Baurecht

Normenkontrolleilantrag nach Baugenehmigungserteilung, vorhabenbezogener Bebauungsplan, Rechtsschutzbedürfnis, fehlende Dringlichkeit

Aktenzeichen  9 NE 21.628

Datum:
6.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 10951
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 6

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gegen den am 11. November 2020 bekanntgemachten vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 65 „An der Kühnhofener Straße“ der Antragsgegnerin.
Das etwa 2,5 ha große Plangebiet im Ortsteil Altensittenbach der Antragsgegnerin besteht aus zwei getrennten Teilflächen. Die östliche Teilfläche umfasst im Wesentlichen eine eingeschränkte Gewerbegebietsfläche mit einer dreifachen Gliederung nach Emissionskontingenten zum Zweck der Erweiterung des südlich angrenzenden Betriebsstandorts der Beigeladenen, eine westlich davon liegende kleinere Fläche für Landwirtschaft und eine nordwestlich liegende Fläche von etwa 2700 m² zur Entwicklung und Pflege von Boden, Natur und Landschaft (Ausgleichsfläche). Die westliche Teilfläche mit etwa 6.000 m² im Auenbereich des Sittenbachs umfasst eine weitere Ausgleichsfläche (geplante Hochwasserableitung Rauschelbach).
Der Antragsteller hat am 3. Dezember 2020 einen Normenkontrollantrag (Az. 9 N 20.2864) gestellt, über den noch nicht entschieden ist. Am 1. März 2021 hat er einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO gestellt. Er macht geltend, dass sich sein Grundstück FlNr. … Gemarkung Hersbruck (** … …, …*) in unmittelbarer Nachbarschaft zum Geltungsbereich des angefochtenen Bebauungsplans befinde und bereits massiv durch den vorhandenen Gewerbebetrieb der Beigeladenen vorbelastet sei. Der Antragsteller fürchte weitere nachteilige Auswirkungen durch den Bebauungsplan. Die anlässlich der Planung vorgenommene schalltechnische Untersuchung sei hinsichtlich der unzureichenden Berücksichtigung der Vorbelastung und der durchgeführten Emissionskontingentierung fehlerhaft. Der Bebauungsplan verstoße gegen § 12 Abs. 3 Satz 1 BauGB, weil der Vorhaben- und Erschließungsplan in den Bebauungsplan integriert sei und die Voraussetzungen hierfür nicht vorlägen. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan verstoße gegen das Gebot der Bestimmtheit, soweit nach Nr. 1.2 der textlichen Festsetzungen zum Bebauungsplan nur solche Vorhaben zulässig seien, zu denen sich der Vorhabenträger im Durchführungsvertrag verpflichtet habe. Der Durchführungsvertrag sei nicht Bestandteil oder Anlage des Bebauungsplans. Es fehle an der Verfügungsberechtigung der Beigeladenen über das Grundstück FlNr. 1626 (an der Grundstücksgrenze zu FlNr. 1648). Dort verlaufe ein dinglich gesichertes Geh- und Pferdetreibrecht; dem Begünstigten stehe ein Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB zu.
Aufgrund der bereits begonnenen Bauarbeiten im Geltungsbereich sei eine einstweilige Anordnung geboten, um irreversible Nachteile zulasten des Antragstellers zu verhindern. Der Antragsteller könne sich auf ein Rechtsschutzbedürfnis berufen, weil zwischen der einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO und dem Rechtsschutzverfahren nach §§ 80, 80a bzw. § 123 VwGO kein Konkurrenzverhältnis bestehe. Beide Verfahren könnten unabhängig voneinander betrieben werden. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach §§ 80, 80a VwGO finde keine inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bebauungsplans statt. Die Außervollzugsetzung des Bebauungsplans bewirke, dass weitere Genehmigungen nicht erteilt werden könnten. Dies führe zu einer Verbesserung der Rechtsposition des Antragstellers. Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung schöpfe den Bebauungsplan auch nicht aus. Es sei die naturschutzrechtliche Festsetzung unter Nr. 4 des vorhabenbezogenen Bebauungsplans in der beantragten Baugenehmigung nicht aufgenommen worden, obwohl dies zum Prüfungsumfang nach Art. 60 BayBO gehöre und die Besonderheit bestehe, dass bereits bestehende Ausgleichsflächen bebaut und „neue“ Ausgleichsflächen ausgewiesen würden. Ob dies zulässig sei, sei klärungsbedürftig. Ferner sei die textliche Festsetzung Nr. 6 nicht berücksichtigt, wonach eine Bebauung im Bereich des faktischen Überschwemmungsgebiets des Rauschelbachs erst zulässig sei, wenn die Bachverlegung und die Schaffung des umfangs-, funktions- und zeitgleichen Retentionsraumausgleichs realisiert sei. Die Baugenehmigung sei jedoch unbedingt erteilt worden. Anzumerken sei noch, dass die wasserrechtliche Erlaubnis nicht vorgelegt worden sei.
Der Antragsteller beantragt,
den vorhabenbezogenen Bebauungsplan Nr. 65 „An der Kühnhofener Straße“ außer Vollzug zu setzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Der Antragsteller sei bereits nicht antragsbefugt, da sein Wohnhausanwesen im Außenbereich liege und kein privilegiertes Bauvorhaben darstelle. Sein privater Belang, von Lärm verschont zu bleiben, sei allenfalls geringfügig betroffen. Außerdem fehle es schon am Rechtsschutzbedürfnis, da die Festsetzungen des Bebauungsplans mit dem Erlass der Baugenehmigung vom 21. Oktober 2020 durch das Landratsamt Nürnberger Land zugunsten der Beigeladenen umgesetzt seien. Der Antragsteller habe gegen die am 3. November 2020 bekanntgegebene Baugenehmigung Klage erhoben und einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt. Der Antrag sei darüber hinaus auch unbegründet. Es gebe einen separaten Vorhaben- und Erschließungsplan. Ein solcher könne auch in der Planurkunde selber liegen. Der Bebauungsplan weise keine materiellen Fehler auf, insbesondere keine Abwägungsmängel. Der Gewerbelärm sei ordnungsgemäß ermittelt und bewertet. Das bestehende Geh- und Pferdetreibrecht sei im Rahmen der Abwägung berücksichtigt worden. Private Nutzungsvereinbarungen seien unabhängig von der Bauleitplanung mit dem jeweiligen Grundstückseigentümer zu klären.
Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die vorgelegten Unterlagen und die beigezogenen Planakten der Antragsgegnerin verwiesen.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO hat keinen Erfolg.
Es kann offenbleiben, ob der Antragsteller antragsbefugt ist oder wie die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu prognostizieren sind. Dem Antragsteller dürfte nach Erteilung der Baugenehmigung für das Bauvorhaben der Beigeladenen auf der Grundlage des hierfür aufgestellten vorhabenbezogenen Bebauungsplans wohl schon das Rechtsschutzinteresse für das Eilverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO fehlen, weil anhand des Vortrags des Antragstellers und der Aktenlage nicht erkennbar ist, dass eine vorläufige Außervollzugsetzung der Norm die Position des Antragstellers entscheidend verbessern könnte (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2002 – 4 CN 3/01 – juris). Jedenfalls ist danach die Aussetzung des Vollzugs des Bebauungsplans nicht zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen Gründen dringend geboten (vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2021 – 1 NE 20.2322 – juris Rn. 16; B.v. 10.12.2020 – 9 CS 20.892 – juris Rn. 43; B.v. 19.3.2020 – 9 NE 19.2274 – juris Rn. 24; B.v. 18.1.2019 – 15 NE 18.2038 – juris Rn. 11; B.v. 16.4.2018 – 1 NE 18.499 – juris Rn. 15; B.v. 29.9.2014 – 2 NE 14.1852 – juris Rn. 3 f.).
Dem Beigeladenen ist vom Landratsamt Nürnberger Land unstreitig die Baugenehmigung vom 21. Oktober 2020 für sein dem vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 65 zugrundeliegendes Betriebserweiterungsvorhaben erteilt worden. Damit ist vorliegend davon auszugehen, dass die der Beigeladenen Baurecht vermittelnden Planfestsetzungen für das Gewerbegebiet, denen der Antragsteller nachteilige Auswirkungen auf sein Wohnanwesen in Bezug auf die Zunahme von Lärm zuschreibt, im Wesentlichen ausgenutzt wurden. Anhaltspunkte für die gegenteilige Annahme bestehen nicht. Sie ergeben sich ohne jede Erläuterung insbesondere nicht aus den Hinweisen des Antragstellers darauf, dass die naturschutzrechtlichen Festsetzungen unter Nr. 4 des vorhabenbezogenen Bebauungsplans keinen Eingang in die beantragte Baugenehmigung gefunden hätten und die Baugenehmigung trotz der Festsetzung unter Nr. 6 betreffend die vor Baubeginn durchzuführenden Maßnahmen im Zusammenhang mit der Verlegung des Rauschelbachs unbedingt erteilt worden sei. Hieraus könnte allenfalls die Unvereinbarkeit der Baugenehmigung mit dem Bebauungsplan als Genehmigungsgrundlage abzuleiten sein.
Unabhängig davon, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO nicht als grundsätzlich nachrangig gegenüber vorläufigem Rechtsschutz nach §§ 80 ff. VwGO angesehen werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 16.4.2018 – 1 NE 18.499 – juris Rn. 14), ist im vorliegenden konkreten Fall somit nicht ersichtlich, dass die vorläufige Außervollzugsetzung des Bebauungsplans dem Antragsteller nach der bereits erfolgten Erteilung der Baugenehmigung an den Beigeladenen noch einen irgendwie gearteten Vorteil bringen könnte, erst recht nicht, dass die Dringlichkeitsvoraussetzungen des § 47 Abs. 6 VwGO erfüllt sein könnten (vgl. BayVGH, B.v. 29.9.2014 – 2 NE 14.1852 – juris Rn. 4). Mit der begehrten Anordnung könnte nur die künftige Anwendung des Bebauungsplans durch die Genehmigungsbehörde verhindert werden, er würde jedoch nicht – auch nicht vorläufig – für unwirksam erklärt. Der Antragsteller kann auf diese Weise nicht erreichen, dass der Beigeladenen verboten wird, von ihrer Baugenehmigung Gebrauch zu machen. Hierzu ist er vielmehr gezwungen, die Baugenehmigung mit Rechtsmitteln des Individualrechtsschutzes anzugreifen. Mit den von ihm dementsprechend angestrengten (Klage- und Eil-) Verfahren kann der Antragsteller auch die Wirksamkeit des Bebauungsplans inzident prüfen lassen, soweit dies zur (vorläufigen) Wahrung seiner Rechte erforderlich ist (vgl. BayVGH, B.v. 19.3.2020 – 9 NE 19.2274 – juris Rn. 24; B.v. 16.4.2018 – 1 NE 18.499 – juris Rn. 15, B.v. 29.9.2014 – 2 NE 14.1852 – juris Rn. 4).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 52 Abs. 1 und 8, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 9.8.3 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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