Baurecht

Umfang der beitragspflichtigen Grundstücksfläche für Straßenausbaubeitrag

Aktenzeichen  6 ZB 15.787

Datum:
11.11.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 110062
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
KAG Art. 5
BauGB § 30 Abs. 1, § 131 Abs. 1 S. 1, Abs. 3, § 133 Abs. 1
BauNVO § 23

 

Leitsatz

1. Ein Buchgrundstück, das im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans nach § 30 Abs. 1 BauGB liegt, ist in der Regel mit seiner gesamten vom Bebauungsplan erfassten Fläche bei der Verteilung des umlagefähigen Ausbauaufwands zu berücksichtigen. (redaktioneller Leitsatz)
2. Öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen haben grundsätzlich selbst dann keinen Einfluss auf den Umfang der erschlossenen und deshalb bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigenden Grundstücksfläche, wenn sie die Ausschöpfung des für ein Grundstück bebauungsrechtlich zulässigen Maßes der baulichen Nutzung verhindern. (redaktioneller Leitsatz)
3. Wegen der Vorzüge der besseren Verwaltungspraktikabilität und damit auch der Kostenersparnis wird ein “vergröbernder” kombinierter Verteilungsmaßstab aus Größe der Grundstücksfläche mit Zuschlägen für Vollgeschosse von der Rechtsprechung gebilligt. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 3 K 14.01644 2015-02-12 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I.
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich eines Teils der streitgegenständlichen Vorauszahlung in Höhe von 245,39 Euro übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. Februar 2015 – AN 3 K 14.1644 – gegenstandlos geworden.
II.
Im Übrigen wird der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. Februar 2015 – AN 3 K 14.1644 – abgelehnt.
III.
Die Klägerin hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen.
IV.
Der Streitwert wird für das Antragsverfahren insgesamt auf 14.285,49 Euro festgesetzt.

Gründe

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend teilweise (in Höhe eines Betrages von 245,39 Euro) für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen und das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 12. Februar 2015 für gegenstandslos zu erklären (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO analog, § 173 VwGO, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO). Nach der im Rahmen des vorliegenden Antragsverfahrens erfolgten Neuberechnung der beitragspflichtigen Fläche des klägerischen Grundstücks durch die Beklagte unter Berücksichtigung einer hierauf festgesetzten öffentlichen Verkehrsfläche hat die Beklagte die streitgegenständliche erste Rate der Vorauszahlung auf den Beitrag für den Ausbau der Siedlungstraße von bisher 28.615,81 Euro auf 27.277,47 Euro ermäßigt. Von dieser neuen ersten Rate akzeptiert die Klägerin nach ihrer eigenen Berechnung einen Betrag i. H. v. 13.237,37 Euro, so dass nun noch ein Betrag in Höhe von 14.040,10 Euro (statt bisher 14.285,49 Euro) streitgegenständlich ist.
Der insoweit aufrecht erhaltene Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Denn die innerhalb der Begründungsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 VwGO liegen nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
1. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Solche ernstlichen Zweifel sind anzunehmen, wenn ein in der angegriffenen Entscheidung enthaltener einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B. v. 23.3.2007 – 1 BvR 2228/08 – BayVBl 2007, 624). Das ist hier nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass die überbaubare Grundstücksfläche entgegen der Auffassung der Klägerin bei der Berechnung des Ausbaubeitrags nicht maßstabsbildend sei, nachdem die Ausbaubeitragssatzung der Beklagten gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 den Flächeninhalt des Buchgrundstücks als heranzuziehende Grundstücksfläche bestimme. Dass auf dem Grundstück der Klägerin aufgrund der zu einer Begrenzung der Bebaubarkeit führenden Festsetzung von nur fünf Baufenstern möglicherweise die festgesetzte Grundflächenzahl von 0,4 nicht verwirklicht werden könne, führe daher nicht zu einer Reduzierung der beitragspflichtigen Fläche des klägerischen Grundstücks.
Dem hält die Klägerin ohne Erfolg entgegen, dass sich im vorliegenden Fall die Wirkung der Festsetzungen in dem Bebauungsplan nicht lediglich auf den Standort der auf dem Grundstück der Klägerin zulässigen baulichen Anlagen beschränke, sondern die festgesetzten Baugrenzen das Maß der baulichen Ausnutzbarkeit des Grundstücks zusätzlich einengten, so dass eine große Fläche des Grundstücks nach den Festsetzungen des Bebauungsplans unbebaubar bzw. allenfalls untergeordnet bebaubar sei.
Nach der ständigen Rechtsprechung ist ein Buchgrundstück, das – wie hier – im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans nach § 30 Abs. 1 BauGB liegt, in der Regel – vorbehaltlich besonderer Festsetzungen – mit seiner gesamten vom Bebauungsplan erfassten Fläche bei der Verteilung des umlagefähigen Ausbauaufwands zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, B. v. 29.11.1994 – 8 B 171.94 – NVwZ 1995, 1215; U. v. 12.11.2014 – 9 C 7.13 – juris Rn. 20; BayVGH, B. v. 3.3.2015 – 6 ZB 13.2092 – juris Rn. 4; B. v. 12.8.2016 – 6 ZB 15.461 – juris Rn. 9 m. w. N.). Öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen – seien dies etwa Nutzungsverbote im Interesse des Umweltschutzes, Anbauverbote im Interesse der Belange des Verkehrs, bauplanungsrechtliche Festsetzungen der überbaubaren Grundstücksfläche gemäß § 23 BauNVO, Abstandsgebote aller Art oder Bestimmungen, die die Zerstörung erhaltenswerter Bauten untersagen – haben grundsätzlich selbst dann keinen Einfluss auf den Umfang der erschlossenen und deshalb bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigenden Grundstücksfläche, wenn sie die Ausschöpfung des für ein Grundstück bebauungsrechtlich zulässigen Maßes der baulichen Nutzung verhindern (BVerwG, U. v. 10.10.1995 – 8 C 12.94 – juris Rn. 22 m. w. N.). Solche Ausnutzungsbehinderungen wirken sich bei der Aufwandsverteilung nur dann aus, wenn das durch die Baubeschränkungen betroffene Nutzungsmaß neben der Grundstücksfläche eine weitere Komponente der satzungsmäßigen Verteilungsregelung ist (BVerwG, B. v. 29.11.1994 – 8 B 171.94 – NVwZ 1995, 1215; U. v. 12.11.2004 – 9 C 7.13 – juris Rn. 20; BayVGH, B. v. 3.3.2015 – 6 ZB 13.2092 -juris Rn. 4; B. v. 12.8.2016 – 6 ZB 15.461 – juris Rn. 9). Ordnet der Verteilungsmaßstab eine Aufwandsverteilung nach den Grundstücksflächen an, ist das Maß der baulichen Nutzung und in der Folge auch eine Behinderung der Ausschöpfung dieses Nutzungsmaßes ohne Einfluss auf die Aufwandsverteilung. Entsprechendes gilt, wenn – wie im vorliegenden Fall – die anzuwendende Verteilungsregelung zwar auf ein Nutzungsmaß (Anzahl der Vollgeschosse) abhebt, nicht jedoch die Ausschöpfung dieses, sondern ausschließlich die eines anderen Nutzungsmaßes (Größe der Grundfläche) durch eine öffentlich-rechtliche Baubeschränkung behindert wird (BVerwG, U. v. 10.10.1995 – 8 C 12.94 – juris Rn. 22).
Diese für das Erschließungsbeitragsrecht aufgestellten Grundsätze gelten ebenso – und erst recht – bei der Erhebung von Straßenausbaubeiträgen nach Art. 5 KAG. Denn durch den Erschließungsbeitrag wird, wie sich namentlich aus § 131 Abs. 1 Satz 1, § 133 Abs. 1 BauGB ergibt, derjenige Vorteil aus der Inanspruchnahmemöglichkeit einer (Anbau-)Straße abgegolten, der mit der Rechtsfolge verbunden ist, dass eine Baugenehmigung nicht mehr unter Hinweis auf die fehlende Verkehrserschließung des Grundstücks abgelehnt werden darf. Dem Straßenausbaubeitragsrecht sind demgegenüber solche rechtlichen Auswirkungen einer Straßenbaumaßnahme auf die Nutzbarkeit eines bevorteilten Grundstücks fremd. Für seinen Rechtsbereich erschöpft sich der beitragsrelevante Sondervorteil in der qualifizierten „Möglichkeit der Inanspruchnahme“ (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG) der ausgebauten Straße als solcher. Dieser kommt deshalb nicht nur baulich oder gewerblich nutzbaren Grundstücken (oder Grundstücksteilflächen) zugute, sondern jeder sinnvollen und zulässigen Nutzung und damit grundsätzlich auch – anders als im Erschließungsbeitragsrecht – Außenbereichsflächen (grundlegend BayVGH, U. v. 10.7.2002 – 6 N 97.2148 – VGH n. F. 55, 121/123 ff.; B. v. 6.10.2016 – 6 ZB 15.1163 – juris Rn. 9; s. auch VerfGH, E. v. 12.1.2005 – Vf. 3-VII-03 – BayVBl 2005, 361 und 399).
Das Bundesverwaltungsgericht hat den „vergröbernden“ kombinierten Verteilungsmaßstab aus Größe der Grundstücksfläche mit Zuschlägen für Vollgeschosse wegen der für ihn sprechenden Vorzüge der besseren Verwaltungspraktikabilität und damit auch der Kostenersparnis im Rahmen des Erschließungsbeitragsrechts wiederholt gebilligt (U. v. 26.1.1979 – IV C 61.75 u. a. – BVerwGE 57, 240; B. v. 13.9.1996 – 8 B 186.96 – juris Rn. 4). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ist dem in ständiger Rechtsprechung gefolgt (vgl. B. v. 17.8.2010 – 6 ZB 09.558 – juris Rn. 4 ff. m. w. N.). Der mit der Grundstücksfläche kombinierte Vollgeschossmaßstab wird den Anforderungen des § 131 Abs. 3 BauGB gerecht. Nach dieser Vorschrift muss die Beitragsbelastung der einzelnen Grundstücke im Abrechnungsgebiet nicht in demselben Verhältnis stehen, wie sich deren bauliche oder sonstige Nutzbarkeit zueinander verhält. Denn erstens lässt sich der größere oder kleinere Erschließungsvorteil des einen Grundstücks im Verhältnis zu dem anderen Grundstück mit Hilfe der jeweiligen baulichen oder sonstigen Nutzung nur grob erfassen. Zweitens würde die genaue Bestimmung dieser Nutzungen in vielen Fällen zu unangemessenen Schwierigkeiten führen, so dass die Praktikabilität und Überschaubarkeit des Heranziehungsverfahrens nicht mehr gewährleistet wäre. Dieser kombinierte Verteilungsmaßstab ist auch im hier inmitten stehenden Straßenausbaubeitragsrecht ein geeigneter, den gesetzlichen Vorgaben aus dem Blickwinkel der Gleichbehandlung genügender Faktor bei der Verteilung des umlagefähigen Aufwands (BayVGH, U. v. 5.2.2007 – 6 BV 05.2153 – juris Rn. 58; B. v. 25.9.2007 – 6 B 05.3018 – juris Rn. 14). Die Verfassungs- und Gesetzeskonformität dieser Verteilungsregelung wurde vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof bestätigt (VerfGH, E. v. 12.1.2005 – Vf. 3-VII-03 – BayVBl 2005, 361 ff. und 399 ff.).
Aus diesen Gründen hat die Beschränkung der überbaubaren Grundstücksfläche durch die Festsetzung von Baufenstern entgegen der Ansicht der Klägerin straßenausbaubeitragsrechtlich grundsätzlich keine Auswirkung. Das ändert nichts daran, dass die gesamte Fläche des Buchgrundstücks an der Aufwandsverteilung, je nach Nutzungsart und Nutzungsmaß gegebenenfalls vervielfacht mit einem Nutzungsfaktor (vgl. Art. 5 Abs. 2 Satz 2 KAG), teilnimmt. Eine Ausnahme würde dann gelten, wenn durch entsprechende Festsetzungen des Bebauungsplans dem Grundstückseigentümer keinerlei ausbaubeitragsrechtlicher Sondervorteil mehr zukäme, wie es etwa bei der Festsetzung einer der Allgemeinheit zur Verfügung stehenden öffentlichen Grünfläche oder öffentlichen Verkehrsfläche der Fall wäre (vgl. BayVGH, B. v. 15.1.2009 – 6 CS 08.1760 – juris Rn. 12; B. v. 14.8.2015 – 6 CS 15.1399 – juris Rn. 13). Dem hat die Gemeinde durch die Neuberechnung der Vorauszahlung im Antragsverfahren ausreichend Rechnung getragen.
2. Die Rechtssache weist aus den unter 1. genannten Gründen keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
3. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Die Klägerin hält – sinngemäß – folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig: „Wie sind die beitragsrechtlichen Konsequenzen, wenn der Bebauungsplan nicht ausdrücklich „private Grünfläche‘“ auf der Grundlage von § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB, sondern lediglich überbaubare Grundstücksflächen festsetzt und sich dies nicht lediglich auf den Standort der zulässigen baulichen Anlagen auswirkt, sondern das Maß der baulichen Ausnutzbarkeit des Grundstücks zusätzlich einengt?“
Diese Frage lässt sich anhand der Ausführungen unter 1. beantworten, so dass eine Klärungsbedürftigkeit mit generalisierender Wirkung zu verneinen ist (BVerwG, B. v. 14.4.2003 – 3 B 167.02 – juris Rn. 3).
4. Die Kostenentscheidung beruht angesichts des entsprechend § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO vernachlässigbaren Unterliegens der Beklagten insgesamt auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts, soweit es nicht in I. dieses Beschlusses für gegenstandslos erklärt worden ist, rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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