf, die es erlauben würde, von einer gegenüber der vorhandenen Bebauung andersartigen Nutzung zu sprechen. Im Übrigen ist die Zahl der Wohnungen im hier vorliegenden Anwendungsbereich des § 34 BauGB kein Merkmal, das die Art der baulichen Nutzung prägt. Unabhängig davon müsste für ein vom Antragsteller letztlich geltend gemachtes nachbarrechtswidriges Umschlagen von Quantität in Qualität das Bauvorhaben die Art der baulichen Nutzung derart erfassen oder berühren, dass bei typisierender Betrachtung im Ergebnis ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets angenommen werden müsste. Mit den (strengen) Voraussetzungen oder Fallgruppen, unter denen ein solcher Ausnahmefall angenommen werden könnte (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1995 – 4 C 3.94 – juris Rn. 17), hat sich der Antragsteller nicht auseinandergesetzt. Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen ein Wohnen in Mehrfamilienhäusern gegenüber einem Wohnen in Ein- oder Zweifamilienhäusern negativ zu beurteilen sein könnte (vgl. BayVGH, B.v. 4.3.2021 – 15 ZB 20.3151 – juris Rn. 16). Auf die Ausmaße des Gebäudes kommt es hierbei, da § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht auf das Maß der baulichen Nutzung abstellt, nicht an (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 22.6.2021 – 9 ZB 21.466- juris Rn. 8 m.w.N.).
2. Eine Verletzung drittschützender Normen ergibt sich außerdem nicht aus den geltend gemachten Einwänden, die Erschließung sei nicht gesichert bzw. die vorhandene Zufahrt als Rettungsweg sowie Zu- und Abfahrt für ein Gebäude mit sieben Wohneinheiten ungeeignet. Nach ständiger Rechtsprechung entfalten weder das bauplanungsrechtliche Erfordernis gesicherter Erschließung in § 34 Abs. 1 S. 1 BauGB noch die bauordnungsrechtlichen Anforderungen an die Erschließung gemäß Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 nachbarschützende Wirkung; vielmehr handelt es sich hierbei um rein ordnungsrechtliche Vorschriften (vgl. etwa BayVGH, B.v. 11.4.2011 – 2 ZB 09.3021 – juris; B.v. 23.8.2010 – 2 ZB 10.1216 – juris; B.v. 1.3.2016 – 1 ZB 15.1560 – juris; B.v. 27.7.2018 – 1 CS 18.1265 – juris). Etwas anderes kann – unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots – ausnahmsweise dann gelten, wenn durch die unzureichende Erschließung bzw. Rettungsmöglichkeit Nachbargrundstücke unmittelbar betroffen sind. Eine Verletzung des Nachbarn in seinen Rechte aus Art. 14 GG ist etwa gegeben, wenn eine wegen fehlender Erschließung rechtswidrige Baugenehmigung für den Nachbarn eine unmittelbare Rechtsverschlechterung in Richtung auf das Duldenmüssen eines Notweg- oder Notleitungsrechts nach § 917 Abs. 1 BGB bewirkt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 23.8.2010 – 2 ZB 10.1216 – juris Rn. 3). Dies erscheint bei summarischer Prüfung vorliegend bereits im Hinblick auf die Lage des Antragstellergrundstückes sowie dessen Zufahrt über die … straße, während das streitgegenständliche Vorhaben über die … straße und das hiervon abgehende Weggrundstück FlNr. … erschlossen wird, nicht der Fall. Eine derart unmittelbare Betroffenheit des Antragstellers dahingehend, dass er etwaige Einschränkungen in der Nutzung seines Grundstückes durch die Verkehrslage zu erwarten hätte, ist vorliegend nicht anzunehmen.
3. Der Antragsteller wird durch das streitgegenständliche Vorhaben aller Voraussicht nach im Übrigen auch nicht in dem Nachbarschutz vermittelnden Rücksichtnahmegebot verletzt, welches sich vorliegend – mit Ausnahme der Art der baulichen Nutzung, für welche insoweit § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. §§ 4 oder 3, 15 BauNVO Geltung beansprucht – aus dem in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltenen Begriff des „Einfügens“ ergibt.
In Bezug auf das hier in Rede stehende Innenbereichsvorhaben kann das Vorbringen zum fehlenden Einfügen aufgrund der Dimensionen des streitgegenständlichen Gebäudes hinsichtlich der Geschossflächen- und Grundflächenzahl sowie der Anzahl der Wohneinheiten schon deshalb nicht zum Erfolg der Klage führen, weil § 34 Abs. 1 BauGB hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung grundsätzlich keinen Drittschutz vermittelt, sondern es für die Verletzung von nachbarlichen Rechten der Antragsteller allein darauf ankommt, ob das Vorhaben die mit dem Gebot des Einfügens (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) geforderte Rücksichtnahme wahrt (vgl. etwa BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 26 m.w.N; B.v. 4.7.2016 – 15 ZB 14.891 – juris Rn. 8 m.w.N.; B.v. 12.2.2019 – 9 CS 18.2305 – BeckRS 2019, 2299 Rn. 14; B.v. 28.4.2020 – 9 ZB 18.2074 – juris Rn. 11; B.v. 22.6.2021 – 9 ZB 21.466 – juris Rn. 8). Nachbarrechte werden insoweit nur dann verletzt, wenn durch das Bauvorhaben unzumutbare Auswirkungen auf die Nachbargrundstücke entstehen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 14.6.2007 – 1 CS 07.265 – juris).
Vorliegend sind solch unzumutbare Beeinträchtigungen durch das streitgegenständliche Bauvorhaben, welche dem Antragsteller ein Abwehrrecht einräumen würden, nach Auffassung des Gerichtes aller Voraussicht nach nicht zu befürchten.
Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängen von den Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommen soll, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – juris; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1/04 – juris).
Entspricht ein Bauvorhaben – wie das streitgegenständliche – den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften, ist für eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme grundsätzlich kein Raum mehr (vgl. BVerwG, B.v. 27.3.2018 – 4 B 50.17 – juris; U.v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 – juris). Nur in Ausnahmefällen kann eine bauliche Anlage dennoch eine einmauernde oder erdrückende Wirkung entfalten (vgl. BVerwG, U.v. 11.1.1999, a.a.O.; BayVGH, B. v. 2.10.2018 – 2 ZB 16.2168 – juris). Eine solche ist nur anzunehmen, wenn eine bauliche Anlage wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem er diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe des „erdrückenden“ Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles derart übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Gebäude oder Grundstück nur noch oder überwiegend wie eine von einem „herrschenden Gebäude“ dominierte Fläche ohne eigene Charakteristik wahrgenommen wird (vgl. BayVGH, B.v. 2.10.2018, a.a.O.). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind die Höhe des Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2013 – 14 ZB 12.1153 – juris; B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris; B.v. 12.9.2013 – 2 ZS 13.1351 – juris). In der obergerichtlichen bzw. höchstrichterlichen Rechtsprechung wurde dies bislang etwa angenommen bei einem zwölfgeschossigen Gebäude in Entfernung von 15 m zum Nachbarwohnhaus oder beispielsweise bei drei 11 m hohen Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem Wohnanwesen (vgl. BayVGH, B.v. 10.4.2006 – 1 ZB 04.3506 – juris Rn. 18 m.w.N.).
Gemessen an diesen Grundsätzen gehen von dem Bauvorhaben gegenüber dem Antragsteller keine unzumutbaren Beeinträchtigungen aus, die zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme führen würden. Eine ausnahmsweise Unzumutbarkeit trotz Einhaltung der Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO ist nicht zu erkennen. Das entstehende Mehrfamilienhaus mit einer maximalen Firsthöhe von 10,08 m ist im Vergleich zu der Umgebungsbebauung insbesondere nicht übergroß (vgl. BayVGH B.v. 11.5.2010 und 17.7.2013, a.a.O.). Das geplante Gebäude befindet sich im Übrigen nicht derart nah an dem an die … straße im Süden anliegenden Wohngebäude des Antragstellers, dessen Grundstück im rückwärtiger Gartenbereich überdies lediglich an der nordwestlichen Ecke auf einer Länge von circa 9 m an das Vorhabengrundstück angrenzt, dass Belichtung, Belüftung und Besonnung nicht mehr sichergestellt wären. Dies gilt nicht zuletzt auch im Hinblick darauf, dass zwischen der südwestlichen Gebäudeecke des streitgegenständlichen Vorhabens und dem Wohngebäude auf dem Antragstellergrundstück ein Abstand von über 20 m vorhanden ist. Für die Frage der Rücksichtslosigkeit ist richtigerweise nicht nur auf den Abstand des Bauvorhabens zur gemeinsamen Grundstücksgrenze (vorliegend rund 9 m) abzustellen, vielmehr ist auch der Abstand des auf dem Antragstellergrundstück vorhandenen Wohngebäudes zur Grundstücksgrenze hin zu berücksichtigen (vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 9 CS 15.1115 – juris).
Auch im Hinblick auf die beabsichtigten Balkone sowie die zum rückwärtigen Gartenbereich des Antragstellers hin grenzständigen Stellplätze ist eine Rücksichtslosigkeit weder vorgetragen noch sonst auch nur ansatzweise ersichtlich.
Fehlt es nach alldem an einer Verletzung des Antragstellers in ihm zukommenden drittschützenden Rechten, so bleibt die erhobene Drittanfechtungsklage aller Voraussicht nach erfolglos. Mithin war der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigungsbescheid des Antragsgegners vom 27. Oktober 2021 abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO; da sich der Beigeladene durch eine eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass seine außergerichtlichen Kosten von dem Kläger getragen werden.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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