Baurecht

Nachbarklage gegen Nutzungsänderung eines ehemaligen Bürogebäudes in eine Unterkunft für Asylbewerber

Aktenzeichen  15 ZB 16.1975

Datum:
23.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 133252
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO § 6a Abs. 2 Nr. 1, Nr. 5

 

Leitsatz

1 Ein Nachbar, der sich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB gegen ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich wendet, kann im Fall einer Gemengelage klageweise mit Einwendungen gegen die Nutzungsart (hier Nutzungsänderung eines ehemaligen Bürogebäudes in eine Asylbewerberunterkunft) nur dann durchdringen, wenn die angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt.   (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zwar hat der Nachbar aus dem sog. Gebietserhaltungsanspruch in einem durch Bebauungsplan festgesetzten oder in einem faktischen Baugebiet einen unabhängig von tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigungen bestehenden Abwehranspruch gegen eine von der jeweils zulässigen Nutzungsart abweichende gebietswidrige Nutzung. Ein solcher Anspruch besteht jedoch im Falle einer Gemengelage, von der das Verwaltungsgericht zu Recht ausgegangen ist, nicht. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 5 K 16.520 2016-08-11 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin betreibt eine Ziegelei (Baustoffhandel) und wendet sich gegen eine dem Beigeladenen (Grundstücksnachbarn) erteilte Baugenehmigung (Nutzungsänderung eines ehemaligen Bürogebäudes in eine Unterkunft für Asylbewerber).
Das Verwaltungsgericht Augsburg hat die auf Aufhebung des Baugenehmigungsbescheids, hilfsweise auf die Verpflichtung des Beklagten, die Baugenehmigung nachträglich zu befristen bzw. durch geeignete Auflagen sicherzustellen, dass aufgrund der Baugenehmigung keine Wohnnutzung erfolgen könne, gerichtete Klage mit Urteil vom 11. August 2016 abgewiesen. Das Bauvorhaben des Beigeladenen füge sich nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein (§ 34 Abs. 1 BauGB) und verstoße auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil Bezug genommen.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung macht die Klägerin geltend, an der Richtigkeit des Urteils bestünden ernstliche Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Rechtssache weise außerdem besondere tatsächliche und rechtliche Schwierigkeiten auf und habe grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO). Die gerichtliche Bewertung der maßgeblichen Umgebungsbebauung als „Gemengelage“ sei zu überprüfen. Außerdem dürfe nicht offen bleiben, ob es sich bei dem Bauvorhaben um eine „Wohnnutzung im bauplanungsrechtlichen Sinne“ oder um eine „Anlage für soziale Zwecke mit nur wohnähnlichem Charakter“ handle. Möglicherweise entstünden durch das Bauvorhaben für die Klägerin neue (zusätzliche) Pflichten zur Rücksichtnahme. Das Verwaltungsgericht habe auch den Hilfsantrag zu Unrecht abgewiesen. Eine Befristung der genehmigten Nutzungsänderung sei möglich. Insoweit weiche das Urteil auch von Entscheidungen anderer Obergerichte ab (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Klägerin vom 21. Oktober 2016 verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die von der Klägerin geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. An der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Klägerin wird durch die Genehmigung des Bauvorhabens des Beigeladenen nicht in ihren Rechten verletzt. Der Senat folgt den ausführlichen Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt hierauf Bezug (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Lediglich ergänzend ist im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin im Zulassungsverfahren zu bemerken:
a) Die Bewertung des Verwaltungsgerichts, bei der für die planungsrechtliche Beurteilung des Bauvorhabens maßgeblichen Umgebungsbebauung (§ 34 Abs. 1 BauGB) handele es sich um eine „Gemengelage“ von Wohnen und Gewerbe, ist nicht ernstlich zweifelhaft. Zu Recht geht das Verwaltungsgericht davon aus, dass sich – abgesehen vom großflächigen gewerblichen Betrieb der Klägerin – in der näheren Umgebung keine weitere maßgebliche gewerbliche Nutzung befindet und die nähere Umgebung ansonsten durch Wohnbebauung geprägt wird. Auf die Frage, ob sich das Vorhaben in diese Gemengelage nach der Art der baulichen Nutzung gem. § 34 Abs. 1 BauGB einfügt, kommt es nicht entscheidungserheblich an. Ein Nachbar, der sich auf der Grundlage des § 34 Abs. 1 BauGB gegen ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich wendet, kann im Fall einer Gemengelage klageweise mit Einwendungen gegen die Nutzungsart nur dann durchdringen, wenn die angefochtene Baugenehmigung gegen das im Tatbestandsmerkmal des Einfügens enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verstößt (hierzu im Folgenden unter b)). Zwar hat der Nachbar aus dem sog. Gebietserhaltungsanspruch in einem durch Bebauungsplan festgesetzten oder in einem faktischen Baugebiet einen unabhängig von tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigungen bestehenden Abwehranspruch gegen eine von der jeweils zulässigen Nutzungsart abweichende gebietswidrige Nutzung (grundlegend BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28.91 – BVerwE 94, 151 ff.; vgl. auch BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 9 m.w.N.). Ein solcher Anspruch besteht jedoch im Falle einer Gemengelage, von der das Verwaltungsgericht zu Recht ausgegangen ist, nicht (BayVGH, B.v. 23.12.2013 – 15 CS 13.1445 – juris Rn. 30; B.v. 18.11.2014 – 15 ZB 14.595 – juris Rn. 2; B.v. 10.8.2016 – 9 ZB 16.944 – juris Rn. 11; VGH BW, B.v. 29.3.2017 – 5 S 1389/16 – ZfBR 2017, 1322 = juris Rn. 6 ff.). Im Übrigen teilt der Senat die Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass sich das Bauvorhaben im Hinblick auf die bereits bestehende Wohnbebauung auch dann in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt, wenn es sich hierbei um eine „Wohnnutzung im bauplanungsrechtlichen Sinne“ handeln würde. Dies gilt erst recht, wenn das Bauvorhaben – wie in der Baugenehmigung hinreichend deutlich klargestellt – als Anlage für soziale Zwecke mit wohnähnlichem Charakter zu beurteilen ist (vgl. hierzu z.B. BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 15 CS 15.1935 – juris Rn. 19 m.w.N.). Für die gerichtliche Entscheidung ist dabei entgegen der Ansicht der Klägerin die Anzahl der künftigen Bewohner in der Unterkunft für Asylbewerber unerheblich (vgl. hierzu z.B. auch BayVGH, B.v. 9.12.2015 – 15 CS 15.1935 – juris Rn. 20).
An der vorstehenden Beurteilung würde sich schließlich auch dann nichts ändern, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts schon auf § 6a BauNVO abzustellen gewesen wäre. Zum einen kann es wegen § 245c Abs. 3 BauGB kein faktisches urbanes Gebiet i.S. von § 34 Abs. 2 BauGB und damit auch diesbezüglich keinen Gebietserhaltungsanspruch geben. Zum anderen sind gem. § 6a Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 5 BauNVO in einem urbanen Gebiet sowohl allgemeine Wohngebäude als auch Anlagen für soziale Zwecke zulässig.
b) Das Verwaltungsgericht hat zu Recht auch einen Verstoß des Bauvorhabens gegen das Gebot der Rücksichtnahme verneint und in diesem Zusammenhang deutlich herausgestellt, dass sich das Bauvorhaben keinen vom gewerblichen Betrieb der Klägerin ausgehenden unzumutbaren Immissionen aussetzt und die Klägerin – welche bereits auf die vorhandene (ebenfalls nahegelegene) Wohnbebauung Rücksicht zu nehmen hat – in Bezug auf das Bauvorhaben des Beigeladenen auch künftig keine weitergehenden Rücksichten als schon bisher zu nehmen hat.
c) Das Verwaltungsgericht hat schließlich auch den klägerischen Hilfsantrag zu Recht abgewiesen, weil die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrten Nebenbestimmungen (Befristung bzw. Auflagen) zur Baugenehmigung hat. Darin liegt kein Widerspruch zu der von der Klägerin genannten obergerichtlichen Rechtsprechung, weil es auf die allgemeine Frage, unter welchen Voraussetzungen jeweils Nebenbestimmungen zu einer Baugenehmigung möglich sind, vorliegend nicht ankommt.
2. Die Rechtssache weist nach alledem weder besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf noch hat sie grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO). Das angefochtene Urteil weicht auch nicht von Entscheidungen anderer Obergerichte ab (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten billigerweise selbst, weil er keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Prozesskostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der 2013 aktualisierten Fassung (abgedruckt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Anhang) und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
4. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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