Baurecht

Unwirksamkeit des Bebauungsplans

Aktenzeichen  1 N 17.972

Datum:
23.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16890
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47
BauGB § 1 Abs. 3, § 9 Abs. 1 Nr. 1
BauNVO § 18 Abs. 1
BayBO Art. 6 Abs. 4 S. 2

 

Leitsatz

1. Städtebauliches Ziel kann auch sein, eine privilegierte Nutzung im Außenbereich zu beschränken. Es ist daher im Sinn von § 1 Abs. 3 BauGB nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner für die privilegierte Nutzung als Gartenbaubetrieb von Bebauung freizuhaltende Flächen sowie Bauräume festgesetzt hat. (Rn. 13)
2. Die Festsetzung der Wandhöhe setzt die Bestimmung der erforderlichen Bezugspunkte voraus. Nimmt die Gemeinde auf den Erdgeschossfertigfußboden Bezug, muss erkennbar sein, auf welcher Höhe sich dieser befinden soll. (Rn. 17 – 19)

Tenor

I. Der Bebauungsplan „Sondergebiet S* …“ vom 24. April 2017, bekannt gemacht am 8. Mai 2017, ist unwirksam.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 10.000‚00 Euro festgesetzt (§ 52 Abs. 1 und Abs. 8 GKG).

Gründe

Der im Hinblick auf die im Satzungsbereich des angegriffenen Bebauungsplans gelegenen Grundstücke des Antragstellers gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zulässige Normenkontrollantrag hat Erfolg. Der Bebauungsplan ist zwar städtebaulich erforderlich im Sinn des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB (1.). Die textliche Festsetzung A.3.7 zur Wandhöhe ist aber fehlerhaft erfolgt (2.). Letzteres führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans.
1. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB haben die Gemeinden die Bauleitpläne aufzustellen, sobald und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Was in diesem Sinn erforderlich ist, bestimmt sich nach der planerischen Konzeption der Gemeinde. Der Gesetzgeber ermächtigt die Gemeinden, diejenige Städtebaupolitik zu betreiben, die ihren städtebaulichen Entwicklungs- und Ordnungsvorstellungen entspricht. Nicht erforderlich sind danach Pläne, die nicht dem wahren Willen der Gemeinde entsprechen, bei denen also zwischen Planungswillen und Planungsinhalt eine Diskrepanz besteht, sowie Pläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht bestimmt sind. § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist ferner verletzt, wenn ein Bebauungsplan aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen auf Dauer oder auf unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt. In dieser Auslegung wird der Bauleitplanung eine erste, wenn auch strikt bindende Schranke gesetzt, die lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt. Für die Einzelheiten einer konkreten planerischen Lösung hingegen ist das Abwägungsgebot maßgeblich, das gemäß § 1 Abs. 7 BauGB darauf gerichtet ist, die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen und unverhältnismäßige oder gleichheitswidrige Belastungen zu vermeiden (vgl. BVerwG, B.v. 25.7.2017 – 4 BN 12.17 – juris Rn. 3; U.v. 10.9.2015 – 4 CN 8.14 -BVerwGE 153, 16; U.v. 27.3.2013 – 4 C 13.11 – BVerwGE 146, 137).
Unter Zugrundlegung dieser Maßstäbe liegt ein Verstoß gegen das Gebot der städtebaulichen Erforderlichkeit der Bauleitplanung nicht vor. Insbesondere handelt es sich entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht um eine unzulässige Planung, deren einziger Sinn darin bestehe, eine weitere bauliche Tätigkeit zu verhindern. Der Antragsgegner hat im Aufstellungsbeschluss, in der Begründung zum Bebauungsplan und in der Abwägung deutlich gemacht, dass der Außenbereich von einer weiteren baulichen Nutzung möglichst freigehalten und verschont werden solle, insbesondere um einer weiteren Zersiedelung entgegenzuwirken, und die Natur und Landschaft in dem topografisch exponierten und landschaftlich sensiblen Bereich geschützt werden solle. Er hat dazu neben der Festsetzung von Baufenstern auch Bereiche festgesetzt, die als Fläche für die Landwirtschaft und Anbaufläche für den Gartenbau von Bebauung freizuhalten sind. Damit verfolgt der Antragsgegner ein zulässiges und damit auch im Sinn des § 1 Abs. 3 BauGB erforderliches und gerechtfertigtes Planungsziel gemäß § 1 Abs. 5, § 1 Abs. 6 Nr. 7 BauGB, das bei der Aufstellung von Bebauungsplänen zu berücksichtigen ist (vgl. BVerwG, B.v 18.1.2012 – 4 BN 25.11 – juris Rn. 4). Das Ziel der Verhinderung einer weiteren Zersiedelung ist, da Gebäude bereits vorhanden sind, auch nicht nur vorgeschoben. Es ist anerkannt, dass die Gemeinde grundsätzlich auch städtebauliche Ziele verfolgen darf, die mehr auf Bewahrung als auf Veränderung der vorhandenen Situation zielen (vgl. BVerwG, B.v. 18.12.1990 – 4 NB 8.90 – BayVBl 1991, 280). Sie darf daher auch eine Planung betreiben, deren Hauptzweck in der Verhinderung bestimmter – in der jeweiligen städtebaulichen Situation unerwünschter – baulicher Nutzungen besteht (vgl. BayVGH, U.v. 15.1.2007 – 1 N 04.1226 – juris Rn. 24). Städtebauliches Ziel kann auch sein, eine privilegierte Nutzung im Außenbereich zu beschränken (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2007 a.a.O. – juris Rn. 28). Es ist daher im Sinn von § 1 Abs. 3 BauGB nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner für die privilegierte Nutzung als Gartenbaubetrieb von Bebauung freizuhaltende Flächen sowie Bauräume festgesetzt hat.
Gegen die Erforderlichkeit des Bebauungsplans spricht auch nicht, dass der Schutz von Natur und Landschaft bereits durch § 35 BauGB gewährleistet wird. Denn die Regelungen in § 34 und § 35 BauGB sind kein vollwertiger Ersatz für einen Bebauungsplan (vgl. BVerwG, U.v. 17.9.2003 – 4 C 14.01 – BVerwGE 119, 25; BayVGH, U.v. 28.4.2017 – 9 N 14.404 – juris Rn. 26). Die Gemeinde darf sich zwar darauf verlassen, dass die planersetzenden Vorschriften zur Steuerung der städtebaulichen Entwicklung in Teilgebieten ihres Gebietes ausreichen. Auf eine solche planerische Selbstbeschränkung ist sie aber nicht festgelegt. Ebenso steht hier nicht entgegen, dass Natur und Landschaft auch durch die naturschutzrechtlichen Regelungen im BNatSchG geschützt sind. Denn darauf hat der Antragsgegner – anders als auf den Vollzug eines Bebauungsplans – keinen Einfluss (vgl. BVerwG, B.v. 9.2.2004 – 4 BN28.03 – NVwZ 2004, 1242; BayVGH, U.v. 17.1.2020 a.a.O; U.v. 10.7.2018 – 1 N 15.938 – BayVBl 2019, 307 jeweils zu Landschaftsschutzgebieten).
Schließlich war der Antragsgegner auch weder gehalten, auf das Angebot des Antragstellers hinsichtlich eines dinglich gesicherten Verzichts auf weitere Bebauung einzugehen, noch liegt eine sogenannte Negativplanung vor, weil der Plan einzig Grundstücke des Antragstellers betrifft und die Möglichkeit bestanden hätte, einen städtebaulichen Vertrag mit dem Antragsteller abzuschließen. Denn eine Verpflichtung der Gemeinde, einen solchen Vertrag zu schließen, besteht nicht. Soweit eine derartige Bauleitplanung eine bislang vorhandene Bebaubarkeit eines Grundstücks einschränkt sowie die Frage aufwirft, ob mit der zugelassenen baulichen Nutzung ein wirtschaftlich tragfähiges Gesamtkonzept verwirklicht werden kann, ist dies keine Frage der Erforderlichkeit der Planung, sondern vielmehr eine Frage der Einzelheiten einer konkreten planerischen Lösung (vgl. BVerwG, U.v. 5.5.2015 – 4 CN 4.14 – NVwZ 2015, 1537; B.v. 11.5.1999 – 4 BN 15.99 – NVwZ 1999, 1338).
2. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist die textliche Festsetzung A.3.7 zur Wandhöhe unwirksam. Sie ist vorliegend zwar in ihrem Regelungsgehalt durch § 9 BauGB gedeckt, da sie als Vorschrift zum Maß der baulichen Nutzung zu qualifizieren ist (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB). Die Festsetzung ist aber mit dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot nicht vereinbar.
Die Festsetzungen eines Bebauungsplans als Rechtsnorm im materiellen Sinn müssen den aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Geboten der Bestimmtheit und Normenklarheit entsprechen. Ein Verstoß gegen das Gebot der Normenklarheit begründet die Unwirksamkeit der Festsetzung, ohne dass es auf §§ 214, 215 BauGB ankommt. Speziell für Bebauungspläne folgt die Notwendigkeit hinreichender Bestimmtheit sowohl für zeichnerische als auch für textliche Festsetzungen daraus, dass die Festsetzungen gem. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des grundrechtlich geschützten Eigentums unmittelbar berühren und ausgestalten. Die von den Festsetzungen des Bebauungsplanes Betroffenen müssen deshalb wissen, welche Nutzungen auf den Grundstücken zulässig sind. Das im Einzelfall zu fordernde Maß an Konkretisierung hängt wesentlich von der Art der jeweiligen Festsetzung, den Planungszielen und den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den örtlichen Verhältnissen, ab. Entscheidend ist, dass hinreichend klar ist, welche Regelungen mit welchem Inhalt normative Geltung beanspruchen (zum Ganzen vgl. BayVGH, U.v. 6.12.2019 – 15 N 18.636 – juris Rn. 26 m.w.N.). Die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit fehlt nicht schon dann, wenn die Festsetzung der Auslegung bedarf. Es ist ausreichend, wenn der Inhalt des Bebauungsplans durch Auslegung ermittelt werden kann, wobei die Interpretation nicht durch den formalen Wortlaut beschränkt wird. Ausschlaggebend ist der objektive Wille des Plangebers, soweit er wenigstens andeutungsweise im Satzungstext einen Niederschlag gefunden hat.
Die Festsetzung der Wandhöhe (vgl. Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO) als besonderer Fall einer Festsetzung der Höhe einer baulichen Anlage (vgl. König/Petz in König/Roeser/Stock, BauNVO, 4. Aufl. 2019, § 18, Rn. 5) setzt die Bestimmung der erforderlichen Bezugspunkte voraus (§ 18 Abs. 1 BauNVO). Die vorliegende Festsetzung legt (nur) fest, dass die Wandhöhe „von (der) Oberkante Erdgeschossfertigfußboden bis zum Schnittpunkt der Außenwand mit der Dachhaut gemessen wird“. Auf welcher Höhe sich der Erdgeschossfertigfußboden befinden soll, beispielsweise durch Festsetzung einer Höhenkote für den jeweiligen Bauraum, lässt sich dem Bebauungsplan nicht entnehmen. Damit fehlt es an einem unteren Bezugspunkt für die Festsetzung. Die bloße Orientierung am vorhandenen bzw. genehmigten Bestand reicht nicht aus. Soweit der Antragsgegner ergänzend darauf abstellt, dass der bestehende Sockel an jeder Gebäudeecke eine andere Höhe aufgewiesen habe, übersieht er, dass auch in einem hängigen Gelände eine einheitliche Höhe als unterer Bezugspunkt festgelegt sein muss.
Die fehlerhafte Festsetzung der Wandhöhe führt zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans im Ganzen. Die unwirksame Festsetzung stellt eine zentrale Frage der Gesamtplanung dar und steht mit dem Bebauungsplan in einem untrennbaren Zusammenhang (vgl. BVerwG, B.v. 11.9.2014 – 4 CN 3.14 – BayVBl 2015, 203; U.v. 19.9.2002 – 4 CN 1.02 – BVerwGE 117, 58). Es ist nicht anzunehmen, dass der Antragsgegner nach seinem im Aufstellungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen, den Außenbereich von einer baulichen Nutzung möglichst freizuhalten und die Natur und Landschaft in dem topgrafisch exponierten und landschaftlich sensiblen Bereich zu schützen, im Zweifel auch eine Satzung dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte. Denn ohne die Festsetzung der Gebäudehöhen hätte er das verfolgte städtebauliche Ziel nicht erreichen können.
Der Antragsgegner trägt gemäß § 154 Abs. 1 VwGO als unterlegene Partei die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO hat der Antragsgegner die Entscheidung in Nummer I der Urteilsformel nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils in derselben Weise zu veröffentlichen wie den angegriffenen Bebauungsplan (§ 10 Abs. 3 BauGB).


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