Baurecht

Verbot für Fahrzeuge über 3,5 t, verkehrsrechtliche Anordnung, Antrags- und Klagebefugnis als Verkehrsteilnehmer und Anlieger, gewerblich genutztes Grundstück, besondere Gefahrenlage, straßenrechtliche Widmung, Dokumentationspflicht der Straßenverkehrsbehörde, Ermessensausübung

Aktenzeichen  11 CS 22.57

Datum:
21.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 6512
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
StVO § 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 1b Nr. 4, Abs. 9 S. 3
VwGO § 42 Abs. 2, 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 2

 

Leitsatz

Verfahrensgang

W 6 S 21.1526 2021-12-21 Bes VGWUERZBURG VG Würzburg

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 21. Dezember 2021 wird abgeändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen das Verbot für Kraftfahrzeuge über 3,5 t (Zeichen 253) mit dem Zusatzzeichen „landwirtschaftlicher Verkehr frei“ auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung A. wird angeordnet.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich gegen den Sofortvollzug eines Fahrverbots für Kraftfahrzeuge über 3,5 t im Bereich der Zufahrt zu seinem Grundstück.
Der Antragsteller erwarb im Jahr 2018 das Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung A. im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin. Auf diesem Grundstück befinden sich mehrere gewerblich genutzte Gebäude, unter anderem eine Halle, die der frühere Eigentümer des Grundstücks offenbar im Jahr 1991 als offene Holzlagerhalle der Bauaufsichtsbehörde angezeigt und genehmigungsfrei errichtet hat.
In einem Bebauungsplan „Gewerbegebiet ‚A.‘ im Ortsteil A.“ vom 10. Oktober 2020 hat die Antragsgegnerin die aneinander angrenzenden Grundstücke Fl.Nr. … und … der Gemarkung A., deren Eigentümer der Antragsteller ist, als Gewerbegebiet (§ 8 BauNVO) und das daran nordwestlich angrenzende Grundstück Fl.Nr. … sowie Teile des Grundstücks Fl.Nr. … als Straßenverkehrsfläche (§ 9 Abs. 1 Nr. 11, Abs. 6 BauGB) festgesetzt.
Mit Schreiben vom 29. Juli 2021 teilte das Landratsamt Kitzingen dem Antragsteller mit, bei einer Baukontrolle seien genehmigungsbedürftige Umbauten der Halle auf dem Grundstück Fl.Nr. … festgestellt worden, und forderte ihn auf, bis spätestens 31. August 2021 eine Baugenehmigung zu beantragen oder entsprechend zurückzubauen. Mit Anordnung vom 15. November 2021 verpflichtete das Landratsamt den Antragsteller, für die Nutzungsänderung der Halle und die baulichen Veränderungen auf dem Grundstück einen Bauantrag einzureichen. Dem kam der Antragsteller am 22. November 2021 nach und beantragte die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung der Holzlagerhalle zur Lagerhalle (Lagerung von Einzelhandelsartikeln, verpackt auf Paletten, werktäglich zwei Anlieferungen und Abholungen mit LKW bis 40 t). Ob das Landratsamt darüber bereits entschieden hat, geht aus den vorliegenden Akten nicht hervor.
Am 21. Oktober 2021 ordnete der erste Bürgermeister der Antragsgegnerin ein Durchfahrtsverbot für LKW (Zeichen 253) mit dem Zusatzzeichen „landwirtschaftlicher Verkehr frei“ auf den öffentlichen Verkehrsflächen Fl.Nr. …, … und … der Gemarkung A. an (verkehrsrechtliche Anordnung „nach § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 1b Nr. 4 StVO“). Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 22. November 2021 erhob der Antragsteller bei der Antragsgegnerin Einwendungen gegen die am 19. November 2021 aufgestellten Verkehrszeichen. Es sei nicht mehr möglich, das Gewerbegrundstück Fl.Nr. … mit LKW anzufahren. Mit Schreiben vom 22. November 2021 lehnte die Antragsgegnerin eine Änderung der Beschilderung ab. Der Bebauungsplan lege das Grundstück Fl.Nr. … und speziell für das Grundstück Fl.Nr. … eine angrenzende Strecke von ca. 14 Metern des Grundstücks Fl.Nr. … als Erschließungsstraße fest.
Mit Schriftsatz vom 29. November 2021 haben die Bevollmächtigten des Antragstellers Anfechtungsklage gegen das Fahrverbot für LKW auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung A. erhoben, über die das Verwaltungsgericht Würzburg noch nicht entschieden hat. Den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 21. Dezember 2021 abgelehnt. Der Antrag sei unzulässig, da der Antragsteller von dem Fahrverbot nicht betroffen und daher nicht antragsbefugt sei. Das Grundstück Fl.Nr. … werde nicht von ihm selbst genutzt, sondern sei an ein Transportunternehmen vermietet. Er könne sich auch nicht als Grundstückseigentümer auf eine Einschränkung seines Anliegergebrauchs berufen, da dieser lediglich die Zugänglichkeit des Grundstücks zur Straße schütze, soweit eine angemessene Nutzung dies erfordere. Nicht geschützt werde jedoch vor Einschränkungen und Erschwernissen der Zufahrtsmöglichkeiten. Die Erschließung sei im Bebauungsplan abschließend geregelt und eine weitere Zuwegung zum Grundstück von Osten her nicht vorgesehen. Der Antragsteller sei auch nicht als Verkehrsteilnehmer betroffen, da das Fahrtverbot lediglich für Fahrzeuge ab 3,5 t gelte und nicht ersichtlich sei, dass der Antragsteller das Grundstück Fl.Nr. … überhaupt mit entsprechenden Fahrzeugen nutze. Allerdings bestünden Bedenken, soweit die verkehrsrechtliche Anordnung auf § 45 Abs. 1b Nr. 4 StVO gestützt worden sei, da diese Vorschrift die Erhaltung der Sicherheit und Ordnung in Fußgängerbereichen und verkehrsberuhigten Bereichen betreffe. Auch lasse sich der Anordnung keine hinreichende Begründung entnehmen. Zudem seien die weiteren dort benannten Flurnummern wohl unzutreffend. Ungeachtet dessen sei aber darauf hinzuweisen, dass nach dem Vorbringen der Antragsgegnerin das Grundstück Fl.Nr. … nur für den landwirtschaftlichen Verkehr gewidmet sei, was die Nutzung des Weges für den gewerblichen An- und Abtransportverkehr verbiete und bei Zuwiderhandlungen den Erlass einer entsprechenden verkehrsrechtlichen Anordnung rechtfertige.
Zur Begründung der hiergegen erhobenen Beschwerde, der die Antragsgegnerin entgegentritt, lässt der Antragsteller vortragen, das Grundstück Fl.Nr. … sei nicht ausschließlich zur alleinigen Nutzung an die … GmbH vermietet. Auch er selbst nutze die Lagerhalle zur Einlagerung von Möbeln und Paletten. Er müsse das Grundstück daher anfahren können. Es gebe keine andere Zufahrtsmöglichkeit zur Lagerhalle, die seit Jahrzehnten der Einlagerung von Warenbeständen der damals dort betriebenen Schreinerei diene und immer über Fl.Nr. … durch LKW angefahren worden sei. Durch den Umbau sei der Nutzungszweck nicht geändert worden. Der Antragsteller sei Inhaber einer Fahrerlaubnis für LKW und berechtigt, Fahrzeuge der … GmbH zu nutzen, deren Geschäftsführer er sei. Eine Erschließung des Grundstücks über Fl.Nr. … sei nicht gegeben, da sich zwischen Fl.Nr. … und Fl.Nr. … ein Graben befinde, der nicht überquert werden könne. Auch über Fl.Nr. … sei das Grundstück Fl.Nr. … nicht erschlossen, da ein Wegerecht als Grunddienstbarkeit nicht eingetragen sei und im Falle einer Veräußerung keine Möglichkeit mehr bestünde, dieses Grundstück anzufahren.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Antragsteller ist antragsbefugt und durch das angefochtene Fahrverbot für Fahrzeuge ab 3,5 t auf dem Grundstück Fl.Nr. … in seinen Rechten verletzt.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Zwar hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers entgegen seiner Ankündigung innerhalb der bereits abgelaufenen Monatsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO keine weitere Beschwerdebegründung nachgereicht. Die Ausführungen in seinem Schriftsatz vom 5. Januar 2022 genügen jedoch den Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO, wonach die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen muss.
Das Verwaltungsgericht hat seine Entscheidung tragend darauf gestützt, die Antragsbefugnis des Antragstellers sei zu verneinen, weil dieser von dem Fahrverbot nicht betroffen sei. Es sei nicht ersichtlich, dass er das Grundstück Fl.Nr. … als Verkehrsteilnehmer mit Fahrzeugen ab 3,5 t befahre. Er nutze das vermietete Grundstück nicht selbst und der Anliegergebrauch schütze nicht vor Einschränkungen und Erschwernissen der Zufahrtsmöglichkeiten.
Hiergegen hat der Antragsteller eingewandt, er sei Inhaber der für Fahrzeuge über 3,5 t erforderlichen Fahrerlaubnis und als Geschäftsführer der Mieterin (bzw. Pächterin) des betroffenen Grundstücks Fl.Nr. … berechtigt, deren Fahrzeuge zu nutzen. Da er auch selbst Möbel und Paletten in der Halle lagere, sei er auf die einzige Zufahrtsmöglichkeit über das Grundstück Fl.Nr. … angewiesen. Hiermit hat der Antragsteller sich ausreichend mit den entscheidungstragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung auseinandergesetzt und dargelegt, weshalb er der Ansicht ist, dass die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist. Er hat auch ausgeführt, aus welchen Gründen nach seiner Auffassung die materiellrechtlichen Voraussetzungen für das angeordnete Verbot für Kraftfahrzeuge über 3,5 t nicht vorliegen.
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
a) Die Klage des Antragstellers und sein Begehren im vorläufigen Rechtsschutz richten sich den Anträgen zufolge ausdrücklich nur gegen das Fahrverbot für Fahrzeuge über 3,5 t auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung A. Soweit in der verkehrsrechtlichen Anordnung ein Fahrverbot auf den Grundstücken Fl.Nr. … und … (letztere Bezeichnung ist möglicherweise unzutreffend, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hinweist) verfügt und dies auch umgesetzt wurde, ist dies nicht Gegenstand des Verfahrens.
b) Die im Beschwerdeverfahren auf die dargelegten Gründe beschränkte Prüfung (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergibt, dass das angefochtene Fahrverbot rechtswidrig ist und den Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Die noch anhängige Klage wird daher voraussichtlich Erfolg haben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
aa) Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Antragsteller sowohl als Verkehrsteilnehmer als auch als Anlieger und Grundstückseigentümer klage- und antragsbefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO). Er hat hinreichend geltend gemacht, durch das Fahrverbot in seinen Rechten verletzt zu sein.
Zur Bejahung der Klage- und Antragsbefugnis genügt es, dass nach dem Vorbringen des Klägers bzw. Antragstellers eine Verletzung seiner Rechte möglich ist. Unzulässig sind die Anfechtungsklage und der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO nur, wenn eine Verletzung subjektiver Rechte des Klägers bzw. Antragstellers unter Zugrundelegung seines Vorbringens nach keiner Betrachtungsweise möglich erscheint (vgl. BVerwG, U.v. 21.8.2003 – 3 C 15.03 – BayVBl 2004, 567 = juris Rn. 18). Für Verkehrszeichen bedeutet dies, dass der Kläger bzw. Antragsteller plausibel darlegen muss, dass ihn die Regelung tatsächlich in seinem eigenen Verhalten als Verkehrsteilnehmer betrifft. Auch Anlieger sind grundsätzlich befugt, Verkehrsverbote oder -beschränkungen anzufechten, wenn sie von ihnen betroffen sind (vgl. BayVGH, B.v. 26.2.2015 – 11 ZB 14.2491 – juris Rn. 18).
Amtliche Verkehrszeichen i.S.d. §§ 39 ff. der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) vom 6. März 2013 (BGBl I S. 367), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), wie das hier angeordnete Verbot für Kraftfahrzeuge über 3,5 t (Zeichen 253) mit dem Zusatzzeichen „landwirtschaftlicher Verkehr frei“ sind Dauerverwaltungsakte in Form der Allgemeinverfügung (Art. 35 Satz 2 BayVwVfG) zur Umsetzung der ihnen zugrundeliegenden verkehrsrechtlichen Anordnungen. Mit dem Aufstellen (vgl. § 39 Abs. 1, § 45 Abs. 4 StVO) wird das Verkehrszeichen den betroffenen Verkehrsteilnehmern bekannt gemacht und ist von ihnen zu beachten (vgl. BayVGH, U.v. 12.4.2016 – 11 B 15.2180 – juris Rn. 16 m.w.N.). Verkehrszeichen sind in entsprechender Anwendung von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO sofort vollziehbar mit der Folge, dass eine gegen sie erhobene Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung hat (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 28.6.2018 – 11 CS 18.964 – BayVBl 2019, 27 Rn. 9).
Wie der Antragsteller im Beschwerdeverfahren unwidersprochen ausgeführt hat, ist er Inhaber der für Fahrzeuge über 3,5 t erforderlichen Fahrerlaubnis und nutzt die an die * * * GmbH verpachtete Lagerhalle auch selbst. Er ist Eigentümer des betroffenen Grundstücks, das nach Erlass des Fahrverbots mit LKW wohl nur noch über das benachbarte Grundstück Fl.Nr. … angefahren werden kann. Auch wenn dieses Grundstück ebenfalls dem Antragsteller gehört, ist die Zufahrt mit Fahrzeugen über 3,5 t zu seinem Grundstück Fl.Nr. … durch die verkehrsrechtliche Anordnung erheblich erschwert und über öffentliche Verkehrsflächen nicht mehr möglich. Damit ist der Antragsteller durch die Maßnahme als Verkehrsteilnehmer (Art. 2 Abs. 1 GG) und Anlieger (Art. 17 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes – BayStrWG) in seinen subjektiven Rechten betroffen und antragsbefugt.
bb) Das angeordnete Fahrverbot für Fahrzeuge über 3,5 t auf dem Grundstück Fl.Nr. … der Gemarkung A. ist rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
(1) Gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Das gleiche Recht haben sie gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVO zur Verhütung außerordentlicher Schäden an der Straße. Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs, wozu auch das hier angeordnete Fahrverbot zählt, dürfen nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO – abgesehen von hier nicht einschlägigen Ausnahmen – nur angeordnet werden, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Hierdurch wird die Befugnisnorm des § 45 Abs. 1 StVO ergänzt (vgl. König in Hentschel/Dauer/König, 46. Auflage 2021, § 45 StVO Rn. 28a, 49b, 49e; Koehl in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 3. Auflage 2022, § 45 StVO Rn. 12, 44). Die Annahme der Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO durch die Behörde setzt die gerichtlich voll überprüfbare Prognose voraus, dass eine auf besonderen örtlichen Verhältnissen beruhende konkrete Gefahr bzw. eine das allgemeine Risiko deutlich übersteigende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts besteht. Besondere örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO können durch die Streckenführung, deren Ausbauzustand, witterungsbedingte Einflüsse, die anzutreffende Verkehrsbelastung und den daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein (BVerwG, B.v. 3.1.2018 – 3 B 58.16 – juris Rn. 21 m.w.N.).
Ordnet die Straßenverkehrsbehörde ein Verkehrszeichen an, trägt sie die materielle Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen hierfür erfüllt sind. Es obliegt ihr daher, die zugrundeliegenden Umstände zu ermitteln, zu dokumentieren und aktenkundig zu machen (BayVGH, B.v. 28.12.2020 – 11 ZB 20.2176 – BayVBl 2021, 196 Rn. 22; B.v. 14.1.2022 – 11 CS 21.2672 – juris Rn. 14).
(2) Die Antragsgegnerin hat die verkehrsrechtliche Anordnung vom 21. Oktober 2021 auf § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 1b Nr. 4 StVO gestützt. Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 1b Nr. 4 StVO sind jedoch ersichtlich nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift, die auf § 45 Abs. 1b Nr. 3 StVO Bezug nimmt, treffen die Straßenverkehrsbehörden die notwendigen Anordnungen zur Erhaltung der Sicherheit oder Ordnung in Fußgängerbereichen (Zeichen 242.1) und verkehrsberuhigten Bereichen (Zeichen 325.1) (vgl. König in Hentschel/Dauer/König, § 45 StVO Rn. 35; Koehl in Haus/Krumm/Quarch, § 45 StVO Rn. 35; Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Auflage 2020, Rn. 1229). Bei der betroffenen Verkehrsfläche (Fl.Nr. … der Gemarkung A.) handelt es sich jedoch offensichtlich weder um einen Fußgängerbereich noch um einen verkehrsberuhigten Bereich.
Allein auf § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO kann das angegriffene Fahrverbot nicht gestützt werden. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO enthält eine Generalklausel für verkehrsrechtliche Regelungen. Im Anwendungsbereich der speziellen Ermächtigungen in § 45 Abs. 1 Satz 2, Abs. 1a bis 1i, Abs. 2 und Abs. 8 StVO, die die Generalklausel hinsichtlich bestimmter Zwecke und Inhalte der verkehrsrechtlichen Anordnung konkretisieren und hierfür tatbestandliche Voraussetzungen festlegen, müssen diese Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sein. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO tritt dann lediglich ergänzend hinzu, kann aber isoliert keine einschränkende verkehrsrechtliche Regelung rechtfertigen (vgl. Sauthoff, Öffentliche Straßen, Rn. 1046 m.w.N.).
Soweit die Antragsgegnerin durch ihre Prozessvertreter in ihrer erstinstanzlichen Antragserwiderung vom 21. Dezember 2021 hat ausführen lassen, der Weg sei für eine Tonnagelast von Transport-LKW nicht ausgelegt und deshalb nur für den landwirtschaftlichen Verkehr gewidmet, da andernfalls mit erheblichen Schäden an diesem Flurweg gerechnet werden müsse, ergibt sich hierzu nichts aus den von der Antragsgegnerin vorgelegten Akten. Richtig ist zwar, dass das Straßenverkehrsrecht der straßenrechtlichen Widmung nicht zuwiderlaufen darf und die konkrete Widmung, die auch Beschränkungen auf bestimmte Benutzungsarten ermöglicht (Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG), somit den Rahmen für die Regelungsbefugnisse der Straßenverkehrsbehörde vorgibt (BayVGH, B.v. 23.10.2009 – 11 ZB 07.1580 – juris Rn. 13; Koehl in Haus/Krumm/Quarch, § 45 StVO Rn. 50; Sauthoff, Öffentliche Straßen, Rn. 19 f.). Das Straßenverkehrsrecht regelt den durch die Widmung zugelassenen Verkehr unter ordnungsrechtlichen Gesichtspunkten. Daher kann eine von der straßenrechtlichen Widmung ausgeschlossene Nutzung grundsätzlich auch durch klarstellende verkehrsrechtliche Regelungen unterbunden werden (vgl. Sauthoff, Öffentliche Straßen, Rn. 310). Hierzu müsste die Antragsgegnerin aber belegen, dass der Verkehr mit Fahrzeugen über 3,5 t auf dem Grundstück Fl.Nr. … von der Widmung ausgenommen ist. Das hat sie jedoch bisher nicht getan. Gleiches gilt für eine grundsätzlich nach § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StVO mögliche verkehrsrechtliche Anordnung zur Verhütung außerordentlicher Schäden an der Straße. Auch insoweit enthalten die von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen keinerlei Dokumentation über den Straßenzustand und etwaige Schäden aufgrund der bisherigen Nutzung des Wegs mit schweren Fahrzeugen durch den früheren Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. … oder durch dessen Kunden.
Im Übrigen gilt – wie bereits ausgeführt – für Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs, dass diese nach § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO nur angeordnet werden dürfen, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. Auch hierzu lässt sich den Akten der Antragsgegnerin nichts entnehmen.
(3) Es kommt hinzu, dass es sich bei der verkehrsrechtlichen Anordnung um eine Ermessensentscheidung handelt. Zwar muss eine in sonstiger Weise (Art. 37 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG) erlassene Allgemeinverfügung wie die Anordnung und Aufstellung eines Verkehrszeichens anders als ein schriftlicher oder elektronischer sowie ein schriftlich oder elektronisch bestätigter Verwaltungsakt (Art. 39 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG) keine Begründung im Sinne von Art. 39 Abs. 1 Satz 3 BayVwVfG enthalten, die die Gesichtspunkte erkennen lässt, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist (vgl. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 39 Rn. 105). Allerdings müssen die vor Erlass der straßenverkehrsrechtlichen Anordnung angestellten Ermessenserwägungen zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in irgendeiner Weise erkennbar sein und zumindest nachvollziehbar dargelegt werden (stRspr, zuletzt BayVGH, B.v. 14.1.2022 – 11 CS 21.2672 – juris Rn. 17; B.v. 23.2.2022 – 11 ZB 21.1583 – juris Rn. 13 m.w.N.). Deshalb muss zumindest im Ansatz erkennbar sein, dass die anordnende Behörde sich ihres Ermessensspielraums bewusst war und welche Erwägungen sie hierzu angestellt hat. Auch dazu enthalten die von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen keinerlei Angaben. Aus der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 21. Oktober 2021 geht nicht hervor, dass die Antragsgegnerin überhaupt Ermessen ausgeübt und welche Belange sie in die gebotene Abwägung eingestellt hat.
Zwar sind angesichts der strengen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 StVO keine allzu hohen Anforderungen an die Ermessensausübung zu stellen (BayVGH, U.v. 28.9.2011 – 11 B 11.910 – juris Rn. 24, 39). Außerdem gewährleistet weder das Recht auf Anliegergebrauch dem Eigentümer eines Grundstücks einen Anspruch auf eine optimale Zufahrt (König in Hentschel/Dauer/König, § 45 StVO Rn. 28c) oder auf Fortbestand einer Verkehrsverbindung noch garantiert das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb einem auf die Anlieferung von Waren angewiesenen Gewerbebetrieb die bestmögliche Anlieferungsmöglichkeit. Allerdings vermittelt der Anliegergebrauch dem Rechtsinhaber zumindest einen Anspruch auf zumutbare Erreichbarkeit des Grundstücks (vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2021 – 8 CE 21.1989 – NVwZ-RR 2022, 15 Rn. 49 ff.) und demgemäß beim Erlass einer verkehrsrechtlichen Anordnung, die die Erreichbarkeit einschränkt, einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Welche Zufahrtsmöglichkeiten zur angemessenen Nutzung des Grundstücks erforderlich sind, richtet sich nach den durch die Rechtslage und die tatsächliche Grundstückssituation bestimmten Bedürfnissen. Dabei ist auch die das Grundstück prägende Situation der Umgebung zu berücksichtigen.
Den Akten der Antragsgegnerin lassen sich keine Erwägungen dahingehend entnehmen, in welcher Weise sie die für und gegen die Anordnung sprechenden Gesichtspunkte, insbesondere die Belange des Antragstellers, gewürdigt und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gegeneinander abgewogen hat. Unabhängig davon, ob der Antragsteller die zuvor baurechtlich genehmigte oder zumindest über einen langen Zeitraum geduldete Halle ohne die erforderliche Genehmigung verändert hat, sind seine Belange bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen. Hierzu hätte insbesondere auch deshalb Veranlassung bestanden, weil das Grundstück Fl.Nr. … vom Grundstück Fl.Nr. … offenbar durch einen Straßengraben getrennt ist und daher aufgrund des Fahrverbots künftig mit Fahrzeugen über 3,5 t nur noch über das westlich angrenzende Grundstück Fl.Nr. … erreicht werden kann. Außerdem hat die Antragsgegnerin das Grundstück Fl.Nr. … ebenso wie das Nachbargrundstück Fl.Nr. … in ihrem Bebauungsplan vom 10. Oktober 2020 ausdrücklich als Gewerbegebiet festgesetzt mit der Folge, dass dort Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe zulässig sind (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO), was in aller Regel eine Erreichbarkeit mit Fahrzeugen auch über 3,5 t erfordert. Insoweit erweist sich das Fahrverbot gegenüber der bauplanerischen Entscheidung der Antragsgegnerin zumindest hinsichtlich des Grundstücks Fl.Nr. … als widersprüchlich. ln diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass der räumliche Geltungsbereich des Bebauungsplans (§ 9 Abs. 7 BauGB) das Grundstück Fl.Nr. … nicht erfasst und der Antragsteller sich daher nicht auf entgegenstehende Festsetzungen des Bebauungsplans verweisen lassen muss. Somit wäre zumindest zu erwägen gewesen, dem Antragsteller, der Pächterin des Grundstücks Fl.Nr. … und dem Lieferverkehr die Zufahrt über die Fl.Nr. … mit dem Zusatzzeichen ‚Anlieger frei‘ (§§ 39 Abs. 3, 41 Abs. 2 Satz 3 StVO i.V.m. Zusatzzeichen 1020-30) zu ermöglichen. Sollte dies der straßenrechtlichen Widmung widersprechen (Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayStrWG), käme auch insoweit eine Änderung in Betracht, die einen sinnvollen Betrieb des bauplanungsrechtlich zulässigen Gewerbebetriebs ermöglicht.
c) Der Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1 und 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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