Baurecht

Unbestimmtheit eines Vorbescheides – Nachbarrechtsstreit

Aktenzeichen  AN 3 K 17.02090

Datum:
8.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 19109
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 71
BayVwVfG Art. 37 Abs. 1
BauGB § 34
BauNVO § 15

 

Leitsatz

1. Ein Vorbescheid ist in objektiv-rechtlicher Hinsicht hinreichend bestimmt, wenn die getroffene Regelung für jeden Beteiligten – gegebenenfalls nach objektivierender Auslegung – eindeutig zu erkennen und deshalb keiner unterschiedlichen Bewertung zugänglich ist. Was Gegenstand des Vorbescheides sein soll, bestimmt der Bauherr durch seinen Antrag. (Rn. 68) (redaktioneller Leitsatz)
2. In nachbarrechtlichen Streitigkeiten ist die Bestimmtheit des Vorbescheides nur daraufhin zu prüfen, ob es dem Nachbarn möglich ist, festzustellen, ob und in welchem Umfang er durch das Vorhaben in seinen drittschützenden Rechten betroffen wird. (Rn. 68) (redaktioneller Leitsatz)
3. Wenn der Bauvorbescheid und die genehmigten Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Baumaßnahmen so unbestimmt sind, dass bei der Ausführung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist, so ist der Bauvorbescheid als nachbarrechtswidrig aufzuheben. (Rn. 68) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid der Stadt … vom 15. August 2017 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Die Kostenschuldnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Vorbescheid vom 15. August 2017 ist im Hinblick auf seinen Tenor und Inhalt unbestimmt (dazu 1.). Darüber hinaus sind die Planvorlagen in für den Kläger als Nachbar relevanten Punkten unvollständig und führen ebenfalls zur Unbestimmtheit des Bescheids (dazu 2.).
1. Nach Art. 71 Satz 1 BayBO kann vor Einreichung des Bauantrags auf schriftlichen Antrag des Bauherrn zu einzelnen in der Baugenehmigung zu entscheidenden Fragen vorweg ein schriftlicher Bescheid (Vorbescheid) erteilt werden. Ein Vorbescheid beinhaltet die verbindliche Feststellung der Bauaufsichtsbehörde, dass dem Bauvorhaben hinsichtlich der zur Entscheidung gestellten Fragen öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Die vorweg entschiedenen bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsfragen sind im Baugenehmigungsverfahren nicht mehr zu prüfen. Wegen dieser Bindungswirkung ist der Vorbescheid ein Verwaltungsakt. Als solcher muss er inhaltlich hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG). Diesem Erfordernis ist genügt, wenn die mit dem Bescheid getroffene Regelung für die Beteiligten des Verfahrens – gegebenenfalls nach Auslegung – eindeutig zu erkennen und damit einer unterschiedlichen subjektiven Bewertung nicht zugänglich ist (BVerwG, U.v. 22.1.1993 – 8 C 57/91 – juris). Bei einem Vorbescheid muss der Inhalt der vorgezogenen Zulässigkeitsprüfung vollständig, klar und eindeutig zum Ausdruck kommen (vgl. BVerwG v. 3.12.2003 – 6 C 20/04 – juris, Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 37 Rn. 5). Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt allerdings nur vor, wenn eine Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft (vgl. zur Baugenehmigung VGH München B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18.10 –juris; B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris m.w.N.; OVG Hamburg, B.v 2. September 2011 – 2 Bs 136/11 – juris).
Diesen Anforderungen genügt der streitgegenständliche Bescheid nicht, denn er weist hinsichtlich seines Tenors und seiner Begründung erhebliche Widersprüche in Bezug auf den von der Beklagten angewandten Prüfungsumfang auf.
Ziffer 1.1. des Bescheids besagt, dass sich das Vorhaben gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. In der Begründung wird angeführt, dass sich das Vorhaben im Geltungsbereich eines rechtswirksamen Bebauungsplans in einem faktischen Allgemeinen Wohngebiet befindet und sich die Zulässigkeit somit nach § 30 Abs. 3 i.V.m. § 34 BauGB beurteilt.
Betrachtet man die Gründe für sich alleine, wäre der Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Art der Nutzung § 34 Abs. 2 BauGB, da sich das Vorhaben unbestritten in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet befindet. Hinsichtlich des Maßes und der übrigen Punkte hätte auf § 34 Abs. 1 BauGB zurückgegriffen werden müssen.
Diese Auslegung stünde im Widerspruch zu Ziffer 1.1. des Tenors. Dieser legt als Prüfungsmaßstab § 34 Abs. 1 BauGB, also das Maß, die überbaubare Grundstücksfläche und die Bauweise fest, jedoch nicht die Art der Nutzung.
Hinzu kommt, dass sich der von der Beigeladenen gestellten Fragen, „ob sich das Projekt in die umgebende Bebauung einpasst“, nicht eindeutig entnommen werden kann, ob die Beigeladene nur die Zulässigkeit des Vorhabens hinsichtlich des Maßes nach § 34 Abs. 1 BauGB prüfen lassen wollte oder doch eine umfassende Prüfung nach § 34 Abs. 1 und 2 BauGB erstrebte.
Schon alleine aufgrund dieser Widersprüche ergibt sich nach Auffassung des Gerichts eine Unbestimmtheit des Bescheids. Diese verletzt den Kläger in seinen Rechten, da für ihn unklar bleibt, was von der Bindungswirkung des Vorbescheids umfasst werden sollte.
Da Tenor und Gründe des Bescheids, so gravierende Unterschiede hinsichtlich des Prüfungsumfangs aufweisen, kommt eine Auslegung der Vorbescheidsanfrage, die ausnahmsweise möglich ist, hier nicht in Betracht (dazu BayVGH U.v. 22.5.2006 – 1 B 04.3531 – juris).
2. Schließlich ergibt sich auch aus den unvollständigen Bauunterlagen die Unbestimmtheit des Bescheids.
Hinreichend bestimmt ist ein Vorbescheid in objektiv-rechtlicher Hinsicht, wenn die getroffene Regelung für jeden Beteiligten – gegebenenfalls nach objektivierender Auslegung – eindeutig zu erkennen ist und deshalb keiner unterschiedlichen Bewertung zugänglich ist. Was Gegenstand des Vorbescheids sein soll, bestimmt der Bauherr durch seinen Antrag. Der Inhalt des Vorbescheids ergibt sich aus der Bezeichnung, den Regelungen und der Begründung im Vorbescheid, der konkretisiert wird durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstigen Unterlagen, Art. 71 Satz 4, 64 Abs. 2 BayBO, 53 BauVorlV. Wird deshalb im Bescheid auf den Antrag oder Antragsunterlagen verwiesen, ist der Vorbescheid hinreichend bestimmt, wenn es der Antrag oder die Antragsunterlagen sind. In nachbarrechtlichen Streitigkeiten – wie hier – ist die Bestimmtheit des Vorbescheids nur daraufhin zu prüfen, ob es dem Nachbarn möglich ist, festzustellen, ob und in welchem Umfang er durch das Vorhaben in seinen drittschützenden Rechten betroffen wird. Wenn der Bauvorbescheid und die genehmigten Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Baumaßnahmen so unbestimmt sind, dass bei der Ausführung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist, so ist der Bauvorbescheid als nachbarrechtswidrig aufzuheben (vgl. VGH München, B.v. 18.5.2018 – 9 CS 18.10 – juris; OVG RhPf, U.v. 2.5.2013 –1 A 11021/12 – juris). Verbleiben Abgrenzungsunschärfen im Hinblick auf die Reichweite und die Art der zugelassenen Nutzung, ist im Zweifel ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 – juris).
Zum einen würde sich für den Fall, dass die Art der Nutzung vom Vorbescheid mit umfasst werden sollte, die Unbestimmtheit daraus ergeben, dass hinsichtlich der genannten Gewerbeeinheit aus den gesamten Plänen nicht hervorgeht, an welcher Stelle des Vorhabens das Gewerbe (welches?) situiert werden soll. Dadurch bleibt für den Kläger unklar, wie nah oder fern das Gewerbe zu seinem Grundstück liegt und wie er dadurch möglicherweise in seinem Gebietserhaltungsanspruch und/oder Rücksichtnahmegebot verletzt wird.
Zum anderen ergibt sich sowohl bei einer Überprüfung des streitgegenständlichen Bescheids anhand § 34 Abs. 1 BauGB als auch anhand § 34 Abs. 1 und 2 BauGB, dass die von der Beigeladenen vorgelegten Planunterlagen in Bezug auf das nachbarliche Rücksichtnahmegebot unvollständig sind.
Die von der Beigeladenen im Zuge des Vorbescheidantrags vorgelegten Planunterlagen (hier Blatt 66 der Bauakte) lassen nicht erkennen, ob der Kläger im Gebot der Rücksichtnahme verletzt sein könnte.
Den von der Beigeladenen vorgelegten Ansichten des geplanten Vorhabens kann der Kläger nicht entnehmen, inwiefern er neuen Einsichtnahmemöglichkeiten ausgesetzt sein wird oder sich ein Einmauerungs- oder Gefängnishofeffekt durch das Vorhaben ergibt. Die vorgelegten Unterlagen beinhalten zwar Querschnitte und Draufsichten auf das Vorhaben aus verschiedenen Perspektiven, jedoch nicht aus Sicht des klägerischen Grundstücks. Insbesondere kann der Kläger des Hauses * nicht prüfen, wie die Nordseite des Hauses * gestaltet werden soll. Dem Kläger ist es demnach nicht möglich, den Grad seiner Betroffenheit zu ermitteln. So ergeben sich, je nachdem, ob die zu ihm ausgerichtete Wand mit Balkons oder Fenstern oder komplett geschlossen errichtet wird, unterschiedliche Auswirkungen.
Ob das Vorhaben dem Kläger gegenüber tatsächlich rücksichtslos ist, war infolge der hier festgestellten Unbestimmtheit nicht mehr zu prüfen.
Der Klage war demnach stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.


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