Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung für eine Doppelhaushälfte

Aktenzeichen  Au 4 K 17.701

Datum:
8.11.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauNVO BauNVO § 15 Abs. 1 S. 2, § 22 Abs. 2
BauGB BauGB § 31 Abs. 2
BayBO BayBO Art. 66

 

Leitsatz

Die Festsetzung eines Einzelhauses stellt keine Vorgabe zur Errichtung eines „Einfamilienhauses“ dar (vgl. VG Augsburg BeckRS 2013, 59390 mwN). Welche Größe der Baukörper hat und wie viele Wohnungen sich darin befinden, ist für die Frage, ob es sich um ein Einzelhaus handelt, ohne Belang (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 28.1.2008 – 4 Bs 207/07). (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Gem. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO können sich Dritte – wie hier die Kläger als Nachbarn – gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg zur Wehr setzen, wenn diese rechtswidrig ist sowie die Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem Schutz der betroffenen Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. etwa BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 16 m.w.N.). Eine solche Verletzung nachbarschützender Rechte liegt hier nicht vor.
Unerheblich ist, ob die Nachbarbeteiligung gem. Art. 66 BayBO ordnungsgemäß erfolgt ist. Art. 66 BayBO ist keine drittschützende Vorschrift in dem Sinne, dass der Nachbar allein wegen ihrer Missachtung die Baugenehmigung erfolgreich anfechten könnte (BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – a.a.O.).
Eine Nachbarrechtsverletzung der Kläger ergibt sich auch nicht daraus, dass abweichend von dem im Bebauungsplan für das Vorhabengrundstück bzw. das frühere Gesamtgrundstück Fl.Nr. * festgesetzten Einzelhauses ein Doppelhaus bzw. eine Doppelhaushälfte genehmigt und weitere Befreiungen erteilt wurden. Wurden gem. § 31 Abs. 2 BauGB Befreiungen von Festsetzungen des Bebauungsplans erteilt, kommt es darauf an, ob die Befreiungen nachbarschützende Vorschriften betreffen. Bei einer Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung ist der Nachbar in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht erfüllt ist Bei einer Befreiung von einer Festsetzung, die nicht (auch) den Zweck hat, die Rechte der Nachbarn zu schützen, sondern nur dem Interesse der Allgemeinheit an einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz nach den Grundsätzen des im Tatbestandsmerkmal „unter Würdigung nachbarlicher Interessen“ enthaltenen Rücksichtnahmegebots (§ 31 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO). Nachbarrechte werden in diesem Fall nicht schon dann verletzt, wenn die Befreiung objektiv rechtswidrig ist, sondern nur, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. etwa BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 1 CS 17.693 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall betreffen die Befreiungen keine nachbarschützende Festsetzung, so dass sich die Kläger allein auf das Rücksichtnahmegebot berufen können. Auch dieses ist jedoch nicht verletzt.
Die von den Klägern als verletzt gerügte Festsetzung eines Einzelhauses stellt keine Vorgabe zur Errichtung eines „Einfamilienhauses“ dar (VG Augsburg, U.v. 13.11.2013 – Au 4 K 13.564 – juris Rn. 25 m.w.N.). Welche Größe der Baukörper hat und wie viele Wohnungen sich darin befinden, ist für die Frage, ob es sich um ein Einzelhaus handelt, ohne Belang (OVG Hamburg, B.v. 28.1.2008 – 4 Bs 207/07 – juris Rn. 21). Die Anzahl der in einem Einzelhaus zulässigen Wohnungen ist nicht beschränkt; im bauplanungsrechtlichen Sinne (§ 22 Abs. 2 BauNVO) ist ein Einzelhaus schlicht ein Baukörper mit allseitigem Grenzabstand; im Gegensatz zum Doppelhaus, das auf einer Seite an die Grundstücksgrenze gebaut ist, und zur Hausgruppe, die sich über mehrere Grundstücke erstreckt. Selbst Wohnblocks sind Einzelhäuser (OVG Lüneburg, B.v. 18.7.2014 – 1 LA 168/13 – juris Rn. 8).
Es bestehen auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Satzungsgeber mit der Festsetzung „Einzelhaus“ in Wahrheit ein „Einfamilienhaus“ gemeint haben könnte. Die betreffende Festsetzung (Nr. 4,2 der textlichen Festsetzungen) befindet sich im Abschnitt „Bauweise“; sie greift damit offenkundig die Regelungen in § 22 Abs. 2 (insbes. Satz 2) BauNVO 1968 (zu deren Anwendbarkeit vgl. § 25a BauNVO) auf. Eine Beschränkung der Wohneinheiten – wie für ein Einfamilienhaus erforderlich – enthält der Bebauungsplan nicht. Dies folgt auch aus Nr. 1,4 der textlichen Festsetzungen, denn (nur) für das dort genannte Grundstück hat der Satzungsgeber gem. § 4 Abs. 4 BauNVO 1968 die Höchstzahl der Wohnungen auf zwei festgelegt.
Hinsichtlich der damit in Rede stehenden Bauweise besteht kein – beeinträchtigungsunabhängiger – Gebietserhaltungsanspruch der Kläger. Ein solcher ist lediglich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung anerkannt (vgl. OVG Lüneburg, B.v. 18.7.2014 – 1 LA 168/13 – juris Rn. 8). Anhaltspunkte dafür, dass der Bebauungsplan gerade der mit in Nr. 4,2 vorgenommenen Festsetzung „Einzelhaus“ einen Nachbarschutz, insbesondere des klägerischen Grundstücks, bezwecken wollte, bestehen nicht. Die in Nr. 4,1 der Satzung vorgenommene, grundsätzlich nachbarschützende Festsetzung der offenen Bauweise in Bezug auf die Errichtung von Gebäuden mit seitlichem Grenzabstand (vgl. BayVGH, B.v. 14.11.2007 – 25 CS 07.2207 – juris Rn. 3; Simon/Busse, BayBO, Art. 66 Rn. 367) ist hier hinsichtlich des klägerischen Grundstücks gewahrt.
Soweit die Baugenehmigung Befreiungen von Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung (hier: Geschossigkeit / Wandhöhe) und zur überbaubaren Grundstücksfläche (hier: Baugrenze) enthält, betrifft dies ebenfalls grundsätzlich keine nachbarschützenden Regelungen (vgl. BayVGH, B.v. 1.12.2016 – 1 ZB 15.1841 – juris Rn. 4 zum Maß der baulichen Nutzung; BayVGH, B.v. 28.3.2017 – 15 ZB 16.1306 – juris Rn. 10 zur Baugrenze). Ein anderer Wille des Satzungsgebers lässt sich nicht, schon gar nicht mit der gebotenen hinreichenden Deutlichkeit, aus dem Bebauungsplan oder seiner Begründung entnehmen.
Das nach allem den Klägern allein zustehende Rücksichtnahmegebot ist nicht verletzt; die Kläger werden durch die erteilten Befreiungen nicht unzumutbar beeinträchtigt. Unerheblich ist zunächst, wie sich die Bebauung in der näheren Umgebung darstellt. Maßgeblich kommt es hier nicht auf ein „Einfügen“ gem. § 34 Abs. 1 BauGB, sondern auf eine Würdigung der nachbarlichen Interessen gem. § 31 Abs. 2 BauGB an, wobei diese hier – wie ausgeführt – nur bei einer Unzumutbarkeit nicht gewahrt sind. Hinsichtlich der von den Klägern vor allem beanstandeten Befreiung von der Festsetzung eines Einzelhauses gilt, dass es für die Kläger in Bezug auf die hier, wie ausgeführt, allein interessierende Bauweise keinen Unterschied macht, ob ein Einzelhaus oder ein Doppelhaus genehmigt wird, so lange – wie geschehen – ein Baukörper mit seitlichen Grenzabstand zu ihrem Grundstück genehmigt wird. Die Befreiung hinsichtlich der Wandhöhe beruht auf einer zurückgesetzten Außenwand, wodurch der Baukörper gerade zum Grundstück der Kläger hin etwas zurückspringt. Angesichts der im Bereich des Rücksprungs annährend verlaufenden Baugrenze wäre bis zu dieser Stelle ohnehin eine Bebauung zulässig gewesen. Die etwas höhere Wandhöhe in diesem Bereich führt zu keiner unzumutbaren Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks. Insbesondere bleibt die gesamte Süd- und Südwestseite von Bebauung frei. Die Abstandsflächen gem. Art. 6 BayBO werden – obwohl nicht vom Regelungsgehalt der nach Art. 59 BayBO ergangenen Baugenehmigung umfasst – ausweislich des im Baugenehmigungsverfahrens vorgelegten entsprechenden Plans bei weitem eingehalten. Ebenso wie beim klägerischen Anwesen sieht das genehmigte Bauvorhaben ferner die Errichtung einer grenzständigen Garage vor, bevor dann, deutlich abgesetzt von der Grundstücksgrenze, das Wohngebäude folgt. Von einer – gerade durch die erteilte Befreiung – hervorgerufenen abriegelnden, erdrückenden oder einmauernden Wirkung des Bauvorhabens kann daher keine Rede sein.
Gleiches gilt für die Befreiung von der festgesetzten Baugrenze. Diese betrifft – was die Ausrichtung zu den Klägern angeht – in nennenswerter Weise lediglich den Bereich der Terrasse und der Balkone; insofern sind die nachteiligen Wirkungen des Baukörpers auf das klägerische Grundstück trotz Überschreitung der Baugrenze gemindert. Vor der Möglichkeit, in andere Grundstücke von benachbarten Häusern aus Einsicht nehmen zu können, schützt das Gebot der Rücksichtnahme grundsätzlich nicht (vgl. BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 9 ZB 14.2853 – juris Rn. 10). Anhaltspunkte für einen Ausnahmefall sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Dies folgt schon aus der Größe des klägerischen Grundstücke und ihres Gartenbereichs. Hinsichtlich einer Einsicht von der – deutlich großzügiger als die Balkone dimensionierten – Terrasse bietet die sich auf dem klägerischen Grundstück befindliche Hecke Schutz. Die beiden Balkone sind in südöstlicher Richtung ausgerichtet; die von ihnen ausgehenden Einsichtnahmemöglichkeiten betreffen also vor allem den vom klägerischen Wohngebäude weiter entfernt liegenden Bereich des Gartens, zumal die Balkone, verstärkt durch ihre Eingliederung in den Baukörper, deutlich über 7 m abgesetzt vom klägerischen Grundstück errichtet werden. Zutreffend weist zudem der Beklagte darauf hin, dass bei einem Einzelhaus mit mehreren Wohneinheiten – wie nach dem Bebauungsplan zulässig – eher eine parallele Nutzung von Balkonen anzunehmen ist als bei der hier genehmigten Doppelhaushälfte mit einer Wohneinheit.
Die von den Klägern befürchteten Schäden durch Sprengungen im Rahmen der Bauausführung sind für die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung unerheblich. Gem. Art. 68 Abs. 4 BayBO wird die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt. Anhaltspunkte dafür, dass die Beschaffenheit des Grundstücks für die beabsichtigte Bebauung ungeeignet ist (Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 BayBO) bestehen nicht. Hiergegen spricht bereits die Tatsache, dass die mit dem Bebauungsplan zugelassene Errichtung zahlreicher Gebäude in dem Gebiet weitgehend erfolgt ist. Der Bebauungsplan weist selbst darauf hin (Begründung, Nr. 1,3), dass der gegebene Untergrund großteils als Baugrund gut geeignet ist, jedoch stellenweise Felseinschlüsse zu erwarten seien. Dass dies der Errichtung des genehmigten Gebäudes nicht entgegensteht, zeigen bereits die Schilderungen der Kläger zum Bau ihres Wohnanwesens.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst, da sie keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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