Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung – Verkürzung der Abstandsflächen

Aktenzeichen  M 8 K 15.460

Datum:
9.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34
BayBO BayBO Art. 63
BayBO BayBO Art. 6

 

Leitsatz

1 Fehlende, eine erteilte Abweichung von den Abstandsvorschriften rechtfertigende Sondersituation. (Rn. 25 – 31) (redaktioneller Leitsatz)
2 Überwiegen bei einer wechselseitigen Verletzung von Abstandsflächenvorschriften die Abstandsflächen, die das Vorhaben auf das klägerische Anwesen wirft, bei weitem diejenigen des klägerischen Anwesens auf das Vorhabengrundstück, ist die Klägerin nicht gehindert, diesen Verstoß gegen die Abstandsflächen erfolgreich zu rügen. (Rn. 33 – 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Baugenehmigung vom 7. Januar 2015, Az.: … wird aufgehoben.
II. Die Beklagte und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung vom 7. Januar 2015 ist begründet, da die Klägerin durch die streitgegenständliche Genehmigung in drittschützenden Rechten verletzt wird, § 113 Abs. 1 VwGO.
1.1 Dritte können sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U. v. 13.6.1969 – IV C 234.65 – BayVBl 1969, 390 – juris Rn. 15; BVerwG, U. v. 25.2.1977 – IV C 22.75 – BayVBL 1977, 639 – juris Rn. 25; BVerwG, U. v. 19.9.1986 – 4 C 8/84 – BayVBl 1987, 151 – juris Rn. 9; BVerwG, U. v. 26.9.1991 – 4 C 5/87 – BvVerwGE 89, 69 – juris Rn. 18) gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtenen Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (vgl. BayVGH, B. v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 21; BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung auch nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (vgl. BayVGH, B. v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20).
1.2 Das beantragte Bauvorhaben wurde im vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO genehmigt. Da die Beigeladene Abweichungen von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO beantragt und die Beklagte gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO Abweichungen von den Abstandsflächenvorschriften erteilt hat, gehören die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften gemäß Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO insoweit auch zum Prüfumfang der streitgegenständlichen Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B. v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – juris Rn. 36 und 38; BayVGH, B. v. 5.11.2015 – 15 B 15.1371 – juris Rn. 15). Durch die Erteilung der streitgegenständlichen Abweichung nach Art. 63 BayBO hinsichtlich des klägerischen Grundstücks mit Fl.Nr. … in Ziffer 4 der angegriffenen Baugenehmigung trifft diese insoweit eine Regelung, so dass die Klägerin sich insoweit auch auf eine Verletzung des bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrechts berufen kann.
1.1 2. In bauordnungsrechtlicher Hinsicht stellt sich jedenfalls die in der Baugenehmigung vom 7. Januar 2015 erteilte Abweichung gegenüber dem klägerischen Grundstück …-Str. 12 mit der Fl.Nr. … als materiell rechtwidrig dar und die Klägerin ist mangels wechselseitigem Abstandsflächenverstoß auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben daran gehindert, sich hierauf zu berufen.
2.1. Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Die Zulassung einer Abweichung setzt Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Belüftung im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B. v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16). Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (vgl. BayVGH, B. v. 13.2.2002 – 2 CS 01.1506 – juris Rn. 16; B. v. 23.5.2005 – 25 ZB 03.881 – juris Rn. 8; B. v. 15.11.2005 – 2 CS 05.2817 – juris Rn. 2; B. v. 29.11.2006 – 1 CS 06.2717 -juris Rn. 24; B. v. 11.1.2007 – 14 B 03.572 – juris Rn. 22; B. v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; B. v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 3; U. v. 22.12.2011 – 2 B 11.2231, BayVBl. 2012, 535 – juris Rn. 16; B. v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 -juris Rn. 4; B. v. 15.10.2014 – 2 ZB 13.530 – juris Rn. 3; B. v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16). Es müssen rechtlich erhebliche Unterschiede vorliegen, die das Vorhaben als einen sich von der Regel unterscheidenden atypischen Fall erscheinen lassen und dadurch eine Abweichung rechtfertigen können (vgl. BayVGH, B. v. 3.12.2014 – 1 B 14.819 – juris Rn. 15; B. v. 11.12.2014 – 15 CS 14.1710 – juris Rn. 19). Diese können sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben (vgl. BayVGH, B. v. 22.9.2006 – 25 ZB 01.1004 – juris Rn. 4; B. v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 15.10.2014 – 2 ZB 13.530 – juris Rn. 3; B. v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B. v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 4; B. v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16; B.v. 14.6.2016 -2 CS 16.735). In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen (vgl. BayVGH, U.v. 22. 12.2011 – 2 B 11.2231 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23). Hingegen begründen allein Wünsche eines Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen, als dies ohnehin schon zulässig wäre, noch keine Atypik, da Maßnahmen, die nur der Gewinnmaximierung dienen sollen, auch in Ballungsräumen nicht besonders schützenswert sind (vgl. BayVGH, B. v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B. v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 3).
2.2 Liegt die erforderliche Atypik nicht vor, erweist sich eine trotzdem erteilte Abweichung von der Einhaltung der gesetzlich vorgeschrieben Abstandsflächen von vornherein als rechtswidrig; die Baugenehmigung ist auf eine Nachbarklage hin aufzuheben (vgl. BayVGH, B. v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16).
2.3 Liegt die erforderliche Atypik vor, ist weitere Voraussetzung die Vereinbarkeit der Abweichung mit den öffentlichen Belangen unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Interessen. Mit der Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen verlangt das Gesetz – wie bei dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme – eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn (BayVGH, B. v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17).
2.2 3. Im vorliegenden Fall ist hinsichtlich des streitgegenständlichen Vorhabens in Bezug auf das klägerische Anwesen …-Straße 12 keine die erteilte Abweichung rechtfertigende Sondersituation (Atypik) erkennbar.
Entscheidend für die Bejahung einer Atypik ist, ob sich die Vorhabensituation vom normativen Regelfall unterscheidet (vgl. BayVGH, B. v. 7.10.2010 – 2 B 09.328 – juris). Grundsätzlich kann sich eine Atypik etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben (vgl. BayVGH, B. v. 22.9.2006 – 25 ZB 01.1004 – juris Rn. 4; B. v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16; BayVGH, B. v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; BayVGH, B. v. 15.10.2014 – 2 ZB 13.530 – juris Rn. 3; B. v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B. v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 4; B. v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16; B. v. 14.6.2016 – 2 CS 16.735). In dicht bebauten innerstädtischen Bereichen ist eine atypische Situation dann anzunehmen, wenn jedwede bauliche Veränderung geeignet ist, eine Abstandsflächenüberschreitung auszulösen (vgl. BayVGH, B. v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23).
3.1 Im vorliegenden Fall ist das Baugrundstück weder in einem historischen Ortskern gelegen, noch ist eine aus dem Rahmen fallende Bebauung auf dem Vorhabengrundstück oder den Nachbargrundstücken und auch kein atypischer Grundstückszuschnitt erkennbar, so dass keine besondere städtebauliche Situation vorliegt.
Vorliegend ist es in dem Geviert, das im Grundsatz durch eine nahezu geschlossene Blockrandbebauung geprägt ist und das nur wenige Bauten im Geviertinneren aufweist, von denen die Hälfte nach dem amtlichen Plan eingeschossige (Neben-)Ge-bäude darstellen, nicht so, dass alle oder auch nur die Mehrzahl der Grundstücke im Geviert bereits ähnlich intensiv bebaut sind, wie das mit dem streitgegenständlichen Vorhaben beabsichtigt ist. Vielmehr ist es so, dass das Geviertinnere weitgehend unbebaut ist. Lediglich zwei Grundstücke, die jedoch wesentlich größer sind als das streitgegenständliche Grundstück, haben jeweils einen viergeschossigen rückwärtigen Anbau. Hinzu kommt ein weiterer, jedoch nur zweigeschossiger rückwärtiger Anbau. Die übrigen elf Grundstücke im Quartier zwischen …-straße, …straße, …straße und …platz haben keine rückwärtigen Wohnhausanbauten, allenfalls vereinzelt eingeschossige Nebengebäude. Es ist vorliegend der Normalfall, dass die Grundstücke im rückwärtigen Bereich nicht oder nur mit eingeschossigen Nebengebäuden bebaut sind. Damit liegt insoweit keine besondere städtebauliche Situation vor, die eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften rechtfertigt.
Überdies würde im vorliegenden Fall eine Abweichung zum klägerischen Grundstück jedenfalls wegen fehlender Atypik hinsichtlich des östlichen dreieckigen Vorsprungs ausscheiden. Dieser Vorsprung, ein über sämtliche Geschosse reichender dreieckiger Erker, nach dem Eingabeplan von über 5,74 m Breite und 3,20 m Tiefe, findet kein Vorbild in der übrigen Bebauung des Gevierts und wirft darüber hinaus auch Abstandsflächen in das Gebäude der Klägerin. Die Erker an den Rückgebäuden …Str. 16 und 18 sind hingegen rechteckig und werfen daher keine Abstandsfläche in die Nachbargebäude.
3.2 Ferner ist zwischen dem Vorhabengrundstück und den klägerischen Anwesen kein besonderer Grundstückzuschnitt erkennbar, der eine vom Regelfall abweichende Sondersituation rechtfertigt.
Der Verlauf der Grundstücksgrenze zwischen dem klägerischen und dem Vorhabengrundstück ist vollkommen regulär. Die Grenze verläuft senkrecht zur Straßenlinie, an der die beiden Häuser aneinandergebaut sind, und geradlinig ins Geviertinnere. Die Grenze des Vorhabengrundstücks knickt erst außerhalb des klägerischen Grundstücks im Bereich des nordöstlichen Nachbargrundstücks Fl.Nr. …, …straße 4 ab. Dies sowie der Umstand, dass die Grundstücksgrenze des Vorhabengrundstücks zum Grundstück mit der Fl.Nr. … auf einem Teilstück leicht schräg nach Norden hin verläuft, hat nach dem genehmigten Abstandsflächenplan keinen Einfluss auf die Abstandsflächensituation des Vorhabens in Bezug auf das Anwesen der Klägerin. Die schräg verlaufenden Grundstücksgrenzen zwischen dem nördlichen Grundstück mit der Fl.Nr. … und dem Vorhabengrundstück hat auch keinerlei Einfluss auf die grundsätzliche bauliche Nutzbarkeit des Vorhabengrundstücks. Im Bereich der gemeinsamen Grundstücksgrenze ist der Grenzverlauf also durchaus typisch und unterscheidet sich durch den leicht schrägen Verlauf der nördlichen Grenze nur in einem Bereich, der für die hier streitgegenständliche Abweichung nicht ursächlich ist. Eine atypische Situation, die die Abweichung von den Abstandsflächen zu Lasten des klägerischen Grundstücks rechtfertigen würde, ist also nicht gegeben.
3.3 Im Übrigen ist das Vorhabengrundstück mit Ausnahme der Grenze zu dem Anwesen mit Flur-Nr. … (* …str. 4) rechteckig und durchschnittlich groß (ca. 24 m breit und ca. 36 m tief). Damit kann auf dem nördlichen Teil mit einer Tiefe von über 20 m und einer Breite von knapp 25 m auch unter Einhaltung der Abstandsflächen zum klägerischen Grundstück ein rückwärtiger Anbau errichtet werden, für den gegebenenfalls wegen der schräg verlaufenden Grundstücksgrenze eine Abweichung zu Lasten des Grundstücks …str. 4, Fl.Nr. … in Frage käme. Damit kann von einer Nichtnutzbarkeit des streitgegenständlichen Anwesens in dieser Hinsicht nicht die Rede sein.
3.4 Überdies hat sich die Beklagte auch nicht ausreichend mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Schmälerung der nachbarlichen Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist. Im Bescheid fehlt jede Auseinandersetzung u.a. auch mit dem Umstand, dass sich die Abstandsflächen des Vorhabens nicht (nur) auf einen Bereich erstrecken, in dem nach dem Rechtsgedanken des Art. 6 Abs. 3 Nr. 1 BayBO eine Abstandsflächenüb-derdeckung grundsätzlich zulässig ist. Ferner kommt hinzu, dass der sich über sämtliche Geschosse erstreckende vorspringende dreieckige Erker eine zusätzliche Belastung der Abstandsflächensituation zu Lasten der Klägerin auslöst, da dessen Abstandsfläche nicht nur auf die Freiflächen des klägerischen Anwesens, sondern zudem in deren Gebäude hinein fällt.
4. Die Klägerin ist auch nicht gem. § 242 BGB daran gehindert diesen Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften zu rügen.
Aus dem System nachbarlicher Ausgleichs- und Rücksichtnahmepflichten folgt, dass derjenige, der selbst mit seinem Gebäude die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhält, billigerweise nicht verlangen kann, dass der Nachbar die Abstandsflächen freihält. Dies führt dazu, dass nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein Nachbar sich gegenüber einer Baugenehmigung in der Regel nicht mit Erfolg auf die Einhaltung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen kann, wenn die Bebauung auf seinem Grundstück nicht dieser Vorschrift entspricht, die beiderseitigen Abweichungen sich etwa gleichgewichtig gegenüber stehen und sie nicht zu am Schutzzweck der Vorschrift gemessen schlechthin untragbaren, als Missstand i. S. v. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BayBO zu qualifizierenden Verhältnissen führen (vgl. BayVGH, U. v. 4.2.2011 – 1 BV 08.131 – juris Rn. 37). Derjenige, der mit seinem Gebäude selbst nicht den erforderlichen Grenzabstand einhält, kann billigerweise nicht verlangen, dass der Nachbar die Abstandsfläche, die er selbst auf dem eigenen Grundstück nicht zur Verfügung hat, auf dem fremden Grundstück frei hält (vgl. VG München, U. v. 30.6.2014 – M 8 K 13.1102 m. w. N.).
Nach dem als Bestandsteil der Baugenehmigung genehmigten Abstandsflächenplan wirft das Gebäude der Klägerin gar keine Abstandsfläche auf das Vorhabengrund stück. Nach dem klägerischen Vortrag im Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 19. April 2016 sind es lediglich 4,76 m2. Dagegen berechnet die Beigeladene in dem genannten Abstandsflächenplan die Abstandsfläche des Vorhabens, die auf das klägerische Anwesen fällt, mit 46,4 m2.
Zwischen diesen beiden Flächen ist eine Gleichwertigkeit nicht mehr gegeben. Die Differenz sowohl in den absoluten Zahlen wie auch im Verhältnis von beinahe 1 : 10 der wechselseitigen Verletzung der Abstandsflächenvorschriften ist auch unter dem Gesichtspunkt einer wertenden Betrachtung in Bezug auf die Qualität der mit der Verletzung einhergehenden Beeinträchtigung in keiner Weise mehr gleichwertig. Denn während die Abstandsfläche des klägerischen Grundstücks nur einen schmalen Streifen von weniger als 1 m Breite entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze in Anspruch nimmt, reichen die Abstandsflächen des Vorhabens über 6 m tief in das klägerische Grundstück und fallen darüber hinaus durch den vorspringenden Erker auch in das Gebäude der Klägerin.
Damit überwiegen die Abstandsflächen, die das Vorhaben auf das klägerische Anwesen wirft, bei weitem diejenigen des klägerischen Anwesens auf das Vorhabengrundstück.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Beigeladene hat einen Sachantrag gestellt, so dass sie sich auch einem Kostenrisiko gem. § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat.
6. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben