Baurecht

Nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen des Bebauungsplans nur bei Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung

Aktenzeichen  15 CS 16.1883

Datum:
22.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BayVBl – 2018, 526
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3, § 146 Abs. 4 S. 6
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 2
BauGB § 3 Abs. 2 S. 2
WHG § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO ist eine Sonderregelung, die, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen, die Anwendung der Vorschrift für Anlagen mit gebäudegleicher Wirkung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO ausschließt.
2. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO erfasst grundsätzlich auch eine Geländeaufschüttung, deren Absicherung die Stützmauer dient.

Verfahrensgang

RO 7 S 16.1163 2016-08-25 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und zu 2.
III. Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.750 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen eine der Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung.
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des an der Straße „Z** …“ gelegenen, mit dem Verwaltungsgebäude eines Versandbuchhandels bebauten Grundstücks FlNr. … Gemarkung V* … Die Beigeladene zu 1 betreibt auf den östlich gelegenen Grundstücken FlNr. … und … ein gewerbliches Unternehmen zur Produktion maßgeschneiderter Kabelkonfektionen, Kabelsätze, Schaltschränke und Baugruppen. Nördlich der Grundstücke verläuft auf dem Grundstück FlNr. … der Beigeladenen zu 2 in Ost-West-Richtung die Straße „I* …“. Sämtliche Grundstücke liegen im Geltungsbereich des am 9. Dezember 1997 bekannt gemachten Bebauungsplans „V* … … … *“ der Beigeladenen zu 2 in der Fassung der am 19. April 2016 bekannt gemachten 4. Änderung. Dieser weist die Grundstücke als Gewerbegebiet aus. In den textlichen Festsetzungen der Ursprungsfassung des Bebauungsplans ist unter 1.1 („Maß der baulichen Nutzung“) festgelegt, dass die „höchstzulässige Gebäudehöhe (GbH = Abstand zwischen Erdgeschossfußboden und Schnittpunkt Wand/Dach) im GE-Gebiet < 7,00 m“ betragen darf. In 1.2 („Gebäudeform“) ist festgesetzt, dass der Erdgeschossfußboden nicht höher als 0,30 m über der Geländeoberkante liegen darf. Durch die am 12. Oktober 2011 bekannt gemachte 2. Änderung des Bebauungsplans wurden die auf den Grundstücken FlNr. …, …, … und … ausgewiesenen Bauräume zu einem durchgängigen Baufenster verbunden. Mit der 4. Änderung des Bebauungsplans wurden diese Baugrenzen erneut geändert und zur Ermöglichung einer Betriebserweiterung der Beigeladenen zu 1 ein nach Norden erweitertes, durchgehendes Baufenster geschaffen, das neben diesen Grundstücken auch Teilflächen der Grundstücke FlNr. …, … und … erfasst. Das Baufenster durchschneidet damit in Nord-Süd-Richtung die in der Ursprungsfassung festgesetzten Straßenbegrenzungslinien für die nördlich der Grundstücke FlNr. …, …, … und … verlaufende Straße „I* …“ teilweise, sodass diese an beiden Enden des neuen Bestandes nur noch als „Sackgasse“ erhalten bleibt. Die Bebauungsplanänderung erfolgte im vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB.
Mit Bescheid vom 24. Juni 2016 erteilte das Landratsamt N* … … … der Beigeladenen zu 1 zur Erweiterung ihres Betriebes die Baugenehmigung für die Errichtung einer Logistikhalle mit Sozialbereich auf dem zwischen den Grundstücken FlNr. … und FlNr. … gelegenen Grundstück FlNr. … sowie auf Teilflächen der nördlich anschließenden Grundstücke FlNr. …, … und … Zugleich ließ es eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans zur „Gebäudeform hinsichtlich der Überschreitung der Erdgeschossfußbodenoberkante zur Geländeoberkante um bis zu 2,57 m“ zu. Nach den genehmigten Bauvorlagen soll in Nord-Süd-Richtung eine 126,50 m lange und 37,04 m breite Lagerhalle errichtet werden. Dabei soll das Baugrundstück zur Angleichung des Niveaus zum bestehenden Betriebsgebäude aufgefüllt und das Gelände an der westlichen Grundstücksgrenze durch eine bis zu 2,13 m hohe Stützmauer mit einem Geländer als Absturzsicherung errichtet werden.
Gegen den Bescheid hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Regensburg Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist. Ihre Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage und auf sofortiges bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladene zu 1 hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 25. August 2016 abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage habe voraussichtlich keinen Erfolg. Nachbarschützende Rechte der Antragstellerin würden durch die Baugenehmigung nicht verletzt. Dies gelte unabhängig davon, ob die 4. Änderung des Bebauungsplans wirksam sei. Selbst wenn dann die in der 2. Änderung des Bebauungsplans festgesetzten Baugrenzen durch das Bauvorhaben überschritten würden, ergäbe sich daraus keine Rechtsverletzung der Antragstellerin, weil die Baugrenzen keine drittschützende Funktion hätten. Auch die Durchschneidung der Straße „I* …“ führe nicht zu einer Verletzung von Rechten der Antragstellerin, weil ihr Grundstück FlNr. … bereits von der Straße „Z** …“ erschlossen werde. Die im Ursprungsbebauungsplan festgesetzte Wandhöhe sei ebenfalls nicht drittschützend. Das Bauvorhaben verletze auch nicht das bauplanungsrechtliche Rücksichtnahmegebot. Die Befreiung von der festgesetzten Höhe der Erdgeschossfußbodenoberkante sei gegenüber der Antragstellerin nicht unzumutbar, zumal die Lagerhalle auch unter Berücksichtigung der vorgesehenen Aufschüttung die Abstandsflächen einhalte. Auch die Länge der Logistikhalle sei gegenüber der Antragstellerin nicht rücksichtslos, da in Gewerbegebieten erheblich mehr an verdichteter Bebauung zumutbar sei als in zum Wohnen bestimmten Gebieten. Schließlich ergäben sich durch die an der westlichen Grundstücksgrenze vorgesehene Stützmauer mit dahinter liegender Geländeauffüllung und durch die auf der Mauer zu errichtende Absturzsicherung keine unzumutbaren Beeinträchtigungen für die Antragstellerin. Es könne dahinstehen, ob es sich bei der Anlage um eine privilegierte Stützmauer nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO handle. Jedenfalls würde von der Anlage keine gebäudeähnliche Wirkung i.S. von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO ausgehen, sodass sie nicht abstandspflichtig sei.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. Sie beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 25. August 2016 zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 24. Juni 2016 anzuordnen.
Der Antragsgegner und die Beigeladenen zu 1 und zu 2 beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Baugenehmigungsakte Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Sie ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung, auf den die Antragstellerin ihre Beschwerde beschränkt hat (vgl. § 88 VwGO), zu Recht abgelehnt. Dem gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein maßgebenden Beschwerdevorbringen ist nach summarischer Prüfung nicht zu entnehmen, dass die Baugenehmigung gegen Vorschriften verstößt, die im bauaufsichtlichen Verfahren nach Art. 60 BayBO zu prüfen waren und die Rechte der Antragstellerin schützen (Art. 68 Abs. 1 BayBO, § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klage der Antragstellerin wird voraussichtlich erfolglos bleiben, sodass das Interesse an der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem Interesse am Vollzug der angefochtenen Baugenehmigung nachrangig ist.
1. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht angenommen, dass auch im Fall einer Unwirksamkeit der 4. Änderung des Bebauungsplans die Baugenehmigung Nachbarrechte der Antragstellerin nicht verletzen würde. Zwar dürfte das Bauvorhaben dann die mit der 2. Änderung des Bebauungsplans auf dem Grundstück FlNr. … festgesetzte vordere, d.h. zur Straße „I* …“ gerichtete Baugrenze (§ 23 Abs. 1 und 3 BauNVO) überschreiten. Aus diesem Rechtsverstoß dürfte sich aber keine Rechtsverletzung der Antragstellerin (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ergeben, weil dieser Festsetzung keine nachbarschützende Wirkung zukommt.
Eine nachbarschützende Wirkung von Festsetzungen des Bebauungsplans ist im Allgemeinen nur bei Festsetzungen über die Art der baulichen Nutzung anzunehmen (vgl. BVerwG, B.v. 27.8.2013 – 4 B 39/13 – ZfBR 2013, 783 = juris Rn. 3). Denn nur durch diese Festsetzungen wird ein auf jeweils wechselseitigen Berechtigungen und Verpflichtungen beruhendes Gegenseitigkeits- oder Austauschverhältnis zwischen den Eigentümern der Grundstücke im Plangebiet begründet. Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche durch Baulinien oder Baugrenzen (§ 23 BauNVO) vermitteln Drittschutz nur dann, wenn sie nach dem Willen der Gemeinde als Plangeberin diese Funktion haben sollen (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – NVwZ 1996, 888 = juris Rn. 3; B.v. 13.12.2016 – 4 B 29.16 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 29.8.2014 – 15 CS 14.615 – NJW-Spezial 2014, 653 = juris Rn. 24 ff.; B.v. 12.7.2016 – 15 ZB 14.1108 – juris Rn. 11). Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung des Schutzzwecks der jeweiligen Festsetzung im konkreten Einzelfall zu ermitteln (vgl. BVerwG B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – NVwZ 1996, 888 = juris Rn. 3). Ein entsprechender Wille muss sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan selbst, aus seiner Begründung oder auch aus sonstigen Vorgängen im Zusammenhang mit der Planaufstellung ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 29.7.2014 – 9 CS 14.1171 – juris Rn. 15 m.w.N.). Maßgebend ist, ob eine Festsetzung nach dem Willen des Plangebers nicht nur aus städtebaulichen Gründen getroffen wurde, sondern (zumindest auch) einem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen soll. Das kann etwa angenommen werden, wenn der Plangeber hierdurch faktisch einzuhaltende Grenzabstände festsetzt und damit denselben nachbarschützenden Zweck verfolgt wie die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenregelungen des Art. 6 BayBO (vgl. BayVGH, B.v. 29.8.2014 a.a.O. Rn. 25).
Nach diesem Maßstab vermitteln die festgesetzten Baugrenzen entgegen der Auffassung der Antragstellerin hier keinen Nachbarschutz. Dies gilt jedenfalls für die nach Norden zur Straße „I* …“ gerichtete vordere Baugrenze. Weder dem Bebauungsplan noch seiner Begründung oder sonstigen Umständen lässt sich entnehmen, dass dieser Baugrenze nach dem planerischen Willen der Beigeladenen zu 2 nachbarschützende Wirkung zukommen sollte. Dagegen spricht vielmehr, dass diese Baugrenze nicht seitlich zum nachbarlichen Grundstück der Antragstellerin, sondern zur Straße „I* …“ gerichtet ist. Ein vom Planungsgeber gewolltes nachbarliches Austauschverhältnis dürfte aber allenfalls bei Baugrenzen von gegenüberliegenden Nachbargrundstücken in Betracht kommen, nicht dagegen bei einer vorderen, lediglich zu einer Straße gerichteten Baugrenze. Soweit die Antragstellerin auf die Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Juni 2002 (Az. 14 CS 02.1498 – juris Rn. 9) und vom 23. Oktober 2002 (Az. 14 ZB 01.2238 – juris Rn. 4) und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. Juni 2007 (Az. 8 S 967/07 – VBlBW 2007, 387 = juris Rn. 3) verweist, ergibt sich daraus nichts Anderes. Die Entscheidungen betreffen jeweils die Überschreitungen einer von der Straße abgewandten, zu Nachbargrundstücken gerichteten, seitlichen bzw. hinteren (rückwärtigen) Baugrenze und sind schon deshalb auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Im Übrigen bestätigen sie die Rechtsauffassung des Senats, dass sich selbst bei einer einem Nachbargrundstück gegenüberliegenden Baugrenze die Beantwortung der Frage, ob diese nachbarschützend ist, nach der jeweils im Einzelfall zu ermittelnden Planungsabsicht der Gemeinde richtet. Eine Verkürzung von nach Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO erforderlichen Abstandsflächen wurde entgegen den Angaben der Antragstellerin in der 2. Änderung des Bebauungsplans ebenfalls nicht festgesetzt.
2. Soweit die Antragstellerin in Bezug auf die 4. Änderung des Bebauungsplans formelle Fehler der Auslegungsbekanntmachung vom 7. Januar 2016 (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB) und materielle Mängel der Abwägung ihrer Belange (§ 1 Abs. 7 BauGB), insbesondere hinsichtlich der (teilweise) Überplanung der Straße „I* …“, rügt, verhilft dies der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg. Ihrem Vortrag lässt sich nicht entnehmen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), inwieweit dieser Fehler zu einer Rechtsverletzung der Antragstellerin durch die angegriffene Baugenehmigung führen könnte (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist nicht der Bebauungsplan, sondern allein die Baugenehmigung. Selbst wenn die behaupteten formellen und materiellen Mängel der Planung tatsächlich vorliegen sollten und sich hieraus die Unwirksamkeit der 4. Änderung des Bebauungsplans (vgl. §§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3, § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB) ergäbe, hätte das nicht zwangsläufig zur Folge, dass die Baugenehmigung die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt, auch wenn die Genehmigung auf der Grundlage des Bebauungsplans erteilt wurde.
3. Gleiches gilt hinsichtlich des Einwands, die Beigeladene zu 1 würde ihrer Verpflichtung aus Nr. 4.3. des Grünordnungsplans nicht nachkommen, wonach zwischen den einzelnen Quartieren und Parzellen umfangreiche Grünflächen vorzusehen sind, die eine auftretende Monotonie bei zusammenhängenden Industrieanlagen wirkungsvoll unterbrechen sollen. Zwar ist den Festsetzungen im Grünordnungsplan nach Nr. 1.7. der Satzung zur Ursprungsfassung des Bebauungsplans zwingend zu folgen. Ein Verstoß hiergegen verletzt aber keine Nachbarrechte der Antragstellerin, zumal sich ein Wille der Beigeladenen zu 2, der darauf schließen lässt, dass die Festsetzungen zum Grünordnungsplan hier nachbarschützend sein sollen, nicht feststellen lässt. Im Übrigen handelt es sich bei „Nr. 4.3.“ schon gar nicht um eine Festsetzung, sondern lediglich um einen Teil der „Erläuterung und Begründung des Grünordnungsplans“, dem keine Satzungsqualität zukommt (vgl. BVerwG, U.v. 18.3.2004 – 4 CN 4.03 – BVerwGE 120, 239 = juris Rn. 15 zur Planbegründung).
4. Auch der geltend gemachte Verstoß gegen Nr. 1.5 Satz 3 der textlichen Festsetzungen der Ursprungsfassung des Bebauungsplans, wonach Zaunverkleidungen mit Matten und Kunststoffplatten oder Ähnlichem unzulässig sind, verletzt keine Nachbarrechte der Antragstellerin. Auch diese – auf der Grundlage von § 9 Abs. 4 BauGB i.V.m. Art. 98 Abs. 1 Nr. 1 BayBO 1994 erlassene – örtlichen Bauvorschrift über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen dürfte keinen Drittschutz zugunsten von Eigentümern benachbarter Grundstücke vermitteln (vgl. BayVGH, B.v. 12.7.2016 – 15 ZB 14.1108 – juris Rn. 11 m.w.N.). Im Übrigen handelt es sich bei der Stützmauer wohl kaum um eine dieser Reglung von „Einfriedungen“ unterfallende Anlage.
5. Keine Nachbarrechtsverletzung durch die angegriffene Baugenehmigung ergibt sich auch im Hinblick auf den geltend gemachten Mangel der ordnungsgemäßen Niederschlagwasserbeseitigung auf dem Baugrundstück, die hier – anders als in dem vom Senat im Beschluss vom 24. Juli 2014 (Az. 15 CS 14.949 = ZMR 2015, 499) entschiedenen Fall – nach Art. Art. 60 Satz 1 Nr. 2, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO an der Feststellungswirkung der Baugenehmigung teilnimmt.
Nach § 30 Abs. 1 BauGB bzw. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben nur zulässig, wenn auch die Erschließung gesichert ist. Hierzu gehört eine ordnungsgemäße Beseitigung des Niederschlagswassers im Sinn von § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 WHG. Die Anforderungen an eine gesicherte Erschließung bestehen aber grundsätzlich nur im öffentlichen Interesse und dienen nicht auch dem Nachbarschutz. Etwas anderes kann – unter dem Gesichtspunkt des Rücksichtnahmegebots – ausnahmsweise dann gelten, wenn durch die unzureichende Erschließung Nachbargrundstücke unmittelbar betroffen sind. Nicht jede durch ein Vorhaben verursachte Veränderung des Wasserabflusses begründet aber zugleich eine unzumutbare Beeinträchtigung nachbarlicher Rechte. Gewisse Veränderungen der Wasserverhältnisse durch ein in der Nähe des eigenen Grundstücks geplantes Vorhaben muss der Nachbar grundsätzlich hinnehmen (vgl. BayVGH, B.v. 11.9.2012 – 15 CS 12.634 – Rn. 14). Das Rücksichtnahmegebot ist nur dann verletzt, wenn das Niederschlagswasser auf das Grundstück des Nachbarn abgeleitet wird und es dadurch zu unzumutbaren Überschwemmungen auf dem Nachbargrundstück kommt (vgl. BayVGH, B.v. 29.11.2006 – 1 CS 06.2717 – BRS 70 Nr. 126 = juris Rn. 20). Anhaltspunkte dafür, dass hier solche Umstände gegeben sein könnten, sind nicht ersichtlich. Im Bereich der zwischen 5 m und etwas über 7 m breiten Feuerwehrzufahrt anfallendes Niederschlagswasser wird nach den genehmigten Eingabeplänen (vgl. Plan „Schnitte Ansichten“ im Maßstab 1:100 und Plan „Geländeauffüllung“ im Maßstab 1:500) durch die über das Niveau der Geländeauffüllung reichende Krone der Stützmauer daran gehindert, nach Westen auf das Grundstück der Antragstellerin abzufließen (vgl. auch Stellungnahme des Landratsamts vom 24.10.2016 unter 3.). Im Übrigen erfolgt die Entwässerung des Baugrundstücks (vgl. Art. 41 Abs. 1 BayBO) nach der Stellungnahme der fachkundigen Stelle Wasserwirtschaft des Landratsamts vom 8. Juni 2016 (Blatt 24 der Behördenakte) ordnungsgemäß über den Mischwasserkanal der Beigeladenen zu 2.
6. Soweit die Antragstellerin eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots wegen einer Beeinträchtigung der Zufahrtsmöglichkeit über die Straße „I* …“ geltend macht, führt auch dies nicht zum Erfolg der Beschwerde.
Die Antragstellerin rügt, dass infolge der mit dem Bauvorhaben verbundenen Sackgassenbildung für sie die bisher durchgehend befahrbar angelegte Straße „I* …“ im Bereich nördlich des Grundstücks FlNr. … als Rangierfläche für eine ungehinderte Warenanlieferung vor dem Wareneingang auf der Nordostseite ihres Grundstücks entfalle. Abgesehen davon, dass die Antragstellerin nicht dargelegt, inwiefern die Rangiermöglichkeit auf öffentlicher Straße nördlich des Nachbargrundstücks FlNr. … trotz der auf eigenem Grund vorhandenen unbebauten Flächen zur Aufrechterhaltung ihres Betriebs unverzichtbar ist, ist der (teilweise) Wegfall der Straße „I* …“ nicht durch die streitgegenständliche Baugenehmigung erfolgt, sondern nach den Angaben der Beigeladenen zu 2 auf der Grundlage einer von der Antragstellerin nicht angegriffen, bestandskräftigen straßenrechtlichen Einziehung der Fläche (Art. 8 BayStrWG). Die Angabe in § 1 der Satzung über die 4. Änderung des Bebauungsplans vom 18. April 2016, dass die betreffende Teilfläche „künftig nicht mehr als öffentliche Verkehrsfläche, sondern künftig als überbaubare Fläche vorgesehen ist“, steht dem nicht entgegen und begründet ebenfalls keinen Abwehranspruch gegen die Baugenehmigung.
7. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht schließlich angenommen, dass durch das Bauvorhaben zulasten der Antragstellerin keine Abstandsflächenvorschriften verletzt werden.
a) Dies gilt auch hinsichtlich der an der Grenze zu ihrem Grundstück geplanten Stützmauer mit dahinter liegender Geländeauffüllung. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt es nicht darauf an, ob von dieser Anlage eine gebäudegleiche Wirkung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO ausgeht. Diese Bestimmung findet hier keine Anwendung, weil die Anlage nach der spezielleren Regelung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO abstandsflächenfrei ist.
Ob einer Anlage gebäudegleiche Wirkungen im Sinn von Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO aufweist, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der Zielsetzungen des Abstandsflächenrechts zu bestimmen (vgl. BayVGH, B.v. 17.8.2015 – 2 ZB 13.2522 – juris Rn. 4). Auch wenn von der Anlage an sich gebäudegleiche Wirkungen ausgehen, findet diese Bestimmung keine Anwendung, wenn die Anlage die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO erfüllt. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck dieser besonderen Privilegierung, wie sie den Gesetzesmaterialien zu entnehmen sind. Nach der der Musterbauordnung 2002 nachgebildeten, mit dem Gesetz vom 14. Juli 2007 (GVBl S. 499) in die Bayerische Bauordnung aufgenommenen Regelung sind Stützmauern und geschlossene Einfriedungen ohne eigene Abstandsflächen in (festgesetzten oder faktischen) Gewerbe- und Industriegebieten ohne Höhenbegrenzung zulässig, außerhalb dieser Baugebiete mit einer Höhe bis zu 2 m. Diese Begünstigung ist nach den Vorstellungen des Gesetzgebers gerechtfertigt, weil die Schutzgüter des Abstandsrechts in Gewerbe- und Industriegebieten durch solche Anlagen regelmäßig nicht berührt werden und insoweit gegebenenfalls im Wege der Bauleitplanung oder durch örtliche Bauvorschriften Regelungen getroffen werden können. Die Beschränkung der abstandsflächenfreie Höhe auf bis zu 2 m hohe Anlagen in den übrigen Baugebieten wurde nach der Begründung zum Gesetzentwurf ausdrücklich auch deswegen getroffen, weil ein Umkehrschluss dahingehend ausgeschlossen werden sollte, ein darunter liegendes Maß könne einen Anhaltpunkt für die Annahme einer gebäudeähnlichen Wirkung bieten (vgl. LT-Drs. 15/7161 S. 44; ebenso die Begründung zur Musterbauordnung 2002; vgl. auch Schwarzer/ König, Bayerische Bauordnung, 4. Aufl. 2012, Art. 6 Rn. 56). Hieraus ergibt sich, dass Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO eine Sonderregelung darstellt, die, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen, die Anwendung der Vorschrift für Anlagen mit gebäudegleicher Wirkung nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO ausschließt.
Danach scheidet eine Anwendung des Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO hier aus, weil die Stützmauer nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 Alt. 1 BayBO – ohne Höhenbegrenzung – abstandsrechtlich privilegiert ist. Darauf, dass die Stützmauer die Höhe von 2 m überschreitet, kommt es – wie gesagt – nicht an, weil sowohl das Baugrundstück als auch das Grundstück der Antragstellerin im privilegierten Gewerbegebiet liegen.
Unerheblich ist auch, dass sich an die Stützmauer eine Aufschüttung anschließt. Zwar kann es sich bei einer Aufschüttung grundsätzlich um eine eigenständige bauliche Anlage (vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 BayBO) handeln, die auch abstandsflächenrechtlich gesondert zu beurteilen ist. Anders verhält es sich aber, wenn – wie hier – die Stützmauer der Sicherung der Aufschüttung vor dem Abrutschen auf das Nachbargrundstück dient. In diesem Fall bilden Stützmauer und Aufschüttung eine funktionelle Einheit, die in ihrer Gesamtheit der Privilegierung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 BayBO unterliegen (vgl. OVG MV, B.v. 14.11.2013 – 3 M 222/13 – NordÖR 2014, 366 = juris Rn. 13; vgl. auch OVG RhPf, U.v. 18.6.2015 – 1 A 10776/14 – juris Rn. 28). Denn für den Nachbarn hat es abstandsrechtlich keine Bedeutung, was sich unmittelbar hinter einer durchgehenden Stützmauer befindet. Ob etwas Anderes zu gelten hat, wenn auf der Aufschüttung eine für den längeren Aufenthalt von Menschen bestimmte Terrasse errichtet wird, die den „Wohnfrieden“ auf dem Nachbargrundstück beeinträchtigen würde, bedarf hier keiner Entscheidung. Das Grundstück der Antragstellerin wird nicht zu Wohnzwecken, sondern gewerblich genutzt, der an die Stützmauer anschließende Bereich auf dem Baugrundstück stellt eine Feuerwehrzufahrt dar.
Dass die Stützmauer kein natürliches Gelände, sondern eine künstliche Aufschüttung sichert, steht der Privilegierung ebenfalls nicht entgegen. Eine Beschränkung auf Stützmauern zur Absicherung lediglich eines natürlichen Geländes hat der Bayerische Gesetzgeber nicht vorgesehen; dies widerspräche auch dem gesetzgeberischen Ziel, durch die Sonderregelung des Art. 6 Abs. 9 Satz 1 BayBO für untergeordnete bauliche Anlagen abstandsflächenrechtliche Erleichterungen zuzulassen, um praktischen Bedürfnissen Rechnung zu tragen (vgl. LT-Drs. 15/7161 S. 38 und 44; ebenso OVG Hamburg, B.v. 14.7.2015 – 2 Bs 131/15 – NVwZ-RR 2016, 93 Rn. 11 zur gleichlautenden Bestimmung des § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 3 HBauO; Molodovsky/Waldmann in Molodovsky/Famers, Bayerische Bauordnung, Stand: November 2016, Art. 6 Rn. 284; a.A. OVG NRW, B.v. 22.2.2005 – 7 A 1408/04 – juris Rn.10; Dirnberger in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBO, Stand Okt. 2016, Art. 6 Rn. 269; offen gelassen in BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 14 CE 13.928 – juris Rn. 14).
Als Stützmauern (mit dahinter liegender Aufschüttung) privilegiert sind allerdings nur solche Anlagen, die erforderlich sind, um eine angemessene und zulässige Nutzung des Baugrundstücks zu ermöglichen (ebenso OVG NW, U.v. 27.11.1989 – 11 A 195/88 – BRS 50 Nr. 185 = juris Rn. 12; VG Würzburg, B.v. 27.7.2012 – W 5 S. 12.617 – juris Rn. 41; Molodovsky/Waldmann in Molodovsky/Famers, Bayerische Bauordnung, a.a.O., Art. 6 Rn. 284). Denn Anlagen, die für eine sinnvolle und zulässige Grundstücksnutzung nicht notwendig sind, rechtfertigen keine Privilegierung zugunsten des Bauherrn und zulasten des Nachbarn. Dass die Stützmauer hier zur angemessenen und zulässigen Nutzung des Baugrundstücks erforderlich ist, erscheint indes nicht zweifelhaft. Sie soll verhindern, dass Erdreich aus dem aufgeschütteten Gelände des Baugrundstücks zum niedrigeren Gelände auf dem Grundstück der Antragstellerin abrutscht. Die Aufschüttung selbst dient der Geländeangleichung des Baugrundstücks und ermöglicht einen niveaugleichen Anbau der streitgegenständlichen Logistikhalle mit Sozialbereich an das bestehende Betriebsgebäude der Beigeladenen zu 1 auf dem Grundstück FlNr. … Hierbei handelt es sich um ein nachvollziehbares Anliegen, das aus Gründen eines möglichst reibungslosen Betriebsablaufs sogar geboten erscheint. Der Einwand der Antragstellerin, eine Angleichung des Geländes sei jedenfalls im Bereich zwischen ihrem Grundstück und der Westseite der Halle für die geplante Umfahrung für Feuerwehrfahrzeuge nicht erforderlich, da die Umfahrung im Süden des Baugrundstücks ende, überzeugt nicht. Die Niveauanhebung dürfte hier jedenfalls zur Angleichung an das Gelände des Betriebsgebäudes auf den nördlich gelegenen Grundstücken FlNr. …, … und … sinnvoll sein, um eine angemessene Nutzung des Baugrundstücks ermöglichen. Eine „Absenkung“ der Feuerwehrzufahrt in dem genannten Bereich hätte im Übrigen auch zur Folge, dass die Bodenplatte der auf dem Baugrundstück zu erstellenden Halle an der Westseite anders und erheblich aufwändiger fundamentiert werden müsste. Eine wesentliche Verbesserung der abstandsrechtlichen Situation gegenüber dem Grundstück der Antragstellerin wäre mit dieser Maßnahme jedoch nicht verbunden.
b) Das Geländer, das auf der Stützmauer zur Absturzsicherung errichtet werden soll, ist ebenfalls nicht abstandsflächenpflichtig. Es soll nach den genehmigten Bauvorlagen licht- und luftdurchlässig ausgeführt werden, sodass von ihm nach Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO keine gebäudegleiche Wirkung ausgeht. Im Unterschied zur Formulierung in Art. 57 Abs. 1 Nr. 7 BayBO („Mauern und Einfriedungen“) ist in Art. 6 Abs. 9 Nr. 3 BayBO ausdrücklich von „geschlossenen“ Einfriedungen die Rede. Dies verdeutlicht, dass bei einer in der Höhe nicht einheitlich aufgebauten Einfriedung abstandsflächenrechtlich nur die Höhe des unteren, „geschlossenen“ Teils anzurechnen ist, nicht aber zusätzlich die Höhe eines darauf gesetzten licht- und luftdurchlässigen Zauns (vgl. auch BayVGH, B.v. 10.10.2002 – 26 ZB 99.3754 – juris Rn. 12; VG Würzburg, B.v. 6.11.2008 – W 5 S. 08.2064 – juris Rn. 15). Entsprechendes gilt für eine auf eine Stützmauer aufgesetzte Umwehrung.
8. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen, weil sie mit der Beschwerde unterlegen ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1 und 2 werden für erstattungsfähig erklärt, weil diese einen Antrag gestellt und sich damit dem Risiko ausgesetzt habt, selbst Kosten auferlegt zu bekommen (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO). Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 9.7.1 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NVwZ-Beilage 2013, 57 ff.) und folgt der Streitwertfestsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Müller Schweinoch Dr. Seidel


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