Baurecht

Nachbarklage – Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung haben grundsätzlich keine drittschützende Funktion

Aktenzeichen  9 ZB 17.249

Datum:
21.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6584
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
BauNVO § 4 Abs. 1, § 15 Abs. 1 S. 1, § 16 Abs. 2 Nr. 3, Nr. 4, § 18

 

Leitsatz

1. Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung – hier zur Zahl der Vollgeschosse (§ 16 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) und zur Traufhöhe (§ 16 Abs. 2 Nr. 4, § 18 BauNVO) – sind grundsätzlich nicht drittschützend. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ob eine Festsetzung zum Maß der baulichen Nutzung darauf gerichtet ist, dem Schutz eines Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Plangeberin ab. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wird von nichtdrittschützende Maßfestsetzungen des Bebauungsplans befreit (§ 31 Abs. 2 BauGB), kommt es nicht darauf an, ob die Befreiung hiervon die Grundzüge der Planung berührt.(Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

W 4 K 16.564 2016-12-06 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bestehend aus Untergeschoss und Erdgeschoss bebauten Grundstücks FlNr. … Gemarkung K. Er wendet sich gegen die den Beigeladenen mit Bescheid vom 10. März 2015 und Tekturgenehmigung vom 30. Juni 2016 erteilte Baugenehmigung für den Neubau eines Mehrfamilienhauses auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung K. (Baugrundstück), mit der unter anderem eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans „Nördlicher W. – Teil V“ der Gemeinde K. hinsichtlich der Überschreitung der Geschossigkeit und der zulässigen Traufhöhe erteilt wurde. Das Grundstück des Klägers befindet sich ebenfalls im Geltungsbereich dieses Bebauungsplans, liegt nördlich des Baugrundstücks und ist von diesem durch die B…straße und ein weiteres bebautes Grundstück getrennt. Die Grundstücke befinden sich in einer ausgeprägten Hanglage, wobei der Anstieg Richtung Norden erfolgt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 6. Dezember 2016 abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Der Kläger beruft sich allein auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Daraus ergeben sich solche Zweifel nicht.
a) Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass den Festsetzungen im Bebauungsplan zum Maß der baulichen Nutzung keine nachbarschützende Funktion zukommt. Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung, hier zur Zahl der Vollgeschosse (§ 16 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) und zur Traufhöhe (§ 16 Abs. 2 Nr. 4, § 18 BauNVO) sind grundsätzlich nicht drittschützend (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 27.11.2019 – 9 CS 19.1595 – juris Rn. 23 m.w.N.). Ob eine solche Festsetzung auch darauf gerichtet ist, dem Schutz eines Nachbarn zu dienen, hängt vom Willen der Gemeinde als Plangeberin ab (vgl. BVerwG, B.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 3.3.2020 – 9 CS 19.1514 – juris Rn. 14). Darauf hat auch das Verwaltungsgericht im Ausgangspunkt abgestellt und weder aus der Begründung zum Bebauungsplan noch aus sonstigen Umständen Anhaltspunkte für einen solchen Willen der planenden Gemeinde entnehmen können.
Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung hier nach der Konzeption des Plangebers in einem wechselseitigen, die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbindenden Austauschverhältnis stehen (vgl. BVerwG, B.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 15), lassen sich dem Zulassungsvorbringen nicht entnehmen. Soweit dort auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 24. November 2015 (Az. 15 B 13.2414) verwiesen wird, betraf diese Entscheidung auch nach diesem Vorbringen einen Sonderfall, bei dem durch den Bebauungsplan ein eingeschossiger, flach gedeckter Haustyp ohne Dachaufbauten gerade auch im Interesse der Nachbarn am Fortbestand ihrer „guten Wohnlage“ am Osthang mit Ausblick über das Wertachtal festgesetzt worden war. Anhaltspunkte für einen solchen, ausnahmsweise beabsichtigten Schutz der Aussicht bei einer besonderen örtlichen Situation bestehen hier nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts demgegenüber nicht und ergeben sich auch nicht aus dem Zulassungsvorbringen.
Das Verwaltungsgericht hat bei seiner Sachverhaltswürdigung auch berücksichtigt, dass sowohl die Begründung zum Bebauungsplan aus dem Jahr 1972 als auch zur Bebauungsplanänderung aus dem Jahr 2002 eine Bezugnahme auf die Hanglage des Baugebiets enthalten. Es hat diese Bezugnahme mangels erkennbarer Einbeziehung nachbarlicher Interessen aber dahingehend verstanden, dass es der Plangeberin bei der Festsetzung zu den Vollgeschossen wie zur zulässigen Traufhöhe um die Wahrung eines einheitlichen Ortsbildes und damit ausschließlich um gestalterische städtebauliche Belange ging, weil diese Bezugnahme unter Nr. 5 der Begründung zur 2. Änderung des Bebauungsplans in der Fassung vom 10. September 2002 unter der Überschrift: „Geplante Nutzung und städtebauliches Konzept“ erfolgt ist. Dies wird bestätigt durch die Begründung zum Bebauungsplan aus dem Jahr 1972, wo sich der Hinweis, dass das Baugebiet größtenteils ein Hanggelände sei, unter Buchstabe C mit der Überschrift befindet: „Beschaffenheit des Plangebiets“.
Entgegen dem Zulassungsvorbringen kann auch aus der Entgegennahme einer Sammeleingabe von betroffenen Grundstückseigentümern vom 6. Mai 1978 durch den ersten Bürgermeister der Gemeinde K. keine nachbarschützende Intention der Maßfestsetzungen des Bebauungsplans abgeleitet werden. Dem steht bereits entgegen, dass diese Festsetzungen schon im ursprünglichen Bebauungsplan vom 20. Oktober 1972 enthalten waren. Im Übrigen enthält die Begründung zur Bebauungsplanänderung 2002 – 24 Jahre nach Eingang der Sammeleinwendung – unter Buchstabe C: „Geplante Nutzung und städtebauliches Konzept“ lediglich einen bloßen Hinweis darauf, dass aufgrund der Hanglage zwingend ein Untergeschoss und ein Vollgeschoss vorgeschrieben wird, ohne sich auch nur ansatzweise damit auseinanderzusetzen, ob diese Festsetzungen in einem nachbarlichen Austauschverhältnis stehen sollen.
b) Soweit das Zulassungsvorbringen dahingehend verstanden werden könnte, dass sich der Kläger auf einen Gebietsbewahrungsanspruch beruft, scheitert ein solcher Anspruch hier bereits daran, dass das Bauvorhaben der im Bebauungsplan festgesetzten Art der Nutzung „Wohnen“ (§ 4 Abs. 1 BauNVO) entspricht. Gleiches gilt auch dann, wenn das Zulassungsvorbringen als Geltendmachung eines aus § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO abgeleiteten Anspruchs auf Wahrung der typischen Prägung des Gebiets (Gebietsprägungsanspruch), unabhängig davon, ob ein solcher Anspruch überhaupt besteht (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482 – juris Rn. 16 m.w.N.), anzusehen sein sollte. Selbst wenn man davon ausginge, dass ausnahmsweise „Quantität in Qualität“ umschlagen könnte, lässt sich dem Zulassungsvorbringen ebenfalls nicht entnehmen, dass das Bauvorhaben mit vier Wohneinheiten eine Größe aufweist, die es erlauben würde, von einer gegenüber der bestehenden Wohngebäuden andersartigen Nutzungsart zu sprechen. Auf die Ausmaße des Gebäudes kommt es hierbei nicht an, da § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht auf das Maß der baulichen Nutzung abstellt (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2019 a.a.O. Rn. 16). Mangels drittschützender Wirkung der Maßfestsetzungen des Bebauungsplans kommt es auch nicht darauf an, ob die Befreiung hiervon – wie der Kläger meint – die Grundsätze der Planung berührt. Der Kläger hat insoweit auch keinen Anspruch auf Einhaltung der objektiven rechtlichen Festsetzungen des Bebauungsplans (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2018 – 9 CS 17.2099 – juris Rn. 15 m.w.N.).
2. Wie dem angefochtenen Urteil entnommen werden kann, hat das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet abgewiesen, weil der Kläger durch die Baugenehmigung vom 10. März 2015 und die Tekturgenehmigung vom 30. Juni 2016 nicht in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Insgesamt ist das Urteil dahingehend zu verstehen, dass aus Sicht des Verwaltungsgerichts im Übrigen nur erhebliche Zweifel an der Klagebefugnis bestehen, wie den ausführlichen Erwägungen unter Nr. I. der Entscheidungsgründe – ungeachtet der missverständlichen Formulierung des Eingangssatzes – ohne weiteres entnommen werden kann.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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