Baurecht

Nachbarklage, Isolierte Befreiung von Festsetzungen eines Bebauungsplans, Nachbarbeteiligung, Nicht nachbarschützende Festsetzungen, Gebot der Rücksichtnahme.

Aktenzeichen  9 ZB 22.165

Datum:
7.4.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 8438
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 31 Abs. 2
Art. 66 Abs. 1 BayBO.

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 4 K 20.810 2021-12-06 Urt VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich als Nachbar gegen eine der Beigeladenen erteilte isolierte Befreiung von Festsetzungen eines Bebauungsplans.
Mit Bescheid vom 18. Mai 2020 erteilte die Beklagte der Beigeladenen für die Errichtung einer Doppelgarage auf dem Grundstück FlNr. …72 Gemarkung S* … eine isolierte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. * … der Beklagten hinsichtlich des Garagenstandorts sowie eine Abweichung von § 2 Abs. 1 Satz 1 GaStellV.
Der Kläger, der Eigentümer des südlich an das Baugrundstück angrenzenden und im selben Bebauungsplangebiet liegenden Grundstücks FlNr. …74 derselben Gemarkung ist, hat hiergegen Klage erhoben. Diese hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 6. Dezember 2021 abgewiesen. Der vom Kläger geltend gemachte Verstoß gegen seine Nachbarbeteiligung könne nicht zur Aufhebung der erteilten isolierten Befreiung führen. Die Begründung des Bescheids sei nicht zu beanstanden und lasse insbesondere die Ermessenserwägungen der Beklagten erkennen. Auch aus materieller Sicht liege keine Rechtsverletzung des Klägers vor. Die im Bebauungsplan enthaltene Festsetzung zu den Garagenstandorten, von der befreit worden sei, wirke nicht drittschützend. Der Kläger könne sich somit nur auf das Gebot der Rücksichtnahme berufen, das hinsichtlich der an der nördlichen Grenze seines Grundstücks vorgesehenen Garage aber nicht verletzt sei. Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.
Zum übrigen Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
Aus dem Zulassungsvorbringen ergeben sich nicht die allein geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Solche sind nur dann anzunehmen, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Dies ist hier nicht der Fall.
1. Entgegen dem Vorbringen des Klägers trifft das Verwaltungsgericht in seinem Urteil nicht die Aussage, dass dieser im Baugenehmigungsverfahren ordnungsgemäß beteiligt worden sei. Mit seinem Einwand, es fehle an einer solchen Beteiligung, vermag der Kläger auch unabhängig davon nicht durchzudringen. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass Art. 66 BayBO lex specialis zu Art. 28 BayVwVfG ist (vgl. Art. 66 Abs. 2 Satz 2 BayBO; vgl. Edenharter in BeckOK BauordnungsR Bayern, BayBO, Stand Februar 2022, Art. 66 Rn. 31) und sich der Kläger mangels nachbarschützender Wirkung der genannten spezielleren bauordnungsrechtlichen Vorschrift nicht erfolgreich allein auf eine fehlende oder fehlerhafte Nachbarbeteiligung berufen kann (vgl. BayVGH, B.v. 16.10.2018 – 9 CS 18.1415 – juris Rn. 31 m.w.N.). Eine unterlassene Nachbarbeteiligung hat lediglich zur Folge, dass der Baugenehmigungsbescheid dem Nachbarn zuzustellen ist, wobei die Zustellung den Fristlauf für eine Klageerhebung auslöst (vgl. BayVGH, B.v. 14.3.2019 – 9 ZB 17.2005 – juris Rn. 10).
2. Soweit der Kläger die Begründung des Bescheids als floskelhaft und seine Belange nicht ausreichend ansprechend beanstandet, hat es einer solchen gemäß Art. 68 Abs. 3 Satz 2 BayBO nicht bedurft. Wie sich zutreffend dem erstinstanzlichen Urteil und den nachfolgenden Ausführungen entnehmen lässt, ist nicht ohne Zustimmung des Klägers von nachbarschützenden Vorschriften abgewichen worden (vgl. Decker in Busse/Kraus, BayBO, Stand September 2021, Art. 68 Rn. 258, 262 ff.). Der Kläger hat auch nicht in Textform Einwendungen gegen das Bauvorhaben erhoben (vgl. Decker in Busse/Kraus a.a.O. Rn. 268). Darüber hinaus ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass eine fehlerhafte Begründung hier Auswirkungen auf die Entscheidung in der Sache gehabt haben und deshalb beachtlich sein könnte (vgl. Art. 46 BayVwVfG).
3. Entgegen der Ansicht des Klägers ergibt sich aus den Festsetzungen der Garagen als Grenzgaragen sowie dem Ausschluss von Garagen außerhalb der hierfür im Bebauungsplan vorgesehenen Flächen keine Drittschutzwirkung. Während Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung regelmäßig als nachbarschützend anzusehen sind (sog. Gebietserhaltungsanspruch), ist bei anderen Festsetzungen – wie hier – maßgeblich, ob sie nach dem Willen des Plangebers ausschließlich aus städtebaulichen Gründen getroffen wurden oder (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen sollen. Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln, wobei sich ein entsprechender Wille unmittelbar aus dem Bebauungsplan selbst (etwa kraft ausdrücklicher Regelung von Drittschutz), aus seiner Begründung, aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung oder aus einer wertenden Beurteilung des Festsetzungszusammenhangs ergeben kann (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 15 ZB 17.635 – juris Rn. 16 m.w.N). Das Verwaltungsgericht hat sich daran orientiert und eine von der Gemeinde bezweckte Schutzfunktion der Garagenstandorte zugunsten benachbarter Grundstückseigentümer weder dem Bebauungsplan noch dessen Begründung entnehmen können; es ist dementsprechend von einer rein städtebaulichen Zielrichtung ausgegangen. Abgesehen davon, dass sich der Kläger hiermit nicht auseinandersetzt, lässt seine Argumentation, die Errichtung zusätzlicher Garagen habe verhindert werden sollen, nicht erkennen, inwieweit sich hieraus ein planerisches Konzept ableiten lässt, welches zumindest auch auf ein wechselseitiges nachbarliches Austauschverhältnis gerichtet war (vgl. BVerwG, B.v. 9.8.2018 – 4 C 7.17 – juris Rn. 14 f.).
4. Das Bauvorhaben verstößt auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme, nach welchem sich der Rechtsschutz des Klägers mangels Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung allein richtet (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Anforderungen, die das Rücksichtnahmegebot im Einzelnen begründet, wesentlich von den Umständen des Einzelfalls abhängen (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2021 – 9 CS 21.2175 – juris Rn. 20 m.w.N.). Es hat die tatsächlich vorhandene Bebauung auf dem Grundstück des Klägers berücksichtigt und eine Beeinträchtigung seines im rückwärtigen Bereich des Grundstücks befindlichen Wohnhauses hinsichtlich Belüftung, Belichtung und Besonnung verneint. Letzterem setzt der Kläger lediglich entgegen, dass er sich auf die genannten Aspekte in der vorliegenden Konstellation „selbstverständlich“ berufen könne, womit er dem Darlegungsgebot des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO nicht gerecht wird (vgl. BayVGH, B.v. 23.4.2021 – 9 ZB 20.874 – juris Rn. 9 m.w.N.).
Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht darauf abgestellt, dass der Kläger selbst eine Grenzgarage errichtet hat, die nicht der betreffenden Festsetzung im Bebauungsplan entspreche. Er könne aber von der Beigeladenen nicht mehr verlangen, als er sich selber zumute. Die Auffassung, der Kläger könne die Einhaltung der Festsetzungen des geltenden Bebauungsplans durch die Beigeladene nicht beanspruchen, wenn er sich selbst nicht an diese hält, ist mit seinem Vorbringen, auf dem Baugrundstück seien bereits Garagen vorhanden, während er selbst nur vom festgesetzten Garagenstandort abweiche, aber keine zusätzliche Garage errichtet habe, nicht ernstlich in Zweifel gezogen.
Zudem legt der Kläger im Hinblick auf die von ihm geltend gemachte Beeinträchtigung der Sicht auf die öffentlichen Verkehrsflächen beim Ausfahren aus seinem Grundstück durch das Bauvorhaben nicht substantiiert dar, weshalb sich dadurch eine im Rahmen des Rücksichtnahmegebots zu beachtende erhebliche Verkehrsgefährdung ergeben könnte. Nach den beim Augenschein des Verwaltungsgerichts gefertigten Fotos befinden sich das Baugrundstück und das Grundstück des Klägers an einer eher breiten Wohnstraße mit beidseitigen Gehwegen, an der auf zahlreichen Grundstücken Garagen an der Grundstücksgrenze zur Straße errichtet sind. Die durch das Bauvorhaben entstehende Situation stellt sich nicht anders dar, als wenn der Kläger seine Garage entsprechend der bauplanerischen Festsetzung ebenfalls unmittelbar an der Grenze seines Grundstücks zur Straße hin errichtet hätte. Er merkt selbst an, dass in diesem Fall nicht das an die Straße und sein Grundstück angrenzende Bauvorhaben, sondern seine eigenen Garagenwände eine freie Sicht auf den Straßenraum beeinträchtigen würden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladene hat sich im Zulassungsverfahren geäußert und einen Antrag gestellt. Es entspricht deshalb der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013; sie entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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