Baurecht

Unwirksamkeit eines Bebauungsplans wegen fehlerhafter Auslegung umweltbezogener Informationen

Aktenzeichen  15 N 17.1717

Datum:
31.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9513
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 47 Abs. 5
BauGB § 3 Abs. 2

 

Leitsatz

Zur Erfüllung der mit  § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauGB bezweckten Anstoßwirkung bedarf es einer hinreichenden Unterweisung über die Inhalte der vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen; eine bloße namentliche Auflistung genügt nicht. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der am 21. Dezember 2016 bekannt gemachte Bebauungsplan
„Gewerbegebiet Ost/Zweifelau“ ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich als Plannachbar gegen den eine Gesamtfläche von rund 59.000 m² umfassenden Bebauungsplan der Antragsgegnerin, der im Norden, Osten und Süden seines Wohngrundstücks in vier Bereiche unterteilte, insgesamt rund 45.200 m² große Gewerbegebietsflächen festsetzt. Mit dieser Planung will die Gemeinde die gewerbliche Entwicklung im Bereich nördlich der Bahnlinie N. – Sch. fördern, den vor Ort ansässigen Betrieben sollen entsprechende Erweiterungsmöglichkeiten geboten werden. Das von der Planung betroffene Gelände wird bisher überwiegend landwirtschaftlich genutzt.
Mit seinem am 4. September 2017 bei Gericht eingegangenen Normenkontrollantrag macht der Antragsteller unter Hinweis auf eine am 19. Dezember 2017 bei der Antragsgegnerin eingereichte Rügeschrift nach § 215 BauGB zahlreiche formelle und materielle Fehler geltend. Die Auslegung gemäß § 3 Abs. 2 BauGB habe nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprochen, die Angaben zu den umweltbezogenen Stellungnahmen seien unvollständig gewesen und hätten keine Hinweise darauf enthalten, welche Belange in ihnen jeweils abgehandelt wurden. Mehrere bereits vorhandene und für die Beurteilung wesentliche Gutachten seien gar nicht genannt worden, so etwa zum Lärmschutz, das Gutachten eines Ingenieurbüros für Geotechnik, eine spezielle artenschutzrechtliche Prüfung und ein wassertechnisches Gutachten. Die von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an die Konkretheit der Angaben zu den vorhandenen Arten umweltbezogener Informationen seien nicht erfüllt worden. Inhaltlich sei der Belang des Lärmschutzes unzureichend abgearbeitet worden. Das Grundstück des Antragstellers werde laut der Planzeichnung von einem „Lärmschutzwall, 4 m hoch“ an zwei Seiten durchgehend eingemauert. Dies sei rücksichtslos. Der Bebauungsplan enthalte keine Festsetzung zum zeitlichen Ablauf der Errichtung des Lärmschutzwalls; es sei nicht sichergestellt, dass dieser vor der Aufnahme geräuschintensiver Arbeiten auf den Baugrundstücken fertiggestellt sei. Die Untersuchung zum Verkehrslärm lasse die außerhalb des Geltungsbereichs der Planung liegenden Verkehrsanlagen in fehlerhafter Weise unberücksichtigt. Das Grundstück des Antragstellers liege direkt an einer öffentlichen Straße und werde deshalb nach der Inbetriebnahme der Gewerbegebietsflächen von Verkehrsmehrungen unmittelbar betroffen sein; gleiches gelte erst recht für den Lärm auf den im Plangebiet liegenden Verkehrsflächen, dieser sei nicht ermittelt und untersucht worden. Durch die Planung würden die Grundstücke FlNr. … und … ihrer öffentlichen Zufahrt und mithin ihrer Erschließung beraubt. Dies sei nicht zulässig und der Mangel werde auch nicht dadurch ausgeräumt, dass diese Flächen, wie die Antragsgegnerin festgestellt habe, durch weitere Grundstücke desselben Eigentümers an anderer Stelle mit dem öffentlichen Verkehrsnetz verbunden seien. Der Antragsteller habe während des Aufstellungsverfahrens auch auf Probleme wegen der Entwicklung von Feinstaub und sonstiger Emissionen hingewiesen, die Antragsgegnerin habe jedoch nur das Thema Lärm behandelt. Darüber hinaus seien einzelne Festsetzungen vielfach unbestimmt.
Der Antragsteller beantragt,
den Bebauungsplan „Gewerbegebiet Ost/Z.“ für unwirksam zu
erklären.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Bekanntmachung der Planentwürfe habe trotz unspezifischer Hinweise ihre Anstoßwirkung erfüllt. Die Höhe des Lärmschutzwalls sei ohne weiteres durch Auslegung zu ermitteln, die kritisierte Einmauerung finde nicht statt. Im Ergebnis werde die Verkehrslärmsituation für den Antragsteller verbessert, dazu trage auch die teilweise Auflassung der W-M-Straße südlich des Grundstücks des Antragstellers bei. Die gerügten Ungenauigkeiten einzelner Festsetzungen bestünden nicht.
Mit Schreiben vom 28. Februar 2020 hat der Senat die Beteiligten zur möglichen Entscheidung durch Beschluss mit Frist bis zum 13. März 2020 angehört. Die Antragstellerseite hat am 6. März 2020 ihr Einverständnis erklärt. Die Antragsgegnerin bat am 4. März 2020 um Fristverlängerung bis 27. März 2020 und ließ am 25. März 2020 um eine weitere Fristverlängerung bis zum 27. Mai 2020 nachsuchen. Die Antragsgegnerin habe ein ergänzendes Verfahren durchgeführt und beim Landratsamt die Genehmigung beantragt, die aufgrund der aktuellen Lage noch nicht habe erteilt werden können.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des sonstigen Vortrags der Beteiligten wird auf die beigezogenen Normaufstellungsakten und die Gerichtsakte verwiesen.
II.
1. Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO auch ohne Zustimmung der Antragsgegnerin durch Beschluss, da er den streitgegenständlichen Bebauungsplan für unwirksam hält (vgl. zur Möglichkeit der Entscheidung über Normenkontrollanträge von Plannachbarn ohne mündliche Verhandlung auch BVerwG, B.v. 25.3.2019 – 4 BN 14/19 – juris Rn. 7). Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif.
2. Der zulässige Antrag auf Normenkontrolle ist erfolgreich.
2.1 Der Antragsteller macht als Plannachbar geltend, dass sein Recht auf gerechte Abwägung seiner Interessen (§ 1 Abs. 7 BauGB) verletzt wurde, weil die durch die Planung eines Gewerbegebiets in der unmittelbaren Nachbarschaft hervorgerufenen Immissionskonflikte nicht zutreffend abgearbeitet worden seien. Auch im Übrigen ergeben sich hinsichtlich der Zulässigkeit des Normenkontrollantrags keine Bedenken.
2.2 Der Normenkontrollantrag ist auch begründet. Der streitgegenständliche Bebauungsplan ist wegen einer beachtlichen Verletzung des § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauGB bei der ortsüblichen Bekanntmachung vom 30. September 2015 über die (einzige) Auslegung des Entwurfs in der Fassung vom 23. September 2015 insgesamt unwirksam.
Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 BauGB sind Entwürfe der Bauleitpläne mit der Begründung und den nach Einschätzung der Gemeinde wesentlichen, bereits vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen für die Dauer eines Monats öffentlich auszulegen; Ort und Dauer der Auslegung sowie Angaben dazu, welche Arten umweltbezogener Informationen verfügbar sind, sind mindestens eine Woche vorher ortsüblich bekannt zu machen.
Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall vier vom Antragsteller bezeichnete, bei der Gemeinde vorliegende Gutachten bzw. Stellungnahmen gar nicht in die Auslegungsbekanntmachung aufgenommen wurden, waren auch die übrigen Hinweise unzureichend. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Senat angeschlossen hat (vgl. z.B. U.v. 17.7.2019 – 15 N 19.27 – juris Rn. 14, 15), bedarf es zur Erfüllung der mit diesen Auslegungsvorschriften bezweckten Anstoßwirkung einer hinreichenden Unterweisung über die Inhalte der vorliegenden umweltbezogenen Stellungnahmen; eine bloße namentliche Auflistung genügt nicht.
Aber nur dabei hat es die Auslegungsbekanntmachung der Antragsgegnerin vom 30. September 2015 bewenden lassen. Sie lautet: „Wesentliche umweltbezogene Stellungnahmen liegen zu naturschutzfachlichen Belangen, Auswirkungen auf das Landschaftsbild, Forst und Landwirtschaft, zur Wasserwirtschaft, spezielle artenschutzrechtliche Belange vor: Regierung der O.; Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, T.; Wasserwirtschaftsamt W. sowie der Stadt K. in Bezug auf Wasserwirtschaft; Landratsamt T., Technischer Umweltschutz; Landratsamt T., Wasserrecht; Landratsamt T., Untere Naturschutzbehörde; Landratsamt T., Kreisbrandrat. Es sind folgende Arten umweltbezogener Informationen verfügbar: Umweltbezogene Informationen zu den Auswirkungen auf Menschen, Tiere und Pflanzen, Boden und Wasser sowie zur naturschutzrechtlichen Bewertung (Eingriffs- und Ausgleichsregelung).“
Diese Aufzählung geht inhaltlich nicht nennenswert über eine interne Bearbeitungsliste hinaus, in der die zu beteiligenden Stellen bezeichnet werden, von denen Stellungnahmen zum Entwurf einer Bauleitplanung einzuholen sind oder erwartet werden. Der Informationsgehalt für die zu beteiligende Öffentlichkeit über die der Gemeinde im konkreten Fall tatsächlich bereits vorliegenden und für das weitere Verfahren möglicherweise wesentlichen Gutachten und Stellungnahmen tendiert hier gegen Null.
Damit hat die Gemeinde im vorliegenden Fall in zweifacher Hinsicht gegen die Verfahrensvorschrift des § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB verstoßen. Dieser Fehler ist nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 1 BauGB beachtlich. Der Antragsteller hat den Verstoß innerhalb der Jahresfrist des § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB nach der Bekanntmachung des Bebauungsplans schriftlich gegenüber der Antragsgegnerin unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts gerügt.
Ob der Bebauungsplan an weiteren Fehlern leidet, ist für die Entscheidung nicht mehr erheblich.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
4. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
5. Gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO muss die Antragsgegnerin die Ziffer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses in derselben Weise veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre.


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