Baurecht

Unwirksame Festsetzung eines Dorfgebiets

Aktenzeichen  1 N 17.1125

Datum:
13.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28625
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BauNVO § 1 Abs. 4, § 1 Abs. 5, § 5

 

Leitsatz

Können in einem Plangebiet „sonstige“ Wohngebäude und „sonstige nicht störende Gewerbetriebe“ nicht untergebracht werden, wahrt das Baugebiet die allgemeine Zweckbestimmung eines Dorfgebiets nicht. (Rn. 13 – 15)

Tenor

I. Der Bebauungsplan Nr. … für das Gebiet südlich der A …straße vom 9. Juni 2016, bekanntgemacht am 15. Juni 2016, ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag der Antragstellerin hat Erfolg.
1. Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist die Antragstellerin antragsbefugt. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist im Normenkontrollverfahren jede natürliche oder juristische Person antragsbefugt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Der Antragsteller muss hinreichend substantiiert Tatsachen vortragen, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des Bebauungsplans in einem Recht verletzt wird. Eine solche Rechtsverletzung kommt regelmäßig in Betracht, wenn sich der Eigentümer eines im Plangebiet liegenden Grundstücks (auch) gegen bauplanerische Festsetzungen wendet, die unmittelbar sein Grundstück betreffen. Denn bei den Festsetzungen eines Bebauungsplans handelt es sich um Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinn des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese muss der Eigentümer nur hinnehmen, wenn der Bebauungsplan rechtmäßig ist.
Daran gemessen ist die Antragstellerin, deren Grundstücke im Satzungsbereich des angegriffenen Bebauungsplans liegen, antragsbefugt. Darauf, dass die Antragstellerin sich in einem städtebaulichen Vertrag zur Anlage des Weges verpflichtet hat, kommt es nicht entscheidend an. Insoweit fehlt es auch nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.
2. Der Antrag ist auch begründet. Die Baugebietsfestsetzung in der textlichen Festsetzung A.2.1 als Dorfgebiet ist fehlerhaft erfolgt. Danach ist die Art der baulichen Nutzung auf Wirtschaftsstellen landwirtschaftlicher Pferdebetriebe, der dazu gehörigen Wohnungen und Wohngebäude, Reithallen und Reitplätzen für sportliche Zwecke beschränkt. Da im Plangebiet „sonstige“ Wohngebäude und „sonstige nicht störende Gewerbetriebe“ nicht untergebracht werden können, wahrt das Baugebiet die allgemeine Zweckbestimmung eines Dorfgebiets nicht. Der Bebauungsplan verstößt insoweit gegen § 1 Abs. 5 BauNVO (2.1). Das festgesetzte Dorfgebiet kann auch nicht gemäß § 1 Abs. 4 BauNVO im Verhältnis zu seiner landwirtschaftlich geprägten näheren Umgebung gegliedert werden (2.2). Dies führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans (3).
2.1 Nach § 1 Abs. 5 BauNVO kann in einem Bebauungsplan festgesetzt werden, dass bestimmte Arten von Nutzungen, die nach den §§ 2, 4 bis 9 sowie 13 und 13a BauNVO allgemein zulässig sind, nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können, sofern die allgemeine Zweckbestimmung des Baugebiets gewahrt bleibt. Was als allgemeine Zweckbestimmung eines Baugebiets zu gelten hat, ergibt sich im Grundsatz aus der jeweiligen Beschreibung des Baugebiets im Sinn des § 1 Abs. 2 BauNVO und der über § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO damit in Bezug genommenen Regelung der §§ 2 ff BauNVO (vgl. BVerwG, B.v. 22.12.1989 – 4 NB 32.89 – BauR 1990, 186). Dorfgebiete im Sinn des § 5 BauNVO dienen der Unterbringung der Wirtschaftsstellen land- und forstwirtschaftlicher Betriebe, dem Wohnen und der Unterbringung von nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben sowie der Versorgung der Bewohner des Gebiets dienenden Handwerksbetrieben. Der Gebietscharakter eines Dorfgebiets als ländliches Mischgebiet hängt zwar grundsätzlich nicht von einem bestimmten prozentualen Mischverhältnis dieser Hauptfunktionen ab. Jedoch ist mit dieser allgemeinen Zweckbestimmung der Ausschluss von „sonstigen“, d.h. nicht zu einem land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb gehörenden Wohngebäuden ebenso wenig vereinbar wie ein Ausschluss der Wirtschaftsstellen land- oder forstwirtschaftlicher Betriebe sowie der Ausschluss der „sonstigen nicht wesentlich störenden Gewerbebetriebe (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2009 – 4 CN 5.07 – BVerwGE 133, 377 zum Ausschluss land- und forstwirtschaftlicher Betriebe; BayVGH, U.v. 18.4.2013 – 2 N 11.1758 – BayVBl 2014, 271; VGH BW, B.v. 18.9.1996 – 8 S 1888.95 – juris Rn. 22; B.v. 18.11.1993 – 5 S 2916.92 – juris 20). Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BauNVO gehören das (sonstige) Wohnen und die nicht störenden Gewerbebetriebe zu den in einem Dorfgebiet zulässigen Hauptnutzungen, durch die der – durch das Nebeneinander verschiedener Nutzungen geprägte – Charakter eines Dorfgebiets wesentlich mitbestimmt wird. Durch den Ausschluss dieser – auch traditionell in einem Dorfgebiet seit jeher üblichen – Nutzungen entstünde ein im Wesentlichen nur der Landwirtschaft, die zudem auf einen landwirtschaftlichen Pferdebetrieb beschränkt wäre, offen stehendes Gebiet und damit ein neuer, in der BauNVO nicht vorgesehener Gebietstyp. Dazu ermächtigt § 1 Abs. 5 BauNVO den Plangeber nicht (vgl. BayVGH, U.v. 18.4.2013 a.a.O.).
2.2 Das festgesetzte Dorfgebiet kann auch nicht gemäß § 1 Abs. 4 BauNVO im Verhältnis zu einer landwirtschaftlich geprägten näheren Umgebung gegliedert werden. Die Antragsgegnerin hat die Festsetzung der Art der baulichen Nutzung damit begründet, dass der dörfliche Charakter von L … gewahrt werden soll. Daher werde die Hofstelle als Dorfgebiet mit der Zweckbestimmung „landwirtschaftlicher Pferdebetrieb“ ausgewiesen. Zugleich werde berücksichtigt, dass die vorhandene landwirtschaftliche Hofstelle um eine Reithalle und einen Reitplatz erweitert werden soll. Auch soweit die Antragsgegnerin insoweit auf die vorgefundene Nutzung in der dörflichen Umgebung abstellt (vgl. OVG NW, U.v. 16.9.2002 – 7a D 4/01.NE – BauR 2003, 346), lässt sich damit der Gebietscharakter des Baugebiets als Dorfgebiet nicht ableiten. Denn die für den Gebietscharakter eines Dorfgebiets notwendige Unterbringung des Wohnens und des Gewerbes neben der Land- und Forstwirtschaft muss im Baugebiet selbst möglich sein. Es genügt nicht, dass eine solche Nutzung in der angrenzenden Nachbarschaft vorhanden ist. Die nicht überplante Umgebung eines Baugebiets ist für die Bestimmung des Gebietscharakters unbeachtlich (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2009 a.a.O.). Ungeachtet dessen, dass ein Teil der näheren Umgebung als Mischgebiet gemäß § 6 BauNVO ausgewiesen ist (Bebauungsplan Nr. … Teil A und B für das Gebiet nördlich der A …straße), hat die Antragsgegnerin noch ein weiteres kleines Dorfgebiet (Bebauungsplan Nr. … Teil A für das Gebiet am östlichen Ortsausgang) ausgewiesen. Eine etwaige Gliederung des durch den angegriffenen Bebauungsplan festgesetzten Dorfgebiets im Verhältnis zu seiner landwirtschaftlich geprägten Umgebung scheitert jedoch daran, dass ein Dorfgebiet im Grundsatz nur intern gegliedert werden (§ 1 Abs. 4 BauNVO). Die Baunutzungsverordnung sieht zwar die Möglichkeit vor, Baugebiete im Verhältnis zu anderen Baugebieten zu gliedern; dies gilt aber nur für die in § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO genannten Gewerbe- und Industriegebiete. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die übrigen Gebietstypen gerade nicht im Verhältnis zu anderen, außerhalb des Plangebiets liegenden Baugebieten gegliedert werden können (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2009 a.a.O.).
3. Die fehlerhafte Festsetzung eines Dorfgebiets führt zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans im Ganzen. Die Ungültigkeit eines Teils eines Bebauungsplans führt nur dann nicht zur Gesamtunwirksamkeit, wenn die übrigen Festsetzungen auch ohne den unwirksamen Teil sinnvoll bleiben und nach dem mutmaßlichen Willen des Normgebers mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wäre (BVerwG, U.v. 23.4.2009 – 4 CN 5/07 – BVerwGE 133, 377; BayVGH, U.v. 23.6.2020 – 1 N 17.972 – juris Rn. 19). Daran fehlt es hier. Die unwirksame Festsetzung stellt eine zentrale Frage der Gesamtplanung dar und steht mit dem Bebauungsplan in einem untrennbaren Zusammenhang (vgl. BVerwG, B.v. 11.9.2014 – 4 CN 3.14 – BayVBl 2015, 203; U.v. 19.9.2002 – 4 CN 1.02 – BVerwGE 117, 58). Zwar war neben dem Erhalt des dörflichen Charakters von L … auch Anlass der Planung, die freie Landschaft vor einer Zersiedelung zu sichern und die Aussicht nach Süden von der A …straße aus weiterhin freizuhalten. Diesem Zweck diente die Festsetzung der südlich angrenzenden Flächen als Flächen für die Landwirtschaft mit der Festsetzung von Korridoren, innerhalb derer die Errichtung privilegierter landwirtschaftlicher Nebengebäude zugelassen wurde. Allerdings hat die Antragsgegnerin diese Nebengebäude in der textlichen Festsetzung A.7 insoweit begrenzt, als sie dem landwirtschaftlichen Betrieb im Geltungsbereich des Bebauungsplans dienen müssen. Wesentliches Indiz dafür, dass die unwirksame Festsetzung mit dem Bebauungsplan in einem untrennbaren Zusammenhang steht ist jedoch, dass die Festsetzung der Flächen für Landwirtschaft (und Wald) sowie die Grünordnung der Anordnung im Rahmen der (bestandskräftigen) Baugenehmigung vom 18. Februar 2014 für den Neubau der Reithalle (Eingabeplan Freianlagenplan und Freiflächengestaltung) entsprechen. Daher kann offen bleiben, ob die Antragsgegnerin die beiden Gebiete ausreichend mittels einer sogenannten Knödellinie abgetrennt hat. Denn nach dem im Aufstellungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen, die bauliche Entwicklung städtebaulich zu ordnen und die freie Landschaft vor einer Zersiedelung zu schützen, ist nicht anzunehmen, dass sie im Zweifel auch eine Satzung dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte.
Die Antragsgegnerin trägt gemäß § 154 Abs. 1 VwGO als unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO hat die Antragsgegnerin die Entscheidung in Nummer I der Urteilsformel nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils in derselben Weise zu veröffentlichen wie den angegriffenen Bebauungsplan (§ 10 Abs. 3 BauGB).


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