Baurecht

Normenkontrollantrag gegen Ausschluss von Bordellen in Gewerbegebiet durch Änderungsbebauungsplan

Aktenzeichen  15 N 16.1430

Datum:
23.5.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 13773
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BauNVO § 1 Abs. 5, Abs. 9, § 8 Abs. 2 Nr. 1
BauGB § 1 Abs. 3 S. 1, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Bordelle oder bordellartige Betriebe sind als in der sozialen und ökonomischen Realität vorkommende Nutzungen eine Unterart der „Gewerbebetriebe aller Art“ im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO. Mit „besonderen“ städtebaulichen Gründen im Sinne des § 1 Abs. 9 BauNVO ist gemeint, dass es spezielle Gründe gerade für die gegenüber Absatz 5 noch feinere Ausdifferenzierung der zulässigen Nutzungen geben muss.  (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 An der Rechtfertigung durch städtebauliche Gründe fehlt es, wenn die Nutzungsbeschränkungen nicht der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung zu dienen bestimmt sind. Welche städtebaulichen Ziele sich eine Gemeinde setzt, liegt in ihrem planerischen Ermessen. Der Gesetzgeber ermächtigt sie, die „Städtebaupolitik“ zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht. Dazu gehört auch die Entscheidung, ob und in welchem Umfang in einem klassischen Gewerbegebiet Bordelle und ähnliche Nutzungen zulässig sind. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
1. Der Normenkontrollantrag der Antragstellerin ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 VwGO statthaft; sie wendet sich als Eigentümerin eines Grundstücks im Plangebiet gegen die Einschränkung der möglichen Nutzungsarten. Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig; er wurde innerhalb der Jahresfrist nach der Bekanntmachung des Bebauungsplans durch einen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigten (§ 67 Abs. 4 Satz 1 bis 3, Abs. 2 Satz 1 Var. 1 VwGO) gestellt.
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet; die angegriffene Satzung der Antragsgegnerin leidet weder an formellen noch an materiellen Fehlern.
2.1 Fehler im Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans wurden weder gerügt noch sind solche sonst ersichtlich.
2.2 Die Satzung weist auch keine materiellen Fehler auf. Die Festsetzungen sind im Sinn von § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB erforderlich. Sie gründen auf § 1 Abs. 9 und 5 BauNVO. Die Antragsgegnerin hat zur Recht nicht von der Möglichkeit des § 1 Abs. 10 BauNVO Gebrauch gemacht. Dazu im Einzelnen:
2.2.1 Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Für diese Planrechtfertigung genügt es, dass die in einem Bebauungsplan getroffene Festsetzung vernünftigerweise geboten erscheint und geeignet ist, einen Beitrag zur Umsetzung eines bestimmten Planungskonzepts zu leisten (König, Baurecht Bayern, 5. Aufl. 2015, Rn. 48 m.w.N.). Grenzen findet die danach weite gemeindliche Gestaltungsfreiheit – soweit hier von Belang – nur, wenn etwa die (positive) Regelung in Wirklichkeit nicht gewollt ist und nur deswegen getroffen wird, um eine andere Nutzung zu verhindern (König, Baurecht Bayern a.a.O. Rn. 56 m.w.N.).
Davon kann hier nicht die Rede sein. Die Antragsgegnerin hat die Neubauabsichten der Antragstellerin zum Anlass genommen, die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit weiterer Bordelle und vergleichbarer Nutzungen auf einen bestimmten Bereich des festgesetzten Gewerbegebiets zu beschränken. Dass sie entsprechenden Steuerungsbedarf nur im südlichen Bereich in der Nachbarschaft zur Wohnbebauung gesehen hat, ist rechtlich ebenso wenig zu beanstanden wie die räumliche Abgrenzung nach Norden. Denn der weiter nördlich liegende Bereich ist straßenmäßig auch aus jener Richtung her erschlossen und über die S-straße am ehesten über das überörtliche Straßennetz erreichbar. Ob und gegebenenfalls in welcher Form die Antragsgegnerin im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses über ein das gesamte Stadtgebiet umfassendes „Bordell-Strukturkonzept“ verfügte, ist für die Erforderlichkeit der streitgegenständlichen Bauleitplanung ohne rechtliche Bedeutung. Es reicht aus, dass die Antragsgegnerin angesichts der allgemeinen Entwicklung innerhalb des fraglichen Nutzungsspektrums sowohl im Umfeld dieses Bebauungsplans als insbesondere auch wegen der – teils ungenehmigten – Ansiedlung und weiterer Nutzungswünsche innerhalb des Plangebiets Handlungsbedarf sah.
2.2.2 Inhaltlich findet der vorgenommene Ausschluss von Bordellen, bordellartigen Betrieben und Wohnungsprostitution im fraglichen Bereich in § 1 Abs. 9 und 5 BauNVO seine Rechtsgrundlage. Danach können bei der näheren Bestimmung der in einem nach den §§ 2 bis 9 der BauNVO festgesetzten Gebiete zulässigen Nutzungen bei Vorliegen besonderer städtebaulicher Gründe nur bestimmte Arten der in den Baugebieten allgemein oder ausnahmsweise zulässigen Arten für nicht zulässig erklärt werden. Die Festsetzungen der Antragsgegnerin halten sich in diesem Rahmen.
Bordelle oder bordellartige Betriebe sind als in der sozialen und ökonomischen Realität vorkommende Nutzungen eine Unterart der „Gewerbebetriebe aller Art“ im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO (BVerwG, B.v. 2.11.2015 – 4 B 32/15 – BayVBl 2016, 276 = juris Ls und Rn. 4). Mit „besonderen“ städtebaulichen Gründen im Sinne des § 1 Abs. 9 BauNVO ist gemeint, dass es spezielle Gründe gerade für die gegenüber Absatz 5 noch feinere Ausdifferenzierung der zulässigen Nutzungen geben muss (BVerwG, B.v. 10.11.2004 – 4 BN 33/04 – ZfBR 2005, 187 = juris Rn. 4). An der Rechtfertigung durch städtebauliche Gründe fehlt es, wenn die Nutzungsbeschränkungen nicht der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung zu dienen bestimmt sind. Welche städtebaulichen Ziele sich eine Gemeinde setzt, liegt in ihrem planerischen Ermessen. Der Gesetzgeber ermächtigt sie, die „Städtebaupolitik“ zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht. Dazu gehört aus der Sicht des Senats nicht nur die von der Antragsgegnerin vorgenommene nähere Konkretisierung des Charakters des von ihr festgesetzten Gewerbegebiets als „klassisch“ (zur Vermeidung von Wiederholungen sei dabei auf den zweiten Absatz des Tatbestands verwiesen) sondern – selbstverständlich – auch die Entscheidung, ob und in welchem Umfang in dem so bestimmten Gewerbegebiet Bordelle und ähnliche Nutzungen zulässig sind.
2.2.3 § 1 Abs. 10 BauNVO erlaubt es, Erweiterungen, Änderungen, Nutzungsänderungen und Erneuerungen bestimmter vorhandener baulicher und sonstiger Anlagen, die bei der Festsetzung eines Baugebiets nach den §§ 2 bis 9 unzulässig wären, im Bebauungsplan für zulässig zu erklären. Es kann rechtlich nicht beanstandet werden, dass die Antragsgegnerin hiervon für die in Rede stehenden Nutzungen und insbesondere für das die Planung auslösende Vorhaben der Antragstellerin keinen Gebrauch gemacht hat. Bei letzterem handelte es sich schon nicht um die Erweiterung des vorhandenen Bestands sondern um die Errichtung eines selbständigen und im Vergleich mit dem Vorhandenen mehr als doppelt so großen Neubauvorhabens. Ungeachtet dessen wäre die Einräumung eines solchen erweiterten Bestandsschutzes mit den eigentlichen, in der Planung selbst unmissverständlich zum Ausdruck gekommenen Gestaltungsvorstellungen der Antragsgegnerin schwerlich vereinbar.
2.3.4 Das Abwägungsgebot wird – so auch vorliegend – nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung des anderen entscheidet. Das Vorziehen und Zurücksetzen bestimmter Belange innerhalb des von § 1 Abs. 7 BauGB vorgegebenen Rahmens ist die „elementare planerische Entschließung“ der Gemeinde über die städtebauliche Entwicklung und Ordnung und kein im Einzelnen aufsichtlich oder gerichtlich nachprüfbarer Vorgang (vgl. z.B. BayVGH, U.v. 24.11.2017 – 15 N 16.2158 – BayVBl 2018, 814 = juris Rn. 22). Unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen unter 2.2.1 bis 2.2.3 sowie der vom Stadtrat der Antragsgegnerin zu den im Planungsverfahren erhobenen Einwendungen angestellten Erwägungen (vgl. Anlage 1 zur Beschlussvorlage BSV/15/03020 für die Stadtratssitzung am 25. Juni 2015) sieht der Senat weder Ermittlungs- bzw. Bewertungsmängel gemäß § 2 Abs. 3 BauGB noch Abwägungsfehler am Maßstab von § 1 Abs. 7, Abs. 8 BauGB. Zu den von der Antragstellerin ins Feld geführten Belangen sei abschließend noch darauf hingewiesen, dass auch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG nicht die einträglichste Nutzung des Privateigentums gewährleistet (BVerfG, B.v. 22.11.1994 – 1 BvR 351/91, BVerfGE 91, 294 = juris Rn. 64).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).


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