Baurecht

Nachbarschutz gegen Baugenehmigung für Wohngebäude – wechselseitiger Abstandsflächenverstoß

Aktenzeichen  M 8 SN 16.2967

Datum:
12.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO VwGO § 80 Abs. 5, § 80a
BayBO BayBO Art. 6, Art. 63 Abs. 1 S. 1
BGB BGB § 242

 

Leitsatz

Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung. Der Nachbar ist darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung diese Vorhabens zu suchen. (redaktioneller Leitsatz)
Die Zulassung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 S. 1 BayBO setzt Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Belüftung im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen. Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln. Liegt Atypik vor, muss die Abweichung zudem unter Würdigung geschützter nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein. (redaktioneller Leitsatz)
Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) kann ein Nachbar sich in der Regel nicht mit Erfolg auf die Einhaltung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück nicht dieser Vorschrift entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führen. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.
Der Streitwert wird auf 3.750,- EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. November 2015 für den Abbruch und Neubau eines Wohngebäudes im rückwärtigen Bereich des Grundstücks Fl.-Nr. … der Gemarkung … …, …str. 24.
Das Grundstück der Antragstellerin grenzt nördlich an das Vorhabengrundstück an und ist straßenseitig mit einem viergeschossigen Gebäude mit Satteldach und im rückwärtigen Bereich mit einem laut amtlichen Lageplan zweigeschossigen Gebäude mit Mansarddach bebaut. Beide Gebäude grenzen mit ihrer südlichen Außenwand unmittelbar an das Vorhabengrundstück an und sind bzw. waren dort profilgleich an das auf dem Vorhabengrundstück vorhandene viergeschossige Vordergebäude sowie das bisher vorhandene nach dem amtlichen Lageplan zweigeschossige Rückgebäude angebaut.
In den genehmigten Plänen ist in den Darstellungen „Ansicht Ost“ und „Ansicht West“ das Rückgebäude der Antragstellerin dreigeschossig dargestellt. Aus in den Bauakten befindlichen Fotos ergibt sich, dass sowohl das bisherige Bestandsgebäude auf dem Vorhabengrundstück als auch das Rückgebäude der Antragstellerin dreigeschossig mit einem Mansarddach waren bzw. sind.
Mit dem Vorhaben soll das Rückgebäude der Beigeladenen nunmehr sowohl im Süden als auch im Norden grenzständig an den seitlichen Grundstücksgrenzen errichtet und in der Höhenentwicklung an das südlich angrenzende Rückgebäude …straße 26 mit einer hofseitigen Wandhöhe von 10,0 m, einem Mansardknick in Höhe von 12,80 m und einer Firsthöhe des nach dem Mansardknick nach Westen ansteigenden Flachdachs von 13,61 m angeglichen werden.
Im Plan ist die abstandsflächenrechtliche Höhe hofseitig mit 10,93 m angegeben (Wandhöhe 10,0 m plus 1/3 von 2,8 m). Allerdings wird diese auf 5,47 m halbiert und auch im Erdgeschossgrundriss nur mit H/2 dargestellt.
Lageplan, Bestandssituation, 1:1000
Lageplan, Neubebauung, 1:1000
Gegen die mit Postzustellungsurkunde am 14. November 2015 zugestellte Baugenehmigung hat die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2015, am 11. Dezember 2015 bei Gericht eingegangen, Klage erheben lassen.
Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2016, am selben Tag beim Verwaltungsgericht München eingegangen, haben die Bevollmächtigten der Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung der mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2015 eingereichten Klage gegen die Baugenehmigung betreffend Abbruch und Neubau eines Wohngebäudes …str. 24/RGB, Fl.-Nr. …, Gemarkung … …, vom 11. November 2015, Az. …, anzuordnen.
Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, der genehmigte Neubau werde sich gegenüber dem Altbestand deutlich erhöhen und sich hinsichtlich der Gebäudehöhe an das Rückgebäude des südlich angrenzenden Grundstücks …str. 26 angleichen.
Zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung und der Verletzung zugunsten der Antragstellerin bestehender Rechtsvorschriften wird auf den Vortrag im Schriftsatz vom 11. Februar 2016 im Hauptsacheverfahren (M 8 K 15.5582) verwiesen.
In der Klagebegründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die gemeinsame Grundstücksgrenze verlaufe im Bereich des Innenhofs schräg, so dass die Abstandsflächen des Neubaus auf einer Breite von 3,4 m auf die Hofseite des Vordergebäudes der Antragstellerin fielen. Die Beigeladene habe zum Grundstück der Antragstellerin eine Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO von Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO wegen Nichteinhaltung der erforderlichen Abstandsflächen zwischen Vordergebäude und Rückgebäude Fl.-Nr. … durch die Außenwand des Rückgebäudes in Folge schrägen Grenzverlaufs beantragt. Die Voraussetzungen für eine Abweichung von den Abstandsflächen lägen nicht vor, insbesondere fehle es an der für die Abweichung erforderlichen atypischen, von der gesetzlichen Regel nicht zutreffend erfassten oder bedachten Fallgestaltung. Die vorliegende Grundstückssituation bzw. Hinterhofsituation sei für die bauliche Situation im innerstädtischen Bereich der Antragsgegnerin und hier im hier streitgegenständlichen Geviert typisch. Zudem habe die Antragsgegnerin nicht die betroffenen Belange der Nachbarn ermittelt und in die Abwägung eingestellt. Die Antragsgegnerin habe sich zu Unrecht von dem Argument leiten lassen, das Vordergebäude der Antragstellerin halte die Abstandsflächen zum Vorhabengrundstück in einem höheren Maße nicht ein. Ausgangspunkt sei ein status quo der beiderseits betroffenen Abstandsflächen, der insoweit austariert sei, als nach dem Lageplan jeweils die Vordergebäude mit vier Geschossen und die Rückgebäude mit zwei Geschossen ausgeführt seien. In diese austarierte Situation greife die Beklagte mit der Baugenehmigung ein, da der Beigeladenen die Errichtung eines höheren Gebäudes als der Altbestand genehmigt worden sei. Zwar gleiche sich die Höhe an das Rückgebäude …str. 26 an, diese Bezugnahme sei jedoch rechtsfehlerhaft. Zum einen sei die Hinterhoffläche deutlich größer, zum anderen sei die bauliche Austarierung anders ausgestaltet, da nach dem Lageplan das Rückgebäude drei und das Vordergebäude fünf Geschosse aufwiesen. Der Eingriff in die Belange der Antragstellerin wie auch dessen Schwere werde von der Antragsgegnerin nicht erkannt und nicht in ihre Abwägung eingestellt, weshalb ihre Entscheidung an grundsätzlichen Abwägungsfehlern leide. Auch fehle es an einem Überwiegen der Interessen des Bauherrn und öffentlich-rechtlicher Belange. Die Abwägung sei formell fehlerhaft, da sowohl von Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO als auch von Art. 6 Abs. 3 Nr. 1 BayBO keine Abweichung erteilt worden sei, obwohl diese notwendig gewesen wären.
Zwischenzeitlich habe die Beigeladene den Altbestand abgebrochen und errichte den Neubau. Der Baufortschritt habe mittlerweile die Decke des 1. Obergeschosses erreicht. Bei einem Fortgang der Bauarbeiten bestünde nunmehr die dringende Gefahr, dass zulasten der Klägerin baurechtswidrige Zustände geschaffen würden, deren spätere Beseitigung im Falle eines Erfolges der Klage nicht oder nicht mit zumutbarem Aufwand mehr möglich wäre. Nachbarliche Rechte der Antragstellerin wären dann unwiederbringlich verletzt, weshalb gemäß § 80a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5, § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung der eingelegten Klage anzuordnen sei.
Die von der Beigeladenen vorgebrachten Rechtsargumente verfingen nicht, insbesondere nicht die Argumentation der Beigeladenen aus § 242 BGB. Sie verkenne, dass es vorliegend nicht darum gehe, einen Ersatzbau in gleicher Höhe und Kubatur zum jetzt abgerissen Vorgängerbau zu verhindern. Insoweit wäre der Beigeladenen gegebenenfalls ein berechtigtes schützenswertes Bestandsinteresse zuzubilligen. Tatsächlich aber solle der Ersatzbau massiv erhöht werden, wodurch in die ehemals austarierte Gebäude- und Abstandssituation ohne Bezugsfall zulasten der Antragstellerin massiv und damit rechtswidrig eingegriffen werde. Städtebauliche Ziele – wie etwa die Schaffung von Wohnraum durch Nachverdichtung – seien durch geeignete Planungsinstrumente zu verfolgen. Sie stellten im Rahmen des bauordnungsrechtlichen Nachbarschutzes keine, die Verletzung von Nachbarrechten tragenden Grundlagen dar.
Mit weiterem Schriftsatz vom 15. Juli 2016 haben die Bevollmächtigten der Antragstellerin vorgetragen, der Baufortschritt habe mittlerweile das 2. Obergeschoss erreicht. Die Gebäudehöhe werde in Kürze das Rückgebäude der Antragstellerin überschreiten.
Mit Schriftsatz vom 18. Juli 2016 haben sich die Bevollmächtigten der Beigeladenen bestellt und beantragt,
den Antrag vom 6. Juli 2016 kostenpflichtig zurückzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 19. Juli 2016 haben die Bevollmächtigten der Beigeladenen zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es stelle sich die Frage der Verwirkung, nachdem die Antragstellerin mit ihrem Antrag abgewartet habe, bis jetzt auch das 2. Obergeschoss fertiggestellt sei. Damit sei das streitgegenständliche Gebäude auf derselben Höhe wie das Nachbarhaus und nicht höher als der abgebrochene Altbestand.
Im Übrigen wird auf die Ausführungen in ihrer Klageerwiderung vom 7. April 2016 im Hauptsacheverfahren verwiesen.
Hinsichtlich § 242 BGB wird ausgeführt, der Grundsatz von Treu und Glauben finde auch im öffentlichen Recht Anwendung und habe als alleinigen Ausgangs- und Ansatzpunkt den das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz, dass jedermann in Ausübung seiner Rechte nach Treu und Glauben zu handeln habe. Dieser Ausgangspunkt des § 242 BGB verbiete die Frage nach der Rechtsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Gebäudes, auf dessen Bestand sich der klagende Nachbar berufe. Der Grundsatz von Treu und Glauben bedeute, dass jedermann bei Ausübung seiner Rechte beschränkt sei. Er setze der Rechtsausübung dort eine Schranke, wo es zu untragbaren, mit Recht und Gerechtigkeit offensichtlich unvereinbaren Ergebnissen führe. Dabei sei das Abstandsflächenrecht nur eines der Rechte, in deren Ausübung und Verfolgung der Nachbar nach dem Grundsatz von Treu und Glauben beschränkt sei bzw. sein könne und dies völlig unabhängig von der Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit einer erteilten Abweichung. Denn dieser Grundsatz beschränke den Nachbarn in der Ausübung seiner Rechte selbst dann, wenn gar keine Abweichung erteilt worden sei. Ebenso spiele es keine Rolle, ob das Gebäude des klagenden Nachbarn seinerzeit in Übereinstimmung mit den geltenden Bauvorschriften errichtet worden sei oder Bestandsschutz genieße. Zu beurteilen sei allein die Frage, ob der Nachbar in Ausübung seines – auch durch die Abstandsflächenvorschriften – geschützten Nachbarrechts beschränkt sei. In dieser Beschränkung des Abwehranspruchs liege keine Sanktion für das Verhalten des klagenden Nachbarn oder seines Rechtsvorgängers; vielmehr gehe es allein um die Beurteilung der gegenwärtigen Situation auf den benachbarten Grundstücken. Deshalb könne es auf die Frage der formellen oder materiellen Illegalität des Gebäudes des klagenden Nachbarn und eines etwaigen Bestandsschutzes im Rahmen dieser nachbarlichen Wechselbeziehung nicht ankommen (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 11.8.2010 – OVG 10 N 17.07 – juris).
Im Übrigen könne von einer „massiven Erhöhung“ des Ersatzbaus nicht die Rede sein. Mit dem streitgegenständlichen Vorhaben werde die Bebauung – insbesondere des Nachbargrundstücks …str. 26 – aufgenommen und ganz allgemein diese im Geviert – vor allem auch auf der gegenüberliegenden Straßenseite – vorhandene Bebauung auch unter Berücksichtigung der Nachbarinteressen umgesetzt. Diese Nachbarbebauung sei ein dreigeschossiges Gebäude und nicht – wie die Antragstellerin behaupte – lediglich zweigeschossig. Dabei spiele die Frage der Geschossigkeit im Rahmen des § 34 BauGB keine maßgebliche Rolle; entscheidend sei, dass streitgegenständliche Gebäude die in der Nachbarschaft vorhandene Trauf- und Firsthöhe aufnehme.
Mit Schriftsatz vom 1. August 2016 haben die Bevollmächtigten der Antragstellerin ausgeführt, im Rahmen einer Bewertung nach § 242 BGB komme es nicht nur auf eine quantitative, sondern entscheidend auch auf eine qualitative Bewertung an. Aus den Baugenehmigungsunterlagen gehe hervor, dass durch die Nichteinhaltung der Abstandsflächen bei dem von der Beigeladenen ausgeführten Bauvorhaben Räume bzw. Nutzungsbereiche von untergeordneter Nutzung betroffen seien. Im Erdgeschoss sei ein Abstellraum betroffen, im 1. und 2. Obergeschoss seien jeweils Ankleidezimmer und im Dachgeschoss ein Schlaf-/Ankleidezimmer betroffen. Bei dem Gebäude der Antragstellerin seien dagegen im 1. Obergeschoss ein Kinderzimmer sowie im 2. Obergeschoss eine Wohnküche und im 3. Obergeschoss ein Wohnzimmer betroffen. Bei den im Gebäude der Antragstellerin betroffenen Bereichen komme es auf die Belichtung besonders an. Hätte die Beigeladene den zuvor im rückwärtigen Grundstücksbereich vorhandenen einheitlichen Baukörper erhalten und einen im Wesentlichen profilgleichen Anbau durchgeführt, wäre die Belichtung erhalten geblieben. Durch die Massivität des verfahrensgegenständlichen Bauvorhabens werde die Belichtungs- und damit die Nutzungssituation im Gebäude der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Raum- und Nutzungsqualität für den täglichen Aufenthalt erheblich beeinträchtigt.
Der außergerichtlich gefundene Ansatz einer Anschrägung des Dachs auf 45° hätte aus Sicht der Antragstellerin die qualitative Beeinträchtigung wenn zwar nicht beseitigen, aber doch signifikant reduzieren können. Diesen Ansatz habe die Beigeladene nicht mehr weiterverfolgt, so dass es bei der jetzt gegebenen massiven Beeinträchtigung in qualitativer Hinsicht verbleibe. Auch aus diesen Gründen trage der Ansatz der Beigeladenen die Anwendung des § 242 BGB nicht.
Mit Schreiben vom 3. August 2016, am 8. August 2016 beim Verwaltungsgericht München eingegangen, hat die Antragsgegnerin die Behördenakten vorgelegt und beantragt:
Der Antrag wird abgelehnt.
Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, die mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung erteilte Abweichung wegen Nichteinhaltung der Abstandsflächen zum Grundstück der Antragstellerin sei rechtmäßig und verletze die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Die für eine Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO erforderliche atypische Situation sei gegeben, da das Vorhaben zum einen in einem dicht bebauten innerstädtischen Bereich liege, wo auch auf den direkt benachbarten Grundstücken die Abstandsflächen nicht eingehalten seien – so auch von der Antragstellerin selbst nicht. Zum anderen liege hier ein besonderer Grundstückszuschnitt vor. Die rückwärtige sowie die seitlichen Grundstücksgrenzen des Vorhabengrundstücks und insbesondere die östliche Grundstücksgrenze zum klagenden Nachbarn hin verliefen unterschiedlich schräg und damit atypisch. Dieser Grenzverlauf bedinge auch kausal die Unmöglichkeit der Einhaltung der Abstandsflächen und zwar sowohl durch die Antragstellerin, als auch durch die Beigeladene.
Die Abweichung sei auch unter Berücksichtigung des Zwecks des Abstandsflächenrechts sowie unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Die Schutzziele des Art. 6 BayBO – die Gewährleistung einer ausreichenden Belichtung, Besonnung und Belüftung – würden hier durch die Erteilung der Abweichung nicht dergestalt verfehlt, dass die Abweichung mit den nachbarlichen Belangen unvereinbar sei. Für das Vorhaben spreche der gewichtige öffentliche Belang der Wohnraumschaffung (BayVGH, B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 5) und der sinnvolle Wiederaufbau eines bereits bestehenden Gebäudes, dessen Sanierung unwirtschaftlich wäre. Die Tatsache, dass auch die Antragstellerin ihrerseits die Abstandsflächen nicht einhalte, könne auch zulasten der Antragstellerin berücksichtigt werden. Zudem würden Belichtung und Belüftung nicht unzumutbar beeinträchtigt.
Selbst wenn die erteilte Abweichung rechtswidrig sein sollte, so könne sich jedenfalls die Antragstellerin nicht hierauf berufen. Nach Treu und Glauben könne sich ein Nachbar gegenüber einer Baugenehmigung in der Regel nicht mit Erfolg auf die Verletzung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück nicht dieser Vorschrift entspreche und die beiderseitigen Abweichung etwa gleichgewichtig seien und nicht zu schlechthin untragbaren, als Missstand zu qualifizierenden Verhältnissen führten (BayVGH, U.v. 4.2.2011 – 1 BV 08.131 – juris). Vorliegend bedinge die atypisch verlaufende Grenze zwischen dem Vorhabengrundstück und dem antragstellerischen Grundstück, dass weder die Antragstellerin noch die Beigeladene die Abstandsfläche auf eigenem Grund einhalten könnten. So fielen die Abstandsflächen des antragstellerischen Vordergebäudes mit H (Wandhöhe = 17,50 m – abgegriffen) mit ca. 28 m² auf das Vorhabengrundstück und auch dort auf die Bebauung und nicht nur auf Freiflächen. Umgekehrt werfe das Vorhaben mit H (Wandhöhe = 10,93 m) auch Abstandsflächen mit ca. 20 m² auf das Grundstück der Antragstellerin und dort ebenfalls nicht nur auf Freiflächen, sondern auch auf das Vordergebäude. Hierzu wurde von Seiten der Antragsgegnerin eine zeichnerische Darstellung der gegenseitigen Abstandsflächenüberschreitungen vorgelegt. Damit werfe die Antragstellerin sogar etwas mehr Abstandsflächen auf den Grund der Beigeladenen als umgekehrt, so dass die Antragstellerin sich nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht auf einen etwaigen Verstoß berufen könne.
Soweit die Antragstellerin der Auffassung sei, die Baugenehmigung verletze sie auch unter formell-rechtlichen Gesichtspunkten, weil weitere Abweichungen erforderlich gewesen seien, welche aber weder beantragt noch erteilt worden seien, so verkenne sie, dass die Antragsgegnerin nur die ausdrücklich beantragten Abweichungen zu prüfen und über diese zu entscheiden habe. Ein Nachbar könne nicht verlangen, dass Abweichungen geprüft würden, die nicht im Sinne von Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO i. V. m. Art. 63 Abs. 2 Satz 2 BayBO beantragt worden seien (BayVGH, U.v. 20.10.2015 – 2 B 15.1431 – juris).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- sowie auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage bleibt in der Sache ohne Erfolg, da die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage voraussichtlich erfolglos sein wird, da die angefochtene Baugenehmigung vom 11. November 2015 bei summarischer Prüfung keine nachbarschützenden Vorschriften des Bauplanungs- oder Bauordnungsrechts verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Selbst wenn die erteilte Abstandsflächenabweichung zum Grundstück der Antragstellerin wegen der fehlerhaften Darstellung der Abstandsflächen in den genehmigten Plänen rechtswidrig sein sollte, könnte sich die Antragstellerin hierauf voraussichtlich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht berufen. Zudem könnte dieser formale Mangel jedenfalls bis zur mündlichen Verhandlung im Hauptsachverfahren behoben werden.
1. Nach § 212a Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB) hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden Interessen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 80 Rn. 146; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 71). Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht alleiniges Indiz zu berücksichtigen (Schmidt, a. a. O., § 80 Rn. 73 ff.).
2. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung dieses Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 – 4 B 244/96, NVwZ 1998, 58 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3).
3. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung, sprechen die überwiegenden Gründe dafür, dass das mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung zugelassene Bauvorhaben in bauordnungsrechtlicher Hinsicht nicht gegen drittschützende Rechte der Antragstellerin verstößt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren, Art. 59 Satz 1 BayBO (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Hinzu kommt, dass selbst für den Fall, dass sich die erteilte Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften als rechtwidrig erweisen sollte, die Antragstellerin sich hierauf aufgrund der auch im öffentlichen Recht anwendbaren Grundsätze von Treu und Glauben nicht berufen könnte.
Das beantragte Bauvorhaben, das keinen Sonderbau i. S. des Art. 2 Abs. 4 BayBO darstellt, wurde im vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO genehmigt. Da die Beigeladene zum Grundstück des Antragstellers eine Abweichung von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO beantragt und die Antragsgegnerin diese gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO erteilt hat, gehören die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften gem. Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO auch zum Prüfumfang der streitgegenständlichen Baugenehmigung, so dass sie im Rahmen des Nachbarrechtsbehelfes zu prüfen sind (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 5.11.2015 – 15 B 15.1371 – juris Rn. 15).
4. In bauordnungsrechtlicher Hinsicht stellt sich die in der verfahrensgegenständlichen Baugenehmigung vom 11. November 2015 erteilte Abweichung bei summarischer Prüfung als materiell rechtmäßig dar. Selbst bei deren Rechtswidrigkeit führte dies voraussichtlich gleichwohl nicht zum Erfolg der Anfechtungsklage, da sich die Antragstellerin aufgrund des wechselseitigen Abstandsflächenverstoßes nach den Grundsätzen von Treu und Glauben hierauf nicht berufen könnte.
4.1 Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Die Zulassung einer Abweichung setzt Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Belüftung im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16). Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2002 – 2 CS 01.1506 – juris Rn. 16; B.v. 23.5.2005 – 25 ZB 03.881 – juris Rn. 8; B.v. 15.11.2005 – 2 CS 05.2817 – juris Rn. 2; B. v. 29.11.2006 – 1 CS 06.2717 – juris Rn. 24; B.v. 11.1.2007 – 14 B 03.572 – juris Rn. 22; B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16; B. v. 4.8.2011 – 2 CS 11.997 – juris Rn. 23; B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 3; U. v. 22.12.2011 – 2 B 11.2231, BayVBl. 2012, 535 – juris Rn. 16; B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 15.10.2014 – 2 ZB 13.530 – juris Rn. 3; B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16). Es müssen rechtlich erhebliche Unterschiede vorliegen, die das Vorhaben als einen sich von der Regel unterscheidenden atypischen Fall erscheinen lassen und dadurch eine Abweichung rechtfertigen können (vgl. BayVGH, B.v. 3.12.2014 – 1 B 14.819 – juris Rn. 15; B.v. 11.12.2014 – 15 CS 14.1710 – juris Rn. 19). Diese können sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 22.9.2006 – 25 ZB 01.1004 – juris Rn. 4; B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16; B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 4; B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16). In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen. Hingegen begründen allein Wünsche eines Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen als dies ohnehin schon zulässig wäre, noch keine Atypik, da Modernisierungsmaßnahmen, die nur der Gewinnmaximierung dienen sollen, auch in Ballungsräumen nicht besonders schützenswert sind (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2014 – 2 CS 14.2199 – juris Rn. 4; B.v. 2.12.2014 – 2 ZB 14.2077 – juris Rn. 3).
Liegt die erforderliche Atypik nicht vor, erweist sich eine trotzdem erteilte Abweichung von der Einhaltung der gesetzlich vorgeschrieben Abstandsflächen von vornherein als rechtswidrig und ist auf eine Nachbarklage hin die Baugenehmigung grundsätzlich aufzuheben (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2015 – 15 ZB 12.1152 – juris Rn. 16).
Liegt die erforderliche Atypik vor, ist weitere Voraussetzung die Vereinbarkeit der Abweichung mit den öffentlichen Belangen unter Würdigung der öffentlichrechtlich geschützten nachbarlichen Interessen. Mit der Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen verlangt das Gesetz – wie bei dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme – eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn (BayVGH, B. v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 17). Ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, beurteilt sich dabei nicht allein danach, wie stark die Interessen des betroffenen Nachbarn beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung der nachbarlichen Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (BayVGH, B. v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 20).
4.2 Eine derartige Sondersituation (Atypik) ist im vorliegenden Fall hinsichtlich der streitgegenständlichen Abweichung gegeben.
Mit der schräg verlaufenden Grundstücksgrenze zum Grundstück der Antragstellerin Fl.-Nr. … liegt grundsätzlich eine grundstücksbezogene Besonderheit vor. Der schräge Grenzverlauf vermag eine Atypik aber nur insoweit zu begründen, als bei einem ideal geschnittenen Grundstück mit geradem Grenzverlauf die Abstandsflächen entsprechend Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO auf dem Vorhabengrundstück selbst liegen würden.
Ohne den vorspringenden bzw. schrägen Grenzverlauf der nördlichen Grundstücksgrenze würde die Abstandsfläche des streitgegenständlichen Rückgebäudes ausschließlich auf das Vorhabengrundstück fallen und das klägerische Grundstück nicht tangieren. Insoweit ist vorliegend die für eine Abweichung erforderliche Atypik gegeben.
Unter Berücksichtigung der vorhandenen Umgebungsbebauung – insbesondere auf den nördlich und südlich unmittelbar angrenzenden Grundstücken – ist auch ein die Belange der Antragstellerin überwiegendes Bauherreninteresse gegeben, wozu nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs auch die Schaffung von zeitgemäßen Wohnraum zählt (BayVGH, B.v. 5.12.2011 – 2 CS 11.1902 – juris Rn. 5). Im Vergleich zur bisherigen Bestandsbebauung erfolgt mit dem Neubau hofseitig eine Erhöhung des bisherigen Mansardknicks um 2,40 m von ca. 10,40 m auf nunmehr 12,80 m und eine Erhöhung des an der rückwärtigen Grundstücksgrenze gelegenen Firstes um ca. 3 m von 10,60 m auf 13,61 m. Nur insoweit ergibt sich für die Antragstellerin eine Änderung der neuen Bebauungssituation im Vergleich zur bisherigen Bestandssituation, wobei die Erhöhung des rückwärtigen Firstes für die Bebauung der Antragstellerin von untergeordneter Bedeutung sein dürfte. Im dicht bebauten innerstädtischen Bereich stellt eine derartige Höhendifferenz auch im Rahmen des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots eine zumutbare Höhenentwicklung dar, zumal sich das Vorhaben an dem südlichen Gebäude orientiert und sich damit im Rahmen der Umgebungsbebauung hält.
4.3 Soweit gerügt wird, die Beigeladene hätte weitere Abweichungen von Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO und von Art. 6 Abs. 3 Nr. 1 BayBO beantragen müssen, übersieht die Antragstellerseite, abgesehen davon, dass diese nicht beantragten und nicht erteilten Abweichungen nicht im Prüfungsumfang des Art. 59 BayBO enthalten sind, dass diese Abweichungen auch in der Sache nicht erforderlich sind. Mit der Erteilten Abweichung von Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO wird die Abstandsfläche auf den auf dem Baugrundstück vorhandenen Platz verkürzt. Es fallen damit keine Abstandsflächen auf das Grundstück der Antragstellerin und liegt auch keine Überdeckung von Abstandsflächen vor.
4.4 Problematisch ist allerdings, dass die Abstandsflächen der östlichen, hofseitigen Außenwand des Vorhabens in den eingereichten Bauvorlagen falsch dargestellt sind. Die Abstandsflächen werden hier mit H/2 berechnet und dargestellt, obwohl die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO für die Anwendung des 16-m-Privilegs nicht vorliegen. Zum einen beträgt die Wandlänge der östlichen Außenwand vermasst 16,15 m. Zum an andern ist das Vorhabengebäude an drei Grundstücksgrenzen situiert, so dass das 16-m-Privileg gem. Art. 6 Abs. 6 Satz 2 BayBO nicht anwendbar ist.
Zwar kann eine fehlerhafte Plandarstellung zur Aufhebung einer Baugenehmigung führen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass hierdurch Nachbarrechte verletzt werden. Allerdings allein aufgrund dieses formalen Mangels die aufschiebende Wirkung anzuordnen erscheint vorliegend nicht angezeigt, da dieser formale Mangel bis zur mündlichen Verhandlung in der Hauptsache unschwer durch eine Tektur(Genehmigung) behoben werden kann. Vor allem steht einem Erfolg der Anfechtungsklage in der Hauptsache auch der wechselseitige Abstandsflächenverstoß entgegen.
5. Da das Gebäude der Antragstellerin zum Vorhabengrundstück selbst die erforderlichen Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO nicht einhält, ist die Antragstellerin insoweit nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert, sich uneingeschränkt auf die drittschützenden Vorgaben des Art. 6 BayBO zu berufen.
5.1 Aus dem System nachbarlicher Ausgleichs- und Rücksichtnahmepflichten folgt, dass derjenige, der selbst mit seinem Gebäude die erforderlichen Abstandsflächen nicht einhält, billigerweise nicht verlangen kann, dass der Nachbar die Abstandsflächen freihält. Dies führt dazu, dass nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ein Nachbar sich gegenüber einer Baugenehmigung in der Regel nicht mit Erfolg auf die Einhaltung einer nachbarschützenden Vorschrift berufen kann, wenn auch die Bebauung auf seinem Grundstück nicht dieser Vorschrift entspricht und wenn die beidseitigen Abweichungen etwa gleichgewichtig sind und nicht zu – gemessen am Schutzzweck der Vorschrift – schlechthin untragbaren, als Missstand (Art. 3 Abs. 1 Satz 2 BayBO) zu qualifizierenden Verhältnissen führen (BayVGH, U.v. 4.2.2011 – 1 BV 08.131 – juris Rn. 37; VGH BW, B.v. 29.9.2010 – 3 S 1752/10, BauR 2011, 148 – juris Rn. 5; VGH BW, B.v. 4.1.2007 – 8 S 1802/06 – juris Rn. 4). Derjenige, der mit seinem Gebäude selbst nicht den erforderlichen Grenzabstand einhält, kann billigerweise nicht verlangen, dass der Nachbar die Abstandsfläche, die er selbst auf dem eigenen Grundstück nicht zur Verfügung hat, auf dem fremden Grundstück frei hält (BayVGH, U.v. 4.2.2011 – 1 BV 08.131 – juris Rn. 37).
Dabei ist es unerheblich, ob das Gebäude des klagenden Nachbarn seinerzeit in Übereinstimmung mit den geltenden Bauvorschriften errichtet worden ist oder Bestandsschutz genießt (vgl. OVG Berlin, U.v. 11.2.2003 – 2 B 16.99 – juris Rn. 29; VGH SH, U.v. 15.12.1992 – 1 L 118/91 – juris; OVG Lüneburg, B.v. 30.3.199 – 1 M 897/99 – juris Rn. 43; VG München, U.v. 30.6.2014 – M 8 K 13.1102 – juris Rn. 54; VG München U.v. 7.10.2013 – M 8 K 12.6342 – juris Rn. 26; VG München, B.v. 2.1.2014 – M 8 SN 13.5141 – juris Rn. 43; VG München, B.v. 20.6.2013 – M 8 SN 13.1890 – juris Rn.37; VG München, U.v. 11.3.2013 – M 8 K 12.3508 – juris Rn. 40; VG München, U.v. 21.1.2013 – M 9 E1 12.6080 – juris Rn. 36 m. w. N.; a.A. OVG Münster, U.v. 24.4.2001 – 10 A 1402/98 – juris Rn. 11; ablehnend Kuchler, juris PR-UmwR 6/2014 – Anm.1; ders., BauR 2015, 1580, 1592). Maßgeblich ist allein, dass der klagende Nachbar den jetzt erforderlichen Grenzabstand nicht einhält, denn die Versagung des Abwehranspruchs beruht darauf, dass es unbillig wäre, einem Nachbarn den durch die grenznahe bauliche Anlage des anderen Nachbarn ausgehenden Nachteilen auszusetzen, ihm selbst aber eine Ausnutzung seines Grundstücks im Grenzbereich zu verwehren.
Bei der Frage, ob wechselseitige Verletzungen der Abstandsflächenvorschriften annähernd vergleichbar sind, ist keine zentimetergenaue quantitative Entsprechung gefordert, sondern es ist eine wertende Betrachtung in Bezug auf die Qualität der mit der Verletzung der Abstandsflächenvorschriften einhergehenden Beeinträchtigungen anzustellen (OVG Berlin, U.v. 11.2.2003 – 2 B 16.99 – juris Rn. 30; OVG Lüneburg, U.v. 30.3.1999 – 1 M 897/99 – juris Rn. 43).
5.2 Nach der Darstellung der jeweiligen Abstandsflächen in der von der Antragsgegnerin vorgelegten zeichnerischen Darstellung wirft das streitgegenständliche Vorhaben bei einer Wandhöhe von 10,93 m auf das Grundstück der Antragstellerin eine Abstandsfläche von ca. 20,40 m². Demgegenüber wirft das Vordergebäude der Antragstellerin bei einer Wandhöhe von ca. 17,50 m auf das Vorhabengrundstück eine Abstandsfläche von ca. 28 m².
Damit übertrifft die Abstandsfläche des Gebäudes der Antragstellerin in quantitativer Hinsicht deutlich die Abstandsfläche des Vorhabens.
Da somit der Abstandsflächenverstoß auf Seiten der Antragstellerin wesentlich größer ist und auch in quantitativer Hinsicht keine Umstände vorliegen, die den geringeren Abstandsflächenverstoß auf Seiten der Beigeladenen qualitativ schwerwiegender erscheinen lassen – außer im Erdgeschoss sind auch im streitgegenständlichen Gebäude wie im Vordergebäude der Antragstellerin Aufenthaltsräume betroffen -, ist die Antragstellerin vorliegend gehindert, sich auf die Verletzung des Art. 6 BayBO zu berufen.
6. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Es entspricht billigem Ermessen i. S. v. § 162 Abs. 3 VwGO, der Antragstellerin die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Sachantrag gestellt und sich damit entsprechend § 154 Abs. 3 VwGO einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
7. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziff. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben