Baurecht

Rücksichtnahme, nicht-öffenbare Fenster, Immissionsort nach TA-Lärm, an Gewerbe heranrückende Wohnbebauung

Aktenzeichen  M 9 SN 22.167

Datum:
31.1.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2315
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5
6.1 TA-Lärm
BauGB § 35 Abs. 2, 3 Nr. 3
BauGB § 1

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 13. Januar 2021 (M 9 K 21.172) gegen die Baugenehmigung vom 21. Dezember 2020 in Gestalt der Änderungsgenehmigung vom 1. Dezember 2021 wird angeordnet.
II. Der Antragsgegner und die Beigeladene zu 1) tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird auf 3750,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die der Beigeladenen zu 1) erteilte Baugenehmigung für den Neubau einer Wohnanlage auf dem Grundstück Fl.Nr. 165/14 (Gemarkung H.).
Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Gewerbegrundstücks (Fl.Nr. 165/17), das im Süden an das Vorhabengrundstück angrenzt. Das Grundstück der Antragstellerin liegt in einem faktischen Gewerbegebiet und wird gewerblich als Lager, Büro und Werkstatt genutzt. Ausweislich der Antragsbegründung wurde mit Baugenehmigung vom 14. April 1976 dafür eine Baugenehmigung erteilt und ein einzuhaltender Immissionsrichtwert von 60 dB(A) tags und 45 dB(A) nachts festgesetzt.
Das Vorhabengrundstück (Fl.Nr. 165/14) befindet sich im Geltungsbereich des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 25/H „für das Gebiet östlich der W. Straße, südlich der F2. Straße“ der beigeladenen Gemeinde, der seit dem 17. Dezember 2020 in Kraft ist. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan setzt ein allgemeines Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO fest, beschränkt auf die Nutzung im Durchführungs- und städtebaulichen Vertrag (textliche Festsetzung A.2). Detailliert festgesetzt sind 4 Wohngebäude mit 74 Wohneinheiten und 2 Büroeinheiten sowie Stellplätze, Tiefgarage und eine Erschließungsstichstraße. Die textlichen Festsetzungen enthalten unter „A 7“ umfangreiche Immissionsschutzfestsetzungen hinsichtlich des Schalldämmmaßes, der Lüftung, der Fenster, des Schallschutzes der Außenanlage und der schallabsorbierenden Fassaden. In der Begründung zum Bebauungsplan wird ausgeführt, dass Anlass der Planung die brachliegende Fläche zwischen dem Gewerbegebiet im Süden und dem reinen Wohngebiet im Norden war. Ziel sei die Schaffung von Wohnraum mit preisreduziertem Wohnungsbau und die Schaffung eines Übergangsbereichs zwischen dem Gewerbe im Süden und dem Wohnen im Norden. Das Konzept sei ein entsprechender baustruktureller Puffer zwischen den beiden Nutzungsarten durch eine offene Bauweise mit der Zulässigkeit von Baukörpern mit einer Länge von über 50 m, der Festsetzung von vier Bauräumen, Laubengängen mit Eingangstüren im Norden, Flachdach, Vermeidung von Immissionsorten an der Nordseite durch Lüftungseinrichtungen vor Schlafräumen und Fenstern, die außer zu Reinigungszwecken nicht öffenbar seien und Schallschutz für die Terrassen im Erdgeschoss. Im Bebauungsplanverfahren wurden umfangreiche Einwendungen – auch durch die Antragstellerseite – vorgetragen. Das Ergebnis der Abwägung findet sich im Beschluss des Gemeinderates vom 8. Dezember 2020 (Bd. 2, Behördenakte – BA – S. 62 ff.). Hinsichtlich der fehlenden Bestimmtheit ist darin ausgeführt: Eine Variationsbreite und Flexibilisierung der Nutzung bei Änderung des Durchführungsvertrages, an den die Nutzung gekoppelt ist, solle ermöglicht werden, z.B. mehr Büronutzung. Die Fenster an der Nordseite seien keine Immissionsorte im Sinne der TA-Lärm, da die Nichtöffenbarkeit – außer zu Reinigungszwecken – angeordnet sei. Die Terrassentüren seien eine zweite Eingangstür und nicht mit Fenstern vergleichbar. Eine Lüftungsmöglichkeit bestehe sowohl im Norden wie im Süden durch Belüftungsvorrichtungen. Der beurkundete durchführungs- und städtebauliche Vertrag vom 6. Oktober 2020 (Bd. 1 BA, S. 337) sieht ebenfalls für Wohngebäude, 74 Wohneinheiten, 2 Büroeinheiten sowie Stellplätze, Tiefgarage und eine Stichstraße vor und verpflichtet zur Vorlage eines Bauantrages und Baubeginn binnen 6 Monate nach Bestandskraft der Baugenehmigung sowie zu im Einzelnen unter § 6 festgelegten Schallschutzmaßnahmen. 30% der Zwei- und Drei-Raum-Wohnungen seien mit Bindungswirkung für 30 Jahre Sozialwohnungen und die Marktmiete werde zum Zeitpunkt des Erstbezugs um 2,50 EUR/m² reduziert.
In einem früheren Verfahren (M 9 K 17.2855) wurde durch die Kammer im Rahmen eines Augenscheins die protokollierte Feststellung getroffen, dass es sich bei dem Grundstück um ein Außenbereichsgrundstück handelt. Im Norden des Vorhabengrundstücks grenzt ein faktisches reines Wohngebiet, daran anschließend die Bahnstrecke an. Westlich – im Abstand von 150 m zum Vorhabengrundstück – verläuft die Bundesautobahn A 99. An der Schmalseite im Osten ist Gewerbebebauung und im Süden grenzt das faktische Gewerbegebiet, unter anderem mit dem Grundstück der Antragstellerin, an das Vorhabengrundstück an.
Im Bebauungsplan- und im Baugenehmigungsverfahren wurden mehrere schalltechnische Untersuchungen vorgelegt:
Im Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans wurde eine schalltechnische Untersuchung des Ingenieurbüros Steger vom 28. Januar 2020 mit einer Ergänzung vom 22. Juni 2020 erstellt. Maßgeblich seien für das geplante Baugebiet die Orientierungswerte der DIN 18005/12. für ein Mischgebiet von 60 dB(A) tags und 50 dB(A) nachts als Planungszielwert. Auf das Vorhabengrundstück, für das durch den Bebauungsplan ein allgemeines Wohngebiet festgesetzt werden solle, wirkten Geräusche aus allen vier Richtungen ein. Im Süden befinde sich ein ausgedehntes Gewerbegebiet. Deshalb sei planerisch von einer Gemengelage nach Nr. 6.7. TA-Lärm zwischen dem faktischen Gewerbegebiet im Süden und dem allgemeinen Wohngebiet auf dem Vorhabengrundstück auszugehen. Die Autobahn führe ca. 300 m westlich am Planungsgebiet vorbei. Der 4-spurige Ausbau der Autobahn sei zum Teil bereits planfestgestellt, auf Höhe des Bauvorhabens jedoch noch nicht vorhanden. Auszugehen sei nach den zugrundeliegenden Prognosen von 70.000 Fahrzeugen in 24 Stunden bei einem LKW-Anteil von 26%. Im Osten bestehe ein durch Bebauungsplan festgesetztes Gewerbegebiet. Im Norden grenze an das Vorhabengrundstück Wohnbebauung und verlaufe die Bahntrasse. Die bestehende Wohnbebauung sei als faktisches reines Wohngebiet zu bewerten, für das aktuell ebenfalls eine Gemengelage nach 6.7 TA-Lärm bestehe, weil das Wohngebiet an das noch unbebaute Vorhabengrundstück als Außenbereichsgrundstück angrenze und durch den Lärm des Gewerbegebiets belastet sei. Ohne den Neubau werde dort der zulässige Summenpegel von 55 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts durch das Gewerbe im Norden mit einem Beurteilungspegel von 57 dB(A) überschritten; dies sei wegen der aktuell bestehenden Gemengelage bei typisierender Betrachtung hinzunehmen. Für die Bahnstrecke im Norden gehe die Prognose für 2030 von 213 Zügen tags und 57 Zügen nachts aus. Für Verkehrswege sei nach der DIN 18005/12 eine Erhöhung des Orientierungswerts von 5 dB(A) über dem Planungszielwert bei Nacht zulässig. Dies bedeute hier für das Vorhabengrundstück eine Erhöhung der wegen der Gemengelage anzunehmenden Mischgebietswerte von 45 dB(A) bei Nacht auf 50 dB(A). Auf den Schienenbonus von 5 dB(A) bei der Lärmbewertung des Schienenverkehrs im Norden durch die Bahntrasse werde verzichtet. Zur Sicherstellung gesunder Wohnverhältnisse – insbesondere bei Nacht – seien im Hinblick auf die Geräusche von Autobahn, Bahn und Gewerbe bauliche Schallschutzmaßnahmen erforderlich, da der Gesamtbeurteilungspegel nachts überschritten werde. Geräuschreflexionen führten auch zu einer Erhöhung für den Wohnbestand des im Norden angrenzenden Wohngebiets um 0,2 dB(A) bis 3,2 dB(A). An der Südseite werde als Geräuschbelastung durch das Gewerbe an der geplanten Wohnbebauung ein Immissionswert von 65 dB(A) tags und 50 dB(A) nachts zugrunde gelegt und damit der zulässige Immissionsgrenzwert um 10 dB(A) überschritten. Insgesamt seien umfangreiche Schallschutzmaßnahmen als architektonische Selbsthilfe erforderlich (Nr.8, S. 28 des Gutachtens v.28.1.2020). Die geplanten Wohngebäude dürften keine zu öffnenden Fenster haben oder Vorbauten, die eine Lärmminderung von 10 dB(A) zur Einhaltung der Immissionsgrenzwerte von 55 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts am maßgeblichen Immissionsort des dahinter zu öffnenden Fenster sicherstellten. Terrassen im Erdgeschoss seien nur an der Südostseite zulässig und durch eine Lärmschutzwand in Höhe von mindestens 2,20 m zu schützen. Die Innenseite müsse schallabsorbierend sein. Dies führe zu einer Pegelminderung von 5 dB(A) für eine sitzende Person und begrenze den Gewerbelärm aus Süden auf maximal 60 dB(A); der durch die Autobahn verursachte Lärm auf den Terrassen liege unter 60 dB(A). Schlafräume benötigten eine Belüftungseinrichtung. Wenn diese Maßnahmen umgesetzt seien, sei ein Wohnen unter Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse im Bebauungsplangebiet möglich. wegen der Einzelheiten wird auf die Schallschutzgutachten verwiesen.
Das Ingenieurbüro Greiner hat mit einem Schallgutachten vom 12. Februar 2020 (Bd. I BA, S. 107 ff.) dazu Stellung genommen. Die Annahme einer Geräuschbelastung durch das Gewerbe im Süden an der geplanten Wohnbebauung von 65 dB(A) tags und 50 dB(A) nachts sei zutreffend. Dies führe zu einer Überschreitung von 10 dB(A) an den Neubau-Immissionsorten. Die vorgeschlagenen Schallschutzmaßnahmen seien jedoch nicht geeignet und nicht ausreichend zu einer dauerhaften Lösung des Immissionskonfliktes. Eine Öffnung der Fenster zu Reinigungszwecken sei ungeeignet, da dies nutzerabhängig sei. Die Terrassenbereiche seien bei nicht öffenbaren Türen und Fenstern nicht betretbar und wenn die Terrassentür geöffnet werden könne, bestehe im Innenraum kein Schallschutz in Höhe der erforderlichen 10 dB(A). Die Regelungen über Vorbauten/Laubengänge seien nicht hinreichend bestimmt, da Festlegungen bezüglich der einzuhaltenden 55 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts vor den Fenstern von Aufenthaltsräumen fehlten.
Im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Verfahren hat der Technische Umweltschutz des Landratsamtes am 25. Januar 2022 Stellung genommen. Unter der Maßgabe, dass die Fenster überhaupt nicht zu öffnen seien, läge kein Nachweis schädlicher Umwelteinwirkungen durch Lärm vor. Mangels eines Immissionortes fehle es deshalb auch an einem Eingriff in die Emissionsrechte des Bestandsgewerbes im Süden. Die durch das Bauvorhaben heranrückende Wohnbebauung rechtfertige deshalb nicht die Besorgnis einer Nutzungseinschränkung des Gewerbes.
Die beigeladene Bauherrin beantragte bereits vor Inkrafttreten des Bebauungsplans am 15. Juni 2020 die bauaufsichtliche Genehmigung für den Neubau einer Wohnanlage für 74 Wohneinheiten in 4 Gebäuden sowie 2 Gewerbeeinheiten mit Büros, Flachdach und 3 Geschosse sowie Tiefgarage entsprechend den Festsetzungen des vorhabenbezogenen Bebauungsplans Nr. 25 H. Die beigeladene Gemeinde hat mit Inkrafttreten des Bebauungsplans Nr. 25 H am 17. Dezember 2020 ihr Einvernehmen erteilt.
Mit Bescheid vom 21. Dezember 2020 erteilte der Beklagte die beantragte Baugenehmigung und aufgrund eines Änderungsantrages vom 14. September 2021, der vor allem Baumaterial, Umplanung der Innenräume und die Freiflächen betraf, am 1. Dezember 2021 die Tekturgenehmigung. Beauflagt wurden in der Tekturgenehmigung die Schallschutzanforderungen des Bebauungsplans (Nr. 3.1 Auflagen). Unter Nr.3.1.1 wird angeordnet, dass mit Ausnahme der Nord-West-Fassaden (Fassaden zur Erschließungsstraße) an allen Fassaden der Gebäude vor schutzbedürftigen Aufenthaltsräumen nach DIN 4109 nur nicht-öffenbare Fenster (auch nicht zu Reinigungszwecken öffenbar) zulässig sind und dass dies nicht gilt, soweit die Fenster gemäß der Konstruktionsdarstellung „.330.010“ (Fensterdetail mit Schallschutzverglasung)“ vom 20. Juni 2020 hergestellt werden. Unter Nr.3.1.2 wird angeordnet, dass die Lärmschutzwände entlang der in den Bauvorlagen gekennzeichneten Terrassen in den, dem Außenwohnbereich zugewandten Seiten jeweils schallabsorbierend auszubilden seien. Unter Nr.3.1.3 wird bestimmt, dass die in den Bauvorlagen „Ansicht Süd“ dargestellten Zugangstüren in den Süd-West-Fassaden der Gebäude nur als von beiden Seiten aus verschließbaren Wohnungs- bzw. Hauseingangstüren gemäß der Konstruktionsdarstellung „D.330.011 (Fensterdetail E00 mit Schallschutzverglasung und Haustür)“ vom 20. Juni 2020 zulässig sind. Nrn 3.1.4 und 3.1.5 betreffen die schallabsorbierende Ausgestaltung der Treppenwand Nordfassade, wie in den Bauvorlagen dargestellt. Unter Nr.3.1.6 ist bestimmt, dass die Außenwände gemäß dem Plan „D.3330.040“ (Details Schallabsorptions-Elemente Außenwände)“ auszubilden sind.
Wegen der Einzelheiten dieser Auflagen, die exakt dem Inhalt der Lärmschutzfestsetzungen unter den textlichen Festsetzungen A.7 des Bebauungsplanes entsprechen, wird auf den Bescheid und die entsprechenden genehmigten Baupläne verwiesen.
Durch die Festsetzung der Auflagen werde sichergestellt, dass die Schallschutzanforderungen aus dem Bebauungsplan Nr. 25 H vom 17. Dezember 2020 eingehalten werden. Bei einem Vorhaben- und Erschließungsplan, der – wie vorliegend – einen hohen Detaillierungsgrad aufweise, bleibe für einen Konflikttransfer in der Umsetzungsphase kein Raum, da die Abwägung umfassend auf der Ebene des Bebauungsplanes stattgefunden habe.
Der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 13. Januar 2021, erweitert am 3. Januar 2022 Klage erhoben (M 9 K 21.172) und am 3. Januar 2022 gemäß § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO beantragt,
Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 13. Januar 2021/ 3. Januar 2022 gegen die Baugenehmigung vom 21. Dezember 2020 und die Änderungsgenehmigung vom 1. Dezember 2020 anzuordnen.
Auf die Klagebegründung vom 21. April 2021 werde umfänglich Bezug genommen. Die Änderungsgenehmigung sei mit Schreiben vom 3. Januar 2022 einbezogen worden. Mängel des Bebauungsplanes seien mit Schreiben vom 16. Dezember 2021 gegenüber der Gemeinde gerügt und ein Normenkontrollantrag sei anhängig (2 N 21.3109). Der Baubeginn sei zum 15. November 2021 angezeigt worden. Bereits in einem früheren Verfahren der Kammer (M 9 K 17.2855) sei nach einem Lärmgutachten des Ingenieurbüros „Steger“ vom 2. Dezember 2016 festgestellt worden, dass wegen des Lärms aus allen Richtungen ein Immissionswert von 54 dB(A) nachts für das Vorhabengrundstück bestehe. Der Bebauungsplan sei rechtsfehlerhaft, da tatsächlich ein reines Wohngebiet geplant worden sei. Er sei wegen der Verweisung auf den Durchführungsvertrag unbestimmt, da nicht erkennbar sei, welche Nutzungen zulässig seien. Es läge ein Verstoß gegen den Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG bei der Zuordnung der Gebietsarten vor, da ein Wohngebiet neben einem Gewerbegebiet geplant werde. Das Schallschutzkonzept sei in sich unstimmig, da sowohl die Terrassentüren als auch die Fenster zu öffnen seien und es sich deshalb um einen Immissionsort handele; die Reduzierung um 10 dB(A) sei deshalb auch nicht zu erreichen. Gesunde Wohnverhältnisse (§ 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB) seien nicht gewährleistet, da Fenster, die zu öffnen seien, regelmäßig zum Wohnen gehörten. Es handele sich um eine „Gefälligkeitsplanung“, da die Planung nicht erforderlich sei und als Folge der Gemengelage zu einer städtebaulichen Unordnung führe. Das Gebot der Rücksichtnahme sei verletzt, da die Belange der Gewerbebetriebe nicht berücksichtigt seien (§ 1 Abs. 8 BauGB) und da die Gewerbeausübung eingeschränkt werde. Die Grenzwerte der TA-Lärm für ein allgemeines Wohngebiet könnten am Bauort nicht eingehalten werden.
Das Landratsamt nahm am 27. Januar 2022 Stellung und beantragte,
Antragsablehnung.
Das Vorhaben entspräche umfassend den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 25 H. Da unterschiedliche Gebiete aneinandergrenzten, bestehe kein Gebietserhaltungsanspruch. Wegen der geplanten Büroeinheiten läge von vornherein keine Festsetzung als reines Wohngebiet vor, da diese nur im allgemeinen Wohngebiet und dort nur als Ausnahme zulässig seien. Wegen der vorhabenbezogenen und detaillierten Festlegungen läge kein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und die Normenklarheit vor. Das Gebot der Rücksichtnahme werde nicht verletzt, da die Geräuschkonflikte durch das Lärmschutzkonzept ausgeschlossen seien. An der Südseite – Richtung Gewerbe – gebe es keine Immissionsorte, da die Fenster nicht zu öffnen seien. Ein Konflikttransfer in der Umsetzungsphase sei ausgeschlossen, da das Vorhaben auf der Grundlage des Abwägungskonzeptes der Gemeinde im Bebauungsplanverfahren lückenlos konkretisiert und detailgenau festgelegt worden sei. Die Anforderungen an einen ausreichenden Immissionsschutz seien durch die Gutachten des Ingenieurbüros Steger und die Nebenbestimmungen im Tekturbescheid, insbesondere in Auflage Nr. 3.1.1 erbracht worden; dort sei auch festgeschrieben, dass alle Fenster nicht-öffenbar seien dürfen, auch nicht zu Reinigungszwecken. Als Anlage war die Stellungnahme des Technischen Umweltschutzes vom 25. Januar 2022 beigefügt.
Der Prozessbevollmächtigte des beigeladenen Bauherrn beantragte mit Schriftsatz vom 26. Januar 2022:
Antragsablehnung.
Auf die Stellungnahme im Klageverfahren werde verwiesen. Die Nord-West-Fassaden Richtung Autobahn und Bahn würden schallabsorbierend hergestellt. Die Fassaden seien ohne Immissionsorte, da die Fenster nicht öffenbar seien und auch die Fenster mit einer vorgesetzten Schallschutzkonstruktion keine Immissionsorte seien, da diese Schallschutzkonstruktion ebenfalls nur zu Reinigungszwecken geöffneten werden könnte. Die Schlafräume erhielten schallgedämmte Belüftungseinrichtungen. Im Übrigen sei ein uneingeschränkt imitierendes Gewerbe (65 dB(A) tags) und 50 dB(A) nachts) zugrunde gelegt worden. Unerheblich sei die Wirksamkeit des Bebauungsplanes. Es gebe keinen Gebietswahrungsanspruch. Der Bebauungsplan enthalte keine nachbarschützenden Regelungen. Es gebe keine Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten der Gewerbebetriebe, die über das hinausgehe, was jetzt schon gegenüber der störempfindlichen Bebauung im bereits vorhandenen Wohngebiet einzuhalten sei. Die Fenster und die Terrassentüren im Erdgeschoss führten deshalb zu keiner weiteren Einschränkung der Gewerbenutzung wegen einer heranrückenden Wohnbebauung. Die Konstruktion von öffenbaren Fenstern hinter einem schallreduzierenden Vorbau sei ausreichend, um eine Minderung von 10 dB(A) zu erreichen. Deshalb sei es im Ergebnis unerheblich, ob es sich dort um einen Immissionsort handele oder nicht. Die Terrassentüren seien von ihrer Funktion und Konstruktion her Eingangstüren und nicht mit Fenstern vergleichbar. Die Terrassen selber seien als Außenwohnbereich weniger geschützt die gesunden Wohnverhältnisse seien hier bei der erreichbaren Einhaltung von Immissionsgrenzwerten unter 60 dB(A) gewahrt; erst ab einem Dauerschallpegel von 62 dB(A) bzw. 64 dB(A) lägen nach der Rechtsprechung keine gesunden Wohnverhältnisse mehr vor. Die bestehende Wohnbebauung sei bei Annahme einer Gemengelage ein allgemeines Wohngebiet und die Immissionsrichtwerte seien dort bereits jetzt überschritten. Wenn der Bebauungsplan unwirksam sei, bestehe für den Antrag eine Präklusionswirkung nach § 6 UmwRG, da die Frist von 10 Wochen nicht eingehalten worden sei und eine Baugenehmigung zu den Entscheidungen nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG gehöre. Im Übrigen füge sich das Vorhaben im Sinne des Rücksichtnahmegebotes ein, da der Gewerbebetrieb der Antragstellerin nicht eingeschränkt werde. Das Entstehen einer (weiteren) Gemengelage durch den Neubau als Wohnen, angrenzend an Gewerbe, führe dazu, dass ein Immissionsgrenzwert von 57 dB(A), der an der Südfassade des Neubaus entstehe, angemessen sei. Ausweislich des Gutachtens des Ingenieurbüros Steger vom 28. Januar 2020, Nr. 4.3, seien an den Südfassaden der Bestandswohnbebauung bereits jetzt ein Immissionsrichtwert von 55 dB(A) tags und 40 dB(A) nachts einzuhalten, der von dem im Süden vorhandenen Gewerbe des Antragstellers nicht überschritten werden dürfe. Am Nordrand der Gewerbegrundstücke betrage der Immissionsrichtwert bereits 60 dB(A) und innerhalb der Gewerbeflächen 63 dB(A) – 64 dB(A). Die zulässigen 55 dB(A) tags an den Südfassaden der Bestandswohnungen seien eingehalten. auch an der Südfassade des geplanten Neubaus betrage nach den Berechnungen der Immissionsgrenzwert 57 dB(A) und dies sei angemessen. Bei der Planung werde vorsichtshalber an der Südfassade der geplanten Wohnhäuser von 65 dB(A) tags als „Worst case“ ausgegangen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogene Behördenakte sowie die Akten des Bebauungsplanverfahrens Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag hat Erfolg.
Im Rahmen eines Eilverfahrens nach § 80a Abs. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht der Hauptsache aufgrund der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechen höher zu bewerten sind als diejenigen, die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streiten. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Sie sind ein wesentliches, jedoch nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Dabei können Nachbarn – wie hier die Antragstellerin – sich als Dritte im Verfahren nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO grundsätzlich nur dann mit Aussicht auf Erfolg gegen eine Baugenehmigung zur Wehr setzen, wenn sie sich auf die Verletzung einer Norm berufen können, die gerade ihrem Schutz zu dienen bestimmt ist. Wenn der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf nach der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein wird, kommt regelmäßig nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben, ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrags. Sind die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt.
Da im vorliegenden Fall die Erfolgsaussichten nach Prüfung der Aktenlage und unter Berücksichtigung der Stellungnahmen der Beteiligten offen sind, war eine Abwägung unter Berücksichtigung der Interessen der Bauherrin und der Antragstellerin als Nachbarin vorzunehmen. Diese nach pflichtgemäßem Ermessen vorzunehmende Entscheidung des Gerichts führt zu dem Ergebnis, dass die Interessen der Antragstellerin daran, durch die geplante Wohnanlage nicht in ihren Nutzungsmöglichkeiten als Gewerbetrieb beschränkt zu werden, die Interessen der Bauherrin an einem raschen Baubeginn überwiegen. Aus den folgenden Gründen war eine umfassende Prüfung im Eilverfahren nicht möglich und ist im Hauptsacheverfahren vorzunehmen:
1. Der vorhabenbezogene Bebauungsplan der beigeladenen Gemeinde, der durch das Gericht im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens inzident geprüft wird, ist voraussichtlich rechtswidrig.
Nach summarischer Prüfung bestehen Mängel in der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB, da die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt wurde (Abwägungsfehleinschätzung) und der als Abwägungsergebnis vorgenommene Ausgleich zwischen den Belangen zur jeweils objektiven Gewichtigkeit des einzelnen Belangs außer Verhältnis steht (Abwägungsdisproportionalität). Da Betroffene ein subjektives Recht auf eine gerechte Abwägungsentscheidung haben (Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand: 8/2021, § 40 Rn. 207), bestehen hier offensichtliche gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass dieses Recht auf gerechte Abwägung durch den vorhabenbezogenen Bebauungsplan verletzt wurde. Das Vorhabengrundstück ist von allen Seiten erheblichen Lärmimmissionen ausgesetzt und bildet nach dem Ergebnis eines früheren Augenscheins der Kammer als riegelförmige Grünfläche eine Pufferzone zwischen dem Gewerbe im Süden und dem Wohngebiet im Norden. Durch die Ausweisung eines allgemeinen Wohngebiets mit 4 Mehrfamilienhäusern und 2 Büroeinheiten in einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan werden das vorhandene Gewerbegebiet im Süden, das vorhandene Wohngebiet im Norden und die Wohnnutzung im neu geschaffenen Gebiet durch vorhandene und neu entstehende Nutzungskonflikte sowie Lärmimmissionen belastet. Die Bedeutung dieser Belange für die jeweils Betroffenen wurde offensichtlich falsch eingeschätzt und der im Bebauungsplan festgesetzte Ausgleich berücksichtigt bei der Entscheidung dafür, dass die gewerbliche Wohnungsvermietung durch einen Privaten Vorrang vor dem Immissionsschutz hat übersieht die objektive Gewichtigkeit der Belange.
Der vorhabenbezogene Bebauungsplan verstößt mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auch gegen den Grundsatz der angemessenen Konfliktbewältigung zwischen der Wahrung gesunder Wohnverhältnisse und einer Beeinträchtigung des Gewerbes durch die heranrückende Wohnbebauung (vgl. zu diesem Grundsatz Runkel in: EZBK/Söfker, 143. EL August 2021, BauGB § 1 Rn. 215 ff.). Ausweislich der Akten ist die beigeladene Gemeinde bei der Aufstellung des Bebauungsplanes davon ausgegangen, dass es an der Südseite der Wohngebäude, die an das Gewerbegrundstück des Antragstellers angrenzen, keinen Immissionsort gibt. Tatsächlich bestehen dort nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes Immissionsorte. Der Bebauungsplan setzt fest, dass die Fenster im Norden und die Schallschutzverglasung im Süden zu Reinigungszwecken geöffnet werden können. Da der Bebauungsplan damit den Lärmschutz benutzerabhängig gestaltet, liegt an der Südfassade nach den Bebauungsplanfestsetzungen ein Immissionsort vor. Dies zeigt, dass der Bebauungsplan im Ergebnis das Lärmproblem nicht unter Berücksichtigung der Interessen des angrenzenden Gewerbebetriebs der Antragstellerin bewältigt hat. Die beigeladene Gemeinde hat noch im Planaufstellungsverfahren entsprechende Einwände mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Terrassentüren und die an der Nordseite ebenfalls zu öffnenden Fenster keine Immissionsorte seien (Bd. 2 Aufstellungsakte, S. 62 Rückseite). Der Vortrag, bei den Terrassentüren im Erdgeschoss handele es sich wegen der Konstruktion um eine zweite Eingangstür ist falsch und von der Funktion her nicht nachvollziehbar, da die Terrassentüren in einen mit einer Lärmschutzwand eingezäunten Terrassen- und Gartenbereich führen und nicht auf die Straße. Der Lärmkonflikt für diese Bereiche wurde somit nicht umfassend zu einem Ausgleich gebracht, sondern nur in teilweiser nicht nachvollziehbarer Weise das Fehlen eines Immissionsorts begründet. (vgl. zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer sachgerechten Problembewältigung bei Lärmbeeinträchtigungen im Rahmen der Bauleitplanung VGH BW, U.v. 24.7.2015 – 8 S 538/12 – juris Rn. 37). Es ist zudem nach summarischer Prüfung derzeit nicht erkennbar, wie dieser Konflikt im Baugenehmigungsverfahren sachgerecht gelöst werden könnte.
Des Weiteren ist hier offensichtlich der Trennungsgrundsatz des § 50 BImSchG nicht hinreichend durch den Bebauungsplan bewältigt worden. Ein elementares Prinzip städtebaulicher Planung ist die zweckmäßige Zuordnung von unverträglichen Nutzungen, sodass schädliche Umwelteinwirkungen auf Wohngebiete soweit wie möglich bei Neuplanungen vermieden werden und umgekehrt (BVerwG, B.v. 22.6.2006 – 4 BN 17.06). Dies ist hier nicht geschehen. Die Schaffung von Wohnraum auf einem Grünzug, der an vier Seiten erheblich lärmbelastet ist und aktuell eine riegelförmige Grünfläche zwischen Gewerbe und Wohnen ist, stellt eine unverträgliche Nutzung dar. Bereits die Tatsache, dass der Bebauungsplan überwiegend kleine Appartements mit ca.30 m² für eine bzw. etwa 50 m² für zwei Personen festsetzt, die keine Fenster haben, die geöffnet werden können, führt zu erheblichen Zweifeln an der Einschätzung, dass damit ein dringender Wohnraumbedarf für Geringverdiener geschaffen wird, der einen eventuellen Entzug von Nutzungsmöglichkeiten des Gewerbes rechtfertigt. Kleine Appartements mit Duschkabine und Fenstern, die nicht geöffnet werden können, sind typisch für eine gewerbliche Nutzung als Hotel oder Boardinghouse und damit eine gewerbliche Nutzung. Auch Wohnräume für Geringverdiener haben typischerweise Fenster, die geöffnet werden können. Eine Planung, die dies ausschließt, damit gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben können, verkennt dies. Der damit verbundene Entzug von Nutzungsmöglichkeiten für das angrenzende Gewerbe wegen eines dringenden Bedarfs an Wohnraum ist wenig überzeugend, wenn dieser Wohnraum augenscheinlich für eine Wohnnutzung auf Dauer nicht geeignet ist.
Bedenken gegen den Bebauungsplan bestehen auch im Hinblick auf § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB, wonach gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewährleistet sein müssen. Ob fest verschlossene, künstlich belüftete Wohnräume den Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse im vorliegenden Einzelfall entsprechen, kann dahingestellt bleiben. Der Bebauungsplan lässt – vom Willen der Nutzer abhängig – zu, dass die Fenster nach Norden und Süden geöffnet werden können; die entsprechende Festsetzung, dass dies nur zu Reinigungszwecken geschehen darf, ist für die Bewohner nicht verbindlich. Für die Terrassentüren im Erdgeschoss gilt dies ebenfalls.
2. Das genehmigte Bauvorhaben befindet sich im Außenbereich, § 35 BauGB, da der der Baugenehmigung zugrundeliegende vorhabensbezogene Bebauungsplan für nach vorläufiger Rechtsauffassung der Kammer unwirksam ist. Nach den Feststellungen bei einem früheren Augenschein der Kammer handelt es sich um ein Außenbereichsgrundstück. Wegen der Größe erfüllt es nicht die Voraussetzungen für eine Baulücke im Innenbereich, § 34 BauGB. Unter Berücksichtigung dessen, dass es sich um einen langgestreckten Grünzug zwischen einem Gewerbegebiet und einem Wohngebiet handelt, gehört das Vorhabengrundstück von der Gebietsart her weder zum Gewerbegebiet im Süden noch zu dem Wohngebiet im Norden.
Die von der beigeladenen Bauherrin geplante Wohnanlage ist danach als sonstiges Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB zu bewerten, für das das nachbarschützende Rücksichtnahmegebot in § 35 Abs. 3 Nr.3 BauGB enthalten ist. Wegen der Besonderheit eines alle Einzelheiten regelnden vorhabenbezogenen Bebauungsplans hat eine bauaufsichtliche Prüfung des Bauvorhabens nicht stattgefunden
3. Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage war wegen der nicht auszuschließenden Verletzung des nachbarschützenden Gebots der Rücksichtnahme, das für Außenbereichsvorhaben in § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB enthaltenen ist, anzuordnen. Der Antragsteller hat eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots durch die an seinen Gewerbebetrieb heranrückende Wohnbebauung wegen der Lärmimissionen geltend gemacht. Eine abschließende Prüfung muss wegen der Komplexität dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Eine heranrückende Wohnbebauung mit ihrer immissionsempfindlichen Nutzung verletzt gegenüber einem bestehenden emittierenden Betrieb das Gebot der Rücksichtnahme, wenn ihr Hinzutreten die rechtlichen emissionsbezogenen Rahmenbedingungen gegenüber den vorher gegebenen Lage verschlechtert. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Betrieb aufgrund der hinzutretenden Wohnbebauung mit nachträglichen immissionsschutzrechtlichen Auflagen rechnen muss oder an einer angemessenen Erweiterung dadurch gehindert wird (BayVGH, B.v. 23.2.2021 – 15 CS 21.403). Das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme hat drittschützende Wirkung, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Wenn – wie hier – ein Rücksichtnahmeverstoß aufgrund von einer Verschlechterung der immissionsbezogenen Rahmenbedingungen geltend gemacht wird, muss eine Überprüfung anhand der Maßstäbe des Immissionsschutzrechtes unter Berücksichtigung schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1, § 22 Abs. 1 BImSchG geprüft werden, wobei grundsätzlich auch der Gesichtspunkt der architektonischen Selbsthilfe zu berücksichtigen ist (BayVGH a.a.O.). Im hier eröffneten Geltungsbereich der TA-Lärm gilt, dass der maßgebliche Immissionsort 0,50 m außerhalb und in Höhe der Mitte des geöffneten Fensters des von dem Lärm am stärksten betroffenen schutzwürdigen Raumes liegt. Dies setzt voraus, dass es Fenster gibt, die zu öffnen sind (BVerwG, U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11). Im vorliegenden Fall bestehen trotz der entsprechenden Auflage im Tekturbescheid erhebliche Zweifel daran, ob diese Voraussetzung hier vorliegt. Ausweislich der Pläne gibt es im Erdgeschoss Terrassentüren, die ihrem Zweck entsprechend geöffnet werden können und die – anders als Haustüren – in einen durch eine mindestens 2,20 m hohe Lärmschutzwand eingezäunten Terrassen- und Gartenbereich führen. Terrassentüren sind üblicherweise bei Wärme offen und damit für die Erdgeschosswohnungen ein maßgeblicher Immissionsort nach der TA-Lärm. Das im Bebauungsplanverfahren vorgelegte Schallschutzgutachten führt dazu nur aus, dass durch die Schallschutzwand die Gärten und die Terrassen der Erdgeschosswohnungen einer um 5 dB(A) geminderte Lärmimmission ausgesetzt sind; eine Prüfung unter Berücksichtigung des nach Nr. A.1.3 a des Anhangs zur TA-Lärm maßgeblichen Immissionsortes ist – soweit erkennbar – nicht durchgeführt worden.
Offen und einer umfassenden Prüfung im Hauptsacheverfahren vorbehalten ist auch, ob die Konstruktion von Fenstern, die überhaupt nicht bzw. nur hinter einem nicht öffenbaren Fenstervorbau geöffnet werden können, sicherstellt, dass ein ausreichender Lärmschutz für die dahinterliegenden Räume besteht und daher keine Beeinträchtigung des Gewerbebetriebes der Antragstellerin durch die heranrückende Wohnbebauung zu befürchten ist. In diesem Zusammenhang ist auch zu klären, ob es sich bei der genehmigten Planung tatsächlich um eine rechtlich zulässige Wohnnutzung handelt, da unter Berücksichtigung der Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse eine dem Wohnbegriff genügende Belüftung fraglich ist. Eine architektonische Selbsthilfe durch Fenster, die nicht geöffnet werden können, ist zwar grundsätzlich geeignet, bestehende Lärmkonflikte sachgerecht zu lösen. Bei der Neuplanung gilt dieser Grundsatz allerdings nicht uneingeschränkt, da grundsätzlich ein Wohnen auf Dauer im Sinne eines Lebensmittelpunktes in einem wie hier kleinstädtischen Bereich voraussetzt und begrifflich umfasst, dass Fenster geöffnet werden können. Auch diese Klärung ist maßgeblich dafür, ob das Gebot der Rücksichtnahme gegenüber dem angrenzenden Gewerbebetrieb der Antragstellerin eine Wohnnutzung auf dem benachbarten Vorhabengrundstück erlaubt. Gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse werden durch Art. 45 Abs. 2 Satz 1 BayBO konkretisiert, wonach Aufenthaltsräume eine ausreichende Belüftung haben müssen (OVG Lüneburg, U.v. 12.5.2021 – 1 LB 29/20 zu „fensterlosen Schlafräumen“). Ob eine Festsetzung passiver Schallschutzmaßnahmen für alle Fenster einer Wohneinheit durch nicht öffenbare Fenster und künstliche Belüftung diesen Anforderungen genügt, kann nicht im Eilverfahren abschließend geprüft werden; das Bundesverwaltungsgericht stellt dafür auch auf die Zumutbarkeit ab (BVerwG, B.v. 7.6.2012 – 4 BN 6.12).
Die hier vorzunehmende Interessenabwägung der nachbarrechtlichen Belange mit dem Vollzugsinteresse des Bauherren fällt aus diesen Gründen zugunsten der Antragstellerin aus. Die Interessen der Bauherrin treten wegen der Vielzahl rechtlicher Bedenken dahinter zurück. Dies ist für diese zumutbar, da nach den vorgelegten und genehmigten Bauplänen eine dauerhafte Wohnnutzung nach dem Zuschnitt der Appartements und der Ausstattung nicht zwingend und eine andere, gewerbliche Nutzung ohne wesentliche bauliche Veränderungen erfolgen kann. Insgesamt erinnert der Zuschnitt der Wohneinheiten an die Nutzung als Boardinghouse zum vorübergehenden Aufenthalt.
4. Ohne dass es hier im Rahmen eines nachbarrechtlichen Verfahrens entscheidungserheblich ist, wird darauf hingewiesen, dass nach Aktenlage und den Erkenntnissen der Kammer aus einem früheren Verfahren dem Vorhaben voraussichtlich bauplanungsrechtlich auch der – nichtnachbarschützende – öffentliche Belang des Planungsbedürfnisses entgegensteht. Dies folgt aus der Tatsache, dass wegen der riegelartigen Wirkung zwei dem Grundsatz nach schwierig zu vereinbarenden Nutzungen an einander angrenzen und planerisch dieser Konflikt bewältigt werden muss. Nach Aktenlage ist auch der öffentliche Belang des § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB betroffen, da das Wohnbauvorhaben selbst erheblichen schädlichen Umwelteinwirkungen wegen der Lärmbelastung ausgesetzt ist. Diese baurechtliche Prüfung hat bisher nicht stattgefunden.
Dem Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 VwGO stattzugeben. Die Beigeladene zu 1 hat einen erfolglosen Antrag gestellt, sodass ihr nach § 154 Abs. 3 VwGO die Hälfte der Kosten auferlegt werden. Im Übrigen entspricht es der Billigkeit, dass die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selber tragen, da nach der hier vorliegenden Konstellation einer Baugenehmigung auf der Grundlage eines detaillierten vorhabenbezogenen Bebauungsplanes keine davon unabhängige Prüfung und Entscheidung durch den Beklagten getroffen wurde. Die Beigeladene zu 2 hat außerdem keinen Antrag gestellt
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog.


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