Baurecht

Unzulässigkeit einer Nichtigkeitsfeststellung wegen Rechtskraftbindung

Aktenzeichen  Au 6 K 17.1359

Datum:
30.5.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 12346
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43 Abs. 1, § 121 Nr. 1
BayStrWG Art. 6
BayVwVfG Art. 44 Abs. 1

 

Leitsatz

Ist die begehrte Feststellung, dass die Widmung eines über ein Grundstück des Klägers führenden Waldweges nichtig sei, mit einem formell rechtskräftigen Urteil als unbegründet abgewiesen worden, betrifft eine weitere Klage mit dem Feststellungsbegehren, dass über das im Eigentum des Klägers stehende Grundstück kein öffentlicher Forst- und Waldweg verlaufe, die zugrundeliegende Widmungsverfügung demnach nichtig sei, einen identischen Streitgegenstand und ist deshalb wegen der entgegenstehenden materiellen Rechtskraft des vorangegangenen Urteils ohne erneute Sachprüfung durch Prozessurteil als unzulässig abzuweisen. (Rn. 15 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage ist bereits unzulässig; ihr steht die Rechtskraft des Urteils des Gerichts vom 5. September 2012 im Verfahren Au 6 K 12.619 entgegen (vgl. § 121 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Rechtskraft stellt ein von Amts wegen zu beachtendes Prozesshindernis dar (vgl. BVerwG, U.v. 27.1.1995 – 8 C 8/93 – NJW 1996, 737, juris Rn. 12 m.w.N.).
Der Kläger begehrt bei sachgerechter Auslegung (§ 88 VwGO) die Feststellung, dass über das in seinem Eigentum stehende Grundstück FlNr. … der Gemarkung … kein öffentlicher Feld- und Wald Weg verläuft, die zugrundeliegende Widmungsverfügung der Beklagten vom 24. Juni 2009 demnach nichtig ist.
1. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage ist bereits unzulässig, da über das Klagebegehren des Klägers bereits ablehnend entschieden worden ist. Sie ist ohne weitere Sachprüfung aufgrund der materiell rechtskräftigen Entscheidung über denselben Streitgegenstand im Verfahren Au 6 K 12.619 als unzulässig abzuweisen (vgl. Lindner in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2017, § 121 Rn. 16; Grundsatz: „ne bis in idem“).
a) Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Die materielle Rechtskraft ist Ausfluss des verfassungsrechtlich geschützten Prinzips der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes – GG); sie betrifft die Auswirkungen des formell rechtskräftigen Urteils auf andere, in der Regel nachfolgende Verfahren (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 121 Rn. 4). Zweck dieser Vorschrift ist es zu verhindern, dass die aus einem festgestellten Tatbestand hergeleitete Rechtsfolge, über die durch Urteil entschieden worden ist, bei unveränderter Sach- und Rechtslage erneut zum Gegenstand eines Verfahrens zwischen denselben Parteien oder ihren Rechtsnachfolgern gemacht wird (vgl. BVerwG, U.v. 21.9.1984 – 8 C 137/81 – BVerwGE 70, 156, juris Rn. 12 m.w.N.). Diese Auslegung entspricht der Bedeutung der Rechtskraft zur Gewährleistung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit (vgl. BVerfG, B.v. 31.1.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 47, 146; BVerwG, U.v. 22.10.2009 – 1 C 26/08 – BVerwGE 135, 137; U.v. 8.12.1992 – 1 C 12/92 – BVerwGE 91, 256): Was durch gerichtliche Entscheidung klargestellt worden ist, soll nicht immer wieder zum Gegenstand neuen Streits unter den Beteiligten gemacht werden.
Demnach verhindert § 121 VwGO, dass ein Streitgegenstand, über den rechtskräftig entschieden wurde, in einem weiteren gerichtlichen Verfahren zwischen denselben Beteiligten einer erneuten Sachprüfung zugeführt werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 3.2.1988 – 6 C 49/86 – BVerwGE 79, 33; Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 121 Rn. 10).
b) Voraussetzungen für den Eintritt der Bindungswirkungen der materiellen Rechtskraft sind die formelle Rechtskraft sowie die materielle Rechtskraftfähigkeit der jeweiligen Entscheidung über denselben Streitgegenstand. Diese sind vorliegend gegeben.
Streitgegenstand der gegenständlichen Klage ist vorliegend das Feststellungsbegehren des Klägers, dass über das in seinem Eigentum stehende Grundstück FlNr. … der Gemarkung … kein öffentlicher Feld- und Wald Weg verläuft, die zugrundeliegende Widmungsverfügung der Beklagten vom 24. Juni 2009 demnach nichtig ist.
aa) Der Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist mit dem des Verfahrens Au 6 K 12.619 identisch. Streitgegenstand ist jeweils nicht nur die Feststellung, ob über das klägerische Grundstück FlNr. … der Gemarkung … der öffentliche Feld- und Wald Weg (Nr. … der Beklagten „…“, s. Bestandsverzeichnis für öffentliche Feld- und Waldwege, Bl. 18 der Behördenakte) verläuft, sondern auch die Frage, ob die zugrundeliegende Widmung dieses Weges wirksam ist. Der Streitgegenstand wird dabei grundsätzlich durch den Klageanspruch und Klagegrund bestimmt (sog. zweigliedriger Streitgegenstandsbegriff). Er ist durch die erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck gebrachte Rechtsfolge und den Sachverhalt gekennzeichnet, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll (vgl. BVerwG, U.v. 10.5.1994 – 9 C 501/93 – BVerwGE 96, 24; BayVGH, U.v. 28.1.2009 – 12 B 08.2039 – EuG 2009, 318; Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 121 Rn. 23 m.w.N.).
(1) In dem im Jahr 2012 geführten Klageverfahren (Au 6 K 12.619) hatte der Kläger in der mündlichen Verhandlung beantragt, festzustellen, dass die Widmung des im Eigentum des Klägers stehenden Weges auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … mit Gemeinderatssitzung vom 23. Juni 2009 bzw. mit Widmungsakt vom 24. Juni 2009 nichtig ist. Der Kläger war der Ansicht, die Widmung sei nichtig, da sie ohne seine Zustimmung erfolgt sei; die Zustimmung aus dem Jahr 1971 sei nicht zur Widmung, nur zum Wegebau erfolgt und betreffe nicht das gegenständliche Wegegrundstück. Das Urteil des Gerichts vom 5. September 2012 im Verfahren Au 6 K 12.619 – in dem die begehrte Feststellung, dass die Widmung des Waldweges, der über das im Eigentum des Klägers stehende Grundstück FlNr. … der Gemarkung … verläuft, nichtig ist, als unbegründet abgewiesen wurde – ist formell rechtskräftig (BayVGH, B.v. 23.5.2017 – 8 ZB 16.2059; vgl. § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO). Die Klage im Verfahren Au 6 K 12.619 wurde als unbegründet abgewiesen; da die von der Beklagten am 24. Juni 2009 verfügte Widmung des Weges, die am 3. September 2009 in das Bestandsverzeichnis der Beklagten eingetragen wurde, nicht wegen der fehlenden Zustimmung des Grundstückseigentümers nichtig ist. Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung war das Gericht davon überzeugt, dass der Voreigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks FlNr. … der Widmungsverfügung zugestimmt hatte und diese Zustimmung auch im Zeitpunkt der Widmung fortbestand. Das Urteil entfaltet vorliegend auch Bindungswirkung. Denn der materiellen Rechtskraft fähig sind formell rechtskräftige klageabweisende Endurteile in Gestalt von Sach- oder Prozessurteilen (vgl. Kilian in Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 121 Rn. 31), wenngleich mit Klageabweisung nicht zugleich rechtskräftig die Rechtmäßigkeit der Widmungsverfügung feststeht (vgl. Lindner in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, Stand 1.10.2017, § 121 Rn. 43).
(2) Zur Begründung des gegenständlichen Antrags – der nunmehr erneut erhobenen Feststellungsklage – ergänzte der Kläger in der mündlichen Verhandlung, das streitgegenständliche Grundstück sei 52.030 m² groß und er sei der Auffassung, dass die Eintragung mit dem Widmungsakt aus dem Jahr 2009 nichtig sei.
Vorliegend wurde der vorgenannte identische Streitgegenstand (bei unveränderter Sach- und Rechtslage) erneut zum Gegenstand eines Verfahrens gemacht. Nach Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG ist ein Verwaltungsakt nichtig, wenn er an einem besonders schwerwiegenden, offensichtlichen Fehler leidet oder die in Art. 44 Abs. 2 BayVwVfG aufgelisteten Nichtigkeitsgründe vorliegen. Als Nichtigkeitsgrund machte der Kläger in der mündlichen Verhandlung wiederum ausschließlich die möglicherweise fehlende Zustimmung des Grundstückseigentümers (eines Rechtsvorgängers des Klägers) geltend; er ist der Ansicht, dass das Urteil im Verfahren Au 6 K 12.619 eine Urkundenfälschung darstelle, da für das streitgegenständliche Grundstück im Grundbuch kein öffentlicher Feld- und Wald Weg eingetragen sei. Nichtigkeitsgründe nach Art. 44 Abs. 2 BayVwVfG wurden nicht vorgetragen. Die seitens des Klägers behauptete „Urkundenfälschung“, stellt insoweit keine veränderte Sach- und Rechtslage dar; im Übrigen bleiben die Eigentumsverhältnisse durch das Urteil im Verfahren Au 6 K 12.619 unberührt.
Über das gegenständliche klägerische Feststellungsbegehren ist bereits rechtskräftig ablehnend entschieden. Im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten steht demnach die wirksam erfolgte Widmung rechtskräftig fest (vgl. auch BayVGH, B.v. 25.2.2010 – 8 ZB 09.1107 – juris).
bb) Die engen Voraussetzungen, unter denen nach herrschender Ansicht ausnahmsweise eine Ausnahme vom Eintritt der Rechtskraft oder eine Rechtskraftdurchbrechung in Betracht kommt (vgl. Rennert in VwGO, § 121 Rn. 50 ff.; Lindner in Posser/Wolff, BeckOK VwGO, § 121 Rn. 57; BayVGH B.v. 4.2.2016 – 4 ZB 15.2506 – juris) liegen hier ersichtlich ebenso wenig vor, wie die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahmeklage nach § 153 VwGO i.V.m. §§ 578 ff ZPO; Letztere wurde mit Urteil des Gerichts vom 14. März 2018 im Verfahren Au 6 K 17.1038 als unzulässig abgewiesen. Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 26. April 2018 (Az. 8 ZB 18.744) wurde der dagegen eingelegte Antrag auf Zulassung der Berufung verworfen.
Die Klage war demnach – ohne erneute Sachprüfung – wegen entgegenstehender Rechtskraft des Urteils vom 5. September 2012 im Verfahren Au 6 K 12.619 abzuweisen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO, §§ 708 Nr. 1, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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