Baurecht

Unzulässige Gefälligkeitsplanung

Aktenzeichen  M 1 K 16.337

Datum:
17.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO BayBO Art. 71
BauGB BauGB § 1 Abs. 3, § 34 Abs. 4 Nr. 3, § 35

 

Leitsatz

Städtebauliche Pläne sind nicht erforderlich iSd § 1 Abs. 3 BauGB, wenn sie keine positive Plankonzeption aufweisen und ersichtlich solche Ziele fördern, für welche die Planungsinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind (ebenso BVerwG BeckRS 1999, 21945).   (redaktioneller Leitsatz)
An einem tragfähigen städtebaulichen Konzept fehlt es dann, wenn eine Satzung ausschließlich zu dem Zweck erlassen wurde, den Bauwunsch eines Einzelnen zu erfüllen.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 10. März 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, da dieser auf die Erteilung des beantragten Vorbescheids keinen Anspruch hat (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
1. Das Bauvorhaben des Klägers entspricht nicht den bauplanungsrechtlichen Bestimmungen der §§ 29 ff. Baugesetzbuch (BauGB), die gemäß Art. 71 Abs. 4 Halbs. 1, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 i. V. m. Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) auch im Vorbescheidsverfahren zu prüfen sind. Sein Grundstück liegt auch hinsichtlich seines nördlichen, an den Forstweg angrenzenden Teils und damit mit dem vom Kläger beabsichtigten Standort des geplanten Wohngebäudes nicht im Innenbereich gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Das nichtprivilegierte Außenbereichsvorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB.
1.1 Der Standort des Bauvorhabens des Klägers – südlich des Forstweges – nimmt nach den in den Akten enthaltenen und von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Planzeichnungen und Fotoaufnahmen nicht nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB am Bebauungszusammenhang des Ortsteils … teil. Zwar trägt der Kläger vor, dieser nördliche Teil seines Grundstücks liege im Innenbereich, der durch eine ca. 104 m lange, zwischen den Gebäuden auf den FlNr. 140/2 und 145 fiktiv zu ziehende Linie begrenzt werde. Damit kann er jedoch die Zugehörigkeit des nördlichen Teils seines Grundstücks zum Bebauungszusammenhang des Ortsteils nördlich des Forstweges bis zur E… Straße und südlich des Forstweges einschließlich des Grundstücks seiner Eltern sowie des südlich davon gelegenen weiteren Wohngebäudes nicht schlüssig begründen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626 – juris Rn. 11) ist für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB ausschlaggebend, inwieweit die aufeinander folgende Bebauung – trotz etwa vorhandener unbebauter, aber bebauungsfähiger Grundstücke oder freier Flächen, die wegen ihrer natürlichen Beschaffenheit oder wegen ihrer baulichen Zweckbestimmung einer Bebauung entzogen sind – den Eindruck der Geschlossenheit vermittelt. Am Vorhabenstandort wird ein solcher Eindruck der Geschlossenheit unter Berücksichtigung der vorgelegten Fotoaufnahmen von der umgebenden Bebauung nicht vermittelt. Vielmehr endet die Geschlossenheit südlich des Forstweges an der östlichen Grenze der Grundstücke FlNr. 145/2 und 145, und wird nur nördlich des Forstweges in östlicher Richtung fortgesetzt.
Der vom Kläger beschriebene Bereich innerhalb des Abstands von 104 m zwischen den Wohngebäuden auf den FlNr. 140/2 und 145 stellt auch keine „Baulücke“ im Sinne der obergerichtlichen Rechtsprechung dar (BVerwG, U.v. 19.9.1986 – 4 C 15.84 – BauR 1987, 52 – juris Rn. 13; BayVGH, U.v. 16.6.2015 – 1 B 14.2772 – juris Rn. 17). Von einer von der genannten Rechtsprechung geforderten „zwanglosen Fortsetzung“ der vorhandenen Bebauung kann bei dem Bauvorhaben des Klägers in Anbetracht der durch die Planzeichnungen und Fotoaufnahmen des maßgeblichen Gebietes sichtbar gewordenen örtlichen Gegebenheiten nicht gesprochen werden.
1.2 Auch durch die Einbeziehungssatzung „…-Forstweg“ nimmt der nördliche Teil des Grundstücks des Klägers nicht am Bebauungszusammenhang im oben genannten Sinn teil. Zwar kann eine Gemeinde gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 3 BauGB durch Satzung einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind, doch bedarf der Erlass einer solchen Satzung des Vorliegens einer städtebaulichen Erforderlichkeit nach § 1 Abs. 3 BauGB (BayVGH, U.v. 27.10.2011 – 15 N 08.3431 – juris Rn. 21; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: 1.2.2016, § 34 Rn. 120).
Die Einbeziehungssatzung „…-Forstweg“ ist nicht städtebaulich erforderlich. Was im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich ist, bestimmt sich maßgeblich nach der jeweiligen planerischen Konzeption einer Gemeinde. Welche städtebaulichen Ziele sie sich setzt, liegt in ihrem planerischen Ermessen. Der Gesetzgeber ermächtigt sie, die „Städtebaupolitik“ zu betreiben, die ihren städtebaulichen Ordnungsvorstellungen entspricht (vgl. BVerwG, B.v. 11.5.1999 – 4 BN 15.99 – BayVBl 2000 – juris Rn. 4). Eine Notwendigkeit für eine Planung muss grundsätzlich nicht bestehen. Eine bauleitplanerische Regelung kann auch erforderlich sein, wenn die Gemeinde die planerischen Voraussetzungen schafft, die es ermöglichen, einer Bedarfslage gerecht zu werden, die sich erst für die Zukunft abzeichnet. Entscheidend ist, ob die Planung zu einer städtebaulichen Entwicklung und Ordnung beiträgt. Nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB sind städtebauliche Pläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind. Davon ist u. a. auszugehen, wenn eine planerische Festsetzung lediglich dazu dient, private Interessen zu befriedigen (BVerwG, B.v. 11.5.1999 a. a. O.). Das ist allerdings nicht stets schon dann zu bejahen, wenn der Bauwunsch eines Einzelnen den Anlass für die Planung bietet. Ob eine mit § 1 Abs. 3 BauGB nicht vereinbare „Gefälligkeitsplanung“ vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
Bei der Einbeziehungssatzung „…-Forstweg“ handelt es sich um eine nicht erforderliche Gefälligkeitsplanung im oben beschriebenen Sinn. Der Planung liegt kein tragfähiges städtebauliches Konzept zugrunde. Sie wurde ausschließlich zu dem Zweck erlassen, um den Bauwunsch des Klägers erfüllen zu können. Das geht aus der Entstehungsgeschichte der Satzung und ihrer Begründung hervor. Aus den Aufstellungsunterlagen lässt sich entnehmen, dass der Kläger die Beigeladene mit Schreiben vom …. April 2013 und erneut mit E-Mail vom …. August 2014 um die Aufstellung einer Ergänzungs- bzw. Abrundungssatzung für sein Grundstück FlNr. 143/1 gebeten hatte, da allein die Darstellung des Bereichs im Flächennutzungsplan der Beigeladenen als allgemeines Wohngebiet noch kein Baurecht nach sich ziehe. Weil er möglichst bald mit dem Bauen beginnen wolle, solle möglichst bald eine entsprechende Satzung erlassen werden. Für eine solche Ortsabrundungssatzung solle in der nächsten öffentlichen Sitzung ein offizieller Aufstellungsbeschluss gefasst werden (vgl. Niederschrift der Gemeinderatssitzung der Beigeladenen v. 20.8.2014).
Die zunächst beabsichtigte Einbeziehung weiterer Teilflächen der FlNr. 141, 142 und 143 wurde in der Sitzung des Bau- und Umweltausschusses vom 20. Juli 2015 nicht weiterverfolgt, da Grundstücksverhandlungen nicht erfolgreich abgeschlossen werden könnten „und derzeit lediglich der Bauwunsch des Grundstückeigentümers der FlNr. 143/1 vorliegt“; deshalb solle die planungsrechtliche Grundlage für das geplante Wohnhaus geschaffen werden. Dagegen hatte das Landratsamt am 23. Juni 2015 der Beigeladenen mitgeteilt, weil es einer städtebaulichen Erforderlichkeit der Ortsabrundung bedürfe, werde weiterhin dringend angeraten, den Umgriff der Satzung gemäß der Darstellung im Flächennutzungsplan zu erweitern bzw. anzugleichen.
Auch die Begründung zur Einbeziehungssatzung spricht für eine Gefälligkeitsplanung. Darin wird u. a. ausgeführt, es solle die Möglichkeit geschaffen werden, ein zu Wohnzwecken dienendes Gebäude zu ermöglichen. In unmittelbarer Nachbarschaft der einbezogenen Fläche befinde sich das familieneigene Wohnhaus und die ehemalige Landwirtschaft der Familie. Der Umstand, dass die familiären und räumlichen Bezüge des Klägers und seines Grundstücks in der Begründung Erwähnung finden, ist ein Indiz für das Vorliegen einer Gefälligkeitsplanung. Allein mit dem hieran anschließenden Satz, die Festsetzungen sollten dazu dienen, die zukünftige Bebauung in das gegebenen Ortsbild einzubinden, kann die Beigeladene in Anbetracht dessen kein schlüssiges städtebauliches Konzept begründen, zumal sich das klägerische Grundstück nicht in ortsbildprägend exponierter Lage befindet, sondern vielmehr der Forstweg nach Osten hin keine Anbindung an öffentliche Straßen hat. Auch ergeben sich aus dieser textlichen Begründung keine Hinweise auf irgendwelche städtebaulichen Motive für die Planung oder die Verknüpfung der Einbeziehung des klägerischen Grundstücks mit Erschließungsabsichten der nördlich des Forstwegs gelegenen Grundstücke FlNr. 3/3 und 3/4. Ein darüber hinausgehendes städtebauliches Konzept der Beigeladenen ist weder aus der Einbeziehungssatzung selbst noch aus ihrer Begründung oder sonst aus den Planaufstellungsakten ersichtlich. Der Einwand des Klägers, sein Bauvorhaben ermögliche die Erschließung der nördlich davon gelegenen Grundstücke, kann ebenfalls nicht zur Begründung eines städtebaulichen Konzepts dienen, da der Forstweg auch ohne Verwirklichung des klägerischen Vorhabens als Erschließungsstraße ausgebaut werden kann. Dass dies bereits geschieht, kann den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fotoaufnahmen entnommen werden.
Ob dem Landratsamt eine so genannte „Normverwerfungskompetenz“ zusteht und es deshalb berechtigt ist, die Einbeziehungssatzung der Beigeladenen unangewendet zu lassen, kann dahinstehen, da zumindest das Gericht diese Verwerfungskompetenz besitzt und die Einbeziehungssatzung als unwirksam ansehen kann (vgl. Kalk/Külpmann in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB a. a. O. § 10 Rn. 378 ff.; BVerwG, B.v. 1.2.2011 – 5 B 46.10 – juris Rn. 18).
1.3 Da das Grundstück aus den oben genannten Gründen im bauplanungsrechtlichen Außenbereich nach § 35 BauGB liegt und eine Privilegierung des Bauvorhabens des Klägers nach § 35 Abs. 1 BauGB nicht erkennbar ist, beeinträchtigt es als „sonstiges Vorhaben“ im Sinne von § 35 Abs. 2 BauGB öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB, insbesondere den Belang der natürlichen Eigenart der Landschaft (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB). Zudem lässt das Vorhaben des Klägers die Entstehung einer Splittersiedlung befürchten (§ 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB). Insoweit wird gemäß § 117 Abs. 5 VwGO auf die Ausführungen des Bescheids des Beklagten vom 10. März 2016 Bezug genommen.
2. Aus diesen Gründen ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, ist es angemessen, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO).
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 10.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz – GKG – i. V. m. Nrn. 9.1.1.1 und 9.2 des Streitwertkatalogs 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.


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