Baurecht

Nutzungsuntersagung für Kfz-Werkstatt, Rückbauanordnung für überlange Grenzbebauung, halboffene Bebauung

Aktenzeichen  M 9 K 18.5150

Datum:
23.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 33409
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 76 S. 1, Art. 76 S. 2, Art. 6 Abs. 7, Art. 6 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

Tenor

 I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger als Gesamtschuldner haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 

Gründe

Die zulässige Anfechtungsklage hat keinen Erfolg, da sie unbegründet ist. Der Bescheid vom 24. September 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Verpflichtung, die Nutzung des Nebengebäudes als Kfz-Werkstatt aufzugeben (Ziffer 1 des Bescheides), ist rechtmäßig. Werden Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt, so kann diese Nutzung nach Art. 76 Satz 2 BayBO untersagt werden.
Diese Voraussetzungen sind grundsätzlich schon dann erfüllt, wenn eine bauliche Anlage ohne erforderliche Genehmigung, somit formell illegal, genutzt wird. Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt. Allerdings darf eine formell rechtswidrige Nutzung aus Gründen der Verhältnismäßigkeit regelmäßig dann nicht untersagt werden, wenn sie offensichtlich genehmigungsfähig ist (st. Rspr. vgl. BayVGH, B.v. 9.11.2020 – 9 CS 20.2005 – juris Rn. 18).
Eine Baugenehmigung für das Nebengebäude liegt nicht vor. Eine Baugenehmigung für das Nebengebäude ohne genehmigte Nutzung als Kfz-Werkstatt alleine wäre nicht ausreichend. Die Nutzungsänderung einer Garage oder eines Nebengebäudes in eine Kfz-Werkstatt stellt auch ohne Vorliegen eines Gewerbes eine genehmigungsbedürftige Nutzungsänderung nach Art. 55. Abs. 1 BayBO dar (BayVGH, B.v. 4.8.2016 – 1 ZB 15.2619 – juris Rn. 4). Die Variationsbreite der Nutzung einer Garage als Abstellgebäude für Kraftfahrzeuge (vgl. Art. 2 Abs. 8 Satz 2 BayBO) wird bereits überschritten, wenn nur gelegentlich Kfz-Service-Arbeiten ausschließlich für Familie, Freunde, Bekannte und Nachbarn durchgeführt werden. Aus der Garage wird ein Bastel- bzw. Werkraum (BayVGH, a.a.O.). Vorliegend liegt keine Nutzung einer Garage zu kleineren Reparaturen mehr vor, sondern das Nebengebäude stellt sich jedenfalls als ausgewachsene Hobbywerkstatt dar. Im Nebengebäude befand sich während des Augenscheins ein ausgebauter Motor und diverse andere werkstatttypische Gegenstände. Neben dem Nebengebäude lagerten diverse Autoreifen. Außerdem wird gerade in der vorhandenen und betriebsbereiten Hebebühne die Nutzung als Werkstatt deutlich. Nach dem Ergebnis des gerichtlichen Augenscheins und dem Akteninhalt bestehen für das Gericht keine Zweifel, dass ein nicht genehmigter Werkraum vorliegt.
Die Nutzungsänderung ist nicht nach Art. 57 Abs. 4 BayBO verfahrensfrei, da andere öffentlich-rechtliche Anforderungen (z.B. Anforderungen aus § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO) in Betracht kommen (Nr. 1) und die Änderungen keine verfahrensfreie Anlage betreffen (Nr. 2). Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO scheidet aus, da bei einer Grundfläche von ca. 42 m2 und einer Wandhöhe von ca. 2,92 m der Bruttorauminhalt offensichtlich über 75 m3 liegt.
Die Nutzungsuntersagung ist ermessensfehlerfrei erfolgt (§ 114 Satz 1 VwGO). Die Nutzung ist nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Im Rahmen eines Bauantrages müsste zunächst geprüft werden, ob eine Werkstattnutzung bauplanungsrechtlich zulässig ist. Ohne nähere Beschreibung der Art der Werkstattnutzung, auch des hobbymäßigen Umfangs, ist eine Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO und ein Einfügen nach der Art der baulichen Nutzung § 34 Abs. 2 BauGB nicht möglich. Eine entsprechende Prüfung hat aber in einem Baugenehmigungsverfahren zu erfolgen. Von einer offensichtlichen bauplanungsrechtlichen Genehmigungsfähigkeit kann nicht ausgegangen werden. Des Weiteren kann die Nutzung nicht unter Außerachtlassung der baulichen Anlage genehmigt werden. Diese hält die Abstandsflächen nicht ein und ist nicht ohne eigene Abstandsflächen zulässig (dazu sogleich). Eine Einhaltung der Abstandsflächen ist erst möglich, wenn die überlange Grenzbebauung beseitigt wird.
Für andere Ermessensfehler ist nichts ersichtlich. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Nutzungsuntersagung vor, muss im Regelfall nicht näher begründet werden, weshalb von der Eingriffsbefugnis Gebrauch gemacht wird, sog. intendiertes Ermessen. Allerdings dürfen insbesondere mit Blick auf das Übermaßverbot keine Besonderheiten vorliegen, die ausnahmsweise ein Absehen von der Untersagung erfordern (BayVGH, B.v. 23.3.2021 – 15 ZB 20.2906 – juris Rn. 24 m.w.N.). Besondere Gründe, die die Nutzungsuntersagung unverhältnismäßig machen können, sind aber nicht ersichtlich. Insbesondere erzielen die Kläger nach ihrem eigenen Vortrag aus der Nutzung der Werkstatt keine Einnahmen, sodass kein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG vorliegen kann.
Die Störerauswahl nach Art. 9 LStVG ist im Hinblick auf eine effektive Gefahrenabwehr nicht zu beanstanden.
2. Die Verpflichtung, die Grenzbebauung auf das zulässige Maß zurückzubauen (Ziffer 2 des Bescheides vom 24. September 2018), ist rechtmäßig.
Werden Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert, so kann die Bauaufsichtsbehörde nach Art. 76 Satz 1 BayBO die teilweise oder vollständige Beseitigung der Anlagen anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Art. 76 Satz 1 BayBO ist für Anordnung des Rückbaus auf eine zulässige Grenzbebauung als Rechtsgrundlage ausreichend, da kein positives Wiederherstellen notwendig ist, sondern eine reine negative Beseitigung der Überlänge (vgl. Decker Busse/Kraus, 141. EL März 2021 Rn. 54, BayBO Art. 76 Rn. 54). Für den bloßen Hinweis, dass natürlich auch eine Abstandsflächenübernahmeerklärung nach Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO ausreichend wäre um den Widerspruch zu Art. 6 BayBO zu beenden, bedarf es keiner Rechtsgrundlage. Dies gibt nur die Rechtslage wieder und hat keine Regelungswirkung.
Die vorhandene und im Bescheid streitgegenständliche Grenzbebauung aus Garage, Nebengebäude und Schuppen sind im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet. Eine Baugenehmigung für die Anlagen liegt nicht vor und die Anlagen halten die Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht frei, obwohl Abstandsflächen erforderlich sind und die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 9 BayBO a.F. bzw. Art. 6 Abs. 7 BayBO n.F. nicht erfüllt sind.
a) Für die Grenzbebauung sind Abstandsflächen erforderlich, da Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO für die vorliegend maßgeblichen Grundstücksgrenzen nicht zur Anwendung kommt. Nach dieser Vorschrift ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden darf. Planungsrechtlich liegt aber nur eine halboffene Bebauung in der näheren Umgebung vor, die lediglich bezüglich der nordwestlichen Grundstückgrenze die Erforderlichkeit von Abstandsflächen ausschließt.
Der Vorrang des Städtebaurechts nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO gilt nicht nur für Festsetzungen in Bebauungsplänen, sondern auch bezüglich der tatsächlich vorhandenen Bauweise im nicht überplanten Innenbereich (Kraus in: Busse/Kraus, BayBO, 141. EL Juli 2021, Art. 6 Rn. 47 m.w.N.). Dabei ist die Vorschrift nicht nur dann anwendbar, wenn sich der tatsächlich vorhandenen Bebauung in näheren Umgebung ein städtebauliches Ordnungssystem entnehmen lässt, sondern ebenfalls bei einer regellosen Bebauung (BayVGH, B.v. 25.1.2008 – 15 ZB 06.3115 – juris Rn. 16; U.v. 23.3.2010 – 1 BV 07.2363 – juris Rn. 25). Eine regellose Bebauung liegt vor, wenn eine im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB durchzuführende Bestandsaufnahme des Vorhandenen ergibt, dass die den Maßstab bildende Bebauung Gebäude mit und ohne Grenzabstand umfasst, ohne dass eine Ordnung zu erkennen ist, die als abweichende Bauweise (vgl. § 22 Abs. 4 Satz 1 BauNVO) eingestuft werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 23.3.2010 – 1 BV 07.2363 – juris Rn. 25). Ist dagegen in der näheren Umgebung die sogenannte halboffene Bauweise gegeben und darf deshalb nur unmittelbar an eine seitliche Grundstücksgrenze gebaut werden, so entfällt nur an dieser seitlichen Grundstücksgrenze die Abstandsfläche gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO (vgl. BayVGH, U.v. 19.11.1976 – 106 I 73 – juris). In der halboffenen Bauweise werden die Gebäude auf der einen Seite mit (einschließlich der bauordnungsrechtlich gebotenen Abstandsvorgaben) und auf der anderen Seite ohne seitlichen Grenzabstand errichtet (Blechschmidt in: EZBK, 140. EL Oktober 2020, BauNVO § 22 Rn. 44).
Maßgeblich als nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ist der Bereich, auf den sich das Bauvorhaben städtebaulich prägend auswirken wird und von dem aus die vorhandene Bebauung das Baugrundstück prägt. Wie weit diese gegenseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalles (vgl. BVerwG, U.v. 26.5.1978 – 4 C 9.77 – BVerwGE 55, 369). Geht es um die Frage der Bauweise, also darum, ob Gebäude mit oder ohne seitlichen Grenzabstand errichtet werden, ist insbesondere das straßenseitige Erscheinungsbild von Bedeutung, weshalb in erster Linie die Bebauung entlang des Straßenzugs in den Blick zu nehmen ist (OVG Berlin-Bbg, B.v. 15.7.2016 – OVG 10 S 12.16 – juris Rn. 5).
Nach den in der Behördenakte vorhandenen Lageplänen, Luftbildern und dem Ergebnis des Augenscheins ist vorliegend die nähere Umgebung des streitgegenständlichen Grundstücks durch eine halboffene Bebauung zur jeweils nordwestlichen Grundstücksgrenze geprägt. An der südöstlichen und südwestlichen Grundstücksgrenze sind deswegen die Abstandsflächen grundsätzlich nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO freizuhalten. Maßgebliche nähere Umgebung ist dabei die i.S.d. § 34 BauGB prägende Bebauung südlich der Hauptstraße. Die Hauptgebäude direkt südlich der Hauptstraße zwischen der Hausnummer 25 und 41 sowie die Hausnummer 47 sind jeweils nur grenzständig an der nordwestlichen Grundstücksgrenze gebaut. Der Augenschein zeigte diese prägende Bausitte, welche wohl historisch gewachsen ist. Die Bebauung außerhalb des näheren Straßenzuges gehört nicht mehr zur für die Bauweise maßgeblichen näheren Umgebung.
b) Die auf dem streitgegenständlichen Grundstück vorhandene Grenzbebauung ist nicht nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 BayBO i.d.F. vom 10.7.2018 (GVBl. S. 523) ohne eigene Abstandsflächen zulässig, da sie sowohl an der südwestlichen als auch der südöstlichen Grundstücksgrenze länger als 9 m ist und damit darüber hinaus auch die insgesamt zulässigen 15 m für Bebauung i.S.d. Art. 6 Abs. 9 Satz1 Nr. 1 BayBO i.d.F. vom 10.7.2018 (GVBl. S. 523) nicht einhält.
Die Vereinbarkeit der Anlage mit öffentlich-rechtlichen Vorschriften beurteilt sich grundsätzlich nach der Rechtslage, die im Zeitpunkt der Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde über die Beseitigungsanordnung gilt (BayVGH, U.v. 17.10.2006 – 1 B 05.1429, BeckRS 2009, 36513, beck-online). Aufgrund des Bescheiderlasses am 24. September 2018 ist deswegen Art. 6 Abs. 9 BayBO i.d.F. vom 10.7.2018 (GVBl. S. 523) anzuwenden. Die Änderungen für Grenzbebauungen im Rahmen des neuen Art. 6 Abs. 7 BayBO i.d.F. vom 25.5.2021 (GVBl. S. 286) bleiben außer Betracht, da diese strengere Anforderungen an die Anlage stellen (vgl. zu nachträglichen Rechtsänderungen Decker in: Busse/Kraus, 141. EL März 2021, BayBO Art. 76 Rn. 133). Die maximalen Längen für die Grenzbebauung (9 m bzw. 15 m) blieben im Rahmen der Gesetzesänderungen unverändert. Bei der Ermittlung der mittleren Wandhöhe werden allerdings Dächer auf der Trauf- und Giebelseite schon ab einer Dachneigung von 45°, anstatt vorher ab 70°, anteilig bzw. voll berücksichtigt.
Nach dem Ergebnis des Augenscheins halten die Garage, das Nebengebäude und der Schuppen die mittlere Wandhöhe von 3 m i.S.d. Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO i.d.F. vom 10.7.2018 (GVBl. S. 523) ein.
c) Eine Abweichung von den Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist nicht möglich.
Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde eine Abweichung von Art. 6 BayBO erteilen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO, vereinbar ist.
Dabei genügt es für die Erteilung einer Abweichung nicht, dass die Belange des Nachbarn nur geringfügig beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung nachbarlicher Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (Dhom/Simon in Simon/Busse, BayBO, 135. EL Dezember 2019, Art. 63 Rn. 46). Überwiegende Interessen der Kläger oder öffentliche Interessen, die eine überlange Grenzbebauung an der südwestlichen und südöstlichen Grundstücksgrenze rechtfertigen, sind nicht gegeben. Es ist kein Grund erkennbar, weshalb das Grundstück der Kläger gerade an diesen beiden Grenzen, an denen die Abstandsflächen einzuhalten sind, stärker baulich ausgenutzt werden müsste. Außerdem hat der südöstliche Nachbar aufgrund der vorhandenen halboffenen Bebauung zulässigerweise sein Wohnhaus in unmittelbarer Grenznähe ohne Einhaltung der Abstandsflächen errichtet. Die Schutzzwecke der Abstandsflächen würde deswegen durch eine Abweichung für die Kläger stärker beeinträchtigt. Auch die Kläger haben zumindest grundsätzlich die Möglichkeit an der nordwestlichen Grenze ohne Freihaltung von Abstandsflächen bauliche Anlagen zu errichten und damit ihr Grundstück stärker auszunutzen. Ein besonderes Interesse am Erhalt des länger bestehenden Schuppens und der Garage ist nach dem Ergebnis des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung nicht erkennbar. Für das Nebengebäude alleine ist dabei keine Abweichung notwendig, da dieses isoliert betrachtet die Abstandsflächen einhält. Ob zumindest ein beachtliches Interesse am isolierten Erhalt dieses länger bestehenden und etwas größeren Nebengebäude besteht, kann aus diesem Grund offenbleiben. Da bereits keine gewichtigen Gründe für eine Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO auf tatbestandsebene vorliegen, ist der von den Klägern vorgetragene Ermessensausfall bei der Prüfung einer möglichen Abweichung nicht entscheidungserheblich (Decker in: Busse/Kraus, 141. EL März 2021, BayBO Art. 76 Rn. 144).
Des Weiteren fehlt für eine Abweichung von den Abstandflächen nach Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO, die nach Ansicht der Kammer immer noch erforderliche „Atypik“ (vgl. zur Ansicht der Kammer VG München, U.v. 24.7.2019 – M 9 K 18.5334 – juris Rn. 29; zum Streitstand insgesamt VG Augsburg, B.v. 19.11.2019 – Au 4 S 19.1926 – juris Rn. 29). Eine solche „Atypik“ kann sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern ergeben; auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, könnte zu einer Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung führen (vgl. zusammenfassend BayVGH, B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16 m.w.N.). Vorliegend ist keine der Fallgruppen erfüllt. Insbesondere ist die vorhandene Bausubstanz nicht schützenswürdig, da diese keinen Bestandsschutz mangels Genehmigung genießt. Die Fallgruppe des Erhalts von vorhandener Bausubstanz soll die Nutzungsänderung und bauliche Änderung von bestandsgeschützten Anlagen ermöglichen, nicht aber dem Erhalt von Schwarzbauten dienen.
d) Das Ermessen im Rahmen der Anordnung der Beseitigung wurde fehlerfrei ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO). Dabei kann offenbleiben, ob eine fehlende Ermittlung der mittleren Wandhöhe bei Bescheiderlass einen Ermessensfehler verursacht, wenn auch ein Rückbau auf eine zulässige Wandhöhe angeordnet wird. Vorliegend halten alle Gebäude nach dem Ergebnis des Augenscheins die mittlere Wandhöhe nach Art. 6 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 BayBO vom 10.7.2018 (GVBl. S. 523) ein, sodass ein Rückbau auf eine mittlere Wandhöhe von 3 m nicht erfolgen muss. Insoweit geht die Anordnung des Rückbaus ins Leere und kann die Kläger nicht in ihren Rechten verletzen. Ein willkürliches Aufgreifen der Grenzbebauung der Kläger mit der Folge eines Ermessensfehlers durch Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG liegt offensichtlich nicht vor. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet die Behörde grundsätzlich nicht, in einem Bereich, in dem sie baurechtswidrige Zustände beobachtet hat, schlagartig gegen alle Schwarzbauten vorzugehen. Dazu wäre die zuständige Bauaufsichtsbehörde schon in personeller und sachlicher Hinsicht regelmäßig nicht in der Lage. Die Behörde darf sich vielmehr auf ein Vorgehen gegen einzelne Störer beschränken, sofern sie hierfür sachliche Gründe hat (BayVGH, U.v. 9.11.2017 – 2 B 17.1742 – juris Rn. 26). Die vom Kläger vorgetragenen Bezugsfälle (FlNr. …, … und …*) betreffen jeweils eine Grenzbebauung zur nordwestlichen Grundstücksgrenze. Aufgrund der halboffenen Bebauung an dieser Grundstücksgrenze sind diese schon deswegen nicht geeignet einen vergleichbaren Fall i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG darzustellen. Es gibt keine Verpflichtung der Bauaufsichtsbehörde zu einer flächendeckenden Bestandsaufnahme aller rechtswidriger Grenzbebauungen in ihrem gesamten Zuständigkeitsbereich. Vielmehr kommt ein Sanierungskonzept zur Vermeidung sachwidriger Differenzierungen im Regelfall nur dann in Betracht, wenn die betreffenden Anlagen in einem engen räumlichen oder sachlichen Zusammenhang stehen (BayVGH, B.v. 7.6.2017 – 9 ZB 15.255 – juris Rn. 7). Konkrete vergleichbare Fälle die in einem Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Grenzbebauung stehen, sind aber weder vorgetragen noch waren diese beim Augenschein ersichtlich.
Gegen die Störerauswahl nach Art. 9 LStVG im Rahmen der Rückbauanordnung ist nichts zu erinnern.
3. Die Zwangsgeldandrohungen nach Art. 31, 36 VwZVG in den Ziffern 3 und 4 des Bescheides sind rechtmäßig. Insbesondere sind die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben, da die Grundverwaltungsakte vom Gericht nicht aufgehoben wurden und nach Bestandskraft vollziehbar sind.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO. Der beigeladene Markt hat sich nicht durch eine Antragstellung in ein Kostenrisiko begeben, sodass es nicht der Billigkeit entspricht seine außergerichtlichen Kosten den unterlegenen Klägern aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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