Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung wegen unklarer Bauvorlagen in Bezug auf die Wandhöhe

Aktenzeichen  M 8 K 15.3184

Datum:
29.2.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB BauGB § 34 Abs. 1
BayBO BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 S. 1, Abs. 4 S. 1, Art. 68

 

Leitsatz

1 Ein Nachbar hat zwar keinen materiellen Anspruch darauf, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht. Die Baugenehmigung ist aber dann aufzuheben, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Wenn die Baugenehmigung selbst oder die der Baugenehmigung zugrunde liegenden Bauvorlagen wegen Ungenauigkeiten keine Entscheidung zulassen, ob die Anforderungen derjenigen Vorschriften gewährleistet sind, die zum Prüfprogramm des konkreten bauaufsichtlichen Verfahrens gehören und die Nachbarschutz vermitteln, kann eine Nachbarrechtsverletzung zur Aufhebung einer Baugenehmigung führen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Betrifft die Unbestimmtheit oder Unrichtigkeit der Bauvorlagen solche Vorschriften, deren Verletzung im konkreten Fall subjektiv-öffentliche Abwehrrechte des Klägers begründen können (hier wegen der einzuhaltende Wandhöhe), ist eine mögliche Rechtsverletzung des Klägers hierdurch zu bejahen.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Baugenehmigung vom 25. November 2014 wird in der Fassung der Tekturgenehmigung vom 17. Juni 2015 aufgehoben.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage ist auch in der Sache begründet, da die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 17. Juni 2015 auf Grundlage der eingereichten Planunterlagen rechtswidrig ist und insoweit nicht ausgeschlossen werden kann, dass aufgrund der unzureichenden Pläne möglicherweise Nachbarrechte des Klägers verletzt werden, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
1. Gemäß Art. 64 Abs. 2 Satz 1 BayBO sind mit dem Bauantrag bzw. Vorbescheidsantrag alle für die Beurteilung des Bauvorhabens und die Bearbeitung des Bauantrags erforderlichen Unterlagen (Bauvorlagen) einzureichen. Nach § 3 Nr. 1 der Bauvorlagenverordnung (BauVorlV) ist ein Lageplan vorzulegen, in dem nach § 7 Abs. 3 Nr. 13 BauVorlV u. a. die Abstandsflächen der geplanten baulichen Anlage darzustellen sind. Gem. § 3 Nr. 2 BauVorlV sind Bauzeichnungen vorzulegen, in denen nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 BauVorlV die Schnitte mit den Wandhöhen im Sinn des Art. 6 Abs. 4 BayBO darzustellen sind.
Vorliegend erfolgte die Darstellung der Wandhöhe sowohl in den der Baugenehmigung vom 25. November 2014 als auch der Baugenehmigung vom 17. Juni 2015 zugrundeliegenden Planvorlagen im Schnitt A-A.
Im Plan 2014 wurde die Wandhöhe bis zum Flachdach ausgehend von 509,33 m ü.NN auf 523,95 m ü.NN vermasst mit 14,60 m dargestellt. Rechnerisch richtig wären 14,62 m.
Im Plan 2015 wurde die Wandhöhe bis zum Flachdach ausgehend von 509,71 m ü.NN auf 524,31 m ü.NN vermasst mit 14,60 m dargestellt. Auch hier wären aber 14,62 m rechnerisch richtig.
Die Abstandsflächen wurden jeweils bei der Grundrissdarstellung des Erdgeschosses dargestellt, wobei in beiden Darstellungen für den von der Grundstücksgrenze zum Kläger zurückgesetzten westlichen Gebäudeteil jeweils eine Abstandsfläche von 14,60 m dargestellt wird, die teilweise auf das Grundstück des Klägers fällt.
2. Die vorgelegten Bauvorlagen und die in ihnen enthaltenen Angaben müssen vollständig, richtig und eindeutig sein, was insbesondere für die Darstellungen im Lageplan im Sinne von § 7 Abs. 3 BauVorlV gilt (vgl. Gaßner, in: Simon/Busse, BayBO, Stand 116. EL Juli 2014, Art. 64 RdNr. 75). Stellt sich bei der Prüfung durch die Behörde heraus, dass die Bauvorlagen inhaltlich unrichtige Angaben enthalten bzw. widersprüchlich oder sonst als Entscheidungsgrundlage für die Baugenehmigung ungeeignet sind, darf die Baugenehmigung nicht erteilt werden (vgl. Gaßner, in: Simon/Busse, BayBO, Stand 116. EL Juli 2014, Art. 64 RdNr. 80). Sind die Angaben in den Bauvorlagen in wesentlichen Punkten unrichtig oder unvollständig, so ist eine Baugenehmigung rechtswidrig, wenn die Genehmigungsvoraussetzungen von der Genehmigungsbehörde nicht zutreffend beurteilt wurden (vgl. Gaßner, in: Simon/Busse, BayBO, Stand 116. EL Juli 2014, Art. 64 RdNr. 82).
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Nachbar zwar keinen materiellen Anspruch darauf hat, dass der Bauantragsteller einwandfreie Bauvorlagen einreicht, die Baugenehmigung aber dann aufzuheben ist, wenn wegen Fehlens oder Unvollständigkeit der Bauvorlagen Gegenstand und Umfang der Baugenehmigung nicht eindeutig festgestellt und aus diesem Grund eine Verletzung von Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BayVGH, B. v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1175 – juris RdNr. 11 m. w. N.). Wenn die Baugenehmigung selbst oder die der Baugenehmigung zugrunde liegenden Bauvorlagen wegen Ungenauigkeiten keine Entscheidung zulassen, ob die Anforderungen derjenigen Vorschriften gewährleistet sind, die zum Prüfprogramm des konkreten bauaufsichtlichen Verfahrens gehören und die Nachbarschutz vermitteln, kann eine Nachbarrechtsverletzung zur Aufhebung einer Baugenehmigung führen (vgl. BayVGH, U. v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris RdNr. 16). Betrifft die Unbestimmtheit oder Unrichtigkeit der Bauvorlagen solche Vorschriften, deren Verletzung im konkreten Fall subjektivöffentliche Abwehrrechte des Klägers begründen können, ist eine mögliche Rechtsverletzung des Klägers hierdurch zu bejahen (vgl. BayVGH, U. v. 28.6.1999 – 1 B 97.3174 – juris RdNr. 16; B. v. 5.12.2001 – 26 ZB 01.1175 – juris RdNr. 11 m. w. N.).
3. Mit der Tekturgenehmigung sollte nach der Begründung des Änderungsantrags eine Änderung des Höhenbezugspunktes für die Oberkante des Fertigfußbodens von 509,35 m üNN auf 509,73 m üNN genehmigt werden. Nach der Beschreibung im Änderungsantrag soll der neu geplante Höhenbezugspunkt dem vorhandenen Gelände im Bestand entsprechen. Die Änderung erfolge wegen großer Probleme bei der Planung der Entwässerungsanlage. Es erfolge keine Veränderung der Größe, Höhe, Kubatur, Nutzung und der Abstandsflächen.
Die letztgenannte Aussage, dass keine Änderungen erfolgten, erscheint nicht nachvollziehbar. Träfe dies zu, wären die Angaben in der ursprünglichen Baugenehmigung vom 25. November 2014 bzw. die dieser zugrunde liegenden Pläne zur Höhe des Geländes mit 509,33 m ü.NN falsch. In diesem Falle wäre dann das gesamte Gelände um 0,38 m zu tief dargestellt worden. Würde – wie eigentlich nach der Änderungsbeschreibung zu erwarten – ausschließlich der Höhenbezugspunkt um 0,38 m höher gelegt, würde sich das gesamte Gebäude um 0,38 m erhöhen. Da damit das gesamte Gebäude um 0,38 m angehoben würde, könnte dies für die entsprechenden Höhen und damit auch für die damit ausgelösten Abstandsflächen nicht ohne Auswirkungen bleiben. Allerdings sind die Abstandsflächen sowohl in der Ursprungsplanung 2014 als auch in der Tekturplanung 2015 identisch mit 14,60 m dargestellt. Es wird also nicht nur der Höhenbezugspunkt um 0,38 m angehoben, sondern das gesamte Gelände. Bei der Darstellung der Wandhöhen und der Abstandsflächen ist bei der Ermittlung des Maßes H nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO für den unteren Bezugspunkt aber von der natürlichen Geländeoberfläche, d. h. die durch das vorhandene Gelände gebildete Oberfläche ohne geplante Abgrabungen oder Aufschüttungen abzustellen (Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 70). Also selbst für den Fall, dass nicht nur der Höhenbezugspunkt um 0,38 m angehoben werden soll, sondern gleichzeitig auch die Geländeoberfläche durch eine Aufschüttung um 0,38 m angehoben werden soll, würden sich die Höhen und Abstandsflächen um 0,38 m erhöhen.
Ob vorliegend die in den Plänen 2014 oder aber die in den Plänen 2015 dargestellte Geländeoberfläche zutreffend ist, ist vorliegend nicht nachvollziehbar. Hinzu kommt, dass in jedem Fall die Höhe und die daraus resultierende Abstandsfläche um 0,02 m zu kurz dargestellt worden ist. Bedenken bestehen hinsichtlich der eingereichten Planvorlagen auch insoweit, als die kommune Nachbarbebauung des Anwesens …-str. 12b in der Ursprungsplanung 2014 mit einer Höhe von 6,70 m dargestellt war und im Rahmen der Tekturplanung 2015 nunmehr eine Höhenentwicklung von 9,30 m aufweist, was mit einer Änderung des Höhenbezugspunktes um 0,38 m beim besten Willen nicht nachvollziehbar zu erklären ist.
Da aufgrund der eingereichten Planvorlagen nicht sicher bestimmt werden kann, welche Abstandsflächen das Vorhaben auslöst, kann allein schon aufgrund dieser Unbestimmtheit eine Verletzung des Klägers in seinen Nachbarrechten nicht ausgeschlossen werden.
4. Von daher war die streitgegenständliche Baugenehmigung mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO aufzuheben. Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, konnten ihm gemäß § 154 Abs. 3 VwGO keine Kosten auferlegt werden.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 7.500,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Ziffer 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).


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