Baurecht

Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren

Aktenzeichen  B 4 K 19.978

Datum:
24.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44323
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 72
BayVwVfG Art. 80 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

1. Der Beklagte wird verpflichtet, die Beiziehung eines Anwalts in den Widerspruchsverfahren gegen die Herstellungsbeitragsbescheide vom 21.11.2018 zur Wasserversorgungsanlage des Beklagten für die Grundstücke Fl.-Nrn. aaa und bbb/2 der Gemarkung … für notwendig zu erklären und die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Der Kläger und der Beklagte tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet

Gründe

Über die Klage kann gem. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben.
Die zulässige Klage hat teilweise Erfolg.
1. Dem Verpflichtungsbegehren im Klageantrag zu 1 war stattzugeben, denn der Kläger hat einen Anspruch darauf, dass der Beklagte eine Entscheidung über die Kostentragung im Vorverfahren und über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten trifft. Der Kläger hat durch Vorlage der mit Empfangsstempel versehenen Widerspruchsschreiben vom 16.12.2018 nachgewiesen, dass er nicht nur gegen den das Grundstück Fl.-Nr. bbb/2 betreffenden Beitragsbescheid vom 21.11.2018, sondern auch gegen den das Grundstück Fl.-Nr. aaa betreffenden Bescheid gleichen Datums Widerspruch erhoben hat. Der Beklagte hat dies letztendlich auch unstreitig gestellt. Hinsichtlich des Grundstücks Fl.-Nr. bbb/2 war der Widerspruch in vollem Umfang erfolgreich hinsichtlich des Grundstücks Fl.-Nr. aaa zum Teil (Abhilfe-/Änderungsbescheide vom 05.02.2019).
Gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG hat – wenn der Widerspruch (ganz oder teilweise) erfolgreich ist – die Behörde, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, (ganz oder teilweise) die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu tragen. Zu den Kosten des Widerspruchsverfahrens gehören nach Art. 80 Abs. 2 Sätze 1 und 3 BayVwVfG die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen dessen, der den Widerspruch eingelegt hat. Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts sind nur dann notwendige Aufwendungen, wenn die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war. Da das Vorverfahren im Sinne des § 68 VwGO mit der Einlegung des förmlichen Widerspruchs beginnt, zählt dazu auch das Abhilfeverfahren. Ein dem Widerspruch stattgebender Abhilfebescheid (§ 72 VwGO) hat auch über die Kosten zu entscheiden. Dazu gehört auch die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren (Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, 22. Aufl., Rn. 5 zu § 72). Wenn noch keine Vorlage an die Widerspruchsbehörde erfolgt ist, obliegt die Entscheidung der Ausgangsbehörde.
Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren hängt von der Prüfung im Einzelfall ab und ist unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt einer verständigen Partei aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts oder sonstigen Bevollmächtigten bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts nach Art. 80 Abs. 2 BayVwVfG dann, wenn es der Partei nach ihren persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeiten der Sache nicht zuzumuten ist, das Vorverfahren selbst zu führen (BVerwG, Beschluss v. 15.09.2005, Az.: 6 B 39/05, juris; BVerwG, Urteil v. 28.04.2009, Az.: 2 A 8/08, juris). Die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren ist nicht nur in schwierigen und umfangreichen Verfahren zu bejahen, sondern es ist zunächst einmal im Hinblick auf eine rechtsunkundige Partei anzunehmen, dass diese ohne rechtskundigen Rat nicht in der Lage ist, materiell- und verfahrensrechtlich ihre Rechte gegenüber der Verwaltung ausreichend zu wahren. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung ist dann zu bejahen, wenn der Sachverhalt Tat- und Rechtsfragen aufwirft, die sich nicht ohne weiteres beantworten lassen.
Abzustellen ist bei der Beurteilung auf den Zeitpunkt der Heranziehung des Rechtsanwalts. Dies ist in der Regel seine förmliche Bevollmächtigung.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger nach Erhalt der beiden Beitragsbescheide vom 21.11.2018 zwar zunächst selbst rechtliche Erkundigungen beim Beklagten eingezogen (05.12.2018), ein Erörterungsgespräch mit dem Verbandsvorsitzenden/Bürgermeister geführt und förmlich Widerspruch gegen beide Bescheide eingelegt (19.12.2018), es ist aber zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits ab dem 04.12.2018 anwaltlichen Rat in der Kanzlei des Rechtsanwalts in Anspruch genommen hat (Vermerk des Rechtsanwalts vom 06.12.2018 über die Besprechung in der Kanzlei, Bl. 66 Beiakte). Dabei wurde ihm erklärt, dass das unbebaute Grundstück Fl.-Nr. bbb/2 nicht erschlossen und somit nicht beitragspflichtig sei. Auch am 10.12. und 11.12.2018 gab es E-Mail-Verkehr zwischen dem Kläger und dem Rechtsanwalt mit rechtlichen Erörterungen, insbesondere zur Satzungslage, und Empfehlungen für das weitere Vorgehen (Bl. 62-64 Beiakte). Eine fachkundige Beratung des Klägers durch den Rechtsanwalt hat somit vor der Widerspruchserhebung vom 19.12.2018 stattgefunden und sich anschließend fortgesetzt (E-Mail vom 09.01.2019, Bl.65 Beiakte), auch wenn die förmliche Vollmacht erst vom 30.01.2019 datiert. Aufgrund der vorgelegten Unterlagen hat das Gericht keine Zweifel, dass der Rechtsanwalt den Kläger wie angegeben anhand der ihm vorgelegten Bescheide über die Rechtslage aufgeklärt hat. Damit ist ein Gebührentatbestand entstanden. Es gibt keinen Anlass für die Annahme, es sollten nachträglich künstliche Anwaltskosten generiert werden.
Die fachkundige Beratung durch den Rechtsanwalt war für die zweckentsprechende Rechtsverfolgung im Widerspruchsverfahren auch erforderlich. Das kommunale Abgabenrecht ist eine komplexe Rechtsmaterie, bei der von juristischen Laien schon die Prüfung der Gültigkeit und Anwendbarkeit der einschlägigen Satzungen nicht erwartet werden kann. Es entspricht daher gängiger Rechtsprechung – auch des erkennenden Gerichts – in verwaltungsgerichtlichen Streitverfahren des Beitrags- und Gebührenrechts die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren regelmäßig für notwendig zu erklären.
Soweit die Beklagte gegen die Notwendigkeit einwendet, der Kläger sei selbst in der Lage gewesen, den Widerspruch einzulegen, betrifft dies nur das Verfassen des förmlichen Widerspruchsschreibens. Dass er sich für einen Rechtsbehelf entschieden hat, beruht auf der rechtlichen Beratung und Empfehlung des Rechtsanwalts (s.o.). Ebensowenig leuchtet der Vortrag ein, es sei auch für einen Laien unschwer zu erkennen, dass ein unbebautes Grundstück nicht zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen werden könne, sowie dass eine erst nachträglich in Kraft getretene Beitragssatzung nicht anwendbar sei. Dass es sich hier nicht um „offenkundige Versehen“ des Beklagten handelte, zeigt sich schon daran, dass dem Kläger in der E-Mail des Sachbearbeiters vom 07.12.2018 ausdrücklich erklärt wurde, sein Grundstück sei bebaubar und beitragspflichtig. Außerdem hätte es der im Gespräch vom 19.12.2018 zugesicherten nochmaligen Überprüfung der Satzungslage nicht bedurft, wenn sie aus Sicht des Beklagten eindeutig gewesen wäre. Auch das Argument, ein Anwalt wäre nicht notwendig gewesen, weil dem Kläger bereits in dem Gespräch vom 19.12.2018 zugesagt worden sei, dass das Grundstück Fl.-Nr. bbb/2 als nicht bebaubares Grundstück gewertet und der Beitragsbescheid vom 21.11.2018 im neuen Jahr aufgehoben werde, greift nicht durch. Denn dies lässt sich aus dem Gesprächsvermerk (Bl. 31 Gerichtsakte) nicht entnehmen. Darin ist die vielmehr Rede davon, dass das Grundstück bbb/2 wegen seiner grundsätzlichen Bebaubarkeit herangezogen worden sei. Eine umfangreiche Prüfung werde zugesichert. Ein Neuerlass werde sich bis Anfang 2019 hinziehen. Der Kläger konnte demnach nicht mit Gewissheit davon ausgehen, dass der Beitrag für das Grundstück entfallen würde. Dies entspricht auch der Darstellung des Klägers in seinem E-Mail-Schreiben vom 14.12.2020, vorgelegt mit Schriftsatz vom 21.12.2020 (Bl. 41f. Gerichtsakte). Danach soll noch am 30.01.2019 ein Telefonat mit dem Sachbearbeiter der Beklagten stattgefunden haben, in dem es um die Beitragspflicht des unbebauten Grundstücks gegangen sei. Dieser Darstellung ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Auch hinsichtlich des bebauten Grundstücks Fl.-Nr. 634 hat der Kläger nach Beratung durch den Rechtsanwalt (E-Mail vom 11.12.2018) gegen den Bescheid vom 21.11.2018 Widerspruch eingelegt, der insofern erfolgreich war, als das Grundstück im Änderungsbescheid vom 05.02.2019 nach dem Beitragssatz für Altanschließer veranlagt und der Beitrag um 986,44 EUR reduziert wurde (1.016,67 EUR statt 2.003,11 EUR). Von einem rechtlichen Laien kann die Durchdringung der komplexen Rechtslage nicht erwartet werden.
Der Kläger hat am 15.01.2019 – vor Erlass des Abhilfebescheids von 05.02.2019 – beim Beklagten beantragt, die Beiziehung eines Anwalts für notwendig zu erklären. Es wäre hilfreich gewesen, wenn er dabei gleich unter Vorlage einer Vollmacht die Inanspruchnahme der anwaltlichen Beratung offengelegt hätte. Der Beklagte hat aber aufgrund seiner im Begleitschreiben vom 05.02.2019 (Nr. 5) vertretenen (irrigen) Rechtsmeinung, dass Anwaltskosten allenfalls von der Widerspruchsbehörde anerkannt werden könnten und er darüber keine Entscheidung treffen könne, keine weiteren Nachfragen an den Kläger gerichtet und keine Belege gefordert.
Nachdem mit Anwaltsschreiben vom 24.06.2019, 03.07.2019 und 09.07.2019 unter Vorlage der Vollmacht und der Nachweise für die anwaltliche Tätigkeit der Antrag auf Ergänzung des Abhilfebescheids um den Ausspruch über die Kostentragung und die Notwendigkeit der Beiziehung eines Bevollmächtigten gestellt war, hätte der für die Entscheidung zuständige Beklagte diesem Antrag entsprechen müssen. Denn erst dieser Ausspruch ist Grundlage für den Kostenerstattungsanspruch des Klägers.
2. Hinsichtlich des Erstattungsbegehrens im Klageantrag zu 2 wird die Klage abgewiesen. Der Kläger muss sich wegen der Festsetzung der zu erstattenden Rechtsanwaltskosten an den Beklagten wenden. Der durch die Kostenlastentscheidung begründete Kostenerstattungsanspruch kann nicht unmittelbar, sondern nur aufgrund eines Kostenfestsetzungsbescheids, in dem über die Höhe der zu erstattenden Kosten entschieden wird, geltend gemacht werden. Diese werden durch die Behörde in einem selbständigen Verwaltungsverfahren nach Art. 80 Abs. 3 Satz 1 BayVwVfG festgesetzt (Kopp/Ramsauer, VwVfG-Kommentar, 19. Aufl., Rn. 8 zu § 80).
3. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 155 Abs. 1 VwGO nach dem Verhältnis des gegenseitigen Obsiegens bzw. Unterliegens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.


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