Baurecht

Nachbarklage gegen Baugenehmigung zur Errichtung von 91 Wohneinheiten

Aktenzeichen  AN 3 K 19.00340

Datum:
4.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 12992
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34
BayDSchG Art. 6
GG Art. 14
BauNVO § 15 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Zwar kann sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung unabhängig vom erkennbaren Willen des Plangebers ein Drittschutz ergeben (vgl. BVerwG BeckRS 2018, 25386). Voraussetzung ist aber, dass es im Bebauungsplan überhaupt Festsetzungen zum Maß gibt, aus denen sich ein möglicher Drittschutz ableiten lässt.  (Rn. 94 und 95) (redaktioneller Leitsatz)
2 Aus den Bestimmungen des Denkmalschutzes ergibt sich für den Denkmaleigentümer ein Abwehrrecht lediglich im Hinblick auf das grundrechtlich gebotene Mindestmaß an denkmalrechtlichem Drittschutz, den Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dem Denkmaleigentümer mit Blick auf dessen schutzwürdiges Interesse vermittelt, das Denkmal und die dafür getätigten Investitionen nicht entwertet zu sehen.  (Rn. 99) (redaktioneller Leitsatz)
3 Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme kann in Betracht kommen, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks durch eine vorhabenbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr erheblich verschlechtert. (Rn. 105) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Kläger kann das streitgegenständliche Vorhaben zum Neubau von 91 Wohneinheiten und einer Tiefgarage (Mittelgarage mit 37 Stellplätzen) nicht abwehren.
Der Kläger wird durch die angefochtene Baugenehmigung vom 19. Dezember 2018 nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Einen Rechtsanspruch auf Aufhebung einer Baugenehmigung haben Nachbarn nicht schon dann, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr setzt die Aufhebung der Baugenehmigung weiter voraus, dass der Nachbar durch sie zugleich in seinen Rechten verletzt ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies ist nur dann der Fall, wenn die zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führende Norm zumindest auch dem Schutz der Nachbarn dient, also drittschützende Wirkung hat (vgl. BVerwG v. 6.10.1989 – 4 C 40.87).
Die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung ergibt sich nicht durch unbestimmte Regelungen (dazu 1.). Auf eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruch bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruch kann sich der Kläger nicht berufen (dazu 2.). Ein Abwehrrecht ergibt sich auch nicht aus denkmalrechtlichen Aspekten (dazu 3.). Das geplante Vorhaben ist dem Kläger gegenüber auch nicht rücksichtslos (dazu 4.) und aus einer möglicherweise fehlenden UVP-Prüfung kann die Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung nicht hergeleitet werden (dazu 5.).
1. Die Baugenehmigung ist dem Kläger gegenüber nicht deshalb unbestimmt, weil der Nachweis des Vollzugs der dinglichen Sicherung zur Belegbindung von gefördertem Wohnraum erst bei Nutzungsaufnahme vorzulegen ist (Auflage 4.7) oder im Bescheid auf das Schallgutachten Bezug genommen wird.
Hinreichend bestimmt ist eine Baugenehmigung in objektiv-rechtlicher Hinsicht, wenn die getroffene Regelung für jeden Beteiligten – gegebenenfalls nach objektivierender Auslegung – eindeutig zu erkennen ist und deshalb keiner unterschiedlichen Bewertung zugänglich ist. Der Inhalt der Baugenehmigung ergibt sich aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung im Bescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstigen Unterlagen. Wird deshalb im Bescheid auf den Antrag oder Antragsunterlagen verwiesen, ist die Baugenehmigung hinreichend bestimmt, wenn es der Antrag oder die Antragsunterlagen sind. In nachbarrechtlichen Streitigkeiten – wie hier – ist die Bestimmtheit der Baugenehmigung nur daraufhin zu prüfen, ob es dem Nachbarn möglich ist festzustellen, ob und in welchem Umfang er durch das Vorhaben in seinen drittschützenden Rechten betroffen wird. (vgl. VGH München, B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18.10 m.w.N.).
Durch den Verweis in Auflage 6.1 wird der Inhalt des schallimmissionstechnischen Gutachtens vom 21. August 2018 Bestandteil der Baugenehmigung. Zweifellos kann der Kläger damit eindeutig und unmissverständlich nachvollziehen, mit welchen Immissionen er durch das streitgegenständliche Vorhaben zu rechnen hat.
Auch Auflage 4.7, die sehr wohl auf Art. 36 Abs. 1 BayVwVfG gestützt werden kann, da damit die gesetzlichen Voraussetzungen zur Stellplatzpflicht erfüllt werden und somit auch isoliert durchsetzbar und vollstreckbar ist, führt nicht zur Unbestimmtheit des Bescheids. Die für den Kläger einzig relevante, ihn in seinen Rechten betreffende Aussage, nämlich die Anzahl der Stellplätze bzw. der Stellplatzschlüssel, kann er der Auflage eindeutig und unmissverständlich entnehmen. Nicht drittschützend und somit nicht vom Kläger geltend zu machen ist dagegen das Prozedere, wie der geförderte Mietwohnraum nachgewiesen werden muss, da es sich hier lediglich um verfahrenstechnische Aspekte handelt, die den Kläger nicht in seinen Rechten verletzten können.
2. Der Kläger kann sich schon nicht auf einen Gebietserhaltungsanspruch bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruch berufen, da sein Grundstück und das Vorhabengrundstück in unterschiedlichen Gebieten liegen (dazu a.). Darüber hinaus wäre er aber in diesen Ansprüchen auch nicht verletzt (dazu b.).
a. Der sich aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO ergebende Nachbarschutz besteht nur insoweit, wie die nähere Umgebung i. S. von § 34 BauGB reicht (BVerwG v. 20.8.1998, 4 B 79.98; BayVGH v. 22.12.2017, 9 CS 17.2033). Nach Auffassung der Kammer befindet sich das Vorhabengrundstück nicht mehr in der „näheren Umgebung“ zum Klägergrundstück im Sinne des § 34 BauGB. Auch wenn es sich hier unbestritten um faktische allgemeine Wohngebiete nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 34 BauNVO handelt, ist für die Beurteilung des jeweiligen Gebietsbereichs die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB maßgebend (BayVGH, B.v. 22.12.2017 – 9 CS 17.2033; B.v. 3.3.2016 – 9 ZB 15.779).
Nach ständiger Rechtsprechung ist als „nähere Umgebung“ im Sinn von § 34 BauGB der das Baugrundstück umgebende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch beeinflusst (vgl. BVerwG vom 26.5.1978 BVerwGE 55, 369/380; vom 20.8.1988 NVwZ-RR 1999, 105; BayVGH vom 13.8.2003 2 B 00.497; vom 28.7.2004 2 B 03.54; vom 2.5.2006 2 B 05.787). Die Grenzen der näheren Umgebung im Sinne des § 34 BauGB lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist. Diese kann so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedenen Bau- und Nutzungsstrukturen aneinanderstoßen. Der Grenzverlauf der näheren Umgebung ist nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie (Straße, Schienenstrang, Gewässerlauf, Geländekante etc.) entkoppelt ist. Eine solche Linie hat bei einer beidseitig andersartigen Siedlungsstruktur nicht stets eine trennende Funktion; umgekehrt führt ihr Fehlen nicht dazu, dass benachbarte Bebauungen stets als miteinander verzahnt anzusehen sind und insgesamt die nähere Umgebung ausmachen (BVerwG. B.v. 28.8.2003 – 4 B 74/03). In der Regel gilt bei einem inmitten eines Wohngebiets gelegenen Vorhaben als Bereich gegenseitiger Prägung das Straßengeviert und die gegenüberliegende Straßenseite (BayVGH, B.v. 22.12.2017 – 9 CS 17.2033).
Das Gericht kommt aufgrund von Luftbildern im 2-D und 3-D Format zu dem Ergebnis, dass durch die verschiedene Baustruktur südlich und nördlich der die Gebiete trennenden …straße von zwei unterschiedlichen Gebieten ausgegangen werden muss, zum einen das Straßengeviert …straße, … Straße, …straße und … Straße, in dem sich das streitgegenständliche Vorhaben befindet, zum anderen das nördlich der …straße gelegene Gebiet, in dem sich das klägerische Anwesen befindet. Auch muss hier entgegen der „Regel“, dass auch die gegenüberliegende Bebauung des Straßengevierts zur Beurteilung der „näheren Umgebung“ mit heranziehbar ist, eine Ausnahme aufgrund der gravierenden strukturellen Unterschiede beider Gebiete gemacht werden (hierzu BayVGH, B.v. 27.9.2010 – 2 ZB 08.2775).
Das südliche Gebiet ist geprägt durch mehrere große Wohnanlagen mit vier bzw. sechs Vollgeschossen in teilweise geschlossener Bauweise (FlNrn. … sowie …*) sowie recht enge Bebauung unter großzügiger Ausnutzung der Grundstücksflächen (FlNrn. … und …*). Im Hinblick auf den Baustil handelt es sich um eher modernere Bauten. Das Gebiet ist insgesamt als homogen im Hinblick auf Baustil und Baustruktur anzusehen.
Im Gegensatz dazu weist das Gebiet nördlich der …straße eine andere, ebenfalls homogene Struktur auf. In diesem Gebiet sind Einzelhäuser oder kleine Wohnanlagen in lockerer Bebauung unter eher geringer Ausnutzung der Grundstückflächen mit großzügigen Gartenanlagen vorherrschend. Auch aufgrund des völlig unterschiedlichen Alters der vorhandenen Wohnhäuser und dem damit einhergehenden unterschiedlichen Ensemble zum südlichen Gebiet unterscheidet sich dieses Baugebiet deutlich von dem südlich der Mainstraße.
Da sich somit das klägerische Grundstück und das Vorhabengrundstück in unterschiedlichen Gebieten befinden, kann sich der Kläger weder auf einen Gebietserhaltungsanspruch noch auf einen Gebietsprägungserhaltungsanspruch berufen.
b. Doch selbst wenn man davon ausgeht, dass beide Grundstück in einem einheitlichen Gebiet liegen, so wäre der Kläger weder in seinem Gebietserhaltungsanspruch noch in seinem Gebietsprägungserhaltungsanspruch verletzt.
Hinsichtlich der Art ist das Vorhaben in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB iVm § 4 BauNVO allgemein zulässig.
Aber auch die vom Kläger zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vom 9.8.2018 – 4 C 7/17) zum Drittschutz von Maßfestsetzungen verhilft der Klage nicht zum Erfolg. Zwar konstatiert das Bundesverwaltungsgericht, dass sich aus den Festsetzungen über das Maß der baulichen Nutzung unabhängig vom erkennbaren Willen des Plangebers ein Drittschutz ergeben kann, sofern dem Bebauungsplan ein Konzept zu entnehmen ist, wonach mittels dieser Festsetzung die Planbetroffenen zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft mit wechselseitigen Pflichten und Rechten verbunden sein sollten.
Voraussetzung ist aber, dass es im Bebauungsplan überhaupt Festsetzungen zum Maß gibt, aus denen sich ein möglicher Drittschutz ableiten lässt. Da aber bei dem hier inmitten stehenden Baulinienplan derartige Festsetzungen fehlen, findet die Rechtsprechung schon gar keine Anwendung und ist demnach auf Vorhaben, deren Maß sich nach § 34 BauGB richtet, auch nicht übertragbar. Hat die Beklagte bewusst kein Gebiet überplant und somit auch keine Maßfestsetzungen getroffen, hat sie folglich auch nicht ihren Willen manifestiert, den man nach obiger Rechtsprechung auslegen könnte. Es bleibt damit in unbeplanten Gebieten nach § 34 BauGB bei dem Grundsatz, dass das Maß der baulichen Nutzung keinen Drittschutz vermittelt.
Ein möglicher Gebietsprägungserhaltungsanspruch wäre auch nicht verletzt.
Unabhängig davon, ob ein solcher Anspruch überhaupt besteht (vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2012 – 2 ZB 11.2563; OVG Berlin-Bbg, U.v. 30.6.2017 – OVG10 B 10.15), wird die gebietstypische Prägung „Wohnen“ (§ 4 Abs. 1 BauNVO) durch das geplante Wohngebäude nicht verletzt. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass in dem geplanten Bauvorhaben mehrere Wohnungen entstehen, denn die Zahl der Wohnungen ist – jedenfalls im hier vorliegenden Anwendungsbereich des § 34 BauGB – kein Merkmal, das die Art der baulichen Nutzung prägt (BVerwG, U.v. 13.6.1980 – IV C 98.77; B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89; BayVGH, B.v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482; OVG Münster, B.v. 14.03.2019 – 10 B 42/19; OVG SH, B.v. 18.9.2017 – 1 MB 15/17). Selbst wenn man davon ausgeht, dass ausnahmsweise „Quantität in Qualität“ umschlagen könnte, mithin die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen kann (vgl. BVerwG, U.v. 16.3.1995 – 4 C 3.94), weist das Vorhaben mit 91 Wohneinheiten keine Größe auf, die es erlauben würde, von einer gegenüber der im selben Gebiet schon vorhandenen und ähnlich dimensionierten Wohnanlagen andersartigen Nutzungsart zu sprechen. Auf die Ausmaße des Gebäudes kommt es hierbei, da § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO nicht auf das Maß der baulichen Nutzung abstellt, nicht an (NdsOVG, B.v. 28.5.2014 – 1 ME 47/14).
3. Die Baugenehmigung verstößt auch nicht gegen drittschützende denkmalschutzrechtliche Normen.
Sowohl aus den Bestimmungen des bayerischen Denkmalschutzgesetzes als auch aus dem bundesrechtlichen städtebaulichen Belang des Denkmalschutzes ergibt sich für den Denkmaleigentümer ein Abwehrrecht lediglich im Hinblick auf das grundrechtlich gebotene Mindestmaß an denkmalrechtlichem Drittschutz, den Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dem Denkmaleigentümer mit Blick auf dessen schutzwürdiges Interesse vermittelt, das Denkmal und die dafür getätigten Investitionen nicht entwertet zu sehen. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn das genehmigte Vorhaben die Denkmalwürdigkeit des Anwesens des Nachbarn erheblich beeinträchtigt. (vgl. BayVGH, B.v. 19.4.2017 – 9 CS 17.206; BVerwG, B.v. 12.1.2016 – 4 BN 11.15; B.v. 10.6.2013 – 4 B 6.13).
Eine solche erhebliche Beeinträchtigung des klägerischen Denkmals liegt nicht vor.
Wie sich aus den Stellungnahmen der Unteren Denkmalschutzbehörde sowie des Bayerischen Landesamtes für Denkmalschutz (Blatt 88, 89 und 288 der Behördenakte) ergibt, wird das Einzeldenkmal des Klägers zwar durch das Vorhaben beeinträchtigt, aber eben nicht erheblich, bzw. es entsteht durch das streitgegenständliche Vorhaben keine massive Bedrängnis für das klägerische Denkmal.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gilt, dass amtlichen Auskünften von Fachbehörden eine hervorgehobene Bedeutung zukommt. Da sie auf jahrelanger fachliche Bearbeitung eines bestimmten Gebiets und nicht nur auf der Auswertung von Aktenvorgängen im Einzelfall beruhen, haben sie grundsätzlich ein größeres Gewicht als die Aussagen Privater und es bedarf eines substantiierten gegenteiligen Vortrags, um sie zu erschüttern (vgl. insbesondere zu denkmalrechtlichen Fachbehörden BayVGH, U.v. 02.08.2018 – 2 B 18.742).
Da der Kläger den Aussagen obiger Fachbehörden nicht substantiiert entgegengetreten ist und sich auch sonst keine Anhaltspunkte für das Gericht ergeben, dass die fachlichen Einschätzungen nicht plausibel oder nicht nachvollziehbar sind, geht die Kammer davon aus, dass das streitgegenständliche Vorhaben das klägerische Anwesen nicht in erheblicher Weise beeinträchtigt.
4. Das Vorhaben ist dem Kläger gegenüber weder aufgrund der geplanten Tiefgarage bzw. den Stellplätzen (dazu a.), noch aufgrund unzumutbarer Einsichtnahmemöglichkeiten (dazu b.) oder einer erdrückenden Wirkung (unter c.) rücksichtslos.
a. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme kann zwar in Betracht kommen, wenn sich die Erschließungssituation eines Grundstücks durch eine vorhabenbedingte Überlastung einer das Grundstück des Betroffenen erschließenden Straße oder durch unkontrollierten Parksuchverkehr erheblich verschlechtert. Auch kann eine unzureichende Stellplatzzahl eines Bauvorhabens gegenüber den Eigentümern der vom parkenden Verkehr und Parksuchverkehr betroffenen Grundstücke im Einzelfall – ausnahmsweise – im bauplanungsrechtlichen Sinne rücksichtslos sein (VGH München; B. v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482). Beides ist hier aber nicht ersichtlich.
Zum einen liegt schon kein Stellplatzmangel vor, der zur Rücksichtslosigkeit führen kann.
In Ziffer 1.10 der Satzung über die Herstellung von Kraftfahrzeugstellplätzen und Fahrradabstellplätzen der Beklagten wird die Zahl der Kfz-Stellplätze von geförderten Mietwohnungen mit 0,5 beziffert. Da es sich bei den 91 Wohneinheiten um solche geförderten Mietwohnungen handelt, waren 46 Stellplätze zu errichten, wovon 9 abgelöst wurden, was einer Errichtung gleichsteht, siehe Art. 47 Abs. 3 BayBO, und die Übrigen Stellplätze durch den Bau einer Tiefgarage mit 37 Plätzen abgedeckt werden. Der Bedarf von 46 Stellplätzen wurde damit erfüllt.
Darüber hinaus ist eine Beeinträchtigung nicht schon darin zu sehen, dass möglicherweise die Mainstraße durch Fahrzeuge von Nutzern der baulichen Anlage zum Parken in Anspruch genommen wird und dem Kläger nur noch mit den daraus folgenden Einschränkungen zur Verfügung steht (vgl. OVG LSA, B.v. 5.3.2014 – 2 M 164/13). Es ist nicht ersichtlich, dass die Zugänglichkeit zum Anwesen des Klägers „dem Grunde nach“ und auf Dauer in Frage gestellt wäre (VGH München; B. v. 8.1.2019 – 9 CS 17.2482.). Die …straße ist neben der …straße oder dem … Weg eine von mehreren Straßen, die die westlichen überwiegend wohngenutzten Grundstücke erschließt und somit eine Anliegerstraße. Mithin ist nicht mit einem erheblichen – über die Wohnnutzung hinausgehenden – Verkehr zu rechnen ist (BayVGH, B.v. 7.11.2011 – 2 CS 11.2149). Individuelles Fehlverhalten ist städtebaulich nicht relevant; „wildem Parken“ ist gegebenenfalls mit Mitteln des Ordnungsrechts zu begegnen (vgl. BVerwG, B.v. 6.12.2011 – 4 BN 20.11; OVG NW, B.v. 29.3.2018 – 7 A 320/17; HambOVG, B.v. 24.8.2016 – 2 Bs 113/16). Die Errichtung notwendiger Garagen und Stellplätze für ein Wohnbauvorhaben und die mit ihrem Betrieb üblicherweise verbundenen Belastungen durch zu- und abfahrende Kraftfahrzeuge des Anwohnerverkehrs sind im Übrigen grundsätzlich als sozialadäquat hinzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 20.3.2018 – 15 CS 17.2523). Das dem Nachbarn durch das Eigentum vermittelte Recht zur bestimmungsgemäßen Nutzung seines Grundstücks begründet kein Recht auf bevorzugte Nutzung des angrenzenden öffentlichen Straßenraums und keinen Anspruch darauf, dass eine bisher gegebene Verkehrslage aufrechterhalten bleibt (VG München, U.v. 26.02.2018 – M 8 K 16.2434).
Hinzu kommt, dass sich aus der schallimmissionsschutztechnischen Untersuchung vom 21. August 2018 ergibt, dass, bezogen auf den von der Nutzung der Tiefgarage ausgehenden Lärm, ein Beurteilungspegel am klägerischen Anwesen (IO 4) von tags 39 dB(A) und nachts 32 dB(A) gemessen wurde, was deutlich unterhalb der zulässigen Immissionsrichtwerte im allgemeinen Wohngebiet abzüglich Vorbelastung liegt (tags 49 dB(A) und nachts 34 dB(A)). Eine unzumutbare Beeinträchtigung durch Lärmimmissionen ist daher auch nicht gegeben, insbesondere auch deshalb, weil die ursprünglich geplanten Wärmepumpen durch den Anschluss an die Fernwärme entfallen.
b. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme ergibt sich auch nicht aufgrund unzumutbarer Einsichtnahmemöglichkeiten vom streitgegenständlichen Vorhaben (hier insbesondere Haus 5) auf das klägerische Grundstück.
Das Bauplanungsrecht vermittelt keinen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken; die Möglichkeit der Einsichtnahme ist grundsätzlich nicht städtebaulich relevant (vgl. BVerwG, B.v. 24.4.1989 – 4 B 72.89, BayVGH B.v. 5.4.2019 – 15 ZB 18.1525; B.v. 13.4.2018 – 15 ZB 17.342). In bebauten innerörtlichen Bereichen – wie hier – gehört es zur Normalität, dass von benachbarten Grundstücken bzw. Gebäuden aus Einsicht in andere Grundstücke und Gebäude genommen werden kann. Auch über das Gebot der Rücksichtnahme wird in bebauten Ortslagen daher kein genereller Schutz des Nachbarn vor jeglichen (weiteren) Einsichtsmöglichkeiten vermittelt, allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich unter dem Gesichtspunkt der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme etwas anderes ergeben (vgl. BayVGH B.v. 5.4.2019 – 15 ZB 18.1525 m.w.N.).
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nach Auffassung der Kammer aus mehreren Gründen nicht vor.
Zum einen ist das Haus 5 zum klägerischen Grundstück hin abgestuft und folglich an der Nordseite nur annähernd so hoch wie das klägerische Gebäude, weshalb sich hier schon kein Einblick „von oben“ ergibt. Ein solcher ist auch nicht durch das sog. „Urban Gardening“, das auf dem Haus 5 stattfindet, gegeben. Die Nutzung dieses Dachgartens ist bis maximal 2 m zur nördlichen Seite des Haus 5 (zum klägerischen Grundstück hin) begrenzt, weshalb es ausgeschlossen ist, dass Personen vom Dach Einblick auf das klägerische Grundstück nehmen können (siehe insbesondere Auflage 1.3 des Bescheids und Blatt 8 der Bauplanmappe).
Zum anderen ergibt sich aus den vorgelegten Draufsichten nicht, dass der Kläger z.B. durch eine hohe Anzahl an Fensteröffnungen mit Blickrichtung auf sein Grundstück mit unzumutbaren Einblicken rechnen muss (siehe Blatt 12 der Bauplanmappe).
c. Letztlich ergibt sich ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme auch nicht aus einer erdrückenden oder einmauernden Wirkung des Vorhabens auf das klägerische Grundstück.
Eine abriegelnde oder erdrückende Wirkung in Folge des Nutzungsmaßes eines Bauvorhabens kann ungeachtet des grundsätzlich fehlenden Nachbarschutzes bezüglich des Maßes der baulichen Nutzung als unzumutbare Beeinträchtigung nur bei nach Höhe und Volumen übergroßen Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht kommen (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 5.4.2019 – 15 ZB 18.1525; B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer erdrückenden oder abriegelnden Wirkung sind mithin – neben der bloßen Distanz – insbesondere die besonderen Belastungswirkungen aufgrund der Höhe und der Länge des Bauvorhabens auf das benachbarte Wohngebäude (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78: elf- bzw. zwölfgeschossiges Gebäude in naher Entfernung zu zweieinhalb geschossigem Wohnhaus; BVerwG, U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85: grenznahe 11,5 m hohe und 13,31 m lange, wie eine „riesenhafte metallische Mauer“ wirkende Siloanlage bei einem sieben Meter breiten Nachbargrundstück). Es ist mit Blick auf diese Maßstäbe schon im Ansatz nicht ersichtlich, dass das allein hier in Betracht kommende Haus 5 mit annähernd gleicher Höhe im Abstand von ca. 16 m und einer Straße zwischen beiden Gebäuden einen unzumutbaren einmauernden oder erdrückenden Effekt in diesem Sinne haben könnte.
5. Auf eine möglicherweise unterlassene UVP-(Vor) prüfung durch den Bau von 16 Brunnen kann sich der Kläger nicht berufen, da die Brunnen und die damit verbundenen wasserrechtliche Aspekte nicht Gegenstand des vereinfachten Genehmigungsverfahrens waren.
Eine nachteilige Veränderung der Grundwasserverhältnisse ist im vereinfachten Genehmigungsverfahren nur zu prüfen, soweit eine nach den wasserrechtlichen Vorschriften erforderliche Entscheidung entfällt oder ersetzt wird (VGH München, B.v. 14.7.2015 – 15 CS 15.1151). Findet dagegen eine wasserrechtliche Prüfung statt, so ist allein im Rahmen dieses Verfahrens das eventuelle Erfordernis einer UVP-Prüfung als unselbständiger Teil dieses verwaltungsbehördlichen Verfahrens zu berücksichtigen, § 4 UVPG.
Die Beklagte hat neben der hier streitgegenständlichen Baugenehmigung hinsichtlich der geplanten Brunnen eine beschränkt widerrufliche Erlaubnis zum Fördern von Grundwasser erteilt (§ 8 WHG), wodurch sie alleine in diesem Verfahren umweltrechtliche Aspekte zu prüfen gehabt hat, jedoch nicht im Rahmen der im vereinfachten Verfahren erteilten Baugenehmigung.
Was nicht Gegenstand des Prüfungsverfahrens der streitgegenständlichen Baugenehmigung war, ist auch nicht geeignet, ihre Anfechtung zu begründen.
Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
Da sich die Beigeladene durch eine eigene Antragstellung am Kostenrisiko des Verfahrens beteiligt hat, entspricht es der Billigkeit, dass ihre außergerichtlichen Kosten vom Kläger getragen werden (§§ 154 Abs. 3 1. Halbsatz, 162 Abs. 3 VwGO).


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