Aktenzeichen 1 ZB 19.1575
ZPO § 512
WHG § 78
Leitsatz
1. Die Ablehnung eines Befangenheitsantrags ist eine gem. § 146 Abs. 2 VwGO nicht mit der Beschwerde anfechtbare Vorentscheidung und ist gem. § 173 VwGO iVm § 512 ZPO der Überprüfung in einem Berufungsverfahren entzogen; eine Ausnahme gilt nur für solche Mängel, die als Folge der beanstandeten Vorentscheidung weiterwirkend dem angefochtenen Urteil selbst anhaften. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine wasserrechtliche Genehmigung wird selbständig neben einer Baugenehmigung erteilt, auch wenn beide Genehmigungen in einem Bescheid zusammengefasst werden können, sodass mit einer Klage gegen die Baugenehmigung nicht das Fehlen einer wasserrechtlichen Erlaubnis geltend gemacht werden kann. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
M 9 K 18.32944 2019-07-03 Urt VGMUENCHEN VG München
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin wendet sich gegen die Baugenehmigung für den Neubau von zwei Doppelhäusern (hier DHH 1, 2 und 4) mit Garagen und Stellplätzen. Sie ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung G… Alle Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … „S…“. Die Klägerin hat gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 25. Juli 2018 Klage erhoben und einen Eilantrag gestellt. Das Beschwerdeverfahren hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. Februar 2019 nach Rücknahme der Beschwerde eingestellt. Ihre Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 25. Juli 2018 hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 3. Juli 2019 unter Bezugnahme auf den Eilbeschluss vom 17. Januar 2019 abgewiesen. Eine Verletzung des baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme im Hinblick auf die „Entwässerung“ des Vorhabengrundstücks sei nicht zu erkennen, insbesondere enthalte die Baugenehmigung keine Aussage zur Oberflächenentwässerung. Das Vorhaben sei auch nicht rücksichtslos in Bezug auf hochwasserbezogene Auswirkungen des Bauvorhabens auf das Nachbargrundstück. Aus den Vorschriften des WHG ergebe sich keine Nachbarrechtsverletzung, das Vorhabengrundstück liege weder in einem festgesetzten noch in einem vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiet.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe des Vorliegens eines Verfahrensfehlers (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Die Berufung ist nicht wegen eines Verfahrensmangels (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) zuzulassen.
Die Klägerin rügt, dass die Vorsitzende Richterin zu Unrecht an den beiden Beschlüssen, die die gestellten Befangenheitsanträge abgelehnt haben, mitentschieden habe. Es liege ein absoluter Revisionsgrund vor und die Vorsitzende Richterin hätte auch an dem erlassenen Urteil nicht mitwirken dürfen. Der geltend gemachte absolute Verfahrensfehler liegt nicht vor. Denn die Entscheidung (über den zweiten Befangenheitsantrag) ist nicht unter Mitwirkung eines mit Erfolg abgelehnten Richters ergangen. Auch die gerügte vorschriftswidrige Besetzung des Verwaltungsgerichts lässt nicht auf eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge schließen. Die Ablehnung eines Befangenheitsantrags ist eine gemäß § 146 Abs. 2 VwGO nicht mit der Beschwerde anfechtbare Vorentscheidung und ist gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 512 ZPO der Überprüfung in einem Berufungsverfahren entzogen. Eine Ausnahme gilt nur für solche Mängel, die als Folge der beanstandeten Vorentscheidung weiterwirkend dem angefochtenen Urteil selbst anhaften (vgl. BVerwG, B.v. 4.12.1998 – 8 B 187.98 – NVwZ-RR 2000, 257; Rudisile in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 124 Rn. 59). Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn eine Verletzung der prozessualen Gewährleistungen der Verfassung vorliegt. Die Grenze zur Verfassungswidrigkeit ist aber erst dann überschritten, wenn die fehlerhafte Auslegung oder Anwendung des einfachen Rechts willkürlich oder manipulativ ist (vgl. BVerwG, B.v. 15.10.2001 – 8 B 104.01 – NVwZ-RR 2002, 150). Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfG, B.v. 18.12.2007 – 1 BvR 1273/07 – NVwZ-RR 2008, 289; BVerwG, B.v. 15.5.2008 – 2 B 77.07 – NVwZ 2008, 1025).
Gemessen an diesen Maßstäben liegt ein die Zulassung der Berufung rechtfertigender Verfahrensmangel nicht vor bzw. ist nicht dargelegt. Der gegen die Vorsitzende Richterin gerichtete (erste) Befangenheitsantrag, der damit begründet wurde, dass umfangreiche Unterlagen des Gerichts erst drei Tage vor Erlass des Beschlusses des Verwaltungsgerichts (im Eilverfahren) zugeleitet worden seien und die Vorsitzende Richterin dem Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung nicht entsprochen habe, wurde von der Kammer unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin als unzulässig verworfen. Das Vorbringen sei von vorneherein ersichtlich ungeeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Der Vortrag zum Prozedere der Akteneinsicht erschließe sich angesichts der (durchgeführten) Verfahrensgestaltung durch den zuständigen Berichterstatter gemäß § 87 VwGO nicht. Die Entscheidung, den Termin nicht abzusetzen, stelle eine wohlbegründete prozessleitende Verfügung dar. Dass die Klägerin insoweit eine andere Rechtsauffassung vertrete, reiche offensichtlich nicht aus, um eine Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Unabhängig davon erschöpfe sich das Vorbringen in der Bezeichnung einer Entscheidung des Gerichts als rechtswidrig und in unqualifizierten Angriffen gegen die Vorsitzende Richterin. Diese Erwägungen des Verwaltungsgerichts sind nicht willkürlich, sondern nachvollziehbar. Insbesondere war ein erheblicher Grund für eine Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung von der Klägerin nicht dargelegt worden. Die Vorsitzende Richterin hat die Ablehnung des Antrags u.a. damit begründet, dass andere Termine eines Bevollmächtigten kein erheblicher Grund seien, wenn wie hier eine Rechtsanwaltsgesellschaft bevollmächtigt sei und eine Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt der Gesellschaft unter Berücksichtigung des einfach gelagerten Sach- und Streitstands unter ausreichender Vorbereitungszeit mit vertretbarem Aufwand möglich und zumutbar sei. Angesichts des Amtsermittlungsgrundsatzes könne auch ein junger Berufsanfänger den Termin problemlos bewältigen. Das Verwaltungsgericht konnte das Ablehnungsgesuch auch unter Mitwirkung der abgelehnten Vorsitzenden Richterin als unzulässig ablehnen. Denn es war rechtsmissbräuchlich, da es nur mit solchen Umständen begründet wurde, die eine Befangenheit unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen konnte (vgl. BVerfG, B.v. 18.12.2007 – 1 BvR 1273/07 – NVwZ-RR 2008, 289). Diese Erwägungen gelten auch für den zweiten, in der mündlichen Verhandlung gestellten, Befangenheitsantrag gegen die drei Berufsrichter der erkennenden Kammer, der ebenfalls als unzulässig abgelehnt wurde. Er sei rechtsmissbräuchlich, da die Thematik der Akteneinsicht bereits im ersten Ablehnungsgesuch behandelt worden sei und diese Vorgänge über fünf Monate zurücklägen. Es sei daher von vornherein nicht ersichtlich, inwiefern eine Verkürzung des rechtlichen Gehörs vorliegen solle. Auch diese Erwägungen des Verwaltungsgerichts sind nicht willkürlich, sondern nachvollziehbar. Die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs konnte hier auch unter Mitwirkung der abgelehnten Richter zu Recht erfolgen. Denn die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs unter Mitwirkung der abgelehnten Richter kommt insbesondere in Betracht, wenn nicht ein einzelner Richter, sondern alle Mitglieder eines Spruchkörpers oder eines Gerichts abgelehnt werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.1975 – VI C 129.74 – BVerwGE 50, 36). Maßgebend ist, ob die Partei Befangenheitsgründe vorträgt und glaubhaft macht, die sich individuell auf den oder die an der zu treffenden Entscheidung beteiligten Richter beziehen. Das ist nicht schon der Fall, wenn die betreffenden Richter im Ablehnungsgesuch namentlich aufgeführt werden. Auch soweit im Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 28. November 2019 ausgeführt wird, die Richter hätten an der Entscheidung mitgewirkt, bei der auch die Vorsitzende Richterin mitentschieden habe, wird ungeachtet der Frage einer hinreichenden Darlegung nur eine abweichende Rechtsaufassung vertreten.
Soweit die Klägerin einen weiteren Verfahrensmangel darin sieht, dass das Verwaltungsgericht die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Lichtbilder nicht gewürdigt habe sowie dass die Verhandlung in einem „schroffen“ Ton geführt worden sei und das Gericht damit seine Aufklärungspflicht verletzt habe, fehlt es an einer substantiierten Darlegung, inwieweit das angefochtene Urteil unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts auf dem Mangel beruhen kann (BVerwG, B.v. 30.12.2016 – 9 BN 3.16 – juris Rn. 4; B.v. 28.12.2011 – 9 B 53.11 – NVwZ 2012, 512).
2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts begegnet im Rahmen der dargelegten Zulassungsgründe keinen ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die angefochtene Baugenehmigung nicht gegen nachbarschützende Rechtsvorschriften verstößt, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
Soweit die Klägerin unter Bezugnahme auf den Bebauungsplan geltend macht, dass ein schadloses Abführen von Oberflächenwasser nicht (mehr) gewährleistet sei, fehlt es bereits an einer entsprechenden Regelung in der angefochtenen Baugenehmigung. Der Prüfungsumfang und damit zugleich die Feststellungswirkung der im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren erteilten Baugenehmigung enthält hier gemäß Art. 59 Satz 1 BayBO dazu keine Aussage. Der diesbezüglich relevante Plan Nr. 7 in der Baugenehmigungsakte zur Grundstücksteilung und Entwässerung ist nicht abgestempelt. Wenn aber der Inhalt der erteilten Baugenehmigung durch das Landesrecht bestimmt wird, so kann nicht zweifelhaft sein, dass auf Bauordnungsrecht beruhende Nachbarrechte durch die Baugenehmigung nicht verletzt werden können, weil über sie nicht in der Genehmigung entschieden worden ist (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244.96 – NVwZ 1998, 58). Die Anfechtung der Baugenehmigung geht deshalb ins Leere. Es kommt daher weder entscheidend auf einen von der Klägerin behaupteten Drittschutz der Festsetzung des rechtsgültigen Bebauungsplans an noch auf etwaige frühere Beeinträchtigungen des klägerischen Grundstücks durch abfließendes Hangwasser.
Soweit die Klägerin weiter beanstandet, dass das Landratsamt in Kenntnis der (behaupteten) unzureichenden Verrohrung und der dadurch vorhandenen Gefährdungslage keine Stellungnahme des Wasserwirtschaftsamts eingeholt habe, macht sie eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen hochwasserschutz-rechtlicher Folgen eines Bauvorhabens geltend. Dabei übersieht sie zunächst, dass es sich bei der Baugenehmigung und der für erforderlich gehaltenen Ausnahmegenehmigung nach § 78 Abs. 5 Satz 1 WHG um zwei eigenständige Genehmigungen handelt. Eine wasserrechtliche Genehmigung wird selbständig neben einer Baugenehmigung erteilt, auch wenn beide Genehmigungen in einem Bescheid zusammengefasst werden können. Mit einer Klage gegen die Baugenehmigung kann nicht das Fehlen einer wasserrechtlichen Erlaubnis geltend gemacht werden (vgl. BayVGH, B.v. 4.2.2014 – 8 CS 13.1848 – juris Rn. 16; Rossi in Sieder-Zeitler-Dahme, Wasserhaushaltsgesetz, Stand 1. August 2019, § 78 Rn. 58 und 71). Weiter gilt § 78 Abs. 4 und 5 WGH nur für festgesetzte Überschwemmungsgebiete, die Vorschriften sind gemäß § 78 Abs. 8 WHG für vorläufig gesicherte Gebiete entsprechend anwendbar. Dass ein solches Gebiet vorläge, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die von der Klägerin im Zulassungsverfahren vorgelegte Karte des Bayerischen Landesamts für Umwelt belegt vielmehr, dass ihr Grundstück in einem „Wassersensiblen Bereich“ liegt. Im Unterschied zu amtlich festgesetzten oder für die Festsetzung vorgesehenen Überschwemmungsgebieten kann bei diesen Flächen nicht angegeben werden, wie wahrscheinlich Überschwemmungen sind. Auch kann aufgrund des Maßstabs und einer fehlenden Darstellung von Grundstücksgrenzen die Betroffenheit einzelner Grundstücke nicht abgelesen werden. In diesen Gebieten kommt ggf. eine dem Hochwasserrisiko angepasste Bauweise in Betracht (vgl. § 78b WHG).
3. Bezüglich des Zulassungsgrundes der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) fehlt in dem Zulassungsantrag bereits die Nennung einer obergerichtlichen Entscheidung, von der das Urteil des Verwaltungsgerichts abweichen sollte.
4. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, da sie sich im Verfahren nicht geäußert haben. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).