Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung für Lagerhalle im Mischgebiet und Verletzung des Rücksichtnahmegebots

Aktenzeichen  W 5 K 16.806

Datum:
19.4.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 17151
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1, Abs. 2
BauNVO § 6 Abs. 2 Nr. 4, § 15 Abs. 1 S. 2
BayBO Art. 6, Art. 59 Abs. 1
TA Lärm Nr. 6.1

 

Leitsatz

1 Die vom Abstandsflächenrecht geschützten Belange einer ausreichenden Belichtung, Belüftung, Besonnung und Wahrung des sozialen Friedens haben auch städtebauliche Bedeutung. Es ist daher bei offenkundig nicht eingehaltenen Abstandsflächen zu prüfen, ob hierin nicht zugleich auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gesehen werden kann. Ansonsten kommt eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nur in Betracht, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft zB befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das BImSchG legt allgemein die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht fest. Das gilt auch für das in § 15 Abs. 1 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmegebot. Dieses ist in der Regel nicht verletzt, wenn die immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte der TA Luft, TA Lärm oder vergleichbarer Regelwerke eingehalten werden (Verletzung hier verneint durch Lagerhalle in faktischem Mischgebiet). (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Kläger werden durch die streitgegenständliche Baugenehmigung nicht in drittschützenden Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung können sich Dritte gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit auf der Verletzung öffentlich-rechtlicher Vorschriften beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind, weil dieser in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist (vgl. BVerwG, U. v. 26.9.1991 – 4 C 5/87 – juris; BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Weiter ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und der Nachbar ist darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B. v. 16.1.1997 – 4 B 244/96 – juris; BayVGH, B. v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris).
Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt weder nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts (vgl. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 BayBO), noch sonstige nachbarschützende Vorschriften, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. Art. 59 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 BayBO).
1. Die streitgegenständliche Baugenehmigung verletzt keine nachbarschützenden Vorschriften des Bauplanungsrechts. Die Kläger werden durch sie weder in ihrem Gebietserhaltungsanspruch verletzt noch verstößt sie gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
1.1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich vorliegend nach § 34 BauGB.
Für die Frage der Abgrenzung des Innenbereichs zum Außenbereich kommt es wesentlich darauf an, wie weit der Bebauungszusammenhang im Verhältnis zum Außenbereich reicht. Die Grenzziehung richtet sich danach, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung den Eindruck der Geschlossenheit (Zusammengehörigkeit) vermittelt. Grundsätzlich endet der im Zusammenhang bebaute Ortsteil mit der letzten Bebauung. Die sich ihr anschließenden selbständigen Flächen gehören zum Außenbereich (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGBBauNVO, 127. EL Okt. 2017, § 34 BauGB Rn. 25, unter Bezugnahme auf BVerwG, U. v. 12.10.1973 – 4 C 3/72 – juris). Wo die Grenze eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils und damit die Grenze zwischen Innen- und Außenbereich verläuft, lässt sich nicht unter Anwendung von geografisch-mathematischen Maßstäben bestimmen, sondern bedarf einer Beurteilung der gesamten örtlichen Gegebenheiten im konkreten Einzelfall, insbesondere der vorhandenen baulichen Anlagen sowie darüber hinaus auch anderer topografischer Verhältnisse wie z. B. Geländehindernisse, Erhebungen oder Einschnitte (Dämme, Gräben, Flüsse u.ä.) und Straßen. Beachtlich ist dabei, inwieweit nach der maßgeblichen Betrachtungsweise der Verkehrsauffassung die aufeinander folgende Bebauung trotz der vorhandenen Baulücke den Eindruck der Geschlossenheit bzw. der Zusammengehörigkeit vermittelt (BayVGH, U. v. 1.2.2010 – 14 B 08.2892 und 14 B 08.2893, unter Bezugnahme auf BVerwG, U. v. 14.11.1991 – 4 C 1/91 und U. v. 1.12.1972 – IV C 6.71 – alle juris).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze befindet sich das streitgegenständliche Grundstück nicht im Außenbereich. Nördlich des geplanten Vorhabens liegen sowohl das genehmigte und errichtete Wohnhaus der Tochter der Kläger sowie das Wohnhaus der Kläger selbst. Dabei grenzt die Bebauung auf dem Grundstück Fl.Nr. …2/1 der Gemarkung L … an die östliche Grundstücksgrenze und somit an die dort befindliche Hecke und den Feldweg an. Westlich der geplanten Lagerhalle befindet sich im unmittelbaren Anschluss die bereits errichtete Lagerhalle des Beigeladenen. In südlicher Richtung ist das angrenzende Grundstück Fl.Nr. …5 der Gemarkung L … ebenfalls bis zu der am östlichen Rand des Grundstücks gelegenen Hecke und dem Feldweg mit Gebäuden bebaut und auch umzäunt. Westlich aller vorgenannten Grundstücke schließt sich sodann die weitere Bebauung in der Ortschaft Burkhardroth-L … an. Das Baugrundstück selbst ist schließlich bis zu der am östlichen Rand des Baugrundstücks angrenzenden Hecke und den Feldweg umzäunt. Die geplante Lagerhalle schließt daher lediglich eine Baulücke, die sich bereits in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil befindet. Die vorhandene Bebauung vermittelt dabei bis zu der entlang des östlich gelegenen Feldweges verlaufenden Hecke den Eindruck der Geschlossenheit. Dass der Flächennutzungsplan die Baufläche als Außenbereich ausweist, steht dem nicht entgegen. Maßgeblich ist insoweit allein der tatsächlich vorhandene Bebauungszusammenhang (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGBBauNVO, § 34 BauGB Rn. 25).
1.2. Weiter ist die geplante Lagerhalle in dem vorliegenden faktischen Mischgebiet allgemein zulässig (§ 34 Abs. 2 BauGB, § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO).
Nach § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB müssen die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a BauGB erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens gemäß § 34 Abs. 2 BauGB nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Abs. 1 BauGB, im Übrigen ist § 31 Abs. 2 BauGB entsprechend anwendbar.
Die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgebende nähere Umgebung reicht so weit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann und soweit die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch mit beeinflusst (vgl. BayVGH, B. v. 20.9.2012 – 15 ZB 11.460 – juris). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, B. v. 28.8.2003 – 4 B 74/03 – juris). Prägend für das Baugrundstück kann nicht nur die Bebauung wirken, die gerade in dessen unmittelbarer Nachbarschaft überwiegt, sondern auch diejenige der weiteren Umgebung. Zur maßgeblichen Umgebung gehört dabei allein, was an Bebauung tatsächlich bereits vorhanden ist (BVerwG, U. v. 12.6.1970 – IV C 77.68 – juris).
Nach diesen Maßstäben wird das hier maßgebliche Gebiet begrenzt durch die Straße … …, den T … und dem östlich gelegenen Feldweg und der hier verlaufenden Hecke, die den Innenbereich vom Außenbereich abgrenzen. Denn bei dem T … und der Straße … … handelt es sich um verhältnismäßig große Straßen, die die nähere Umgebung abgrenzen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass in dem betreffenden Bereich eine eher aufgelockerte Bauweise vorliegt, die sich insoweit von der Bebauung jenseits des T … und der Straße … … unterscheidet, sodass auch in dieser Hinsicht eine Abgrenzung der näheren Umgebung anzunehmen ist.
Dieser so festgelegte Umgriff entspricht einem Mischgebiet nach § 6 BauNVO, nicht aber einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 BauNVO. Denn der bereits vorhandene Maler- und Verputzerbetrieb auf dem Baugrundstück selbst sowie der bereits vorhandene Reparaturbetrieb für Campingfahrzeuge südlich des Baugrundstücks widersprechen bereits einer solchen Einstufung des Gebietscharakters. Das allgemeine Wohngebiet dient vorwiegend dem Wohnen. Als Gewerbebetriebe sind lediglich solche ausnahmsweise zulässig, die das Wohnen nicht stören. Dies führt dazu, dass insbesondere Kfz-Werkstätten in allgemeinen Wohngebieten grundsätzlich unzulässig sind (vgl. BVerwG, B. v. 11.4.1975 – 4 B 37.75 – juris). Hiervon ist die Rechtsprechung zwar vereinzelt in besonderen Ausnahmefällen abgewichen (OVG Berlin, U. v. 20.9.1985 – 2 B 128.83 – juris), eine solche Abweichung ist im vorliegenden Fall jedoch nicht angezeigt. Es liegen keine besondere Umstände vor, aufgrund derer der hier vorhandene Kfz-Reparaturbetrieb für Campingfahrzeuge einen Ausnahmefall darstellen und daher im allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig sein sollte. Darüber hinaus handelt es sich auch bei dem schon vorhandenen Maler- und Verputzerbetrieb um einen in einem allgemeinen Wohngebiet unzulässigen Gewerbebetrieb, da er jedenfalls Geräuschemissionen erwarten lässt. Schließlich dient die Bebauung in der hier maßgeblichen näheren Umgebung unter Berücksichtigung der ebenfalls vorhandenen Garagen für Oldtimer und dem ehemaligen landwirtschaftlichen Betrieb und jetzigen Wohnnutzung mit Hobbytierhaltung auch nicht überwiegend dem Wohnen.
Vielmehr stehen die Wohnnutzung und die gewerbliche Nutzung hier gleichwertig nebeneinander, ohne dass die eine Nutzungsart gegenüber der anderen Nutzungsart ein deutliches Übergewicht gewonnen hat (Decker in Jäde/Dirnberger, BauGB – BauNVO, 8. Aufl. 2017, § 6 BauNVO Rn. 5). Zudem handelt es sich bei den vorhandenen Gewerbetrieben jeweils um solche, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Einerseits sind Gewerbebetriebe im Mischgebiet eingeschränkter zulässig als in Gewerbegebieten, andererseits muss das Wohnen im Mischgebiet ein höheres Maß an Störungen dulden als in den Wohngebieten (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB – BauNVO, § 6 BauNVO Rn. 12). Von vorne herein typischerweise in einem Mischgebiet unzulässig sind genehmigungsbedürftige Anlagen im Sinne von § 4 BImSchG (BVerwG, B. v. 2.2.2000 – 4 B 87/99 – juris). Eine solche ist hier aber nicht gegeben. Insbesondere eine Kfz-Werkstatt kann in einem Mischgebiet zulässig sein (BVerwG, U. v. 7.2.1986 – 4 C 49.82 – juris). Nach Größe und Umfang des Reparaturbetriebs für Campingfahrzeuge ist davon auszugehen, dass er das Wohnen nicht wesentlich stört. Gleiches gilt für den Maler- und Verputzerbetrieb des Beigeladenen, der lediglich vier Beschäftigte umfasst. Damit entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem Mischgebiet. In diesem ist das Vorhaben nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO allgemein zulässig.
1.3. Das Vorhaben verletzt auch nicht das Gebot der Rücksichtnahme (§ 15 Abs. 1 BauNVO, § 34 Abs. 1 BauGB).
Nach § 15 Abs. 1 BauNVO sind die in den §§ 2-14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang und Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebietes widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U. v. 25.3.1977 – 4 C 22/75 – juris) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksicht verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (BVerwG, U. v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die den Klägern aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihnen als Nachbarn billigerweise noch zumutbar ist (Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 13. Aufl. 2016, Vorbem. zu §§ 29 – 38 Rn. 49). Die Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften gehört im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht mehr zum Prüfungsgegenstand. Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot selbstständig neben dem bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften zu prüfen ist (BVerwG, B. v. 11.1.1999 – 4 B 128/98 – juris; BayVGH, B. v. 21.1.2008 – 15 ZB 06. 2.3.2004 – juris). Dennoch ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die vom Abstandsflächenrecht geschützten Belange einer ausreichenden Belichtung, Belüftung, Besonnung und Wahrung des sozialen Friedens auch städtebauliche Bedeutung haben (BVerwG, U. v. 16.5.1991 – 4 C 17/90 – juris). Es ist daher bei offenkundig nicht eingehalten Abstandsflächen zu prüfen, ob hierin nicht zugleich auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gesehen werden kann (Wolf in Simon/Busse, BayBO, 128. EL Dez. 2017, Art. 59 Rn. 43). Ansonsten kommt eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nur in Betracht, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft z.B. befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird (vgl. z.B. BVerwG, U. v. 13.3.1981 – 4 C 1/78; B. v. 20.9.1984 – 4 B 181/84; U. v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – alle juris). Bei schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des § 3 BImSchG hat für die Überschreitung der Zumutbarkeitsgrenze das Immissionsschutzrecht Bedeutung (BVerwG, B. v. 20.1.1989 – 4 B 116.88 – juris). Das Bundesimmissionsschutzgesetz legt somit allgemein die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht fest (BVerwG, U. v. 30.9.1983 – 4 C 74.78 – juris; U. v. 30.9.1983 – 4 C 18.80 – juris; U. v. 18.5.1995 – 4 C 20.94 – juris). Das gilt auch für das in § 15 Abs. 1 BauNVO konkretisierte Rücksichtnahmengebot (BVerwG, U. v. 24.9.1992 – 7 C 7.92 – juris). Dieses ist in der Regel nicht verletzt, wenn die immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte der TA Luft, TA Lärm oder vergleichbare Regelwerke eingehalten werden (BVerwG, U. v. 30.9.1983 – 4 C 74.78 – juris).
Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist sich das Bauvorhaben des Beigeladenen in seinen Auswirkungen auf das Anwesen der Kläger im Ergebnis nicht als rücksichtslos. Von einer unzumutbaren Beeinträchtigung kann nicht gesprochen werden. Es liegt bereits kein offenkundiger Verstoß gegen die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften nach Art. 6 BayBO vor. Zu dem klägerischen Wohnhaus hält die Lagerhalle darüber hinaus einen Abstand von ca. 20 m ein. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass das klägerische Wohngebäude durch das Vorhaben, das eine Wandhöhe von unter 6 m erreicht, „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Die Belange einer ausreichenden Belichtung, Belüftung, Besonnung und Wahrung des sozialen Friedens bleiben vorliegend gewahrt. Hinsichtlich der zu erwartenden Immissionen regeln die mit der Baugenehmigung erlassenen Auflagen, dass der Beurteilungspegel der vom Gesamtbetrieb auf dem Betriebsgelände des Beigeladenen ausgehenden Geräusche einschließlich Fahrverkehr die in der TA Lärm Ziff. 6.1 für Kerngebiete, Dorfgebiete und Mischgebiete festgesetzten Immissionsrichtwerte an den nächsten Häusern in der Nachbarschaft nicht überschreiten darf. Gleichzeitig werden die Betriebszeiten auf den Zeitraum werktags von 7.00 bis 18.00 Uhr beschränkt. Da bei Beachtung der in der Baugenehmigung enthaltenen Nebenbestimmungen demnach die immissionsschutzrechtlichen Grenzwerte der TA Lärm eingehalten werden, liegt auch hier keine Verletzung des Rücksichtnahmegebots vor. Etwas anderes ergibt sich im Übrigen auch nicht daraus, dass auf dem Grundstück des Beigeladenen bereits eine vergleichbare Lagerhalle steht. Die Auflagen berücksichtigen nämlich den vorhandenen Gesamtbetrieb.
Das Vorhaben fügt sich auch nach § 34 Abs. 1 BauGB in Verbindung mit dem Rücksichtnahmegebot hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ist auf die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zu seiner Umgebungsbebauung abzustellen, wobei vorrangig diejenigen Maßkriterien wesentlich sind, in denen die prägende Wirkung besonders zum Ausdruck kommt (OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 5.6.2015 – OVG 10 S 11.15 – juris; OVG Saarlouis, U. v. 27.5.2014 – 2 A 2.14 – juris; vgl. auch Söfker in Ernst /Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB – BauNVO, § 34 Rn. 40). Die geplante Lagerhalle hat eine Grundfläche von 20,99 m x 11 m und eine Firsthöhe von unter 6 m. Damit hält sie sich im Rahmen der vorhandenen Nutzung, weil die bereits vorhandene Lagerhalle, die den maßgeblichen Rahmen unter anderem prägt, vergleichbare Ausmaße hat. Schließlich fügt sich das Bauvorhaben auch mit seiner offenen Bauweise und in Bezug auf die Grundfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung ein, weil einige der umliegenden Gebäude eine vergleichbare Grundfläche überbauen.
2. Nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts, insbesondere solche des Abstandsflächenrechts werden durch die streitgegenständliche Baugenehmigung nicht zu Lasten der Kläger verletzt.
Die Baugenehmigung vom 1. Juli 2016 ist mangels Sonderbau (Art. 2 Abs. 4 BayBO) im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Art. 59 BayBO erteilt worden. Prüfungsumfang sind insoweit die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB und den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinne des Art. 81 Abs. 1 BayBO sowie beantragte Abweichungen im Sinne des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 BayBO (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 und 2 BayBO). Vorliegend wurde eine Abweichung von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 Abs. 5 und 6 BayBO aber nur für die westliche Außenwand der geplanten Lagerhalle (Abstandsfläche zur bestehenden Lagerhalle des Beigeladenen) beantragt. Da die Kläger von dieser Abweichung jedoch nicht in ihren subjektiven Rechten betroffen sein können (ihr Grundstück befindet sich nördlich des Bauvorhabens), können sie eine diesbezügliche Rechtsverletzung schon nicht geltend machen. Hinsichtlich der Abstandsfläche zu dem Grundstück der Kläger wurde hingegen keine Abweichung beantragt oder erteilt, sodass diese auch nicht Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens geworden ist. Die Feststellungswirkung der Genehmigung erstreckt sich deshalb nicht auf die Einhaltung der Abstandsflächen des Bauvorhabens zum klägerischen Grundstück (vgl. BayVGH, B. v. 28.9.2010 – 2 CS 10.1760; B. v. 7.2.2011 – 2 ZB 11.11; BayVGH, B. v. 12.12.2013 – 2 ZB 12.1513 – alle juris). Die Kläger können die Baugenehmigung daher auch nicht mit einer Rüge der Verletzung des Abstandsflächenrechts angreifen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). Da sich der Beigeladene nicht durch eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO), entsprach es nicht der Billigkeit, seine außergerichtlichen Aufwendungen den Klägern aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit resultiert aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 ZPO.


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