Baurecht

Nachbarklage gegen Arbeiterwohnheim – Festsetzung immissionswirksamer flächenbezogener Schallleistungspegel

Aktenzeichen  15 B 21.673

Datum:
3.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 22523
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, Abs. 5, Abs. 6, Abs. 8, Abs. 11

 

Leitsatz

1. Die Festsetzung immissionswirksamer flächenbezogener Schallleistungspegel (IFSP) ist grundsätzlich geeignet, das Emissionsverhalten als Eigenschaft von Betrieben und Anlagen iSv § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauNVO zu kennzeichnen. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Dem Tatbestandmerkmal des Gliederns iSv § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BauNVO wird nur Rechnung getragen, wenn das Baugebiet in einzelne Teilgebiete mit verschieden hohen Emissionsgrenzwerten zerlegt wird. Dabei muss gewährleistet bleiben, dass vom Typ her nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe aller Art im konkreten Gewerbegebiet ihren Standort finden können. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Unwirksamkeit eines Teils eines Bebauungsplans hat nur dann nicht die Gesamtunwirksamkeit zur Folge, wenn die restlichen Festsetzungen auch ohne den ungültigen Teil noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung iSv § 1 Abs. 3 BauGB bewirken können und mit der gebotenen Sicherheit anzunehmen ist, dass die Gemeinde auch einen Bebauungsplan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RO 7 K 15.2216 2017-12-05 Urt VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Auf die Berufung der Beigeladenen zu 1 wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 5. Dezember 2017 (RO 7 K 15.2216) aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid des Landratsamts N … … vom 25. November 2015 abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten beider Instanzen einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. Der Beigeladene zu 2 trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Beigeladene zu 1 wendet sich gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 5. Dezember 2017, mit dem im Zuge einer Nachbarklage die ihr erteilte Baugenehmigung für ein Wohnheim auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung L … (Baugrundstück) aufgehoben worden ist.
Das Grundstück der Beigeladenen ist mit einem mit Bescheid vom 11. März 1994 genehmigten Wohn- und Geschäftshaus bebaut, für das die Regierung der Oberpfalz mit Bescheid vom 7. Juli 2003 die Nutzungsänderung als Übergangswohnheim für Aussiedler erteilt hatte. Seit dem Erwerb des Grundstücks durch die Beigeladene wird das Gebäude als Wohnheim für Arbeiter der nördlich angesiedelten Betonwerke der Beigeladenen genutzt. Das Landratsamt N … … (im Folgenden: Landratsamt) erteilte der Beigeladenen mit Bescheid vom 25. November 2015 eine Genehmigung zur Legalisierung des Arbeiterwohnheims (“Nachgenehmigung eines Arbeiterwohnheims, Neubau Sichtschutz und Abbau der bestehenden Wohncontainer”). In den mit Genehmigungsstempel versehenen Bauvorlagen ist die Bezeichnung “Brandschutzertüchtigung Wohnheim” durchgestrichen und handschriftlich durch “Neubau Wohnheim” ersetzt worden. In der Begründung ist ausgeführt, das Wohngebäude bestehe zwar seit Jahren, es sei jedoch gleichwohl der Neubau beantragt worden, da der derzeitige Bestand baurechtlich nicht eindeutig genehmigt gewesen sei. Der Bauantrag sei daher wie ein Neubau geprüft und genehmigt worden. Nebengebäude und Garagen seien nicht Teil des Bauantrags und daher auch von der Genehmigung nicht umfasst.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … Gemarkung L … (Nachbargrundstück), das östlich an das Baugrundstück angrenzt und u.a. mit einer Lagerhalle mit Bürotrakt und Betriebsleiterwohnung bebaut ist. Südlich an das Nachbargrundstück grenzt das Grundstück FlNr. … an, das mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebaut ist. Der Kläger nutzt sein Anwesen für sein Handelsunternehmen. Die diesbezüglichen Baugenehmigungen des Landratsamt enthalten u.a. die Auflagen, dass während der Nacht (22:00 Uhr bis 7:00 Uhr) “lärmintensive Tätigkeiten nicht zulässig” sind und am Tag (7:00 Uhr bis 22:00 Uhr) der Betrieb (seinerzeit betreffend die “Installation von elektrotechnischen Anlagen”) in Bezug auf das “östlich angrenzende MI-Gebiet” und das “südlich angrenzende WA-Gebiet” im einzelnen genannte “Orientierungswertanteile” nicht überschreiten darf (vgl. Nr. 23 der “Bedingungen und Auflagen” in dem einem Rechtsvorgänger des Klägers erteilten Bescheid vom 19.8.1996) bzw. die Auflage, dass der Betrieb des Lagers auf die Tageszeit (6:00 Uhr bis 22:00 Uhr) beschränkt und die “An- und Abfahrt von Fahrzeugen und Ladearbeiten” nachts (22:00 Uhr bis 6:00 Uhr) nicht zulässig sind (vgl. Nr. 5 der “Bedingungen und Auflagen” im dem Kläger erteilten Bescheid vom 28.7.2010).
Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des am 15. Juli 1988 ortsüblich bekannt gemachten Bebauungsplans H … Ursprünglich war dort ein Mischgebiet (“MI”) festgesetzt. Mit der am 9. Februar 1996 bekannt gemachten 1. Änderung des Bebauungsplans wurde für den gesamten Bereich des Mischgebiets ein Gewerbegebiet “mit Einschränkungen” (GEe) festsetzt. Einzelhandelsbetriebe, Tankstellen, Schrottlagerplätze und Autoverwertungen, Anlagen für sportliche Zwecke sowie reine Lager- und Abstellplätze sind nach den textlichen Festsetzungen nicht zulässig. Zulässig sind nur nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe, die die schalltechnischen Festsetzungen erfüllen. Nach diesen Festsetzungen sind während der Nacht (22:00 bis 7:00 Uhr) lärmintensive Tätigkeiten nicht zulässig. Am Tag darf ein Betrieb mit der Grundstücksfläche Sk den Orientierungswertanteil (OWA) im südlich angrenzenden WA-Gebiet von 2,1 + 10*log Sk und im östlich (außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplan H …) gelegenen MI-Gebiet von 7,1 + 10*log Sk nicht überschreiten. Zur Begründung ist ausgeführt, dass sich im bisher als Mischgebiet festgesetzten Teil des Bebauungsplans verschiedene Betriebe angesiedelt hätten oder ihre Ansiedelung planten, deshalb sei dieser Bereich als eingeschränktes Gewerbegebiet festzusetzen. Die Orientierungswerte der DIN 18005 seien im angrenzenden allgemeinen Wohngebiet überschritten und es müssten Festsetzungen getroffen werden, um die Einhaltung der Lärmpegel zu gewährleisten. Damit sei das Gewerbegebiet nur beschränkt nutzbar und die Orientierungswertanteile seien künftig zu beachten.
Mit der 2. Änderung des Bebauungsplans (öffentlich bekannt gemacht am 10.11.2015) wurde für das Grundstück der Beigeladenen ein Sondergebiet “betriebsbedingtes Wohnen” festgesetzt, um den baulichen Bestand planungsrechtlich zu sichern. Im Übrigen blieb es bei den ursprünglichen Festsetzungen in der Fassung der 1. Änderung.
Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Landratsamts vom 25. November 2015 aufgehoben. Die Baugenehmigung verletze den Gebietserhaltungsanspruch des Klägers. Die geänderte Festsetzung des Bebauungsplans (Sondergebiet “betriebsbedingtes Wohnen”) sei schon deshalb unwirksam, weil es keinen wesentlichen Unterschied des Sondergebiets “betriebsbedingtes Wohnen” zu den Baugebieten gebe, die nach der Baunutzungsverordnung (BauNVO) das Wohnen beträfen. Die Festsetzung bezwecke lediglich ein “Wohnen für Arbeiter in Betriebsnähe” und unterscheide sich damit nicht wesentlich vom “normalen Wohnen”. Der Bebauungsplan enthalte auch keine Vorgaben etwa im Hinblick auf eine tatsächlich bestehende Gemeinschaftsunterbringung mit fehlender individueller “Lebensführungsmöglichkeit”. Es könne offenbleiben, ob die Änderung des Bebauungsplans im Übrigen dem Bestimmtheitsgebot oder dem Abwägungsgebot hinreichend Rechnung trage, ob ferner die Auslegung (des Planentwurfs) wegen des Hinweises auf einen (nicht vorhandenen) Umweltbericht fehlerhaft gewesen sei oder ob die Änderung den Vorgaben des § 11 Abs. 2 Satz 1 BauNVO entspreche, wonach die Zweckbestimmung und die Art der zulässigen Nutzung festzusetzen seien. Mit der Unwirksamkeit der Festsetzung des Baugrundstücks als Sondergebiet “betriebsbedingtes Wohnen” bleibe es bei der bisherigen Festsetzung als Gewerbegebiet (“mit Einschränkungen”). In einem Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO) sei jedoch eine Wohnnutzung und auch eine “wohnähnliche Nutzung” nicht zulässig. Der Ausnahmetatbestand des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO sei vorliegend nicht einschlägig, weil es sich bei dem genehmigten Arbeiterwohnheim (mit Unterbringung von gleichzeitig max. 63 Personen) nicht um “Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter” handele.
Die Beigeladene zu 1 wendet mit ihrer vom Senat wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zugelassenen Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ein, das Verwaltungsgericht habe sich nicht hinreichend mit dem Begriff des Wohnens auseinandergesetzt. Es gehe vorliegend nicht um eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit und Eigengestaltung der Haushaltsführung, sondern um eine Gemeinschaftsunterkunft. Dies sei “kein Wohnen im Rechtssinne”, so dass sich das Sondergebiet wesentlich von den Baugebieten der BauNVO unterscheide, die vorwiegend das Wohnen betreffen. Das Verwaltungsgericht habe zudem die Änderung des Bebauungsplans nicht inzident für unwirksam erklären dürfen, weil der Kläger Abwägungsmängel und die Fehlerhaftigkeit der Festsetzung eines Sondergebiets nicht fristgerecht (innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 BauGB) gerügt habe. Das Rügeschreiben sei der (Markt-)Gemeinde (= Beigeladener zu 2) erst am 11. November 2016 zugegangen. Im Übrigen habe die genehmigte Nutzung gewerblichen Charakter und sei deshalb auch in einem Gewerbegebiet (“mit Einschränkungen”) zulässig. Auch bei Unwirksamkeit der Änderung des Bebauungsplans liege somit ein Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch nicht vor. Der Klage des Klägers fehle schließlich auch das Rechtsschutzbedürfnis, weil die streitgegenständliche Baugenehmigung keinerlei Einschränkungen der baurechtlich genehmigten Nutzung des klägerischen Grundstücks zur Folge haben könne. Dieser könne sich zudem auch deshalb nicht gegen die nunmehr genehmigte (Wohn-)Nutzung auf dem Baugrundstück zur Wehr setzen, weil die ursprüngliche Baugenehmigung aus dem Jahr 1994 nach wie vor existent sei und sich (auch) die jetzige Nutzung innerhalb der Variationsbreite der seinerzeit erteilten Baugenehmigung bewege. Des Weiteren sei die 1. Änderung des Bebauungsplans unwirksam, da die Festsetzungen zu den Orientierungswertanteilen keine Rechtsgrundlage in § 9 BauGB fänden. Damit sei die gesamte 1. Änderung unwirksam, da die schallschutztechnischen Festsetzungen sicherstellen sollten, dass die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse eingehalten seien. Zudem seien die Festsetzungen zu unbestimmt, da der Begriff “lärmintensive Tätigkeiten” nicht definiert sei. Bei der Festsetzung von Orientierungswertanteilen handele es sich um unzulässige Zaunwerte. Zudem fehle es an einem Teilgebiet, in dem trotz der Belegung mit Emissionskontingenten jeder nach der allgemeinen Zweckbestimmung des Gebietstypus der BauNVO zulässige Betrieb möglich wäre. Im Übrigen seien in den angrenzenden Gebieten die maßgeblichen Bezugspunkte nicht genannt. Zudem bleibe durch die schalltechnischen Festsetzungen die Zweckbestimmung des Gebiets nicht mehr gewahrt. Deshalb lebe der Bebauungsplan in seiner ursprünglichen Fassung wieder auf und das Vorhaben sei zulässig. Selbst wenn dieser Bebauungsplan ebenfalls unwirksam wäre, handele es sich um Außenbereich oder eine Gemengelage und der Kläger könne sich nicht auf einen Gebietserhaltungsanspruch berufen.
Die Beigeladene zu 1 beantragt,
die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 5. Dezember 2017 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens sowie der Gründe des angefochtenen Urteils ergänzend vor, das Rügeschreiben sei rechtzeitig (vom Bevollmächtigten persönlich) in den Briefkasten der Beigeladenen zu 2 eingeworfen worden. Im Übrigen handle es sich beim baulichen Bestand um einen “Schwarzbau”. Es sei seinerzeit planabweichend von der ursprünglichen Baugenehmigung aus dem Jahr 1994 gebaut worden (Verschiebung des Hauptgebäudes nach Norden um ca. 10 m). Bezüglich der Nebengebäude (Werkstatt und Garage) sei außerdem bereits bestandskräftig ein Rückbau verfügt worden (Bescheid des Landratsamts vom 14.7.2015). Die 1. Änderung des Bebauungsplans sei jedenfalls nicht insgesamt unwirksam. Mängel, die nur einzelne Festsetzungen beträfen, ließen den Rest des Plans unberührt. Im Falle der Unzulässigkeit der Festsetzungen zur Emissionsbeschränkung bliebe zumindest die Gebietsfestsetzung bestehen. In der Begründung sei ausgeführt, dass an der Mischgebietsfestsetzung nicht festgehalten werden könne, da sich nur Gewerbebetriebe angesiedelt hätten bzw. ansiedeln wollten. Die allgemeine Zweckbestimmung eines Gewerbegebiets sei weiterhin gewahrt. Nach geltungserhaltender Auslegung verbliebe jedenfalls eine wirksame Änderungsfassung.
Der Beklagte und der Beigeladene zu 2 haben sich im Berufungsverfahren zur Sache nicht geäußert.
Der Senat hat am 15. Dezember 2020 eine mündliche Verhandlung durchgeführt (im Verfahren 15 B 18.1171). Auf das diesbezügliche Protokoll wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Senat kann nach § 130a VwGO durch Beschluss entscheiden, da er die Berufung einstimmig für begründet und eine weitere mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Parteien wurden mit gerichtlichem Schreiben vom 10. Juni 2021 dazu angehört und der Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1 und 2 haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
1. Die zulässige Berufung ist begründet, da das Urteil des Verwaltungsgerichts nicht rechtmäßig ist. Die dem Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung vom 25. Juli 2015 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), denn das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich zulässig.
Dabei kann offenbleiben, ob die 2. Änderung des Bebauungsplans H … rechtswirksam ist, denn in jedem Fall ist die 1. Änderung des Bebauungsplans unwirksam und das Vorhaben ist im durch den ursprünglichen Bebauungsplan festgesetzten Mischgebiet bauplanungsrechtlich zulässig.
1.1 Die Festsetzung eines Sondergebiets “betriebsbedingtes Wohnen” mit der 2. Änderung des Bebauungsplans im Jahr 2015 ist nach § 11 Abs. 1 BauNVO möglicherweise unzulässig, da es sich von den Baugebieten nach §§ 2 bis 10 BauNVO nicht wesentlich unterscheidet (vgl. BayVGH, U.v. 17.10.2017 – 15 N 17.574 – NVwZ-RR 2018, 219 = juris Rn. 22; zu einem Sondergebiet “Seniorenwohnen, Hotel, Wohnen” OVG RhPf, U.v. 12.1.2021 – 8 C 10362/20 – juris Leitsatz). Dabei käme es nicht darauf an, ob dieser Fehler innerhalb der Rügefrist des § 215 Abs. 1 BauGB gerügt worden ist, sondern die Bebauungsplanänderung wäre insgesamt unwirksam.
1.2. Unabhängig davon, ob die 2. Änderung des Bebauungsplans H … aus dem Jahr 2015 rechtswirksam ist, ist für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Baugenehmigung aber auch die 1. Änderung des Bebauungsplans aus dem Jahr 1996 nicht heranzuziehen. Die dort getroffenen Festsetzungen zur Emissionsreduzierung und -kontingentierung finden keine Rechtsgrundlage im Baugesetzbuch und der Baunutzungsverordnung und führen zur Gesamtunwirksamkeit der 1. Änderung.
Nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO können Festsetzungen für die in den §§ 4 bis 9 BauNVO bezeichneten Baugebiete im Bebauungsplan getroffen werden, die diese nach der Art der Betriebe und deren besonderen Bedürfnissen und Eigenschaften gliedern. Das Emissionsverhalten eines Betriebes oder einer Anlage, ausgedrückt in einer Schallabstrahlung pro Flächeneinheit, ist dabei eine Eigenschaft von Betrieben und Anlagen i.S.v. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO (BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 4 CN 5.19 – juris Rn. 12). Die Festsetzung immissionswirksamer flächenbezogener Schallleistungspegel (IFSP) ist dabei grundsätzlich geeignet, das Emissionsverhalten als Eigenschaft von Betrieben und Anlagen im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO zu kennzeichnen (BVerwG, B.v. 18.12.1990 – 4 N 6.88 – NVwZ 1991, 881 = juris Rn.17; B.v. 27.1.1998 – 4 NB 3.97 – NVwZ 1998, 1067 = juris Rn. 7; B.v. 2.10.2013 – 4 BN 10.13 – ZfBR 2014, 148 = juris Rn. 5).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, wird dem Tatbestandmerkmal des Gliederns im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO aber nur Rechnung getragen, wenn das Baugebiet in einzelne Teilgebiete mit verschieden hohen Emissionsgrenzwerten zerlegt wird. Die Vorschrift ermöglicht eine räumliche Zuteilung von Emissionsrechten, nicht aber deren das gesamte Baugebiet erfassende Beschränkung. Dabei muss gewährleistet bleiben, dass vom Typ her nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe aller Art im konkreten Gewerbegebiet ihren Standort finden können. Das bedeutet, dass es in einem nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO intern gegliederten Baugebiet ein Teilgebiet ohne Emissionsbeschränkung geben muss (BVerwG, U.v. 7.12.2017 – 4 CN 7.16 – juris Rn. 15; B.v. 7.3.2019 – 4 BN 45.18 – juris Rn. 4; U.v. 18.2.2021 – 4 CN 5.19 – juris Rn. 13 ff.). Daran fehlt es hier.
Bei den in der 1. Änderung des Bebauungsplans H … festgesetzten Orientierungswertanteilen je Grundstücksfläche handelt es sich um flächenbezogene Schallleistungspegel, die grundsätzlich zulässigerweise festgesetzt werden konnten (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1990 – 4 N 6.88 – NVwZ 1991, 881 = juris Rn. 16 f.). Ob aktuell nur noch die aussagekräftigeren Methoden der Festsetzung von immissionswirksamen Schallleistungspegeln (IFSP) oder von Emissionskontingenten nach DIN 45691 (vgl. Storr, Emissionskontingentierung nach DIN 45691 und ihre Anwendung im Genehmigungsverfahrens, Lärmbekämpfung Bd. 5 (2010) Nr. 5, S. 196 ff.) gewählt werden können, spielt für eine Beurteilung der 1. Änderung des Bebauungsplans im Jahr 1996 keine Rolle. Die Festsetzung ist gleichwohl nicht rechtmäßig, denn es erfolgt dadurch keine Gliederung des eingeschränkten Gewerbegebiets nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO, sondern alle Flächen werden mit identischen Beschränkungen belegt. Eine solche Beschränkung des gesamten Gewerbegebiets ist auch nicht nach § 1 Abs. 5 BauNVO zulässig, denn danach können nur bestimmte Arten von Nutzungen, die nach den §§ 2 bis 9 sowie § 13 und § 13a BauNVO allgemein zulässig sind, ausgeschlossen werden, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 4 CN 5.19 – juris Rn. 15). Beim Emissionsverhalten handelt es sich aber nicht um eine Nutzungsart, sondern um eine Eigenschaft eines Betriebs i.S.d. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1990 a.a.O. Rn. 17; BVerwG, U.v. 18.2.2021 a.a.O. Rn. 12). Darüber hinaus findet sich im gesamten Umgriff des Bebauungsplans auch kein Bereich, der frei von Emissionsbeschränkungen ist. Dies ist aber zur Wahrung der Zweckbestimmung des jeweiligen Baugebiets erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 18.2.2021 a.a.O. Rn. 13). Dass eine baugebietsübergreifende Gliederung (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1990 a.a.O. Rn. 17) erfolgt ist, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Im Übrigen ist keine Rechtsgrundlage für die allgemeine Festsetzung ersichtlich, dass nachts zwischen 22:00 und 7:00 Uhr keine lärmintensiven Tätigkeiten zulässig sind. Ob eine derartige Festsetzung überhaupt hinreichend bestimmt wäre, kann daher offenbleiben.
Diese Fehler führen zur Gesamtunwirksamkeit der 1. Bebauungsplanänderung. Die Unwirksamkeit eines Teils eines Bebauungsplans hat nur dann nicht die Gesamtunwirksamkeit zur Folge, wenn die restlichen Festsetzungen auch ohne den ungültigen Teil noch eine sinnvolle städtebauliche Ordnung im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB bewirken können und mit der gebotenen Sicherheit anzunehmen ist, dass die Gemeinde auch einen Bebauungsplan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (vgl. BVerwG, B.v. 6.11.2007 – 4 BN 44.07 – juris Rn. 3; BayVGH, U.v. 19.2.2019 – 1 N 16.350 – juris Rn. 20; U.v. 5.2.2016 – 1 N 11.766 – juris Rn. 16). Nach der Planbegründung war vor allem wegen der unmittelbaren Nähe zum Wohngebiet die Einhaltung der Orientierungswerte der DIN 18005 – Beiblatt 1 zu gewährleisten und diese Werte waren nach Berechnungen des Landratsamts überschritten. Darüber hinaus sollten ausdrücklich nur solche Betriebe zulässig sein, die die schalltechnischen Anforderungen erfüllen. Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass die Emissionsbeschränkungen Grundlage der Bebauungsplanänderung waren und diese ohne derartige Beschränkungen insgesamt nicht vorgenommen worden wäre, denn die Festsetzung eines ausschließlich nach § 1 Abs. 5 BauNVO hinsichtlich der Nutzungsarten eingeschränkten Gewerbegebiets könnte die Immissionskonflikte mit der angrenzenden Wohnbebauung nicht lösen.
1.3 Gemessen an den ursprünglichen Festsetzungen des Bebauungsplans aus dem Jahr 1988 verletzt die Baugenehmigung vom 25. November 2015 den Kläger nicht in seinen Rechten. Das genehmigte Arbeiterwohnheim ist als Wohngebäude nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO im festgesetzten Mischgebiet zulässig. Gegen die Wirksamkeit der ursprünglichen Festsetzungen sind keine durchgreifenden Bedenken geltend gemacht worden, denn große Bereiche des Plangebiets sind noch unbebaut. Es ist daher ohne weiteres möglich, dass dort eine § 6 BauNVO entsprechende Nutzungsmischung entsteht. Andere nachbarschützende bauordnungs- oder bauplanungsrechtliche Vorschriften, die dem Wohnheim entgegenstehen und durch deren Nichtbeachtung der Kläger in seinen Rechten verletzt wäre, sind weder geltend gemacht worden noch ersichtlich. Insbesondere sind lärmintensive Tätigkeiten im Betrieb des Klägers nach den ihm erteilten Genehmigungen auf die Tagzeit beschränkt und Rücksichtnahme schon gegenüber der südlich liegenden Wohnbebauung erforderlich. Diesbezügliche Konflikte mit dem Wohnheim sind daher nicht zu befürchten.
Soweit der Kläger vorträgt, bei der vorhandenen Bausubstanz habe es sich um einen Schwarzbau gehandelt, so hat dies auf das vorliegende Verfahren, in dem die Rechtmäßigkeit der erteilten Baugenehmigung überprüft wird, keinen Einfluss. Mit der Genehmigung als Neubau sollten diesbezügliche Unklarheiten gerade beseitigt und das bestehende Gebäude legalisiert werden. Dass möglicherweise die ebenfalls schon vorhandenen Nebengebäude und Garagen nicht baurechtlich genehmigt sind, spielt keine Rolle, denn diese sind von der Baugenehmigung ausdrücklich nicht umfasst.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene zu 1 einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass der Kläger auch deren außergerichtliche Kosten trägt. Die Beigeladene zu 2 trägt ihre außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst, weil sie im Berufungsverfahren keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, Anhang) und entspricht der Festsetzung im erstinstanzlichen Verfahren, gegen die keine Einwände erhoben worden sind.
4. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.


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