Baurecht

Nachbarklage gegen die Genehmigung eines Fachmarktzentrums

Aktenzeichen  AN 17 K 19.01352

Datum:
6.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26545
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BImSchG § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 29b
BayBO Art. 60, Art. 66 Abs. 1 S. 2, Art. 68 Abs. 1, Abs. 4
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 6, § 15 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Im Rahmen einer Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten in billiger Weise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Was an Lärmimmissionen hinzunehmen ist, lässt sich für Gewerbelärm anhand der Immissionsrichtwerte der TA Lärm ermitteln; diese konkretisiert das baurechtliche Rücksichtnahmegebot. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
3. Da Betriebsleiterwohnungen dem Gewerbe dienen, stellt eine Betriebsleiterwohnung eine gewerbliche Nutzung dar und kann den Gewerbecharakter des Gebiets nicht in Frage stellen. Nur vereinzelte Wohnnutzungen vermögen die Prägung des Gebiets als Gewerbegebiet nicht hin zu einem Mischgebiet zu verändern. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die Anfechtungsklage der Kläger (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.), und deshalb abzuweisen.
1. Die Klagefrist von einem Monat nach § 74 Abs. 1 VwGO wurde auch von der Klägerin zu 2), der die Baugenehmigung mittels Einschreiben (Aufgabe zur Post am 19.6.2019) zugestellt wurde, mit der Klageerweiterung vom 19. Juli 2020 eingehalten.
Der Zulässigkeit der Klage steht nach Ansicht des Gerichts auch nicht die Tatsache entgegen, dass die Kläger eine große Teilfläche für das beklagte Vorhaben der Beigeladenen zu 1) zum Zweck der Errichtung eines Fachmarktzentrums mit Kaufvertrag vom 11. November 2019 verkauft haben und sich in § 21 des notariellen Kaufvertrags zivilrechtlich zusätzlich zur Duldung des Fachmarktzentrums und zur Unterstützung des Verfahrens verpflichtet haben. Ein Rechtsmissbrauch durch die Kläger oder eine sonstige Variante des Fehlens eines Rechtschutzbedürfnisses für die öffentlich-rechtliche Anfechtungsklage gegen das Bauvorhaben ist darin noch nicht zu sehen. Zwar ist es richtig, dass die Kläger damit ihr grundsätzliches Einverständnis mit dem Bauvorhaben ausgedrückt haben, auch weicht die nunmehr genehmigte Planung des Fachmarktzentrum hinsichtlich der Situierung und der Nutzung der Gebäude einschließlich der Zufahrt und der Parkflächen im Vergleich zum Planungsstand im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags nicht nennenswert ab, was sich aus dem Vergleich der Anlage des Kaufvertrags und den Genehmigungsunterlagen ergibt und ist das jetzige Vorgehen und der Sinneswandel der Kläger damit kaum erklärlich. Jedoch sind zivilrechtliche Umstände und Regelungen zwischen den Parteien vom Grundsatz her für das Baugenehmigungsverfahren nicht relevant. Nach Art. 68 Abs. 4 BayBO ergeht die Baugenehmigung vielmehr unbeschadet privater Rechte Dritter. Für die Beteiligung und die Rechte des baurechtlichen Nachbarn trifft Art. 66 BayBO die maßgeblichen Regelungen. Nach der Rechtsprechung steht der Zulässigkeit einer öffentlich-rechtlichen Nachbarklage daraus folgend die Zustimmung des Nachbarn durch Unterschriftsleistung auf den Bauplänen nach Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BayBO entgegen (Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Stand Dez. 2019, Art. 66 Rn. 158 ff.). Hierzu ist es vorliegend aber gerade nicht gekommen. Nachdem der Rahmen des Einflusses privater Belange auf das öffentlich-rechtliche Bauverfahren in der BayBO selbst gesteckt ist, muss eine Berücksichtigung darüber hinaus gehender privater Umstände sehr kritisch gesehen und in der Regel abgelehnt werden. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass die Regelung in § 21 des notariellen Kaufvertrags auch ausdrücklich die Rechte „aus der Nachbarschaft“ unberührt lässt und die Duldungspflicht der Kläger eingeschränkt auf „sofern und soweit die Erstellung und der Betrieb des Fachmarktzentrums entsprechend den einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften erfolgt“. Von der Zulässigkeit der Klage ist somit auszugehen.
2. Die Klage ist jedoch unbegründet, da die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 18. Juni 2019 die Kläger im Ergebnis nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Eine Anfechtungsklage hat nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann Erfolg, wenn der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger zugleich in eigenen Rechten verletzt. Die objektive Verletzung einer Rechtsnorm allein genügt für den Erfolg der Nachbarklage somit nicht. Vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit zum einen gerade aus einer solchen Norm ergeben, die dem Schutz des Nachbarn dient (Schutznormtheorie, vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009, 14 CS 08.3017 – juris). Zum anderen ist nur eine Rechtsverletzung maßgeblich, die zum Prüfungsumfang im bauaufsichtsrechtlichen Verfahren gehört, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt, die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln, verletzt sind (vgl. BayVGH a.a.O.). Maßgeblicher Zeitpunkt hierfür ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage, die im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Verwaltungsaktes, d.h. der Erteilung der Baugenehmigung, gegeben war.
Vorliegend allein geltend gemacht ist eine Verletzung der Kläger durch die vom Vorhaben ausgehende Immissionen. Der maßgebliche Bebauungsplan Nr. 27 „Sondergebiet Fachmarktzentrum …“ trifft im Hinblick auf Lärm oder andere Immissionen keine Regelungen. Eine Rechtsverletzung zugunsten der Kläger kommt damit nur über das Gebot der Rücksichtnahme in Betracht, das ungeachtet der Frage gilt, ob das Vorhabengrundstück dem beplanten oder unbeplanten Bereich zuzuordnen ist (BayVGH, B.v. 19.3.2015, 9 CS 14.3441 – juris Rn. 23 ff), so dass es insofern auch nicht auf die Wirksamkeit des Bebauungsplanes Nr. 27 der Beigeladenen zu 2) ankommt.
Das Gebot der Rücksichtnahme, gesetzlich verankert in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO bzw. § 34 Abs. 1 BauGB, verpflichtet die Baugenehmigungsbehörde, auf schutzwürdige Belange eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter zu achten und vermittelt Nachbarn so Drittschutz (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – NJW 1978, 62). Das Maß der gebotenen Rücksichtnahme hängt dabei von den besonderen Umständen des Einzelfalles ab. Bei der in diesem Zusammenhang anzustellenden Interessensbewertung ist ausschlaggebend, was den Rücksichtnahmebegünstigten und den zur Rücksichtnahme Verpflichteten nach der jeweiligen Situation, in der sich die betroffenen Grundstücke befinden, im Einzelfall zuzumuten ist. Im Rahmen einer Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen sind die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten in billiger Weise zumutbar oder unzumutbar ist, gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerwG, U.v. 5.8.1983, a.a.O., und B.v. 10.1.2013, 4 B 48/12 – juris). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit seinem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. BVerwG, B.v. 10.1.2013, a.a.O.; BayVGH, B.v. 24.3.2009, a.a.O., juris Rn. 40). Die Bewertung der Zumutbarkeit richtet sich damit insbesondere nach der durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit.
Diesem Maßstab zugrunde gelegt liegt eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme gegenüber der Kläger aufgrund zu erwartender und mit dem Vorhaben verbundener Lärmimmissionen nicht vor.
Zur Bestimmung der Grenze dessen, was im Rahmen des Rücksichtnahmegebots einem Nachbarn an Einwirkungen in Form von Lärmimmissionen zugemutet werden kann, kann im Regelfall auf die Begriffsbestimmungen und Maßstäbe des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) zurückgegriffen werden (BayVGH, B.v. 15.11.2011, 14 AS 11.2305 – juris Rn. 29), in dem die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines Regelungsbereichs grundsätzlich allgemein festgesetzt sind (BVerwG, U.v. 23.9.1999, 4 C 6/98 – juris; VG München, U.v. 26.7.2011 – M 1 K 11.2366 – juris Rn. 26). Lärmimmissionen können unzumutbar sein, sofern sie nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen (§ 3 Abs. 1 und § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG). Dabei wird der Schutz nicht nur im bauplanungsrechtlich selben Gebiet vermittelt, sondern auch für die außerhalb des Baugebiets liegende Umgebungsbebauung. Die Baugenehmigungsbehörde hat bei der Prüfung, ob und inwieweit von einer Anlage Immissionen ausgehen können, der Reichweite der Immissionen nachzugehen. Was an Lärmimmissionen hinzunehmen ist, lässt sich dabei für Gewerbelärm anhand der Immissionsrichtwerte der Sechsten Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum BImSchG, der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) ermitteln; diese konkretisiert das baurechtliche Rücksichtnahmegebot. Die TA Lärm ist auch geeignet für die Beurteilung von Anlagen, bei denen die Geräusche vornehmlich in den Ruhezeiten und den Nachtstunden durch menschliches Verhalten einschließlich des An- und Abfahrtverkehrs hervorgerufen werden (BayVGH, U.v. 29.7.2002, 1 B 98.3159 – juris Rn. 55).
Für Gewerbegebiete legt die TA Lärm in 6.1 Abs. 1 b) Immissionsrichtwerte für Immissionsorte außerhalb von Gebäuden von 65 dB(A) tags und 50 dB(A) nachts fest. Diese Werte dürfen grundsätzlich nicht überschritten werden. Für das Grundstück der Kläger FlNr. 504/72 sind diese Werte maßgeblich. Ihr Grundstück ist, ungeachtet der Wohnnutzung dort, als Teil eines Gewerbegebiets einzustufen. Das ganze Areal rechts und links der … außerhalb des Altstadtrings der Stadt … bis zur Gabelung von … und … Haup straße war und ist deutlich gewerblich geprägt. Das verbleibende Restgrundstück der Kläger stellt das einzige Grundstück mit ausschließlicher Wohnnutzung inmitten dieses Areals dar. Südlich der … befindet sich auf Höhe des klägerischen Anwesens ein Discounter (* …*) sowie Kleingewerbebetriebe (Fahrschule, Sonnenstudio, Hörgeräteakustiker) mit einem größeren Parkplatz, im weiteren Verlauf der … stadtauswärts das sehr große Areal eines Industriebetriebs (Wellpappenbetrieb …*). Wohnnutzung existiert entlang der … auf dieser Straßenseite nicht. Auf der Straßenseite der Kläger findet sich östlich des klägerischen Anwesens (Bereich bis zum Altstadtring) ganz überwiegend und prägend ebenfalls Gewerbe, nämlich insbesondere ein Gebäude mit Drogeriemarkt (Drogerie …*) und Sanitätshaus (Sanitätshaus …*), außerdem weitere kleinere Gewerbe wie ein Optiker, ein Bekleidungsgeschäft und ein Motorradgeschäft. Westlich des jetzigen klägerischen Grundstücks, auf dem nunmehr das Fachmarktzentrum entstehen soll, fand bzw. findet – sowohl auf dem Grundstücksteil, das ehemals den Klägern gehörte, als auch westlich daran anschließend – seit Jahrzehnten Gewerbenutzung statt, unter anderem durch die Weberei der Familie der Kläger und durch die Firma … mit Motorenprüfstand und Verwaltungs- und Betriebswohngebäude. Die wenigen Wohnnutzungen in diesem Bereich, nämlich in der … … (zwei Wohnungen), 12 (klägerisches Anwesen mit zwei Wohneinheiten) und 18 (eine Wohnung) und früher in dem inzwischen abgerissenen L-förmigen Gebäude der Fa. … stellen den Gewerbegebietscharakter des Areals nördlich der … nicht in Frage. Sämtliche Wohnungen standen bzw. stehen in Zusammenhang mit gewerblichen Nutzungen und sind als Betriebs(leiter) wohnungen zu klassifizieren, die nur aufgrund der Zugehörigkeit zu einem Gewerbebetrieb dort genehmigt worden sind bzw. entstehen konnten. Eine solche, einem Betrieb zugeordnete Wohnnutzung ist nicht in der Lage, ein Gebiet zu einem Mischgebiet, das nach § 6 BauNVO gleichermaßen der Gewerbeausübung als auch der Wohnnutzung dient und das nach 6.1 Abs. 1 c) der TA Lärm strengere Immissionsrichtwerte beanspruchen kann, zu machen. Da Betriebsleiterwohnungen dem Gewerbe dienen, stellt die Betriebsleiterwohnung eine gewerbliche Nutzung im Sinne der BauNVO und der TA Lärm dar und stellt den Gewerbecharakter des Gebietes nicht in Frage. Im Übrigen vermögen es die nur ganz vereinzelten Wohnnutzungen im Verhältnis zur gewerblichen Nutzung im maßgeblichen Bereich nicht, die Prägung des Gebiets als Gewerbegebiet hin zu einem Mischgebiet zu verändern. Einzelne Fremdkörper in einem Gebiet prägen den Gebietstyp grundsätzlich nicht.
Für die zulässigen Lärmwerte auf dem klägerischen Grundstück kommt es nicht auf die unstreitige tatsächliche alleinige Wohnnutzung auf dem Anwesen der Kläger an. Dies ergibt sich schon aus der Formulierung der TA Lärm in Nr. 6.1 Abs. 1, die die Unterscheidung nach Gewerbegebieten, urbanen Gebieten, Kerngebieten, etc. trifft, nicht aber nach entsprechender Nutzung der Anwesen oder Grundstücke. Ebenso ergibt sich dies aus Nr. 6.6 der TA Lärm, wonach sich die Festlegung des Gebietstyps nach dem Bebauungsplan bzw. der entsprechenden Schutzwürdigkeit richtet (vgl. auch VG Würzburg, U.v. 25.8.2015 – W 4 14.451 – juris Rn. 36, VG Aachen, B.v. 8.11.2012 – 3 L 308/12 – juris Rn. 41). Im Übrigen haben die Kläger durch die Teilung ihres Grundstücks ein reines Wohngrundstück überhaupt erst begründet. Eine höhere Schutzwürdigkeit kann durch ein derartiges Vorgehen nicht erwirkt werden.
Die Kläger dringen auch mit ihrer Argumentation nicht durch, dass bei Entstehung des gewerblichen Anwesens östlich ihres Hauses (Drogeriemarkt u.a.) im Jahr 2013 bauplanerisch von einer Gemengelage, nicht aber von einem Gewerbegebiet ausgegangen worden ist und deshalb auch weiterhin hiervon ausgegangen werden müsse. Für die Beurteilung des Bauvorhabens ist auf die Situation heute und bezogen auf die Umgebung des jetzigen Bauvorhabens abzustellen. Die damalige Einschätzung (2013) der Umgebung eines anderen, lediglich in der Nähe liegenden Grundstücks stellt die Einschätzung nicht zwangsläufig in Frage. Zum einen kann die damalige Einschätzung fehlerhaft bzw. vorsorglich zugunsten der für die Nachbarschaft günstigeren Variante erfolgt sein, um nachzuweisen, dass die Voraussetzungen sogar bei Annahme ungünstigerer Umstände eingehalten sind. Zum anderen beeinflusst gerade das damals beantragte und inzwischen errichtete Vorhaben den Gebietscharakter des Areals heute mit, sodass im Vergleich zu 2013 heute eine andere Beurteilung ohne Vorliegen eines Widerspruchs ohne Weiteres denkbar ist. Durch den übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten zur Bebauung des Areals unter zusätzlicher Heranziehung von früheren und heutigen Plänen und Luftbildern ist die Einstufung des Gesamtareals als Gewerbegebiet im maßgeblichen Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung jedenfalls nicht ernsthaft fraglich und erforderte auch keine weitere Aufklärung.
Dass die demzufolge an den die Kläger betreffenden IO 5 und 6 einzuhaltenden Immissionsrichtwerte von 65 dB(A) tags und 50 dB(A) nachts nach Nr. 6.1 Abs. 1 b) TA Lärm durch das Vorhaben nicht überschritten werden, belegen die schallschutztechnischen Untersuchungen der M+O, die im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens (Gutachten vom 14.7.2016) und des Baugenehmigungsverfahrens (Gutachten vom 17.9.2018 mit Ergänzung vom 15.1.2019) erstellt wurden. Die Einhaltung sichern darüber hinaus die im streitgegenständlichen Bescheid vom 18. Juni 2019 aufgenommenen Nebenbestimmungen unter Nr. 14 und 15 ab. Zwar wurde eine Ermittlung der Gesamtgeräuschsituation einschließlich derjenigen Emmissionen, die von anderen Geräuschquellen ausgehen, nicht vorgenommen, jedoch konnte die Genehmigung wegen der Erfüllung des sog. Irrelevanzkriteriums nach 3.2.1 Abs. 2 TA Lärm nicht versagt werden. Danach sind die vom Vorhaben ausgehenden zusätzlichen Emissionen in der Regel nicht als relevant anzusehen, wenn die Zusatzbelastung durch das Vorhaben für sich genommen die Immissionswerte am IO nach Nr. 6 der TA Lärm – also hier die Werte von 65 dB(A) tags und 50 dB(A) nachts – um mindestens 6 dB(A) unterschreiten. Dies ist bei den ermittelten maximal 58 dB(A) tags und maximal 39 dB(A) nachts der Fall. Durch die Festschreibung der Maximalwerte nach der Irrelevanzregel im Bescheid (Nebenbestimmung Nr. 15) mit 59 dB(A) tags und 44 dB(A) nachts sind diese Werte auch für die Zukunft gesichert.
Zweifel an der Richtigkeit der schalltechnischen Untersuchung hat das Gericht nicht. Durchgreifende Einwände haben die Kläger dagegen nicht vorgebracht. Die im Gutachten zugrunde gelegten Parameter wie Größe und Anzahl der Verkaufs- und Stellplatzflächen entsprechen den Bauunterlagen, insbesondere den Bauplänen und der Betriebsbeschreibung. Im ergänzten Gutachten vom 15. Januar 2019 sind dabei klar auch der Verkehrslärm und der Lieferantenverkehr auf den Parkflächen und im Bereich der Anlieferungszone sowie lärmverursachende Geräte wie Klimaanlagen der Geschäftsflächen berücksichtigt. Plausibel, sachlich begründet und von Klägerseite auch nicht konkret in Zweifel gezogen ist die Untersuchung dabei auch in Bezug auf die zugrunde gelegten technischen Basiswerte z.B. für LKW-Kühlaggregate, Ladearbeiten, Klimaanlagen und die Benutzung der Einkaufswagen.
Die für die Berechnung angesetzte Verkehrsbelastung von 2110 Kraftfahrzeugbewegungen pro Tag entspricht dem von der Beigeladenen zu 2) für das Bebauungsplanverfahren in Auftrag gegebenen verkehrstechnischen Untersuchung der … vom 14. Juli 2016 (dort S. 7), dem die Klägerseite lediglich pauschal entgegen hält, dass aus ihrer Sicht realistischerweise 4.000 Fahrzeugbewegungen anzunehmen seien. Die im beigezogenen Verkehrsgutachten im Einzelnen dargelegten Berechnungen und Annahmen können durch das bloße In-den-Raum-Stellen von anderen Zahlen, die aber nicht weiter hergeleitet werden, nicht erschüttert werden, zumal die angesetzten Werte von fachlicher Seite durch den Immissionsschutzingenieur des Landratsamtes für plausibel erachtet werden, wie dieser in der mündlichen Verhandlung vom 6. August 2020 auch nochmals ausdrücklich bestätigte. Ebenfalls nur pauschal kritisierten die Kläger den angenommen Anteil des motorisierten Individualverkehrs von 40% bei den Beschäftigten und 65% bei den Kunden, den der Bürgermeister der beigeladenen Stadt … demgegenüber mit dem relativ hohen Fahrradverkehr plausibel erklärte.
Die Anlieferung der Waren nur während der Tagzeit, wie im Gutachten angenommen, wurde im Genehmigungsverfahren zwar nicht im Wege von Nebenbestimmungen abgesichert, die Verpflichtung zur Einhaltung der genannten Zeiten ergibt sich jedoch aus der Betriebsbeschreibung selbst, wo ausdrücklich ausgeführt ist, dass die Anlieferung nur während der Betriebszeit erfolgt, die mit 6.00 bis 20.00 Uhr angegebenen wird. Dass eine Anlieferung nur außerhalb der Öffnungszeiten der Geschäfte erfolgen kann, erschließt sich dem Gericht ebenfalls nicht. Auch bei (teilweiser) Belegung der Parkflächen erscheint ein LKW-Anlieferverkehr aufgrund der Örtlichkeiten nicht von vorneherein ausgeschlossen. Die Begründung, inwieweit die – im Vergleich zur ursprünglichen Planung geänderten – Fahrradabstellplätze Einfluss auf die Lärmintensität des Lieferverkehrs haben sollen, blieb der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung schuldig. Dies ist in keiner Weise nachvollziehbar.
Von dem streitgegenständlichen Vorhaben sind nach alledem entsprechend der Schallschutzuntersuchung der … keine unzumutbaren Lärmimmissionen für die Kläger zu erwarten, da die Anforderungen der TA Lärm eingehalten sind. Zusätzliche lärmverringernde Maßnahmen können die Kläger damit nicht beanspruchen. Dies gilt umso mehr, als im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme zu Lasten der Kläger vorliegend möglicherweise zusätzlich noch zu berücksichtigen wäre, dass die Kläger durch den Verkauf der Flächen an die Beigeladene zu 1) das konkrete Vorhaben und damit die eigene Belastung erst ermöglicht haben und vom Vorhaben außerdem finanziell erheblich profitiert haben. Dies dürfte die Schutzwürdigkeit der Kläger, was bei der Prüfung des Rücksichtnahmegebots zu berücksichtigen ist, herabsenken. Letztlich kann dies aber dahinstehen, weil die Einhaltung der allgemeinen Lärmgrenzwerte der TA Lärm ausreichend gesichert ist.
Auf eine eventuelle Überschreitung der Lärmrichtwerte an anderen IO – hier im Wohngebiet jenseits des … im Norden des Vorhabens- und des klägerischen Grundstücks – können sich die Kläger mit ihrer Klage nicht berufen.
Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme durch Abgase, Ruß und Staub wird ebenfalls lediglich pauschal behauptet. Im faktischen Gewerbegebiet, in dem sich die Kläger befinden, sind die für diese Gebietsart typischen, gegenüber Wohngebieten in der Regel erhöhten Werte hinzunehmen.
3. Die Kostenentscheidung der damit erfolglosen Klage beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Nachdem sich die Beigeladenen mit ihren Antragstellungen dem Prozesskostenrisiko ausgesetzt haben, entspricht es der Billigkeit, ihnen ihre außergerichtlichen Kosten zu ersetzen.
4. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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