Baurecht

Normenkontrollantrag, Bebauungsplan „Am M* Hellip“, Öffentlichkeitsbeteiligung, Änderung Planentwurf nach Auslegung

Aktenzeichen  9 N 21.1232

Datum:
29.10.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 34489
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 13b

 

Leitsatz

Tenor

I. Der am 23. Dezember 2020 bekannt gemachte Bebauungsplan Nr. … „Am M* …“ der Antragsgegnerin ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag, über den mit Einverständnis der Beteiligten nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist zulässig und begründet.
I. Der Antrag wurde innerhalb der Jahresfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO gestellt und der Antragsteller ist insbesondere antragsbefugt (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann einen Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder verletzt zu werden. Ist ein Bebauungsplan Gegenstand der Normenkontrolle und der Betroffene nicht Eigentümer von Grundstücken im Plangebiet, so kann die Antragsbefugnis insbesondere aus dem subjektiven Recht auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB folgen (BVerwG, B.v. 12.12.2018 – 4 BN 22.18 – juris Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, U.v. 16.7.2019 – 9 N 17.2391 – juris Rn. 15).
Erforderlich, aber auch ausreichend für die Antragsbefugnis ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird. An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es – wie hier – um das Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 BauGB) eines Eigentümers geht, dessen Grundstücke außerhalb des Bebauungsplangebiets liegen (mittelbar Betroffener). Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen. Antragsbefugt ist hiernach, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten Belang berufen kann; denn wenn es einen solchen Belang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat. Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet. Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn das Interesse des Betroffenen geringwertig, nicht schutzwürdig, für die Gemeinde nicht erkennbar oder sonst makelbehaftet ist (vgl. BVerwG, B.v. 16.6.2020 – 4 BN 53.19 – juris Rn. 19).
Hier trägt der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vor, die es möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des angefochtenen Bebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird. Er beruft sich insbesondere darauf, dass die Oberflächen- und Niederschlagswasserbeseitigung im Bebauungsplan nicht ausreichend gelöst sei und er durch die Versiegelung im Bereich des Bebauungsplans aufgrund seiner Unterliegerposition von abfließendem Wasser gefährdet sei. Der Belang des Schutzes seines Grundeigentums, hier der Grundstücke FlNr. … und … Gemarkung S* …, die unmittelbar östlich an das Plangebiet anschließen, vor Niederschlagswasser, das aus dem Plangebiet abfließt, ist grundsätzlich abwägungserheblich. § 1 Abs. 7 BauGB verlangt, dass der Bauleitplanung eine Erschließungskonzeption zugrunde liegt, nach der das im Plangebiet anfallende Niederschlagswasser so beseitigt werden kann, dass Gesundheit und Eigentum der Planbetroffenen – auch außerhalb des Plangebiets – keinen Schaden nehmen. Eine tatsächliche Gefährdung des Grundstücks des Antragstellers durch unkontrolliert abfließendes Niederschlagswasser ist hier auch nicht offensichtlich ausgeschlossen. Denn der Boden im Plangebiet ist nach Vortrag der Antragsgegnerin tonig, das Plangebiet liegt erhöht und fällt sowohl nach Norden als auch nach Osten in Richtung der Grundstücke des Antragstellers ab. Das genügt hier für die Antragsbefugnis (vgl. BVerwG, U.v. 4.11.2015 – 4 CN 9.14 – juris Rn. 13), zumal auch unklar ist, auf welcher Basis die Antragsgegnerin im Rahmen der Abwägung überhaupt davon ausging, die Oberflächen- und Niederschlagswasserproblematik könne mit der Erschließungsplanung gelöst werden. Abgesehen davon, dass der Bebauungsplan keinerlei Festsetzungen zur Oberflächen- und Niederschlagswasserbeseitigung enthält, datiert die vorgelegte Erschließungsplanung erst vom Januar 2021 und ist nicht Gegenstand der Planaufstellungsakten. Gleiches gilt im Hinblick auf die vom Antragsteller geltend gemachte Überlastung und nicht ausreichende Dimensionierung des in der Straße Am M* … vorhandenen Abwasserkanals bei Anschluss des geplanten Baugebiets.
II. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet und der Bebauungsplan Nr. … „Am M* …“ ist gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO für unwirksam zu erklären.
Der Bebauungsplan leidet an einem beachtlichen Fehler der Öffentlichkeitsbeteiligung. Nach § 13b Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13a Abs. 2 Nr. 1, § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB kann der betroffenen Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemessener Frist gegeben oder wahlweise die Auslegung nach § 3 Abs. 2 BauGB durchgeführt werden. Die Antragsgegnerin hat hier den Entwurf des Bebauungsplans in der Fassung vom 30. Juli 2019 vom 26. September 2019 bis 31. Oktober 2019 öffentlich ausgelegt und der Öffentlichkeit Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Hierbei hat sie in der Bekanntmachung vom 18. September 2019 darauf hingewiesen, dass der Bebauungsplan nach § 3 Abs. 2 BauGB bekannt gegeben wird, mithin die Öffentlichkeitsbeteiligung nach diesem Verfahren durchgeführt werden soll. Nach Durchführung der Öffentlichkeitsbeteiligung wurde der Planentwurf jedoch geändert und von der Antragsgegnerin zunächst ein weiterer Planentwurf vom 23. Juni 2020, mit Satzungsbeschluss vom 29. September 2020 dann ein Planentwurf mit gleichem Datum beschlossen, wobei sich der Entwurf vom 23. Juni 2020 wohl nicht vom Entwurf vom 29. September 2020 unterscheidet.
Die Änderung des Planentwurfs vom 30. Juli 2019 nach erfolgter Öffentlichkeitsbeteiligung gem. § 3 Abs. 2 BauGB erfordert allerdings nach § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB eine erneute Auslegung und Einholung von Stellungnahmen. Dies gilt auch im vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB (vgl. Jaeger in Spannowsky/Uechtritz, Beck‘scher Online-Kommentar BauGB, Stand Februar 2021, § 13 Rn. 43, 33.1) und hier über die Verweisung des § 13b Satz 1, § 13a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BauGB auch im beschleunigten Verfahren. Da der Entwurf die Grundlage für die Abwägung gemäß § 1 Abs. 7 BauGB bildet, muss der Bürger einmal Gelegenheit erhalten, zu dem Planentwurf in seiner letzten Fassung Stellung zu nehmen (vgl. BVerwG, B.v. 8.3.2010 – 4 BN 42.09 – juris Rn. 12). Dies ist hier nicht erfolgt. Die Antragsgegnerin hat vielmehr den Planentwurf vom 30. Juli 2019 geändert und dann, ohne der Öffentlichkeit erneute Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, über den Planentwurf vom 23. Juni 2020 bzw. 29. September 2020 entschieden.
Von der erneuten Öffentlichkeitsbeteiligung konnte hier auch nicht abgesehen werden, weil die nach öffentlicher Auslegung vorgenommene Ergänzung einer Festsetzung lediglich klarstellende Bedeutung hatte oder der Entwurf nach der Auslegung nur in Punkten geändert wurde, zu denen die betroffenen Bürger, Behörden und sonstigen Träger öffentlicher Belange zuvor bereits Gelegenheit zur Stellungnahme hatten, die Änderungen auf einem ausdrücklichen Vorschlag eines Betroffenen beruhten und Dritte hierdurch nicht abwägungsrelevant berührt werden (vgl. BVerwG, B.v. 31.7.2018 – 4 BN 41.17 – juris Rn. 6). Ein Verzicht auf ein neuerliches Beteiligungsverfahren ist – auch im Hinblick auf den Normzweck – auf Ausnahmefälle beschränkt (vgl. SächsOVG, U.v. 16.11.2015 – 1 C 33/14 – juris Rn. 26). Zwar sind insoweit die Änderung der Nummerierung bei den Pflanzgeboten und die zusätzlichen Hinweise bezüglich Solaranlagen und Zaunsockel ohne rechtliche Relevanz. Dies gilt jedoch nicht für die Änderungen im Bereich der örtlichen Bauvorschriften, insbesondere hinsichtlich Kniestock und Dachneigung, sowie die Verkleinerung des Plangebiets, zumal sich damit das Gewicht der abzuwägenden Belange, insbesondere für den Antragsteller geändert hat (vgl. BVerwG, U.v. 29.1.2009 – 4 C 16.07 – juris Rn. 41).
Dieser Verstoß gegen § 4a Abs. 3 Satz 1 BauGB ist gem. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbsatz 1 BauGB beachtlich. Der Mangel wurde mit Schriftsatz vom 22. April 2021 auch gem. § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB durch Übermittlung des Begründungsschriftsatzes an die Antragsgegnerin innerhalb der Jahresfrist (vgl. BVerwG, U.v. 14.6.2012 – 4 CN 5.10 – juris Rn. 27) fristgerecht gerügt, in dem der Antragsteller sich auf erfolgte Planänderungen ohne erneute Öffentlichkeitsbeteiligung berufen hat.
Auf die weiteren geltend gemachten Fehler kommt es damit nicht an.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
Die Nr. I der Entscheidungsformel ist nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils ebenso zu veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekannt zu machen wäre (§ 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO).


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