Baurecht

Naturschutzrechtliches Vorkaufsrecht an Seegrundstück – rechtswidrige Reduzierung des Kaufpreises

Aktenzeichen  M 19 K 18.343

Datum:
23.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 28961
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayNatSchG Art. 39
BayVwVfG Art. 39, Art. 41, Art. 43

 

Leitsatz

1. Unter Verlandungsfläche i.S.v. Art. 39 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BayNatSchG ist eine Fläche zu verstehen, die entweder aktuell einem Verlandungsprozess unterliegt („verlandende Fläche“) oder auf der ein Verlandungsprozess stattgefunden hat, der zwischenzeitlich abgeschlossen ist („verlandete Fläche“). (Rn. 44) (redaktioneller Leitsatz)
2. Auch größere Flächen innerhalb von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen können Bestandteile der freien Natur sein, wenn sie nicht entscheidend von der umliegenden Bebauung, sondern von ihrem natürlichen Erscheinungsbild geprägt werden. Unerheblich ist grundsätzlich, ob ein Gebiet frei zugänglich oder dem Zugang der Allgemeinheit entzogen ist. Flächen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans sind, solange sie nicht tatsächlich bebaut werden und eine zusammenhängende Bebauung entsteht, ebenfalls als freie Natur anzusehen. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Ausübung des naturschutzrechtlichen Vorkaufsrechts kann eine geeignete und notwendige Maßnahme sein, den Zugang zu einem See für die Allgemeinheit zu Zwecken der Erholung und des Naturgenusses zu verwirklichen. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
4. Für eine deutliche Überschreitung i.S.v. Art. 39 Abs. 8 S. 1 BayNatSchG muss zwischen Kaufpreis und Verkehrswert eines Grundstückes ein Missverhältnis bestehen, aus dem sich ergibt, dass die Vertragsparteien sich nicht an einem Wert orientierten, der im gewöhnlichen und gesunden Geschäftsverkehr zu erzielen ist, sondern dass sie bei der Preisfindung Erwägungen angestellt haben, die mit marktorientiertem Interessenausgleich nichts zu tun haben können. (Rn. 66) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid vom 19. Dezember 2017 und der Klarstellungsbescheid vom 15. Juni 2018, jeweils der Bayerischen Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen, werden aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe

Die Klagen sind erfolgreich. Der Bescheid der BSV vom 19. Dezember 2017 und der Klarstellungsbescheid der BSV vom 15. Juni 2018 sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
I.
Die Klagen sind zulässig.
Der Kläger zu 5 wurde von seinem Vater mit notariell beurkundetem Testament vom 7. Mai 2009 zum Testamentsvollstrecker ernannt. Ihm wurde die Aufgabe übertragen, die Nachlassgrundstücke zu veräußern und zu verwalten. Der Kläger zu 5 hat das Amt des Testamentsvollstreckers angenommen (Bescheinigung des Amtsgerichts München v. 14.3.2013). Er ist damit wirksam ernannt und der hier geltend gemachte Anspruch unterliegt seiner Verfügung (§ 173 VwGO, § 56 Abs. 1 Zivilprozessordnung – ZPO). Er führt als Testamentsvollstrecker den Prozess in eigenem Namen und ist Partei kraft Amtes. Er ist prozessführungsbefugt. Dies ergibt sich aus § 2212 BGB, der auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Anwendung findet (Weidlich in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 2212 Rn. 1). § 2212 BGB weist die Befugnis zur Führung von Aktivprozessen allein dem Testamentsvollstrecker zu. Ansprüche, die dem Nachlass zustehen und der Verwaltung durch den Testamentsvollstrecker unterliegen, können nur von diesem geltend gemacht werden. Entscheidend für die Abgrenzung zu der in § 2213 BGB geregelten Führung von Passivprozessen ist nicht die Parteirolle, sondern die Frage, ob Ansprüche für oder gegen den Nachlass geltend gemacht werden. Vorliegend macht der Kläger zu 5 im Rahmen einer Anfechtungsklage einen Anspruch des Nachlasses (Aufhebung des streitgegenständlichen Bescheids) geltend, es handelt sich somit um einen Aktivprozess (Suttmann in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BeckOGK, Stand: 1.5.2018, § 2212 Rn. 6 f.)
Daneben sind jedoch im vorliegenden Fall auch die Klagen der Miterben, der Kläger zu 1 bis 4, zulässig. Grundsätzlich fehlt den Erben zwar bei angeordneter Testamentsvollstreckung im Rahmen von Aktivprozessen die Prozessführungsbefugnis (§ 2212 BGB). Da der streitgegenständliche Bescheid jedoch den Klägern zu 1 bis 4 als Miterben persönlich mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden war, war zumindest ein Rechtsschein dahingehend entstanden, dass sie Inhaltsadressaten eines sie belastenden Verwaltungsakts geworden sind. Gegen diesen Rechtsschein müssen sie sich nach den Grundsätzen des effektiven Rechtsschutzes zur Wehr setzen können. Insoweit ist vorliegend eine Anfechtungsklage in der Hauptsache statthaft (Blunk/Schroeder, Rechtsschutz gegen Scheinverwaltungsakte, JuS 2005, 602, 604). Als Adressaten eines belastenden Scheinverwaltungsakts sind sie klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO).
II.
Die Klage des Klägers zu 5 ist begründet.
Zwar erweist sich der Bescheid vom 19. Dezember 2017 als formell rechtmäßig (1.) und insoweit als materiell rechtmäßig, als die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 39 BayNatSchG grundsätzlich zu bejahen sind (2.). Allerdings ist er insoweit rechtswidrig, als er abweichend vom vereinbarten Kaufpreis (12 Millionen EUR) einen reduzierten Kaufpreis (5,3 Millionen EUR) festsetzt (3.). Er war deshalb zusammen mit dem sich auf ihn beziehenden Klarstellungsbescheid vom 15. Juni 2018 insgesamt aufzuheben (4.).
1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
a. Soweit der Freistaat Bayern das Vorkaufsrecht in den Fällen des Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG wegen des Bedürfnisses der Allgemeinheit nach Naturgenuss und Erholung in der freien Natur für sich ausübt, vertritt ihn die BSV an den von ihr verwalteten oberirdischen Gewässern (Art. 39 Abs. 3 Satz 2 BayNatSchG).
b. Nach Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) ist der Adressat eines belastenden Verwaltungsakts vor dessen Erlass anzuhören. Eine Anhörung hat im vorliegenden Verfahren nicht stattgefunden. Dieser Mangel wurde jedoch gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG dadurch geheilt, dass die Klägerbevollmächtigten sich noch während des Verwaltungsverfahrens mit Schriftsatz vom 16. Januar 2018 umfassend gegenüber der BSV geäußert haben und sich diese mit den schriftlich vorgetragenen Argumenten inhaltlich ausreichend vertieft auseinandergesetzt hat (Vermerk v. 18.1.2018). Der Charakter der Vorkaufsrechtsausübung als fristgebundener Verwaltungsakt steht einer Heilung nicht entgegen (VG München, U.v. 12.12.2017 – M 1 K 16.5950 – juris Rn. 21). Die BSV hat die Ausführungen der Kläger im Verfahren zur Kenntnis genommen und erwogen (BVerwG, U.v. 17.12.2015 – 7 C 5/14 – juris Rn. 17).
2. Der Bescheid ist materiell rechtmäßig, soweit darin das Vorkaufsrecht ausgeübt wird. Rechtsgrundlage hierfür ist Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG. Dessen Tatbestandsvoraussetzungen liegen vor.
a. Der Beklagte ist nach dem Wortlaut des Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG vorkaufsberechtigt.
b. Das streitgegenständliche Grundstück wurde am 17. Oktober 2017 mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom Kläger zu 5, handelnd in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker für die Erbengemeinschaft aus ihm selbst und seinen Geschwistern, an die Beigeladene im Sinne von Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayNatSchG verkauft. Ein Vorkaufsfall liegt damit vor.
c. Das Grundstück grenzt an die Verlandungsflächen des S … S … an. Unter dem Begriff Verlandungsfläche im Sinne von Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG ist nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 13.10.2009 – 14 B 07.1760 – juris Rn. 19 ff.) eine Fläche zu verstehen, die entweder aktuell einem Verlandungsprozess unterliegt („verlandende Fläche“) oder auf der ein Verlandungsprozess stattgefunden hat, der aber zwischenzeitlich abgeschlossen ist („verlandete Fläche“). Es kommt dabei nicht darauf an, ob die Verlandungsfläche mit dem Gewässer noch eine hydrologische oder sonst geartete Verbindung aufweist oder ob es sich um eine natürliche oder künstliche Verlandung handelt; auch der Zeitpunkt der Verlandung spielt grundsätzlich keine Rolle. Werden auf einer Verlandungsfläche jedoch Maßnahmen durchgeführt, die zu einer wesentlichen Änderung der Fläche führen, wie zum Beispiel durch Errichtung von baugenehmigungspflichtigen Vorhaben, durch Straßen, durch Gewässerausbau und sind diese Maßnahmen behördlich genehmigt, dann verliert die betroffene Fläche die Eigenschaft als Verlandungsfläche (Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, BayNatSchG, Stand: April 2016, Art. 39 Rn. 6b). Das Gericht ist davon überzeugt, dass das klägerische Grundstück an die Verlandungsfläche des S … S … angrenzt. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus den sich bei den Behörden- und den Gerichtsakten befindlichen Fotos (vgl. z.B. Bl. 50 ff. BA; Anlage 2 Bl. 11 des Gutachtens Dr. M. B.; Anlage 3-1: unterstes Bild des Gutachtens H. B.). Die Bilder zeigen, dass das Grundstück an den Kiesstrand bzw. den unmittelbar daran angrenzenden teilweise bewachsenen schmalen Grünstreifen angrenzt. Der gesamte – nur wenige Meter breite – Bereich zwischen dem See und dem klägerischen Grundstück ist als Verlandungsfläche zu qualifizieren. Es ist davon auszugehen, dass im oberen Bereich des Kiesstrands derzeit zumindest teilweise noch Verlandungsprozesse („verlandende Flächen“) stattfinden. Der daran in Richtung des klägerischen Grundstücks angrenzende Bereich, der teilweise bewachsen ist, stellt hingegen eine verlandete Fläche dar, auf der die Verlandungsprozesse wohl bereits abgeschlossen sind. Gleichwohl handelt es sich hierbei noch um das Vorkaufsrecht auslösende Verlandungsflächen.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass Art. 39 BayNatSchG eine Inhalts- und Schrankenbestimmung darstellt, und bei der Frage, welche Fläche als Verlandungsfläche zu qualifizieren ist, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. Es ist dem Grundstückseigentümer nicht zumutbar, sein Grundstück dauerhaft mit einem Vorkaufsrecht zu „belasten“ und nachträgliche Änderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Situation auszublenden, nur weil einmal, und sei es „in grauer Vorzeit“, auf diesem ein Verlandungsprozess stattgefunden hat (BayVGH, U.v. 13.10.2009 – 14 B 07.1760 – juris Rn. 32 f.). Auch vor diesem Hintergrund ist im vorliegenden Fall der Begriff der Verlandungsfläche nicht einzuschränken. Es liegen keine nachträglichen Veränderungen der tatsächlichen oder rechtlichen Situation vor. Zum einen wurden im Bereich der verlandeten Flächen keine umfangreichen baulichen Anlagen errichtet. Der Badesteg ist von seiner Dimensionierung und der Art der Ausführung her keine bauliche Maßnahme, die die Qualität der Verlandungsfläche verändert. Zum anderen sind der Abstand vom Kiesstrand bis zum Rand des klägerischen Grundstücks und der Abstand der Wasserlinie zum Ende des Kiesstrands nicht groß genug, um den Eindruck entstehen zu lassen, dass es sich bei den jenseits dem Kiesstrand liegenden Flächen um verlandete Flächen handelt, bei denen der Verlandungsprozess bereits in „grauer Vorzeit“ abgeschlossen wurde und die deshalb heute keine Ausübung des Vorkaufsrechts mehr tragen. Denn der Begriff der Verlandungsfläche ist grundsätzlich weit auszulegen. Dies ergibt sich aus der Entstehungsgeschichte des Art. 39 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BayNatSchG. Die Möglichkeit einer Vorkaufsrechtsausübung auch bei einem Angrenzen an Verlandungsflächen wurde erst mit dem Gesetz zur Änderung des Bayerischen Naturschutzgesetzes und des Bayerischen Wassergesetzes vom 15. Juli 1998 eingeführt (GVBl. S. 403). Die Gesetzesbegründung (LT-Drs. 13/10535 S. 29) führt hierzu aus: „Da es sich hier aber regelmäßig um ökologisch wertvolle Bereiche handelt bzw. auch der Zugang der Allgemeinheit im Rahmen des Verfassungsauftrags des Art. 141 Abs. 3 Satz 1 [Bayerische Verfassung – BV] gewährleistet werden soll, ist das Vorkaufsrecht auch für den Fall zwischenzeitlich erfolgter Verlandungen eindeutig zu sichern.“
d. Die Ausübungsfrist von zwei Monaten ist gewahrt (Art. 39 Abs. 7 BayNatSchG i.V.m. § 469 Abs. 2 Satz 1 BGB). Sie beginnt grundsätzlich mit dem Zeitpunkt, in dem der Vorkaufsberechtigte vollständige Kenntnis vom Inhalt des das Vorkaufsrecht auslösenden Kaufvertrags hat. Adressat der Mitteilung über den Abschluss eines Kaufvertrags ist in allen Fällen die Kreisverwaltungsbehörde, Art. 39 Abs. 3 Satz 3 BayNatSchG. Fristbeginn ist damit vorliegend der 30. Oktober 2017, da an diesem Tag der Kaufvertrag beim Landratsamt eingegangen ist. Die Ausübung des Vorkaufsrechts durch Erlass des Bescheids vom 19. Dezember 2017, zugestellt mit Postzustellungsurkunde am 21. Dezember 2017, erfolgte damit fristgerecht.
Der Bescheid wurde gegenüber dem Kläger zu 5 ordnungsgemäß bekannt gegeben und ist damit wirksam. Ein Verwaltungsakt ist demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird (Art. 41 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG). Er wird im Zeitpunkt der Bekanntgabe wirksam (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG). Bekanntgabe bedeutet die Eröffnung eines Verwaltungsakts an den Adressaten oder an einen Betroffenen, um diesen die Kenntnisnahme vom Inhalt des Verwaltungsaktes zu ermöglichen mit dem Wissen und Willen der erlassenden Behörde (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 41 Rn. 6). Ferner muss der Verwaltungsakt dem Adressaten zugehen, um diesem gegenüber wirksam zu werden. Ist fraglich, ob durch eine Zustellung an einen Dritten eine Bekanntgabe an den im Bescheid Verpflichteten erfolgen konnte oder, wer überhaupt durch den Bescheid verpflichtet werden soll, so ist zwischen dem Bekanntgabeadressaten, also derjenigen Person, an die der Verwaltungsakt bekanntzugeben ist, und dem Inhaltsadressaten, also derjenigen Person, die von der Regelung materiell betroffen ist, zu unterscheiden. Im vorliegenden Fall ist richtiger Bekanntgabeadressat der Kläger zu 5 in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker.
Das Vorkaufsrecht ist gemäß Art. 39 Abs. 7 BayNatSchG, § 464 Abs. 1 BGB gegenüber dem „Verpflichteten“ auszuüben. Dies ist hier der Kläger zu 5 als Testamentsvollstrecker. Grundsätzlich ist Adressat des Vorkaufsrechtsbescheids der Verkäufer des Grundstücks. Vorliegend sind die Kläger zu 1 bis 4 als Miterben nach ihrem Vater Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks. Gemäß § 2032 Abs. 1 BGB ging das streitgegenständliche Grundstück beim Tod des Erblassers ungeteilt als Ganzes auf die Miterben über. Das Eigentum steht den Miterben gemeinschaftlich zur gesamten Hand zu. Sie bilden damit eine kraft Gesetzes entstandene Erbengemeinschaft, an der jeder der Miterben unabhängig von seinem Willen beteiligt ist, die aber keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt (Weidlich in Palandt, BGB, 78. Aufl., 2019, § 2032 Rn. 1). Der Erblasser hat durch Testament vom 7. Mai 2009 den Kläger zu 5 zum Testamentsvollstrecker ernannt (§ 2197 Abs. 1 BGB). Damit obliegt die Verwaltung des Nachlasses und die Eingehung von Verbindlichkeiten allein ihm als Testamentsvollstrecker (§§ 2205 f. BGB). Den Miterben ist die Verfügungsbefugnis über den Nachlass und damit über das streitgegenständliche Grundstück vollständig entzogen (§ 2211 BGB). Der Testamentsvollstrecker als Träger eines privaten Amtes ist kein Vertreter der Erben, sondern er handelt in eigenem Namen und wird selbst Vertragspartei (Grotheer in Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, BeckOGK, Stand: 15.6.2018, § 2206 Rn. 4). Er empfängt sämtliche rechtsgeschäftlichen Erklärungen, die dem Nachlass gegenüber abzugeben sind (Weidlich in Palandt, BGB, 78. Aufl. 2019, § 2205 Rn. 6; Leipold in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 1959 Rn. 10). Damit wird deutlich, dass die Miterben zwar Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks geworden und geblieben sind, jedoch deren Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis durch die angeordnete Testamentsvollstreckung gänzlich ausgeschlossen wurde. Allein der Testamentsvollstrecker war mithin handlungs- und erklärungsverpflichtet. Er ist Partei des Kaufvertrags geworden und damit – wie in der notariellen Urkunde angegeben – „Verkäufer“ des streitgegenständlichen Grundstücks. Daher war die Erklärung der Ausübung des Vorkaufsrechts gegenüber dem Kläger zu 5 als Testamentsvollstrecker abzugeben, denn dieser ist als Verkäufer „Verpflichteter“ und damit Bekanntgabeadressat im Sinne der Vorkaufsrechtsvorschriften.
Der Bescheid vom 19. Dezember 2017 richtete sich trotz seines ausdrücklichen Wortlauts nicht an Herrn A. G. als Miterben, sondern an ihn in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker. Zwar war im Adressfeld des Bescheids nur Herr A. G. persönlich aufgeführt. Weder dort, in der Betreffzeile, im Tenor oder in den Gründen findet sich ein ausdrücklicher Hinweis, dass er sich an Herrn A. G. in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker richtet. Der Bescheid selbst spricht davon, dass das Grundstück von der Erbengemeinschaft an die Beigeladene verkauft wurde und im Weiteren von „Vorkaufsverpflichteten“ und „Verkäufern“ im Plural. Jedoch nimmt der Bescheid im ersten Satz seiner Begründung auf die Kaufvertragsurkunde vom 17. Oktober 2017, URNr. 3471/2017 S, Bezug. Dort wird der zwischen „Herrn A. G. als Testamentsvollstrecker über den Nachlass“ nach seinem Vater und der Beigeladenen geschlossene Kaufvertrag notariell beurkundet. Dieser Kaufvertrag führt ausdrücklich aus, dass Herr A. G. das Grundstück handelnd als Testamentsvollstrecker für die Erbengemeinschaft bestehend aus sich selbst und seinen Geschwistern an die Beigeladene verkauft hat (vgl. S. 1, 3 der Urkunde). Auch wenn es der Klarheit gedient hätte, Herrn A. G. bereits im Adressfeld des streitgegenständlichen Bescheids als Testamentsvollstrecker zu bezeichnen, ist dies vorliegend zur eindeutigen Bestimmung des Adressaten nicht zwingend erforderlich. Aufgrund der Bezugnahme des Bescheids auf die Kaufvertragsurkunde ist dieser zumindest mehrdeutig und damit auslegungsfähig. Ein Verwaltungsakt ist auch hinsichtlich der Frage nach seinem Adressaten grundsätzlich auslegungsfähig (OVG Lüneburg, B.v. 12.10.2010 – 11 ME 347/10 – juris Rn. 4). Für die Auslegung ist die in Bezug genommene Kaufvertragsurkunde heranzuziehen. Insgesamt ist auf den Horizont eines verständigen Empfängers abzustellen, der hier durch den Kenntnis- und Wissensstand des Klägers zu 5 in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker gebildet wird (OVG Magdeburg, B.v. 16.2.2009 – 4 L 344/08 – juris Rn. 4). Dabei ist zu berücksichtigen, dass vorliegend Personenidentität zwischen Herrn A. G. als Miterben und als Testamentsvollstrecker besteht. Dieser Umstand ist im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen. Der Kläger zu 5 konnte und musste den Inhalt des Bescheids so verstehen, dass er sich nicht an ihn persönlich als Miterben der Erbengemeinschaft, sondern an ihn in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker richtete. Er hatte nur wenige Wochen zuvor das streitgegenständliche Grundstück als Testamentsvollstrecker handelnd veräußert. Der Bescheid nahm explizit auf diese notarielle Kaufvertragsurkunde Bezug. Herrn A. G. musste unter diesen Umständen klar sein, dass sich der Bescheid nicht an ihn „privat“ richtete, sondern an ihn als Testamentsvollstrecker. Denn ihm war aufgrund der Vorgeschichte bekannt, dass ausschließlich er in seiner Funktion als Testamentsvollstrecker zu Verfügungen über das Grundstück befugt war. Die Frage, ob der Verwaltungsakt inhaltlich an den Testamentsvollstrecker oder die Miterben zu richten war, ist keine Frage der Bekanntgabe, sondern der Bestimmtheit und damit der materiellen Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 37 Rn. 25).
Ginge man gleichwohl von einer fehlerhaften Bekanntgabe aus, so wäre dieser Mangel jedenfalls geheilt. Der Bekanntgabegrundsatz ist eine zwingende Folge des Rechtsstaatsprinzips und der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Die Verwaltung ist gehalten, den Bürger darüber zu informieren, was die Behörde als „für ihn rechtens“ einseitig festgesetzt hat (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 41 Rn. 1). Dieser Zweck ist erreicht, wenn dem Adressaten eine zuverlässige Kenntnis des Inhalts des Bescheids verschafft wird (BVerwG, U.v. 18.4.1997 – 8 C 43/95 – juris Rn. 29). Dies ist hier jedenfalls mit Blick auf die dargelegte Personenidentität der Fall. Herr A. G. hatte mit Erhalt des Bescheids auch in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker vollständige Kenntnis von dessen Inhalt. Eine ordnungsgemäße Bekanntgabe liegt mithin vor. Der Verwaltungsakt ist damit wirksam.
Der Vorkaufsrechtsbescheid ist nicht nichtig (Art. 43 Abs. 3, Art. 44 BayVwVfG). Eine Nichtigkeit nach Art 44 Abs. 1 BayVwVfG kommt nicht in Betracht. Denn dazu müsste der Bescheid an einem besonders schweren Fehler leiden und dieser müsste bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich sein. Hierfür ist erforderlich, dass dem Verwaltungsakt seine Fehlerhaftigkeit „auf die Stirn geschrieben“ steht (Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 44 Rn. 12). Dies ist hier nicht der Fall. Der Bescheid leidet nicht an einem offensichtlichen schweren Fehler.
e. Nach Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG ist bestimmt anzugeben, wer von der Regelung des Verwaltungsakts materiell betroffen ist (Inhaltsadressat). Der Bescheid vom 19. Dezember 2017 wurde an den Kläger zu 5 als Testamentsvollstrecker und damit an den richtigen Inhaltsadressaten gerichtet. Er ist damit hinreichend bestimmt. Inhaltsadressat ist der materielle Adressat, also derjenige, für den der Bescheid inhaltlich bestimmt ist, an den er sich nach seinem materiellen Erklärungswert richtet (BayVGH, B.v. 30.4.2019 – 15 CS 19.1050 – juris Rn. 24 f.). Wie oben ausgeführt, ist der Kläger zu 5 in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker allein verfügungsberechtigt über das Grundstück und Partei des Kaufvertrags geworden. Damit ist er „Verpflichteter“ im Sinne von Art. 39 Abs. 7 BayNatSchG, § 464 Abs. 2 BGB und das Vorkaufsrecht materiell ihm gegenüber als Inhaltsadressat auszuüben. Obwohl sich der Bescheid explizit nur an Herrn A. G. als Miterben und nicht als Testamentsvollstrecker richtet, mangelt es ihm nicht an seiner inhaltlichen Bestimmtheit. Dem Bestimmtheitserfordernis ist grundsätzlich genügt, wenn der Inhaltsadressat durch Auslegung ermittelt werden kann. Wie ausgeführt ist der Bescheid unter Bezugnahme auf die notarielle Kaufvertragsurkunde auslegungsfähig. Dabei ist auf die objektive Erklärungsbedeutung, wie sie der Empfänger des Bescheids nach Treu und Glauben verstehen musste, abzustellen (BayVGH, U.v. 5.12.2014 – 4 B 14/435 – juris Rn. 24). Aus einer Zusammenschau des Bescheids und der Kaufvertragsurkunde lässt sich bei der gebotenen verständigen Würdigung aller in Betracht kommenden Begleitumstände eindeutig entnehmen, dass er sich an Herrn A. G. als Testamentsvollstrecker und damit an den zutreffenden Inhaltsadressaten richtet (s.o.).
Darüber hinaus hat der Beklagte mit Klarstellungsbescheid vom 15. Juni 2018 präzisiert, dass das Vorkaufsrecht gegenüber Herrn A. G. in seiner Eigenschaft als Testamentsvollstrecker ausgeübt und er ebenso wie seine Geschwister als Miterbe davon nachrichtlich in Kenntnis gesetzt worden sei. Die Rechtsprechung lässt eine Heilung von Bestimmtheitsfehlern auch bei fristgebundenen Verwaltungsakten grundsätzlich zu (BVerwG, U.v. 2.7.2008 – 7 C 38/07 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 12.10.2017 – 14 ZB 16/280 – juris Rn. 6; B.v. 22.4.2008 – 19 ZB 08/489 – juris Rn. 31; Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 37 Rn. 41). Danach ist eine Behörde befugt, einen unklaren Verwaltungsakt zu präzisieren und seine hinreichende Bestimmtheit nachträglich herbeizuführen. Für eine derartige Nachbesserung ist allerdings Voraussetzung, dass ein wirksamer Verwaltungsakt vorliegt. Dies ist hier – wie unter d. ausgeführt – der Fall. Der Beklagte konnte den Ausgangsbescheid – ginge man von einer bis dato vorliegenden Unbestimmtheit aus – durch den Klarstellungsbescheid heilen. In diesem unterlässt der Beklagte zwar erneut eine eindeutige Adressierung des Klägers zu 5 als Testamentsvollstrecker, jedoch wird insgesamt unter Einbeziehung der Begründung deutlich, dass er das Vorkaufsrecht gegenüber dem Testamentsvollstrecker ausüben wollte.
f. Nach Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG darf das Vorkaufsrecht nur ausgeübt werden, wenn dies gegenwärtig oder zukünftig die Belange des Naturschutzes oder der Landschaftspflege oder das Bedürfnis der Allgemeinheit nach Naturgenuss und Erholung in der freien Natur rechtfertigen. Vorliegend trägt das Bedürfnis der Allgemeinheit nach Naturgenuss und Erholung in der freien Natur die Ausübung des Vorkaufsrechts. Das Vorliegen der Rechtfertigungsgründe unterliegt voller gerichtlicher Überprüfung (BayVGH, U.v. 3.5.2016 – 14 B 15.205 – juris Rn. 41). Nach der Rechtsprechung kann die Ausübung des Vorkaufsrechts schon dann gerechtfertigt sein, wenn der Erwerb eines Grundstücks vorteilhafte Auswirkungen auf die in Art. 39 Abs. 2 BayNatSchG genannten Belange hat (BayVGH, B.v. 9.3.2015 – 14 ZB 13.2250 – juris Rn. 6; Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, BayNatSchG, Stand: April 2016, Art. 39 Rn. 18). Da das Vorkaufsrecht keine Enteignung, sondern eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentumsgrundrechts aus Art 14 GG darstellt, ist seine rechtmäßige Ausübung nicht davon abhängig, dass der verfolgte Zweck auf andere Weise nicht erreicht werden kann.
Unter dem Tatbestandsmerkmal „freie Natur“ sind nicht nur Flächen außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zu verstehen, die nicht durch bauliche oder sonstige Anlagen unmittelbar verändert sind. Auch größere Flächen innerhalb von Stadtgebieten oder von im Zusammenhang bebauten Ortsteilen können Bestandteile der freien Natur sein, wenn sie nicht entscheidend von der umliegenden Bebauung, sondern von ihrem natürlichen Erscheinungsbild geprägt werden. Unerheblich für den Begriff der freien Natur ist grundsätzlich, ob ein Gebiet frei zugänglich oder durch Einfriedungen oder sonstige Sperren dem Zugang der Allgemeinheit entzogen ist. Auch die durch landwirtschaftliche oder gärtnerische Maßnahmen gestalteten Flächen sind Teile der freien Natur (BayVGH, U.v. 24.2.2006 – 9 BV 03.3058 – juris Rn. 31; U.v. 21.11.2013 – 14 BV 13.487 – juris Rn. 37). Flächen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans sind, solange sie nicht tatsächlich bebaut werden und eine zusammenhängende Bebauung entsteht, ebenfalls als freie Natur anzusehen (Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, BayNatSchG, Stand: April 2016, Art. 26 Rn. 9).
Entscheidend sind jeweils die tatsächlichen Gegebenheiten vor Ort. Hiervon ausgehend handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Grundstück um freie Natur. Dies ergibt sich insbesondere unter Berücksichtigung der sich bei den Akten befindlichen aussagekräftigen Luftaufnahmen (Bl. 36 f. BA). Das Grundstück ist, bis auf die erwähnte Garage, unbebaut. Das unmittelbar nördlich angrenzende Grundstück ist mit einem Wohnhaus bebaut. Die nördlich hieran weiter anschließenden Grundstücke (FlNrn. 665/3, 665/4, 665/5, 665/6) sind unbebaut. Die südlich angrenzenden Grundstücke sind bebaut, die Bebauung nimmt aber im Verhältnis zur jeweiligen Grundstücksgröße einen eher untergeordneten Anteil ein. Westlich grenzen zunächst der Kiesstrand und dann die Wasserfläche des S … S … an. Östlich verläuft jenseits der A.-Straße ein nach Osten hin ansteigender unbebauter Grünzug (FlNrn. 649, 649/1, 650). Nach dem Gesamteindruck des klägerischen Grundstücks insbesondere unter Berücksichtigung der angrenzenden Wasserfläche des S … S … mit Blick auf das gegenüberliegende Ufer und im Süden auf die Alpenkette handelt es sich hierbei um einen Teil der freien Natur. Die Fläche ist nach dem vorliegenden aussagekräftigen Fotomaterial wesentlich durch ihre natürliche Eigenart, durch ihre Lage unmittelbar am See und unterhalb des beschriebenen Grünzugs und weniger durch die sie lediglich an zwei Seiten umgebende Bebauung geprägt. Die Tatsache, dass das Grundstück innerhalb eines Bebauungsplans liegt und nach dessen Festsetzungen auch bebaubar ist, ändert hieran nichts. Denn bislang ist es im Wesentlichen unbebaut und naturnah geprägt.
Es besteht ein Bedürfnis der Allgemeinheit, Erholung und Naturgenuss durch eine Zugangsmöglichkeit zum S … S zu erhalten, da im Bereich der Gemeinde B … nur wenige (öffentliche) Seezugänge mit Bademöglichkeit vorhanden sind. Insoweit wird auf die Aussagen des angegriffenen Bescheids Bezug genommen (§ 117 Abs. 5 VwGO). Der Beklagte ist nach Art. 141 Abs. 3 Satz 3 BV verpflichtet, für Erholungsmöglichkeiten der Bevölkerung in der freien Natur zu sorgen. Die Ausübung des Vorkaufsrechts ist hier eine geeignete und notwendige Maßnahme, den Zugang zum S … S für die Allgemeinheit zu Zwecken der Erholung und des Naturgenusses zu verwirklichen. Das Grundstück ist durch die A.-Straße erschlossen und als Bade- und Verweilplatz geeignet.
g. Die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts bezüglich der oben genannten Grundstücke weist keine Ermessensfehler auf (§ 114 Satz 1 und 2 VwGO). Der Beklagte hat bereits im Ausgangsbescheid erkannt, dass Ermessen auszuüben war, und die Interessen der Kaufvertragsparteien mit den öffentlichen Interessen am Erwerb des Grundstücks durch die öffentliche Hand abgewogen. Darüber hinaus hat er in der mündlichen Verhandlung vom 18. Juli 2018 die Ermessenserwägungen mit Blick auf die eigentumsrechtliche Betroffenheit der Kläger unter Berücksichtigung der bauplanungsrechtlichen Situation des Grundstücks ergänzt. Ein Verwaltungsakt über die Ausübung des Vorkaufsrechts kann bezüglich seiner Ermessenserwägungen auch noch im Prozess zulässigerweise nachgebessert werden. Insbesondere können – wie hier – weitere Ermessensgründe nachgeschoben werden (BayVGH, B.v. 12.10.2017 – 14 ZB 16.280 – juris Rn. 6).
3. Der Bescheid ist materiell rechtswidrig, soweit er abweichend vom vereinbarten Kaufpreis (12 Millionen EUR) einen reduzierten Kaufpreis (5,3 Millionen EUR) festsetzt.
Rechtsgrundlage für die Limitierung des Kaufpreises ist Art. 39 Abs. 8 Satz 1 BayNatSchG. Nach Art. 39 Abs. 7 BayNatSchG i.V.m. § 464 Abs. 2 BGB kommt der Kauf mit Ausübung des Vorkaufsrechts zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten grundsätzlich unter den Bedingungen zustande, die der Verpflichtete mit dem Dritten vereinbart hat. Abweichend hiervon regelt Art. 39 Abs. 8 Satz 1 BayNatSchG, dass der Vorkaufsberechtigte den zu zahlenden Betrag nach dem Verkehrswert des Grundstücks im Zeitpunkt des Kaufs bestimmen kann, wenn der vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert „deutlich überschreitet“.
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der vereinbarte Kaufpreis von 12 Millionen EUR überschreitet den Verkehrswert des Grundstücks im Zeitpunkt des Kaufs nicht deutlich.
a. Die Kammer hat den Verkehrswert (§ 194 Baugesetzbuch – BauGB) des streitgegenständlichen Grundstücks durch ein gerichtliches Sachverständigengutachten des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, Dr. M. B., vom 8. Juli 2019 feststellen lassen. Das Gutachten kommt zu einem Verkehrswert von 9,8 Millionen EUR. Das Gericht hält das vorgelegte ausführliche Gutachten für plausibel und nachvollziehbar. Der Gutachter geht von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus und wendet die richtigen methodischen Grundlagen an. Er legt insbesondere die Vorgaben der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertV) und der Vergleichswertrichtlinie (VW-RL) zugrunde und berücksichtigt in überzeugender Weise die gegebenen Marktfaktoren. Es bestehen keine Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Gutachtens. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass das vom Beklagten vorgelegte Verkehrswertgutachten vom 7. Dezember 2017 zu einem deutlich geringeren Verkehrswert von lediglich 5,3 Millionen EUR kommt. Der Verkehrswert ist keine feststehende und exakt zu bestimmende Größe. Er lässt sich weder einfach berechnen noch in seiner Höhe einer Tabelle entnehmen. Vielmehr ist er im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens festzustellen, das zumindest praktisch vielfältig Gelegenheit bietet, so oder anders vorzugehen. Die Verkehrswertermittlung ist lediglich eine Schätzung und daher wesensgemäß mit Unsicherheiten behaftet (BVerwG, U.v. 24.11.1978 – IV C 56.76 – juris Rn 26; Kronisch in Brügelmann, BauGB, 101. Lfg. Januar 2017, § 28 Rn. 116). Sachverständige haben deshalb im Rahmen der Gutachtenerstellung über den Verkehrswert einen Beurteilungsspielraum und die Möglichkeit von Schätzungen. Dies führt naturgemäß zu unterschiedlichen Ergebnissen.
Die vom Gutachter H. B. des Beklagten vorgetragenen Kritikpunkte konnte der Sachverständige Dr. M. B. im Rahmen der mündlichen Verhandlung jeweils aufklären bzw. entkräften. Insbesondere legte er dar, dass Abweichungen seiner Begutachtung vom „klassischen“ Verfahren der Verkehrswertermittlung dem Umstand geschuldet seien, dass es sich beim Bewertungsobjekt nicht um eine „marktgängige“ Immobilie, sondern um ein Grundstück handele, das in dieser Form am Markt äußerst selten gehandelt werde. Deshalb habe er zum Beispiel die Betrachtung von Vergleichsobjekten räumlich und zeitlich ausgeweitet, um eine hinreichende Anzahl von Vergleichspreisen zu erhalten. Dass der Sachverständige im Rahmen der Ermittlung der Wertsteigerung auch statistische Auswertungen aus der L … M … herangezogen hat, um die Preisentwicklung bei Wohnimmobilien in besonders gefragten Lagen („beste Lage“), wozu nach seiner Auffassung auch die Lage des Bewertungsobjekts zähle, darzustellen, leuchtet im vorliegenden Einzelfall ein. Denn beim Bewertungsobjekt handelt es sich um ein besonderes Grundstück mit Seltenheitswert, direkt am S … S gelegen, bebaubar, mit unverbaubarem See- und Bergblick sowie verkehrsmäßig gut angebunden und in relativer Nähe zum Stadtgebiet der L … M … Es ist aus Sicht der Kammer daher durchaus mit den „besten Lagen“ in M … vergleichbar. Das Gericht folgt daher den Ausführungen des Sachverständigen Dr. M. B. und legt einen Verkehrswert des streitgegenständlichen Grundstücks von 9,8 Millionen EUR zu Grunde.
b. Wertermittlungsstichtag für den Verkehrswert des Grundstücks ist der Zeitpunkt des Kaufvertrags (Art. 39 Abs. 8 Satz 1 BayNatSchG). Der Verwaltungsakt „Vorkaufsrechtsausübung“ hat rechtsgestaltende Wirkung, er schafft einen neuen Kaufvertrag. Auf die von den Klägerbevollmächtigten aufgeworfenen Fragen, ob es sich hierbei um einen Dauerverwaltungsakt handelt und daran anknüpfend, ob der Wertermittlungsstichtag auf den Zeitpunkt der Gutachtenerstellung zu verlegen ist, kommt es wegen des klaren Wortlauts von Art. 39 Abs. 8 Satz 1 BayNatSchG nicht an. Das Gesetz stellt für die Zulässigkeit einer Kaufpreislimitierung ausdrücklich auf den Verkehrswert des Grundstücks „im Zeitpunkt des Kaufs“ ab.
c. Der im Kaufvertrag vom 17. Oktober 2017 vereinbarte Kaufpreis (12 Millionen EUR) übersteigt den Verkehrswert des Grundstücks (9,8 Millionen EUR) um 2,2 Millionen EUR, und damit um 22,45%. Darin liegt keine deutliche Überschreitung des Verkehrswerts. Nach dem Wortlaut des Gesetzes in Art. 39 Abs. 8 Satz 1 BayNatSchG ist Ausgangspunkt dieser Überprüfung der Verkehrswert des Grundstücks. Hieran orientiert ist der im Kaufvertrag von den Vertragsparteien festgelegte Kaufpreis zu beurteilen. Die Frage, wann eine qualifizierte Überschreitung vorliegt, ist für das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht bislang in der Rechtsprechung nicht entschieden. Auch die einschlägige Kommentarliteratur verhält sich hierzu nicht. Das Gericht zieht daher hier die Rechtsprechung und Kommentarliteratur zur vergleichbaren Möglichkeit einer Kaufpreislimitierung für das baurechtliche Vorkaufsrecht in § 28 Abs. 3 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB) heran. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass § 28 Abs. 3 Satz 1 BauGB – anders als Art. 39 Abs. 8 Satz 1 BayNatSchG – neben einer deutlichen Kaufpreisüberschreitung erfordert, dass diese „dem Rechtsverkehr erkennbar“ ist. Gleichwohl sind wegen der vergleichbaren Interessenlage und Zielrichtung der Vorschriften im Grundsatz die Ausführungen zu § 28 Abs. 3 Satz 1 BauGB auf das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht im Wesentlichen übertragbar.
Für eine deutliche Überschreitung im Sinne von Art. 39 Abs. 8 Satz 1 BayNatSchG muss zwischen Kaufpreis und Verkehrswert ein Missverhältnis bestehen, aus dem sich ergibt, dass die Vertragsparteien sich nicht an einem Wert orientierten, der im gewöhnlichen und gesunden Geschäftsverkehr zu erzielen ist, sondern dass sie bei der Preisfindung Erwägungen angestellt haben, die mit marktorientiertem Interessenausgleich nichts zu tun haben können (LG Karlsruhe, U.v. 24.6.1994 – O (Baul) 12/94 – NJW 1995, 1165; LG Berlin Kammer für Baulandsachen, U.v. 26.4.2017 – O 2/15 Baul – juris Rn. 44). Es muss also eine deutliche Abweichung nach oben hin vorliegen. Wie hoch exakt diese Abweichung sein muss, wird unterschiedlich beurteilt. Es wird vertreten, dass bei einer Überschreitung von mindestens 20% – je nach den besonderen Umständen des Einzelfalls auch höher (Kronisch in Brügelmann, BauGB, 101. Lfg. Januar 2017, § 28 Rn. 118; Köster in Schrödter, BauGB, 9. Aufl. 2019, § 28 Rn. 32), von mehr als 25% (LG Berlin Kammer für Baulandsachen, U.v. 26.4.2017 – a.a.O. – juris Rn. 25) oder bei einer Überschreitung von 30% (Grziwotz in BeckOK, BauGB, Stand: 1.8.2019, § 28 Rn. 29) eine „deutliche Überschreitung“ vorliegt. Zum Teil wird auch auf den absoluten Differenzbetrag abgestellt (OLG Frankfurt Senat für Baulandsachen, U.v. 25.9.1997 – 1 U (Baul) 8/96 – juris Rn. 48).
Das Gericht lässt vorliegend offen, ab welchem Prozentsatz von einer deutlichen Überschreitung auszugehen ist. Es stellt bei seiner Einschätzung, dass keine qualifizierte Überschreitung vorliegt, auf den konkreten Einzelfall und die örtlichen Verhältnisse ab. Vorliegend war die Verkehrswertermittlung aufgrund der Besonderheiten des streitgegenständlichen Grundstücks (Lage direkt am See, Bebaubarkeit, Grundstückszuschnitt, freier Blick auf den See und die Alpenkette, ruhige Lage, gute Verkehrsanbindung) und der daraus resultierenden fehlenden „Marktgängigkeit“ außergewöhnlich schwierig. Dies lässt sich schon daraus ableiten, dass dem Gericht von drei öffentlich bestellten und vereidigten Gutachtern für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken im Laufe des Verfahrens insgesamt vier unterschiedliche Verkehrswerte vorgetragen wurden. Je schwieriger aber die zutreffende Ermittlung des Verkehrswerts ist, desto größer muss nach Auffassung des Gerichts die Abweichung des Kaufpreises vom ermittelten Verkehrswert sein, um als deutliche Überschreitung qualifiziert werden zu können. Im vorliegenden Einzelfall ist eine Abweichung um 22,45% nicht signifikant genug, um „deutlich“ im Sinne von Art. 39 Abs. 8 Satz 1 BayNatSchG zu sein. Sie trägt daher keine Herabsetzung des Kaufpreises.
Diese Einschätzung rechtfertigt sich auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Möglichkeit einer Kaufpreislimitierung: Der Gesetzgeber will Sorge dafür tragen, dass sich der Staat nicht an spekulativen Grundstücksgeschäften beteiligen muss. Es soll verhindert werden, dass die Ausübung des Vorkaufsrechts durch bestimmte Kaufpreisvereinbarungen vereitelt werden kann (Fischer-Hüftle/Egner/Meßerschmidt/Mühlbauer, BayNatSchG, Stand: April 2016, Art. 39 Rn. 32). Im Rahmen des dem Grundstücksverkauf vorgeschalteten Bieterverfahrens wurden jedoch für das streitgegenständliche Grundstück Gebote in Höhe von 10,5 Millionen EUR, 10,9 Millionen EUR und 12,0 Millionen EUR abgegeben. Auch dies spricht in der Gesamtbetrachtung dafür, dass sich die Parteien des Kaufvertrags bei der Preisfindung am Markt orientiert haben. Der vereinbarte Kaufpreis liegt unter Berücksichtigung legitimer Marktfaktoren innerhalb der zulässigen Bandbreite um den „richtigen“ Verkehrswert. Da die Verkehrswertüberschreitung um 22,45% im vorliegenden Einzelfall nicht deutlich ist, war die Herabsetzung des Kaufpreises rechtswidrig.
4. Der Bescheid des Beklagten vom 19. Dezember 2017, mit dem er das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht für das streitgegenständliche Grundstück ausgeübt und den Kaufpreis reduziert hat, war in seiner Gesamtheit aufzuheben, obwohl die Voraussetzungen des Art. 39 Abs. 1 und 2 BayNatSchG für die Ausübung des Vorkaufsrechts grundsätzlich vorgelegen haben. Der Vorkaufsberechtigte muss über die Ausübung des Vorkaufsrechts und eine eventuelle Kaufpreislimitierung in einem einheitlichen Bescheid entscheiden. Die Kaufpreislimitierung ist untrennbar mit der Ausübung des Vorkaufsrechts verbunden. Damit erfasst die Rechtswidrigkeit der Herabsetzung des Kaufpreises den gesamten Bescheid (LG Karlsruhe, U.v. 24.6.1994 – O (Baul) 12/94 – NJW 1995, 1164, 1165; LG Berlin Kammer für Baulandsachen, U.v. 26.4.2017 – O 2/15 Baul – juris Rn. 31; Kronisch in Brügelmann, BauGB, 101. Lfg. Januar 2017, § 28 Rn. 120). Ob der Beklagte den streitgegenständlichen Bescheid nachträglich hätte abändern und das Vorkaufsrecht zum vereinbarten Kaufpreis ausüben können, bedarf hier keiner Entscheidung, da er in der mündlichen Verhandlung am ursprünglichen Bescheid festgehalten und erklärt hat, eine Ausübung zum Kaufpreis von 12 Millionen EUR komme nicht in Betracht. Der Bescheid war daher – ebenso wie der Klarstellungsbescheid, der das Schicksal des Ausgangsbescheids insoweit teilt – vollständig aufzuheben.
III.
Die Klage der Kläger zu 1 bis 4 ist ebenfalls begründet. Der Rechtsschein der ihnen zugestellten Bescheide vom 19. Dezember 2017 verletzt sie in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Wie ausgeführt waren die Miterben der Erbengemeinschaft weder Bekanntgabe- noch Inhaltsadressaten des Vorkaufsrechtsbescheids. Das naturschutzrechtliche Vorkaufsrecht aus Art. 39 BayNatSchG war nicht ihnen, sondern allein gegenüber dem Kläger zu 5 als Testamentsvollstrecker auszuüben. Sie haben daher einen Anspruch auf Aufhebung dieser sie belastenden Scheinverwaltungsakte.
IV.
Da die Klage aller Kläger im Hauptantrag erfolgreich ist, war über die hilfsweise gestellten Anträge nicht mehr zu entscheiden.
V.
Der Beklagte hat als unterlegener Beteiligter nach § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat, entspricht der Billigkeit; sie hat keinen Sachantrag gestellt und sich mithin keinem Kostenrisiko ausgesetzt (§§ 154 Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
VI.
Da die Voraussetzungen des § 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht vorliegen, war die Berufung gegen dieses Urteil nicht zuzulassen.


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