Baurecht

Nachbarschutz gegen fehlendes Einfügen des Bauvorhabens in die nähere Umgebung und gegen Befreiung von Festsetzungen des Bebauungsplans

Aktenzeichen  M 8 SN 17.5657

Datum:
19.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 2336
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 30 Abs. 3, § 31 Abs. 2, § 34 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, sind nicht nachbarschützend. Ein möglicherweise fehlendes Einfügen in die nähere Umgebung hinsichtlich dieser Parameter kann ein Nachbar daher nicht mit Erfolg rügen. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei einer Befreiung von einer auch dem Nachbarschutz dienenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht gegeben ist. Bei der Befreiung von einer Festsetzung, die nicht auch den Zweck hat, die Rechte des Nachbarn zu schützen, sondern „nur“ dem Interesse der Allgemeinheit an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots.  (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage vom 3. Dezember 2017 gegen die der Beigeladenen durch die Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 30. Oktober 2017 für den Neubau eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage auf dem streitgegenständlichen Grundstück …weg 16, Fl.Nr. …, Gemarkung … Der Antragsteller ist Eigentümer des Grundstücks …weg 18, Fl.Nr. …, Gemarkung …, welches an das streitgegenständliche Grundstück im Süden unmittelbar angrenzt.
Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich eines übergeleiteten Baulinienplans, welcher für diese Grundstücke eine vordere Baulinie im Abstand von 10 m zur Grundstücksgrenze und eine rückwärtige Baugrenze im Abstand von 14 m zur Baulinie vorsieht.
 
 
Lageplan (nach Einscannen möglicherweise nicht mehr maßstabsgerecht)
Am 30. Juni 2017 (Eingangsdatum), Plan-Nr. …, beantragte die Beigeladene eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit Tiefgarage. Geplant ist ein dreigeschossiges (Erdgeschoss, Obergeschoss und Penthouse) Gebäude mit zehn Wohneinheiten und Flachdach. Es ist mit seiner langen Seite zum …weg ausgerichtet. Die Tiefgaragenzufahrt befindet sich an der nordwestlichen Grundstücksecke.
Das Gebäude ist im Erdgeschoss und Obergeschoss 26,975 m lang und 14,00 m breit. An der südlichen Außenwand springt hier die Außenwand auf einer Breite von 7,015 m um 0,40 m vor das Gebäude.
Der Abstand des Gebäudes zur südlichen Grundstücksgrenze beträgt 3,40 m bzw. 3,00 m im Bereich des Gebäudevorsprungs. Das Penthouse ist um 1,23 m bzw. 1,63 m (im Bereich des Gebäudevorsprungs) von der südlichen Außenwand nach Norden zurückversetzt.
An der östlichen Außenwand befindet sich der überdachte Eingangsbereich zum Wohnhaus (5,41 m x 1,50 m), der bis auf zwei Säulen an den Seiten offen ist.
Im Obergeschoss sind an der westlichen Außenwand vier Balkone mit einer jeweiligen Tiefe von 1,50 m und Breite von 3,74 m (halbierte Gesamtlänge der beiden gleich großen südlichen Balkone von 7,48 m) bzw. 3,4225 m (halbierte Gesamtlänge der beiden gleich großen nördlichen Balkone von 6,845 m) geplant. Die Balkone werden durch Säulen im Erdgeschoss gestützt.
Die Wandhöhe ist mit +8,94 m (Oberkante Penthouse) und + 6,85 m (Geländeroberkante der Umwehrung auf dem Obergeschoss) bei einer Geländeoberkante von bis zu -0,28 m angegeben; im Bereich der südlichen Außenwand sind -0,05 m angegeben, wobei eine Geländeoberkante von -0,10 m geplant ist.
Alle Maße sind in den Bauvorlagen vermasst.
Die Firsthöhe des Gebäudes …weg 18 ist in den Bauvorlagen mit 12,04 m, dessen Wandbzw. Traufhöhe mit 7,49 m, dessen Dachneigung mit 38,5° im unteren Dachbereich und 20° im oberen Dachbereich sowie der Grenzabstand dieses Gebäudes zu seiner nördlichen Grundstücksgrenze mit 3,6 m dargestellt (abgegriffen aus dem Plan der Ostansicht).
Mit Schreiben vom 14. August 2017 wandte sich der Antragsteller an die Antragsgegnerin und erhob Einwendungen gegen das Vorhaben. Insbesondere sei das Rücksichtnahmegebot verletzt. Das Einfamilienhaus …weg 18 sei zudem im Ansichtsplan falsch dargestellt; die Traufhöhe betrage lediglich 6,42 m, die Dachneigung im unteren Teil des Daches 45°, im oberen Teil 22°.
Mit Bescheid vom 30. Oktober 2017 (Az.: …), dem Antragsteller laut Zustellungsurkunde am 3. November 2017 zugestellt, genehmigte die Antragsgegnerin den Bauantrag der Beigeladenen vom 30. Juni 2017 (Eingangsdatum) nach Plan-Nr. … mit Handeintragungen vom Entwurfsverfasser vom 28. September 2017 (Verkleinerung der Balkone auf der Westseite) sowie Freiflächengestaltungsplan nach Plan-Nr. … und Baumbestandsplan nach Plan-Nr. … im vereinfachten Genehmigungsverfahren unter einer aufschiebenden Bedingung im Hinblick auf eine fachgerechte Begrünung und Baumschutzmaßnahmen.
Die Baugenehmigung enthält Auflagen zu den Kfz-Stellplätzen, den Fahrradabstellplätzen und im Hinblick auf die naturschutzrechtlichen Belange. Zudem wurden sieben Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB wegen Überschreitung von Baulinien und Baugrenzen erteilt.
Unter der Nachbarwürdigung ging die Antragsgegnerin auf die unter anderen vom Antragsteller vorgebrachten Einwendungen gegen das Bauvorhaben in Bezug auf die Umgebungsbebauung ein; das Einfügegebot sei aber auch nicht nachbarschützend. Die Abstandsflächen seien nicht im Prüfprogramm, da Abweichungen hiervon nicht beantragt worden seien. Ein größerer Abstand als die BayBO vorschreibe, könne nicht verlangt werden. Auch die Balkone auf der Westseite des Gebäudes würden sich in die Umgebungsbebauung einfügen. Die Gartenstadtsatzung sei nicht mehr anzuwenden.
Mit Schriftsatz vom 3. Dezember 2017, beim Verwaltungsgericht München am selben Tag eingegangen, erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage gegen die Baugenehmigung vom 30. Oktober 2017.
Mit gleichem Schriftsatz beantragte der Bevollmächtigte,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung anzuordnen.
Zur Begründung führte der Bevollmächtigte des Antragstellers im Wesentlichen aus, dass die Baugenehmigung vom 30. Oktober 2017 rechtswidrig sei und den Antragsteller in seinen Rechten verletze.
Bei der Umgebung des Baugrundstücks handele es sich um einen durchgrünten Randbezirk mit aufgelockerter Bebauung, vorwiegend mit ein- und Zweifamilienhäusern, und mit jeweils großen Grünflächenanteilen.
Das Vorhaben verstoße gegen das Einfügungserfordernis nach § 34 Abs. 1 BauGB. Es handele sich bei dem Vorhaben um einen überdimensionierten Baukörper mit zu großer Gebäudelänge, was sich anhand von im Einzelnen dargestellten Beispielen aus der Umgebung zeige. Zudem sei der Gebäudeabstand zum Nachbargebäude …weg 18 zu gering, weshalb sich das Vorhaben nicht in die in der Umgebung vorhandene überbaubare Grundstücksfläche einfüge; insbesondere könnten der Gebäudebestand …straße 8 und 10 nicht als Bezugsobjekt herangezogen werden.
Zudem verstoße das Vorhaben gegen das Rücksichtnahmegebot. Der Abstand zwischen den Gebäudeaußenwänden von nur 6,60 m sei wesentlich geringer als der Abstand zwischen sämtlichen im Einzelnen bezeichneten Gebäuden in der näheren Umgebung. Dadurch entstünden Einblicksmöglichkeiten in das Grundstück und Gebäude des Antragstellers. Diese seien in dem durchgrünten Randbezirk und bei der gegebenen aufgelockerten Bebauung nicht zumutbar. Außerdem sei das Vorhaben baukörpermäßig erheblich überdimensioniert.
Mit Beschluss vom 6. Dezember 2017 wurde die Bauherrin und Adressatin der streitgegenständlichen Baugenehmigung zum Verfahren beigeladen.
Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2017 beantragten die Bevollmächtigten der Beigeladenen, den Antrag zurückzuweisen.
Zur Begründung führten die Bevollmächtigten im Wesentlichen aus, dass keine Nachbarrechtsverletzung gegeben sei. Auf einen Verstoß gegen das Einfügenserfordernis nach § 34 Abs. 1 BauGB sowie auf einen aus Sicht des Antragstellers zu geringen Gebäudeabstand könne sich der Antragsteller nicht berufen. Eine Verletzung in seinen Rechten könne der Antragsteller auch nicht im Hinblick auf die rückwärtige Baugrenze geltend machen. Auch ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liege offenkundig nicht vor.
Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2018 beantragte die Antragsgegnerin, den Eilantrag zurückzuweisen.
Zur Begründung verwies sie auf die Nachbarwürdigung in der angefochtenen Baugenehmigung sowie auf den Schriftsatz der Beigeladenen vom 18. Dezember 2017.
II.
Der Antrag des Antragstellers gemäß § 80a Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 212a Abs. 1 BauGB, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 3. Dezember 2017 (M 8 K 17.5658) gegen die von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 30. Oktober 2017 der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung, ist zulässig, aber unbegründet und hat daher in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Baugenehmigung verletzt bei summarischer Prüfung keine nachbarschützenden Vorschriften, die im Prüfumfang der Baugenehmigung enthalten sind (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog, Art. 59 Satz 1 BayBO).
1. Nach § 212 a Abs. 1 BauGB hat die Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens keine aufschiebende Wirkung. Legt ein Dritter gegen die einem anderen erteilte und diesen begünstigende Baugenehmigung eine Anfechtungsklage ein, so kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die bundesgesetzlich gemäß § 212a Abs. 1 BauGB ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage ganz oder teilweise anordnen. Hierbei trifft das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung darüber, welche Interessen höher zu bewerten sind – die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden. Dabei stehen sich das Suspensivinteresse des Nachbarn und das Interesse des Bauherrn, von der Baugenehmigung sofort Gebrauch zu machen, grundsätzlich gleichwertig gegenüber. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches Indiz zu berücksichtigen. Fällt die Erfolgsprognose zu Gunsten des Nachbarn aus, erweist sich die angefochtene Baugenehmigung also nach summarischer Prüfung gegenüber dem Nachbarn als rechtswidrig, so ist die Vollziehung der Genehmigung regelmäßig auszusetzen (vgl. BayVGH, B.v. 12.4.1991 – 1 CS 91.439 – juris). Hat dagegen die Anfechtungsklage von Nachbarn mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Erfolg, so ist das im Rahmen der vorzunehmenden und zu Lasten des Antragstellers ausfallenden Interessensabwägung ein starkes Indiz für ein überwiegendes Interesse des Bauherrn an der sofortigen Vollziehung der ihm erteilten Baugenehmigung (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011 – 14 CS 11.535 – juris Rn. 18). Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine reine Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 26.7.2011, a.a.O.).
Nach der im Rahmen der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung verletzt der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass ihm voraussichtlich kein Anspruch auf Aufhebung dieser Baugenehmigung zusteht (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO analog).
Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Bei dem streitgegenständlichen Vorhaben handelt es sich nicht um einen Sonderbau im Sinne des Art. 2 Abs. 4 BayBO, sodass sich der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde aus Art. 59 BayBO ergibt.
Der Antragsteller kann die Baugenehmigung mit dem Ziel der Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch dem nachbarlichen Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit (auch) auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind, weil dieser in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise in einem schutzwürdigen Recht betroffen ist (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 26.9.1991 – 4 C 5.87 – juris; BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris m.w.N.). Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009, a.a.O. Rn. 20). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren aber nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung des Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B. v. 16.1.1997 – 4 B 244.96 – juris Rn. 3; BayVGH, B. v. 14.10.2008 – 2 CS 08.2132 – juris Rn. 3).
2. Dies zugrunde gelegt, wird die Klage des Antragstellers nach summarischer Überprüfung voraussichtlich keinen Erfolg haben. Sie erweist sich voraussichtlich als unbegründet, da der angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin ihn nicht in seinen Rechten verletzt, so dass ihnen auch kein Anspruch auf Aufhebung dieser Baugenehmigung zusteht (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich nach § 30 Abs. 3 BauGB in Verbindung mit § 34 BauGB.
2.1 Hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung und der Bauweise fügt sich das Vorhaben erkennbar gemäß § 34 Abs. 1 BauGB als Wohngebäude in offener Bauweise in die nähere Umgebung objektiv ein, was der Antragsteller auch nicht in Abrede gestellt.
2.2 Es entspricht im Übrigen der ganz herrschenden Meinung, dass die Regelungen über das Maß der baulichen Nutzung, über die Bauweise und die Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht nachbarschützend sind (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215/95 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12; B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 3; B.v. 6.11.2008 – 14 ZB 08.2327 – juris Rn. 9). Ein möglicherweise fehlendes Einfügen in die nähere Umgebung hinsichtlich dieser Parameter kann der Antragsteller daher nicht mit Erfolg rügen.
Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass die Längenmaße keine Bestimmungsgröße für das Maß der baulichen Nutzung sind (vgl. § 16 Abs. 2 BauNVO); für das (objektive) Einfügen nach § 34 Abs. 1 BauGB entscheidend ist allein die Kubatur (Grundfläche, Geschosszahl und Höhe) sowie das Verhältnis der bebauten zur Freifläche (vgl. BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 20 ff.; VG München, U.v. 17.2.2014 – M 8 K 13.682 – juris Rn. 29).
2.3 Hinsichtlich der erteilten Befreiungen vom Bauraum – der vorderen Baulinie und der rückwärtigen Baugrenze – kann sich der Antragsteller nicht auf die Verletzung drittschützende Rechte berufen.
Die Antragsgegnerin hat vorliegend Befreiungen gemäß § 31 Abs. 2 BauGB wegen der Überschreitung des Bauraums des übergeleiteten Baulinienplans (§ 30 Abs. 3 BauGB i.V.m. § 173 Bundesbaugesetz – BBauG) erteilt. Den hier betroffenen Festsetzungen einer rückwärtigen Baugrenze durch einfachen Bebauungsplan nach § 30 Abs. 3 BauGB kommt keine nachbarschützende, sondern eine bloß städtebauliche Funktion zu.
Der Umfang des Nachbarschutzes bei Befreiungen von Festsetzungen eines Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB hängt davon ab, ob die Festsetzung, von deren Einhaltung dispensiert wird, dem Nachbarschutz dient oder nicht. Bei einer Befreiung von einer auch dem Nachbarschutz dienenden Festsetzung ist der Nachbar schon dann in seinen Rechten verletzt, wenn die Befreiung rechtswidrig ist, weil eine der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB nicht gegeben ist. Bei der Befreiung von einer Festsetzung, die nicht auch den Zweck hat, die Rechte des Nachbarn zu schützen, sondern „nur“ dem Interesse der Allgemeinheit an einer geordneten städtebaulichen Entwicklung dient, richtet sich der Nachbarschutz hingegen nach den Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots. Nachbarrechte werden in diesem Falle verletzt, wenn der Nachbar durch das Vorhaben infolge der zu Unrecht erteilten oder unterbliebenen Befreiung unzumutbar beeinträchtigt wird (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84 – juris Rn. 17; B.v. 8.7.1998 – 4 B 64.98 – juris Rn. 6).
Festsetzungen hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche (Baulinien, Baugrenzen, Bebauungstiefen) haben nicht schon kraft Gesetzes eine nachbarschützende Funktion. Abweichungen von diesen Festsetzungen lassen den Gebietscharakter unberührt und haben nur Auswirkungen auf das Baugrundstück und die unmittelbar anschließenden Nachbargrundstücke. Zum Schutz der Nachbarn ist insoweit das Rücksichtnahmegebot ausreichend. Entsprechende Festsetzungen vermitteln einen weitergehenden – über das Rücksichtnahmegebot hinausgehenden – Drittschutz daher nur dann, wenn sie nach dem Planungswillen der Gemeinde ausnahmsweise diese Funktion haben sollen (vgl. BVerwG, B.v. 19.10.1995 – 4 B 215.95 – juris Rn. 3). Die Festsetzung straßenseitiger Baulinien und rückwärtiger Baugrenzen erfolgt regelmäßig aus städtebaulichen Gründen, vornehmlich zur Gestaltung des Orts- und Straßenbildes und zur Gewährleistung einer bestimmten Anordnung der Baukörper zur Straße bzw. zum rückwärtigen Grundstücksbereich hin. Solchen Festsetzungen kommt daher ganz regelmäßig keine nachbarschützende Wirkung zu (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 26.3.2002 – 15 CS 02.423 – juris Rn. 16; VGH BW, B.v. 1.10.1999 – 5 S 2014/99 – juris Rn. 7).
Für das Gericht ist nichts dafür ersichtlich, dass die Festsetzung der vorderen Baulinie und der rückwärtigen Baugrenze in dem übergeleiteten Bauliniengefüge nicht allein aus städtebaulichen Gründen erfolgt ist, sondern (auch) dem nachbarlichen Interessenausgleich im Sinne eines Austauschverhältnisses dienen sollte. Ein substantiierter Vortrag des Antragstellers fehlt insoweit auch.
2.4 Es liegt auch keine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme vor. Insoweit kann dahinstehen, ob sich dieses im vorliegenden Fall aus dem Begriff des „Einfügens“ des § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Baunutzungsverordnung (BauNVO) ableitet, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
Inhaltich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalles ab. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalles kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (BVerwG, U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris, Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Bedeutsam ist ferner, inwieweit derjenige, der sich gegen das Vorhaben wendet, eine rechtlich geschützte wehrfähige Position inne hat (BVerwG, B.v. 6.12.1996 – 4 B 215.96 – juris Rn. 9). Das Gebot der Rücksichtnahme gibt den Nachbarn aber nicht das Recht, von jeglicher Beeinträchtigung der Licht- und Luftverhältnisse oder der Verschlechterung der Sichtachsen von seinem Grundstück aus verschont zu bleiben. Eine Rechtsverletzung ist erst dann zu bejahen, wenn von dem Vorhaben eine unzumutbare Beeinträchtigung ausgeht (BayVGH, B.v. 22.6.2011 – 15 CS 11.1101 – juris Rn. 17). Eine Veränderung der Verhältnisse durch ein Vorhaben, das den Rahmen der Umgebungsbebauung wahrt und städtebaulich vorgegeben ist, ist aber regelmäßig als zumutbar hinzunehmen (BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 6).
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird. Eine solche Wirkung kommt vor allem bei nach Höhe und Volumen „übergroßen“ Baukörpern in geringem Abstand zu benachbarten Wohngebäuden in Betracht (BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1.78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34.85 – juris Rn. 15: Drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem 2-geschossigen Wohnanwesen; BayVGH, B.v. 10.12.2008 – 1 CS 08.2770 – juris Rn. 23; B.v. 5.7.2011 – 14 CS 11.814 – juris Rn. 21). Hauptkriterien bei der Beurteilung einer „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung sind unter anderem die Höhe es Bauvorhabens und seine Länge sowie die Distanz der baulichen Anlage in Relation zur Nachbarbebauung (BayVGH, B.v. 19.3.2015 – 9 CS 14.2441 – juris Rn. 31; B.v. 23.4.2014 – 9 CS 14.222 – juris Rn. 12 m.w.N.). Für die Annahme der „abriegelnden“ bzw. „erdrückenden“ Wirkung eines Nachbargebäudes ist somit grundsätzlich kein Raum, wenn dessen Baukörper nicht erheblich höher ist als der des betroffenen Gebäudes, was insbesondere gilt, wenn die Gebäude im dicht bebauten innerstädtischen Bereich liegen (BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5; B.v. 5.12.2012 – 2 CS 12.2290 – juris Rn. 9; B.v. 9.2.2015 – 2 CS 15.17 n.v.).
Im Übrigen gibt das Rücksichtnahmegebot dem Nachbarn insbesondere nicht das Recht, vor jeglicher Beeinträchtigung, speziell vor jeglichen Einblicken verschont zu bleiben (vgl. Sächs. OVG, B.v. 23.2.2010 – 1 B 581/09 – juris Rn. 5). Gegenseitige Einsichtnahmemöglichkeiten sind im dicht bebauten innerstädtischen Bereich unvermeidlich. Die – auch insoweit gegenseitig – Betroffenen können sich durch das Anbringen von Jalousien oder verspiegelten Fenstern behelfen (vgl. BayVGH, B.v. 7.10.2010 – 2 B 09.328 – juris Rn. 30).
Vorliegend fehlt es ausweislich der Bauvorlagen und Akten der Antragsgegnerin bereits an einer erheblichen Höhendifferenz zwischen dem Vorhabengebäude und dem Anwesen der Antragsteller. Das Vorhaben ist in dem dem Antragsteller zugewandten südlichen Teil 8,99 m (Penthouse) bzw. 6,90 m (Geländeroberkante) hoch, wohingegen das Gebäude des Antragstellers eine Firsthöhe von 12,04 m und eine Wand- und Traufhöhe von 7,49 m aufweist. Die maximale Höhenentwicklung des Gebäudes des Antragstellers ist hiernach sogar höher, als die des Vorhabens. Gerade aber auch die Wandhöhen sind vergleichbar; keinesfalls überragt somit das Vorhaben das Gebäude des Antragstellers. Das antragstellerische Gebäude wird dadurch jedenfalls nicht erdrückt. Hinzu kommt, dass sowohl das Vorhaben bei der aufgezeigten vergleichbaren Höhenentwicklung einen vergleichbaren Grenzabstand der Hauptgebäude zur Nachbarbebauung einhalten. Der Abstand vom Vorhaben zur Grundstücksgrenze beträgt 3 m, der des Gebäudes des Antragstellers 3,65 m (abgegriffen aus dem Erdgeschossplan). Mit seiner Schmalseite orientiert sich das Vorhaben auch genau an dem Gebäude des Antragstellers bzw. der Bauraumfestsetzung, sodass eine abriegelnde Wirkung nicht in Betracht kommt. Die Längenentwicklung an sich ist ebenso wenig gegenüber dem Antragsteller rücksichtslos, da nicht ersichtlich ist, aus welchen Gründen diese den Antragsteller in seinen Rechten beeinträchtigen soll. Insbesondere sind diesbezügliche negative Auswirkungen hinsichtlich Belichtung und Belüftung des nördlich des antragstellerischen Gebäude situierten Vorhabens weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen. Es kann somit nicht von einer unzumutbaren übergroßen Bebauung in geringem Grenzabstand die Rede sein.
Dies gilt im Übrigen auch dann, wenn man zugunsten des Antragstellers davon ausgeht, dass die Darstellung seines Gebäudes im Ansichtsplan im Hinblick auf die Höhenentwicklung falsch ist. Der Antragsteller hat gegenüber der Antragsgegnerin vorgetragen, dass sein Gebäude eine Traufhöhe von lediglich 6,42 m aufweise und die Dachneigung in den Plänen falsch dargestellt sei. Dennoch ist der Unterschied der Wand-/Traufhöhen (6,90 m beim Vorhaben) nur gering und führt keinesfalls zu einer Rücksichtslosigkeit im oben genannten Sinne. Gleiches muss auch für die maximale Höhenentwicklung gelten, insoweit der Antragsteller zudem nur unsubstantiiert die Darstellung in den Bauvorlagen bestreitet. Das Gesamtvorhaben wäre auch bei den behaupteten leicht unterschiedlichen Höhenverhältnissen vom Nachbarn hinzunehmen.
Hinsichtlich der vorgetragenen Einblicksmöglichkeiten ist festzustellen, dass diese vom Nachbar hinzunehmen sind, da sie nicht unzumutbar sind. Aus den Bauvorlagen, insbesondere aus dem Lageplan, ist erkennbar, dass die Umgebungsbebauung die Bauräume gerade entlang des …wegs und der …straße meist hinsichtlich der hinteren Baugrenze voll ausnutzt und auch zu den Seiten eine möglichst optimale Nutzung des Grundstücks vorhält. Folglich kann auch die Umgebungsbebauung nach summarischer Prüfung als dicht bebauter innerstädtischer Bereich angesehen werden. Dies zeigt sich insbesondere an den Gebäuden …straße 8 und 10 sowie auch am Gebäude des Antragstellers. Er sei nochmal darauf hingewiesen, dass dieses lediglich einen Grenzabstand von 3,65 m einhält, weshalb Einblicksmöglichkeiten des Antragstellers (z.B. aus dem nach den vorgelegten Luftbildern offensichtlich ausgebauten Dachgeschoss) auf das streitgegenständliche Grundstück und Vorhaben (z.B. in das Erdgeschoss und Obergeschoss) ebenso gegeben sind, wie solche der Beigeladenen.
Gleiches gilt auch bezüglich der geplanten Balkone. Diese sind noch weiter als die südliche Außenwand von dem Nachbargrundstück entfernt, sodass eine erdrückende Wirkung nicht in Betracht kommt.
2.5 Das beantragte Bauvorhaben wurde im vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß Art. 59 BayBO genehmigt. Da die Beigeladene keine Abweichungen von den Vorschriften des Abstandsflächenrechts nach Art. 6 BayBO beantragt und die Antragsgegnerin keine Abweichungen gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO erteilt hat, gehören die bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften auch nicht zum Prüfumfang der streitgegenständlichen Baugenehmigung (Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO) und sind daher vorliegend auch nicht im Rahmen des Antrags nach § 80a Abs. 3 VwGO zu prüfen (BayVGH, B.v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431 – juris Rn. 36; B.v. 5.11.2015 – 15 B 15.1371 – juris Rn. 15).
3. Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Es entspricht billigem Ermessen im Sinne von § 162 Abs. 3 VwGO, dem Antragsteller die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, da diese einen Sachantrag gestellt und sich somit entsprechend § 154 Abs. 3 VwGO einem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.


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