Baurecht

Nutzungsänderung eines Einfamilienhauses zu einer heilpädagogischen Kinderheimeinrichtung

Aktenzeichen  Au 5 K 17.513

Datum:
22.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 7556
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 42 Abs. 2, § 113 Abs. 1 S. 1
BauGB § 2 Abs. 1, § 29 Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 36 Abs. 1
BauNVO (1990) § 4 Abs. 2 Nr. 3
BayBO Art. 67 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Ein fehlendes Einvernehmen darf die Baugenehmigungsbehörde nach § 36 Abs. 2 S. 3 BauGB iVm Art. 67 Abs. 1 S. 1 BayBO nur ersetzen, wenn es zu Unrecht verweigert worden ist, weil das Vorhaben nach den §§ 31 und 33 bis 35 BauGB zulässig ist und ein Rechtsanspruch auf Erteilung der jeweiligen Genehmigung besteht. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei der Genehmigung einer Nutzungsänderung muss die bauliche Anlage nicht erneut einer umfänglichen Prüfung sowohl hinsichtlich der Art als auch des Maßes der baulichen Nutzung unterzogen werden. Das fordert auch § 29 Abs. 1 BauGB nicht. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist in der Sache unbegründet.
1. Die Klage ist zulässig.
Die Klägerin ist insbesondere klagebefugt (§ 42 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Klägerin kann sich auf eine mögliche Verletzung in ihren subjektiven Rechten, im Wesentlichen hinsichtlich ihrer verfassungsrechtlich garantierten Planungshoheit als einen Teilaspekt des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz – GG‚ Art. 11 Abs. 2 Satz 2 Bayerische Verfassung – BV), berufen.
2. Die Klage ist in der Sache nicht begründet.
Die Klägerin ist durch die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Eine Ersetzung des verweigerten gemeindlichen Einvernehmens war vorliegend nicht erforderlich.
a) Über die Zulässigkeit von Bauvorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 Baugesetzbuch (BauGB) wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden, § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Das Erfordernis des gemeindlichen Einvernehmens dient dabei der Sicherung der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV verankerten gemeindlichen Planungshoheit. Das gemeindliche Einvernehmen ist ein als Mitentscheidungsrecht ausgestattetes Sicherungsinstrument des Baugesetzbuchs, mit dem die Gemeinde als sachnahe und fachkundige Behörde und als Trägerin der Planungshoheit in Genehmigungsverfahren mitentscheidend an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens beteiligt wird (BVerwG, U.v. 14.4.2000 – 4 C 5/99 – BayVBl 2001, 22). Entspricht ein zulässiges Vorhaben nicht den planerischen Vorstellungen der Gemeinde, kann diese den Maßstab für die Zulässigkeitsprüfung durch Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans ändern und planungssichernde Maßnahmen ergreifen.
Ein fehlendes Einvernehmen darf die Baugenehmigungsbehörde nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB i.V.m. Art. 67 Abs. 1 Satz 1 BayBO nur ersetzen, wenn es zu Unrecht verweigert worden ist, weil das Vorhaben nach den §§ 31 und 33 bis 35 BauGB zulässig ist, und ein Rechtsanspruch auf Erteilung der jeweiligen Genehmigung besteht. Dies bedeutet, dass auf die Klage einer Gemeinde gegen die Ersetzung ihres Einvernehmens bei einem Bauvorhaben, die Voraussetzungen der §§ 31 und 33 bis 35 BauGB in vollem Umfang nachzuprüfen sind und sich eine Differenzierung danach, ob diese Voraussetzungen jeweils dem Selbstverwaltungsrecht zuzuordnen sind oder nicht, verbietet. Die zugunsten der Gemeinde in § 36 Abs. 1 BauGB normierte Beteiligungsbefugnis und ihre damit anerkannte hoheitliche Mitverantwortung schließen es aus, ihre Stellung mit der eines privaten Nachbarn im Verhältnis zu einem privaten Bauherrn zu vergleichen (vgl. BayVGH, B.v. 24.11.2008 – 1 ZB 08.1462 – juris; OVG RhPf, U.v. 16.3.2006 – 1 K 2012/04 – juris; NdsOVG, U.v. 10.1.2008 – 12 LB 22/07 – juris). Daraus folgt, dass jede Verletzung oder Missachtung des Rechts der Gemeinde auf Einvernehmen zur Aufhebung der Genehmigung führt (vgl. OVG SH, U.v. 11.11.2013 – 12 LC 271/11 – BauR2014, 522; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Kommentar, Stand: Oktober 2017, § 36 Rn. 47 m.w.N.). Andererseits bedeutet dies aber auch, dass Verstöße gegen andere Rechtsnormen dem Rechtsmittel der Gemeinde nur dann zum Erfolg verhelfen können, wenn sie auch dem Schutz der Gemeinde – insbesondere ihrer Planungshoheit – zu dienen bestimmt sind (BVerwG, U.v. 31.10.1990 – BVerwGE 4 C 45.88 – NVwZ 1991, 176; OVG SH, B.v. 7.10.2004 – 1 ME 169/04 – NVwZ-RR 2005, 90). Denn § 36 BauGB erschöpft sich darin, das bauaufsichtliche Verfahren näher auszugestalten. Die Vorschrift begründet hinsichtlich der materiellen Planungshoheit keine Rechte, sondern setzt diese voraus. Wenn entsprechend dem durch § 36 Abs. 2 BauGB begrenzten Prüfumfang eine Verletzung der Planungshoheit einer Gemeinde zu verneinen ist, kann diese sich auch nicht mit Erfolg gegen die Ersetzung ihres Einvernehmens wenden (BVerwG, B.v. 10.1.2006 – 4 B 48.05 – BauR 2006, 815).
Für den Fall, dass ein nach § 36 BauGB erforderliches Einvernehmen verweigert wurde und die Baugenehmigungsbehörde dieses nicht ersetzt hat, ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung davon auszugehen, dass die Gemeinde allein deshalb in ihrem Recht der Planungshoheit (§ 2 Abs. 1 BauGB‚ Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG‚ Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV) verletzt ist‚ ohne dass es darauf ankommt‚ ob sie das Einvernehmen zu Recht verweigert hat (vgl. BayVGH, U.v. 1.3.2016 – 1 BV 15.1535 – juris Rn. 23). Einer Anfechtungsklage der Gemeinde ist in einem solchen Fall bereits aus diesem Grund stattzugeben. Zu prüfen ist daher nicht, ob der Bauherr einen materiellen Anspruch auf die beantragte Genehmigung besitzt (BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 4 C 1.14 – BauR 2015, 1457).
b) Eine Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens ist bei der Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht erfolgt und war nach Auffassung der Kammer auch nicht erforderlich.
Vorliegend ist der Anwendungsbereich des § 36 BauGB bereits nicht eröffnet. Es handelt sich bei dem gegenständlichen Genehmigungsverfahren nicht um eine Prüfung der Zulässigkeit des Bauvorhabens nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB. Die angefochtene Baugenehmigung wurde in rechtlich nicht zu beanstandender Weise nach § 30 Abs. 1 BauGB erteilt. Die beantragte Nutzungsänderung eines Einfamilienhauses in eine heilpädagogische Jugendheimeinrichtung entspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans „…“ der Klägerin. Das geplante Vorhaben ist nach seiner Art der baulichen Nutzung als soziale Anlage gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 Baunutzungsverordnung (BauNVO 1990) in dem durch den Bebauungsplan festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet bauplanungsrechtlich allgemein zulässig. Eine Ausnahme oder Befreiung nach § 31 BauGB wurde weder beantragt noch erteilt. Eine solche ist hinsichtlich der beantragten Nutzungsänderung auch nicht erforderlich. Eine Prüfung des Maßes der baulichen Nutzung durch die Baugenehmigungsbehörde war nicht Prüfungsgegenstand des vorliegenden Genehmigungsverfahrens.
Die Baugenehmigung entfaltet bauplanungsrechtlich demzufolge auch nur insoweit eine Regelungswirkung, als Gegenstand des Genehmigungsverfahrens die Nutzungsänderung, d.h. die Änderung der Art der baulichen Nutzung ist. Eine Prüfung der von der Klägerin vorgetragenen Befreiung für das Bestandsgebäude im Rahmen des Maßes der baulichen Nutzung hinsichtlich der Mindestgröße des Grundstücks ist kein Bestandteil des Prüfungsumfangs des streitgegenständlichen Genehmigungsverfahrens. Die Baugenehmigung entfaltet diesbezüglich auch keine Regelungs- und Feststellungswirkung. Es ist gerade nicht so, dass bei der Genehmigung einer Nutzungsänderung die bauliche Anlage erneut einer umfänglichen Prüfung sowohl hinsichtlich der Art als auch des Maßes der baulichen Nutzung unterliegt. Die Vorschrift des § 29 Abs. 1 BauGB differenziert hierbei explizit zwischen der Errichtung, der Änderung und der Nutzungsänderung einer baulichen Anlage. Die Tatsache, dass bei der Errichtung des Bauvorhabens eine an sich notwendige Befreiung in Bezug auf das Maß der baulichen Nutzung nicht erteilt wurde, führt daher nach Auffassung der Kammer nicht dazu, dass der Prüfungsumfang hinsichtlich der Nutzungsänderung erweitert würde. Die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hinsichtlich des im Rahmen des § 34 BauGB erforderlichen Prüfungsumfangs lässt für den vorliegenden Fall, in dem ein qualifizierter Bebauungsplan der Gemeinde vorhanden ist, keine Rückschlüsse zu, da in den Fällen der Prüfung der Zulässigkeit eines Bauvorhabens anhand des § 34 BauGB der Anwendungsbereich des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB unproblematisch eröffnet ist und sich die vorliegend aufgeworfene Frage bereits nicht stellt.
Da demzufolge kein Fall des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB vorliegt, scheidet eine Verletzung der Beteiligungsbefugnis der Klägerin im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren aus.
c) Eine anderweitige Verletzung der Klägerin in ihrem gemeindlichen Selbstverwaltungsrecht scheidet vorliegend ebenfalls aus. Hinsichtlich der abweichenden Mindestgröße des Grundstücks ist die Klägerin nicht materiell in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hatte hinsichtlich des Bestandsgebäudes ihr Einvernehmen mit Beschluss vom 31. August 1998 auch in Bezug auf alle erforderlichen Befreiungen erteilt. Damit hat sie selbst im streitgegenständlichen Baukörper keinen Widerspruch zu ihrer Planung gesehen. Der Baukörper an sich ist mit Bescheid vom 10. November 1998 bestandskräftig genehmigt. Eine Verletzung der Planungshoheit der Klägerin durch die Umnutzung des Bestandsgebäudes ist nach Auffassung der Kammer nicht gegeben.
Belange ihrer Bürger – vorliegend die subjektiven Rechte der Nachbarn des Baugrundstückes – kann die Klägerin nicht geltend machen. Der Umstand allein, dass eine juristische Person des öffentlichen Rechts öffentliche Aufgaben, also Aufgaben im Interesse der Allgemeinheit wahrnimmt, macht sie nicht zum grundrechtsgeschützten „Sachwalter“ des Einzelnen bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass der Bürger selbst seine Grundrechte wahrnimmt und etwaige Verletzungen geltend macht. (BVerfG, B.v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 – juris Rn. 62).
Nach alledem ist die Klage als unbegründet abzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen. Da der Beigeladene keinen eigenen Antrag gestellt hat und sich somit keinem prozessualen Risiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es billigem Ermessen, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO).
4. Der Ausspruch hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).


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