Baurecht

Vergabeverfahren: Kein Rechtsverlust bei verspätetem Hinweis auf gewerbliche Schutzrechte

Aktenzeichen  Verg 2/19

Datum:
8.7.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 25448
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VgV  § 31 Abs. 1, Abs. 6, § 53 Abs. 8, § 57 Abs. 1
BGB § 242
GWB § 121 Abs. 1 S. 1, § 160 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1. Zu den Folgen für die Vergabestelle, wenn sie erst nach Bekanntmachung der Ausschreibung von gewerblichen Schutzrechten für den Auftragsgegenstand erfährt. (Rn. 55 – 58)
2. Hat ein Bieter entgegen § 53 Abs. 8 VgV nicht spätestens mit Abgabe seines Angebots auf gewerbliche Schutzrechte für den Auftragsgegenstand hingewiesen, führt dies weder dazu, dass er aus diesem Schutzrecht keine Rechte mehr herleiten kann noch dazu, dass sein Angebot nach § 57 VgV auszuschließen ist. § 53 Abs. 8 VgV stellt eine Konkretisierung der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. (Rn. 62 – 74)

Verfahrensgang

Z3-3-3194-1-30-08/18 2019-01-03 Bes VKSUEDBAYERN Vergabekammer München

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern, vom 3. Januar 2019, Az. Z3-3-3194-1-30-08/18 in Ziffer 2. aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor der Bekanntmachung der Ausschreibung zurückzuversetzen und bei erneuter Durchführung die Rechtsauffassung des Vergabesenats zu berücksichtigen.
Im Übrigen werden die sofortige Beschwerde der Beigeladenen und der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden zwischen der Antragstellerin und der Beigeladenen gegenseitig aufgehoben. Ihre im Beschwerdeverfahren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen tragen die Verfahrensbeteiligten selbst.
Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer tragen die Antragstellerin, die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu je 1/3. Ihre vor der Vergabekammer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen tragen die Verfahrensbeteiligten selbst.

Gründe

I.
Die Antragsgegnerin beabsichtigt die Vergabe einer Rahmenvereinbarung über die Lieferung von Brandschutzkleidung und veröffentlichte im September 2017 die Ausschreibung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union im Wege des offenen Verfahrens.
Ziffer II. 2.4) der Bekanntmachung enthält – auszugsweise – folgende kurze Beschreibung der Beschaffung:
Brandschutz-/Einsatzkleidung für die Bereiche der Brandbekämpfung, der technischen Hilfeleistung sowie der Unterstützung Rettungsdienst/First Respondereinsatz für die Einsatzkräfte der Berufsfeuerwehr sowie der Freiwilligen Feuerwehr M. Es soll eine Kombination aus Brandschutzjacke mit Rettungsschlaufen-System und Brandschutzhose beschafft werden.
Die in dieser Ausschreibung enthaltenen Schnittdaten unterliegen der Geheimhaltung und dem Gebrauchsmusterschutz/Designschutz des Deutschen Patent- und Markenamtes (DPMA). … Nach Ziffer II. 2.5) der Bekanntmachung ist der Preis nicht das einzige Zuschlagskriterium. Hinsichtlich der Zuschlagskriterien wird auf die Beschaffungsunterlagen verwiesen.
Die Zuschlagskriterien sind in Ziffer 8 des Aufforderungsschreibens festgelegt.
Danach werden bei der Wertung folgende Kriterien berücksichtigt:
60% Leistungsbewertung
Schnittkonformität, Verarbeitung und Umsetzung 40%
Passform, Maßhaltigkeit 20%
40% Preis
Preis, Brandschutzkleidung, Rettungsschlaufen, Schulung 35%
Reparaturliste 5%.
Bei dem Kriterium „Schnittkonformität, Verarbeitung und Umsetzung“ können in jeder der folgenden Unterkategorien 0 oder 5 Punkte vergeben werden:
1. Gesamteindruck Vorder- und Rückenansicht, Symmetrie, Farb- und Materialverwendung, Designelemente im Schulterbereich
2. Umsetzung und Funktionalität der Frontverschlüsse von Jacke und Hose sowie der Beinöffnungen
3. Umsetzung und Funktionalität der Taschen
4. Umsetzung der Rückenbeschriftungen BF und FF, des …, der Hoheitsabzeichen BF und FF
5. Funktionalitätsprüfung: Aus- und Einfädeln, Passung IRS-Gurt, Ausführung Tunnel
6. Stichlänge an Schließ- und Steppnähten, Stichbildung, Sicherung von Öffnungen und Nahtenden
7. Verbindung der Einzellagen, Nahtversiegelung, Umsetzung Ablauföffnungen
8. Farben und Optik nach 5 Zyklen gewerblicher Wäsche
Nach Ziffer II 2.10) der Bekanntmachung sind Nebenangebote nicht zugelassen.
Das Leistungsverzeichnis enthält insbesondere Angaben zu den Materialanforderungen für die Brandschutzjacke und die Brandschutzhose (S. 24 ff.), zur Vorrichtung für das IRS-Rettungssystem (S. 37) sowie eine Modellbeschreibung mittels Schnittübersichten (S. 41 ff.).
Nach einer Rüge der anwaltlich vertretenen Antragstellerin vom 13. Oktober 2017, ihre Schutzrechte würden tangiert, hat die Antragsgegnerin die Bieter mit Schreiben vom 13. Dezember 2017 darüber unterrichtet, dass hinsichtlich der in den Vergabeunterlagen unter Buchstabe D (Leistungsbeschreibung S. 37) aufgeführten funktionalen Anforderungen „Vorrichtung für IRS-Rettungssystem“ möglicherweise gewerbliche Schutzrechte bestehen. Folgende Sachverhalte seien bekannt geworden:
– Österreichisches Patent AT 514 873 B1 2017-07,
– Deutsches Gebrauchsmuster 20 2012 101 688.5 und
– Deutsche Patentanmeldung 10 2011 084 685.9 B4.
Bieter hätten im Wege einer substantiierten Eigenerklärung nachzuweisen, dass ihnen die Leistung der funktionalen Anforderungen der „Vorrichtung für IRS-Rettungssystem“ nicht aufgrund des Bestehens gewerblicher Schutzrechte von Schutzrechtsinhabern untersagt werden könne. In der Eigenerklärung sei insbesondere darzulegen, dass und warum die aufgeführten Sachverhalte der Leistungsfähigkeit nicht entgegenstünden.
Diese Vorgehensweise hat die Beigeladene mit Schreiben vom 22. Dezember 2017 als vergabrechtswidrig gerügt. Die Antragsgegnerin hat der Rüge mit Schreiben vom 5. Januar 2018 nicht abgeholfen.
Bis zu dem Schlusstermin für die Einreichung von Angeboten, der mit Schreiben vom 13. Dezember 2017 auf den 1. Februar 2018 verlegt worden ist, haben vier Bieter Angebote abgeben, darunter die Antragstellerin und die Beigeladene.
Danach hat die Antragstellerin der Antragsgegnerin Unterlagen ihrer Patentanwälte übersandt, insbesondere das mittlerweile erteilte deutsche Patent DE 2011 084 B4.
Mit Schreiben vom 10. August 2018 hat die Antragsgegnerin die Antragstellerin nach § 134 GWB darüber informiert, dass sie beabsichtige, der Beigeladenen am 21. August 2018 den Zuschlag zu erteilen.
Mit Schreiben vom 14. August 2018 hat die Antragstellerin insbesondere gerügt, dem beabsichtigten Zuschlag stünden ihre Schutzrechte entgegen. Sie habe ein Produkt angeboten, das sämtliche Anforderungen erfülle; es sei deshalb nicht erkennbar, warum bei der Wertung ihres Angebots im Kriterium „Schnittkonformität, Verarbeitung, Umsetzung“ ein Punktabzug von 5 Punkten vorgenommen worden sei. Die Antragstellerin hat ferner mit Schreiben von 17. August 2018 gerügt, die Beigeladene sei auszuschließen, da ausschließlich der patentierte Oberstoff Titan die Materialanforderungen bezüglich des flammfesten Oberstoffs erfülle und die Patentinhaberin nicht bereit sei, die Beigeladene zu beliefern.
Nachdem die Antragsgegnerin den Rügen nicht abgeholfen hatte, hat die Antragstellerin am 17. August 2018 einen Nachprüfungsantrag gestellt und zur Begründung insbesondere ausgeführt, ihr stehe aufgrund ihrer Schutzrechte ein Ausschließlichkeitsrecht zu. Das Angebot der Beigeladenen sei auszuschließen, da die Materialanforderungen für den flammfesten Oberstoff nicht erfüllt werden könnten. Ein schwerwiegender, nicht heilbarer Verstoß der Spezifikationen in der Leistungsbeschreibung gegen vergaberechtliche Grundsätze sei denkbar, so dass hilfsweise als ultima ratio das Vergabeverfahren aufzuheben sei. Die Leistungsbeschreibung fordere eindeutig eine separate Tasche. Das Angebot der Beigeladenen, bei dem der Tunnel und die Depottasche nicht abgetrennt seien, entspreche daher nicht dem Leistungsverzeichnis und dem vorgegebenen Schnittmuster. Für die Schnittteile der Belege auf der Jackenseite mit der Tasche werde laut Schnittmuster zweimal die Anforderung „BARTACK“ vorgegeben. Dies bedeute, dass ein beide Seiten verbindender Riegel, d.h. ein besonders verstärktes Nahtstück vorgesehen sei. Nachdem die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2018 unstreitig gestellt hatten, dass eine Verletzung der Schutzrechte der Antragstellerin (insbesondere des Patents DE 10 2011 084 685 B4) durch die Beigeladene nicht vorliegt, hat die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 21. November 2018 auf ihr – bis zu diesem Zeitpunkt nicht thematisiertes – Gebrauchsmuster 20 2013 101 189 hingewiesen. Habe die Beigeladene das Schnittmuster ausschreibungskonform umgesetzt, verletzte sie dieses Gebrauchsmuster. Seien dagegen die im Leistungsverzeichnis verlangten Merkmale bezüglich der Gurtfixierung nicht verwirklicht, sei die von der Beigeladenen angebotene Jacke nicht ausschreibungskonform und das Angebot der Beigeladenen auszuschließen.
Die Antragstellerin hat zuletzt beantragt,
1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren betreffend die Beschaffung von Brandschutzkleidung für das Kreisverwaltungsreferat, Branddirektion“, ausgeschrieben im offenen Verfahren der EU-Ausschreibung 2017/S. 167-343381 in den Stand vor Wertungsentscheidung zurückzuversetzen, die Angebotswertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut vorzunehmen und den Zuschlag der Antragstellerin zu erteilen.
hilfsweise:
die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren betreffend die Beschaffung von Brandschutzkleidung für das Kreisverwaltungsreferat, Branddirektion“, ausgeschrieben im offenen Verfahren der EU-Ausschreibung 2017/S. 167-343381 in den Stand vor Wertungsentscheidung zurückzuversetzen und die Angebotswertung unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer erneut vorzunehmen.
2. hilfsweise das Vergabeverfahren aufzuheben.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben beantragt,
den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin vertrat insbesondere die Ansicht, der Nachprüfungsantrag sei im Hauptantrag unzulässig und im Übrigen unbegründet. Das Patent des Stofflieferanten entfalte in Deutschland keine Wirkung, außerdem werde die von der Beigeladenen angebotene Brandschutzjacke aufgrund des nicht geschützten Verhältnisses von Vorder- und Hintergarn vom Schutzbereich dieses Patents nicht erfasst. Sowohl die Musterjacke der Antragstellerin als auch die der Beigeladenen entsprächen den Vorgaben der Leistungsbeschreibung und der Schnittmuster. Abweichungen in der Umsetzung der Schnittmuster seien nicht als Abänderung oder Ergänzung der Vergabeunterlagen zu verstehen, sondern als qualitativer Malus in der Bewertung berücksichtigt, der einen entsprechenden Punktabzug zur Folge gehabt habe. Der Malus beziehe sich aber nicht darauf, dass ein Tunnel mit separater Tasche (Antragstellerin) bzw. ein geweiteter Tunnel (Beigeladene) angeboten worden sei. Aufgrund der Komplexität der Leistung seien Abweichungen bei der Umsetzung zu erwarten gewesen. Im Falle einer Auftragserteilung habe die Beigeladene den Maschinenriegel zu fertigen, der Antragstellerin dagegen werde die Nahtversiegelung anders auszuführen haben. Dies seien Fragen der Auftragsausführung, nicht der Auftragsvergabe.
Die Beigeladene hat insbesondere ausgeführt, ihr Angebot verletzte weder die Schutzrechte der Antragstellerin noch die der Lieferantin des Oberstoffs. Außerdem sei das Kriterium der „rechtlichen Leistungsfähigkeit“ nicht ordnungsgemäß bekanntgemacht worden. Soweit die Antragstellerin meine, wegen der angeblichen Schutzrechte könne nur ihr der Zuschlag erteilt werden, verkenne sie das Gebot der produktneutralen Ausschreibung. Schließlich ergebe sich aus dem Schnittmuster, dass keine Trennungsnaht zwischen Tunnel und Aufnahmetasche gefordert sei. Nicht ihr Angebot, sondern das der Antragstellerin sei auszuschließen, weil dieses eine separate Aufnahmetasche enthalte.
Mit Beschluss vom 3. Januar 2019, der der Beigeladenen am 8. Januar 2019 zugestellt worden ist, hat die Vergabekammer der Antragsgegnerin untersagt, den Zuschlag zu erteilen, und sie verpflichtet, die eingegangenen Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten. Der Nachprüfungsantrag sei zulässig und zum Teil begründet. Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags stehe insbesondere keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 oder 3 GWB entgegen. Die Antragstellerin habe zwar weder Anspruch darauf, dass ihr aufgrund ihrer gewerblichen Schutzrechte der Auftrag erteilt werde, noch darauf, dass das Angebot der Beigeladenen ausgeschlossen werde. Das Angebot der Beigeladenen sei aber in einem – aufgrund des geringen Abstands der Bieter möglicherweis für die Rangfolge entscheidenden – Unterkriterium unvertretbar bewertet worden.
Das Angebot der Beigeladenen sei nicht wegen der Verletzung von gewerblichen Schutzrechten, der Antragstellerin oder der Stoffherstellerin in entsprechender Anwendung des § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB auszuschließen. Die Rechtsprechung zur früheren Rechtslage, wonach Bieter, denen das Angebot eines Erzeugnisses patentrechtlich untersagt werden könne, aus rechtlichen Gründen als nicht leistungsfähig anzusehen und vom Bieterwettbewerb als ungeeignet auszuschließen seien (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 1. Dezember 2015, VII-Verg 20/15, juris Rn. 23), sei mit § 122 Abs. 2 GWB i. V. m. § 46 Abs. 3 VgV nicht vereinbar. § 128 Abs. 1 GWB enthalte keine vergaberechtliche Sanktionsmöglichkeit. Allerdings solle sich nach dem Willen des Gesetzgebers durch die aktuelle Gesetzessystematik der §§ 123, 124 und § 128 Abs. 1 GWB nichts daran ändern, dass Bieter wegen Verstößen gegen geltendes Recht nicht zum Zuge kommen dürften (BT-Drs. 18/6281 S. 101). Es sei daher auf den Auffangtatbestand des § 123 Abs. 1 Nr. 3 GWB zurückzugreifen. Hier liege aber keine eindeutig nachweisbare Verletzungshandlung vor, die im Rahmen des § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB zu einer Ermessensreduzierung auf null führe. Hinsichtlich des Tunnels für den IRS-Rettungsgurt liege – seit der mündlichen Verhandlung – unstreitig keine Verletzungshandlung vor in Bezug auf das Patent der Antragstellerin DE 10 2011 084 685 B4, das im Wesentlichen inhaltsgleiche deutsche Gebrauchsmuster 20 2012 101 688.5 sowie das österreichische Patent AT 514 873 B1 2017-07. Auch die Aufnahmetasche für den Karabinerhaken führe in der durch die Beigeladene gewählten Ausführung nicht zu einem Verletzungseingriff in das Patent DE 10 2011 084 685 B4. Hinsichtlich der behaupteten Verletzung des Patents EP 1 173 635 B1 des Stoffherstellers durch den von der Beigeladenen verwendeten Oberstoff der Firma I. bestehe keine Ermessenreduzierung auf null zum Ausschluss des Angebots der Beigeladenen über § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB. Die Antragsgegnerin habe sich vertieft und mit patentanwaltlicher Hilfe mit dem Schutzbereichs des Patents EP 1 173 635 B1 auseinandergesetzt und sei zu der vertretbaren Auslegung gelangt, es liege kein Verletzungseingriff vor. Auch hinsichtlich der von der Antragstellerin erst spät im Verfahren geltend gemachten Verletzung ihres Gebrauchsmusters 20 2013 101 189 durch die Fixierung des Rettungsgurtes innerhalb des Tunnels durch das Angebot der Beigeladenen sei derzeit nicht von einer Ermessensreduzierung auf null auszugehen. Im Zuge der ohnehin notwendigen Rückversetzung des Vergabeverfahrens zur Neubewertung der Angebote werde die Antragstellerin allerdings einen möglichen Verletzungseingriff aufzuklären und zu prüfen haben, ob das Angebot der Beigeladenen in Betracht komme. Nach derzeitigem Erkenntnisstand der Vergabekammer seien weder das Angebot der Antragstellerin noch das der Beigeladenen gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV aufgrund von Abweichungen von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung auszuschließen. Es sei jedoch schwierig zu ermitteln, welche Abweichungen von den Vorgaben der Leistungsbeschreibung und der Schnittmuster als Bestandteil der Leistungsbeschreibung zum Ausschluss führten und welche nur im Rahmen der Wertung eine Rolle spielten.
Die Antragstellerin sei durch die Bewertung des Angebots der Beigeladenen im Unterkriterium „Umsetzung und Funktionalität der Taschen“ in ihren Rechten verletzt, da das Angebot der Beigeladenen nicht mit 5 Punkten hätte bewertet werden dürfen und dies Einfluss auf die Bieterreihenfolge hätte, wenn das Angebot zutreffend bewertet würde.
Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beigeladenen, die weiterhin die Auffassung vertritt, ihr Angebot sei von Antragsgegnerin zutreffend gewertet worden, und hilfsweise argumentiert, das Vergabeverfahren sei aufzuheben. Die Frage nach der Richtigkeit und Zulässigkeit der Angebotswertung könne allerdings dahinstehen, da das Angebot der Antragstellerin wegen eines Verstoßes gegen § 53 Abs. 8 VgV auszuschließen und allein deshalb der Nachprüfungsantrag mangels Antragsbefugnis der Antragstellerin zurückzuweisen sei. Eine Ausführung der Jacke ohne Riegelnähte beeinträchtige die Funktionalität der Taschen nicht. Aufgrund der völligen Geringfügigkeit einer solchen Abweichung habe es der Antragsgegnerin auch frei gestanden, diesen Gesichtspunkt überhaupt nicht zu werten. Unabhängig davon sei es auch möglich, dass die Antragsgegnerin die angeblich fehlende Riegelnaht bereits bei einem anderen Unterkriterium berücksichtigt habe; eine nochmalige Berücksichtigung bei dem Unterkriterium „Umsetzung und Funktionalität der Taschen“ wäre dann unzulässig. Wegen eines vermeintlichen Verletzungseingriffs in das Gebrauchsmuster 20 2013 101 189 der Antragstellerin komme ein Ausschluss ihres Angebots nicht in Betracht; es fehle insbesondere an einem einschlägigen Ausschlussgrund.
Zur Begründung ihres Hilfsantrags führt die Beigeladene insbesondere aus, in der Leistungsbeschreibung werde verdeckt auf das Gebrauchsmuster 20 2013 101 189 der Antragstellerin verwiesen. Es sei nicht ersichtlich, warum eine Befestigung des Gurtes in der Weise, dass durch diese Befestigung das Gebrauchsmuster verletzt werde, durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt wäre. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin handele es sich bei der Befestigung des Gurtes im Tunnel nicht um einen sicherheitsrelevanten Aspekt. Darauf komme es indes nicht an, weil es nicht Aufgabe der Antragstellerin sei, die Rechtfertigungsgründe nach § 31 Abs. 6 S. 1 letzter Hs. VgV zu benennen. Die Antragsgegnerin habe solche Gründe offensichtlich nicht dokumentiert. Wegen des darin liegenden Verstoßes gegen § 31 Abs. 6 VgV sei das Vergabeverfahren aufzuheben; auf die – zwischen den Beteiligten streitige – Wirksamkeit des Gebrauchsmusters 20 2013 101 189 komme dabei nicht an. Die Antragsgegnerin habe ferner ein unzulässiges und unpraktikables Wertungssystem bekannt gemacht, auf dessen Grundlage eine vergaberechtskonforme Angebotswertung nicht möglich sei. Hinsichtlich der Bewertung der Musterjacke seien zwar Zuschlagskriterien („B-Kriterien“) aufgestellt, aber keine Mindestanforderungen bzw. Ausschlusskriterien („A-Kriterien“). Außerhalb der Vorgaben zu den Zuschlagskriterien werde nichts dazu ausgeführt, was bei einer sonstigen Abweichung der Musterjacke von den Vorgaben der Schnittmuster gelte. Es erschließe sich nicht, warum Abweichungen bei den für die Antragsgegnerin wichtigen Gesichtspunkten nur eine Abwertung der Angebote, sonstige Abweichungen auch bei vollkommen untergeordneten Details aber unweigerlich einen Ausschluss der Angebote nach sich ziehen sollten. Außerdem sei das Wertungssystem, das nur 0 oder 5 Punkte vorsehe, vergaberechtlich unzulässig. Schließlich leide das Vergabeverfahren an einem schwerwiegenden Bekanntmachungsdefizit.
Die Beigeladene beantragt,
I. Der angefochtene Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 3. Januar 2019, Az. Z3-3-3194-1-30-08/18 wird aufgehoben.
II. Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
III. Hilfsweise zu II.
Das Vergabeverfahren wird aufgehoben und ist bei Fortbestand der Beschaffungsabsicht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu wiederholen.
Die Antragstellerin beantragt,
1.Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen und Beschwerdeführerin gegen den Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 3. Januar 2019, Az. Z3-3-3194-1-30-08/18 wird zurückgewiesen.
2.Hilfsweise:
2.Das Vergabeverfahren wird wegen Verletzung eines Schutzrechts der Antragstellerin aufgehoben; der Auftrag ist an sie im Wege des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb (hier: Direktverkaufs) zu vergeben.
Die Antragstellerin verteidigt – im Wesentlichen – die angegriffene Entscheidung. Zur Begründung trägt sie insbesondere vor, das Angebot der Beigeladenen sei im Rahmen einer neuen Wertung zwingend nach § 57 VgV auszuschließen oder jedenfalls abzuwerten. Insbesondere die Umsetzung der Brandschutzjacke ohne Riegelnähte (BARTACKS) entspreche nicht der Leistungsbeschreibung. Der Beigeladenen sei zuzugestehen, dass die fehlerhafte Umsetzung bezüglich der Riegelnähte auch beim Unterkriterium, „Stichlänge an Schließ- und Steppnähten, Stichbildung, Sicherung von Öffnungen und Nahtenden“ und beim Unterkriterium „Verbindung der Einzellagen, Nahtversiegelung, Umsetzung der Ablauföffnungen“ berücksichtigt werden müsste. Folglich sei das Angebot der Beigeladenen auch in diesen Unterkategorien, neben dem Kriterium „Umsetzung und Funktionalität der Taschen“ abzuwerten und mit 0 Punkten zu bewerten. Das Verfahren sei jedoch nicht wegen einer vermeintlich mangelhaften Bewertungsgrundlage und mangelnder Transparenz der Eignungskriterien aufzuheben, zumal die Beigeladene mit diesem Vortrag präkludiert sei, da sie ihre Rügeobliegenheit aus § 160 Abs. 3 GWB verletzt habe.
Ferner sei das Angebot der Beigeladenen aufgrund bestehender Ausschließlichkeitsrechte der Antragstellerin auszuschließen, jedenfalls könne der Beigeladenen nicht der Zuschlag erteilt werden. Das Gebrauchsmuster der Antragstellerin 20 2013 101 189 betreffe die Fixierung des Rettungsgurtes innerhalb des Tunnels und sei rechtsbeständig. Sie sei mit ihren Vortrag nicht präkludiert. Ein Ausschluss des Bieters, der gegen die Hinweispflicht nach § 53 Abs. 8 VgV verstoßen habe, komme nicht als Rechtsfolge in Betracht. Bleibe die Vergabestelle bei ihrer Beschaffungsabsicht mit den Kriterien, die ein Schutzrecht eines Bieters tangierten, so müsse sie das laufende Vergabeverfahren aufheben und die Leistung gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. c) VgV im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb an das Unternehmen vergeben, dessen Schutzrechte betroffen seien; anderenfalls müsse sie das Leistungsverzeichnis abändern und allen Bietern nochmals die Möglichkeit einer neuen Angebotsabgabe eröffnen. Hinsichtlich des Vortrags der Beigeladenen, es handele sich insoweit um eine verdeckte produktspezifische Ausschreibung, sei die Beigeladene präkludiert, da sie dies bereits in erster Instanz hätte geltend machen können. Die Vorgabe der Antragsgegnerin habe sachgerechte Gründe: Die persönliche Schutzausrüstung (PSA) der höchsten Stufe müsse immer einsatzbereit sein, deshalb müsse der Gurt bei Nichtbenutzung so gut im Tunnel fixiert sein, dass er immer erreichbar sei.
Schließlich sei das Angebot der Beigeladenen zwingend wegen der Verletzung des Patents des Stofflieferanten auszuschließen. Die Auslegung und Bewertung dieses Patents durch die Vergabekammer sei nicht korrekt.
Die Antragsgegnerin, die keinen Antrag gestellt hat, führt insbesondere aus, ein Bieter, dessen Muster von eindeutigen Vorgaben der Schnittmuster abweiche, sei zwingend vom Verfahren auszuschließen, sofern es sich nicht um ein „B-Kriterium“ handele. Wie bereits im Rahmen der Auswertung im Vergabevermerk dokumentiert, sei das Aufhängerband der Hose in der Ausführung der Beigeladenen nicht korrekt positioniert. Sie beabsichtige, die Bewertung der Musterjacken zu wiederholen und verfolge weiterhin konsequent das Ziel, ein ordnungsgemäßes Verfahren nach den Grundsätzen des Vergaberechts durchzuführen. Sie sehe sich auch in Anbetracht der nachträglichen Behauptung der Antragstellerin, ihr stünde aufgrund eines Gebrauchsmusters ein Anspruch auf Direktvergabe keinen rechtlichen Risiken ausgesetzt. Die Prüfung dieser Frage habe sie dem Senat anvertraut. Die Aufhebung einer Ausschreibung komme lediglich als „ultima ratio“ in Betracht. Das dem Wertungsschema zugrunde liegende „Alles oder Nichts-Prinzip“ sei dem Umstand geschuldet, dass man im Hinblick auf das Leben und die Gesundheit der Feuerwehrleute bei der Qualität der Brandschutzkleidung keine Abstriche machen wollte.
Ergänzend wird auf die Entscheidung der Vergabekammer und die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere nach den §§ 171, 172 GWB form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache zum Teil Erfolg. Das Vergabeverfahren ist – bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht – in den Stand vor der Bekanntmachung der Ausschreibung zurückzuversetzen, da die Ausschreibung an schwerwiegenden Mängeln leidet. Soweit die Beigeladene die vollständige Zurückweisung des Nachprüfungsantrags begehrt, hat ihre Beschwerde keinen Erfolg.
1. Ohne Erfolg wendet sich die Beigeladene gegen die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags.
Zutreffend geht die Vergabekammer davon aus, dass die Antragstellerin antragsbefugt im Sinne des § 160 Abs. 2 GWB ist. Dass die Antragstellerin entgegen § 53 Abs. 8 VgV auf ihr Gebrauchsmuster 20 2013 101 189 nicht bei Einreichung ihres Angebots, sondern erst mit Schriftsatz vom 21. November 2018 hingewiesen hat, steht ihrer Antragsbefugnis nicht entgegen. Selbst wenn ein Verstoß gegen § 53 Abs. 8 VgV zu einem Ausschluss des Angebots des betreffenden Bieters führen könnte, wovon der Senat nicht ausgeht (s. u. 2.3.), wäre dies eine Frage der Begründetheit des Nachprüfungsantrags (vgl. Senatsbeschl. v. 21. Mai 2010, Verg 02/10, juris Rn. 86).
2. Der auf Zurückweisung des Nachprüfungsantrags gerichtete Hauptantrag der Beschwerdeführerin hat keinen Erfolg, da weder das Angebot der Antragstellerin zwingend auszuschließen ist (2.3.), noch die aufgrund eines unklaren Bewertungssystems vorgenommene Angebotswertung durch die Antragsgegnerin zugunsten der Beigeladenen Bestand haben kann (2.1.5). Auf den Hilfsantrag der Beschwerdeführerin ist das Vergabeverfahren in den Stand vor der Bekanntmachung der Ausschreibung zurück zu versetzen. Die Ausschreibung leidet an schweren Mängeln, da die Leistungsbestimmung hinsichtlich der Abgrenzung zwischen den Kriterien, die in die Bewertung einfließen sollen, und den sonstigen Abweichungen von den Schnittmustern, die zum Ausschluss des Angebots führen, unklar ist. Die Ausschreibungsunterlagen lassen einerseits erkennen, dass die ausschreibende Stelle Wert auf sehr enge Vorgaben bei der Ausführung der Kleidungsstücke gelegt hat, bei genauerer Prüfung wird andererseits deutlich, dass objektiv nicht abgrenzbar ist, welche Aspekte zwingend sein sollten, welche (lediglich) zu Punktabzügen in welchen Kategorien führen und welche gänzlich unbedeutend sein sollten. Hinzu kommt, dass ein Bewerber, der seine Musterteile streng konform mit der Leistungsbeschreibung und den Schnittmustern anbietet, praktisch zwangsläufig mit den gewerblichen Schutzrechten der Antragstellerin in Konflikt gerät und zwar nicht nur mit den bei Angebotsabgabe bekannten Rechten, sondern auch mit dem Gebrauchsmuster 20 2013 101 189. Eine Leistungsbestimmung, die zu einer Wettbewerbsbeschränkung führt, bedarf einer Rechtfertigung; mit dem Gebrauchsmuster 20 2013 101 189, auf das die Antragstellerin erst mit Schreiben vom 21. November 2018 hingewiesen hat, hat sich die Antragsgegnerin noch nicht auseinandergesetzt.
Der auf Zurückweisung der Beschwerde gerichtete Antrag der Antragstellerin hat dementsprechend nur eingeschränkt Erfolg. Die ursprünglich geltend gemachte Verletzung eigener Schutzrechte ist nicht mehr streitgegenständlich. Eine etwaige Verletzung des Gebrauchsmusters 20 2013 101 189 kann nicht zu einem Ausschluss des Angebots der Beigeladenen führen, da mangels einer Befassung der Antragsgegnerin mit diesem erst nach der mündlichen Verhandlung vor der Vergabekammer in das Verfahren eingeführten Schutzrecht der – unbewusste – Verweis auf dieses gewerbliche Schutzrecht derzeit nicht nach § 31 Abs. 6 VgV gerechtfertigt ist (2.2). Die Feststellung der Vergabekammer, das Angebot der Beigeladenen sei nicht wegen einer Verletzung des Patents der Stoffherstellerin auszuschließen, hat die Antragstellerin nicht im Wege der Anschlussbeschwerde angegriffen (2.4.). Ein Ausschluss des Angebots der Beigeladenen nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV kommt aufgrund der Unklarheiten und Widersprüche in den Ausschreibungsunterlagen ebenfalls nicht in Betracht (2.1.5.).
2.1. Auf den Hilfsantrag der Beigeladenen ist das Vergabeverfahren in den Stand vor der Bekanntmachung der Ausschreibung zurückzuversetzen, da die Leistungsbeschreibung im Zusammenspiel mit den Wertungskriterien unklar ist und die Ausschreibung daher an einem schwerwiegenden Mangel leidet.
2.1.1. Grundvoraussetzung eines jeden ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens ist eine Leistungsbeschreibung, in der der Auftragsgegenstand so eindeutig und erschöpfend wie möglich beschrieben ist, so dass die Beschreibung für alle Unternehmen im gleichen Sinne verständlich ist und die Angebote miteinander verglichen werden können (§ 121 Abs. 1 S. 1 GWB, § 31 Abs. 1 VgV).
Die in der Leistungsbeschreibung getroffenen Festlegungen zum Auftragsgegenstand müssen willkür- und diskriminierungsfrei erfolgen (OLG Düsseldorf Beschluss vom 7. Juni 2017, Verg 53/16, juris Rn. 33; Senatsbeschl. v. 9. März 2018, Verg 10/17, juris Rn. 48). Sie sind Grundlage für sämtliche nachfolgenden Schritte und Maßnahmen des Auftraggebers, hier insbesondere für die Wahl der Verfahrensart (§ 119 GWB, § 14 VgV), u. U. für die Rechtfertigung einer produktspezifischen Vorgabe im Sinne des § 31 Abs. 6 VgV und für die Festlegung der Zuschlagskriterien (§ 127 GWB).
In der Leistungsbeschreibung bringt der Auftraggeber zum Ausdruck, auf welche Merkmale der nachgefragten Leistung es ihm ankommt und über welche Spielräume die Bieter bei der Angebotsgestaltung verfügen (Lampert in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar Bd. 1, GWB, 3. Aufl. 2017, § 121 Rn. 10). Nach der Gesetzesbegründung zu § 121 Abs. 1 GWB (BT-Drs. 18/6281 S. 100) gibt die Leistungsbeschreibung die Entscheidungsmaßstäbe für die Wertung der Angebote vor, an die sich der öffentliche Auftraggeber selbst bindet.
Gemäß § 127 Abs. 5 GWB und § 58 Abs. 3 VgV müssen die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen aufgeführt werden, um die Grundsätze der Transparenz (§ 97 Abs. 1 GWB) und Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) zu wahren. Der öffentliche Auftraggeber hat die Entscheidung, wem er den Auftrag erteilt, und die hierzu nötigen Wertungen nach einheitlichem Maßstab zu treffen (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2006, X ZB 14/06, BGHZ 169, 139 f. Rn. 27; Lampert a. a. O. Rn. 11).
Auch hinsichtlich der Bewertungsmethode, insbesondere zur Bewertung qualitativer Zuschlagskriterien, bei der nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Beschluss vom 2. Mai 2018, VII-Verg 3/18, juris Rn. 30) dem öffentlichen Auftraggeber ein „größerer Freiraum“ zuzubilligen ist, ist das Transparenzgebot zu beachten. Die Vergabeunterlagen müssen so klar, präzise und eindeutig gefasst sein, dass alle durchschnittlich fachkundigen Bieter bei Anwendung der üblichen Sorgfalt ihre genaue Bedeutung erfassen und sie in gleicher Weise verstehen können.
2.1.2. Hier ist in den Vergabeunterlagen nicht ausreichend klar festgelegt, welche Abweichungen der Musterjacken und -hosen von den Schnittmustern (nur) in die Bewertung der „Schnittkonformität, Verarbeitung und Umsetzung“ einfließen sollen und welche zum Ausschluss des Angebots nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV führen, wobei es auf die Wettbewerbsrelevanz, Wesentlichkeit oder Geringfügigkeit der Abweichung nicht ankommt (vgl. Senatsbeschl. v. 21. April 2017, Verg 1/17, juris Rn. 64).
Dies lässt sich auch nicht durch Auslegung nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB ermitteln, bei der auf den objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter bzw. Bewerber, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen ist (BGH, Beschluss vom 7. Februar 2014, X ZB 15/13, juris Rn. 31; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28. März 2018, VII-Verg 52/17, juris Rn. 53). Besteht Spielraum für unterschiedliche Auslegungen, ist die Leistungsbeschreibung mehrdeutig und verstößt gegen § 121 Abs. 1 GWB (Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 121 Rn. 64).
Die Ausschreibungsunterlagen vermitteln den potentiellen Bietern einerseits enge Vorgaben hinsichtlich der zu beschaffenden Leistung, andererseits bleibt unklar, welche Vorgaben tatsächlich zwingend einzuhalten waren und welche Details der Ausführung bei der Wertung eine Rolle spielen sollten. Diese Unklarheiten begründen einen erheblichen Mangel.
2.1.2.1. Die Abgrenzungsschwierigkeiten, auf die die Vergabekammer zu Recht hingewiesen hat, resultieren vorliegend daraus, dass den sehr umfangreichen und detaillierten Vorgaben in den Schnittmustern unscharfe Formulierungen bei den einzelnen Unterkriterien, die bei der Wertung der „Schnittkonformität, Verarbeitung und Umsetzung“ berücksichtigt werden sollen, gegenüberstehen. Auch die Abgrenzung zwischen den einzelnen Unterkriterien ist nicht eindeutig.
Während beispielsweise die Antragstellerin die Ansicht vertritt, das Angebot der Beigeladenen sei wegen des fehlenden BARTACK bei der Musterjacke auszuschließen, argumentiert die Antragsgegnerin, im Falle der Auftragserteilung werde die Beigeladene den Maschinenriegel zu fertigen haben, der der Verstärkung des Tunnels gegen Aufreißen diene und eine Abgrenzung von Tunnel und Tasche an deren Öffnung bewirke. Die Vergabekammer ging angesichts der unklaren Abgrenzung, welche Nähanweisungen noch zum Unterkriterium zu 3) „Umsetzung und Funktionalität der Taschen“ gehören, zugunsten der Beigeladenen davon aus, die Nähanweisung BARTACK unterliege der Bewertung. Nach Ansicht des Senats kann die Anweisung aber auch unter die Unterkriterien zu 6) „… Sicherung von Öffnungen und Nahtenden“ oder zu 5) „Funktionalitätsprüfung: … Ausführung Tunnel“ subsumiert werden. Auf eine mögliche Zuordnung zu einem anderen Unterkriterium als von der Vergabekammer angenommen hat die Beschwerdeführerin zu Recht hingewiesen. Dem sind die anderen Beteiligten nicht entgegen getreten.
2.1.2.2. Die von der Vergabekammer vorgenommene Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines aufmerksamen und fachkundigen Bieters, dass jedenfalls solche Abweichungen vom Schnittmuster nicht zum Ausschluss des Angebots führen, die im Rahmen der qualitativen Zuschlagskriterien einer Wertung unterfallen (S. 43 des Beschlusses), führt zu einem Wertungswiderspruch. Denn Abweichungen bei den explizit genannten Unterkriterien, die nach Ansicht der Antragsgegnerin sicherheitsrelevant und deshalb von besonderer Bedeutung sind, führen allenfalls zu einer schlechteren Wertung, während andere, auch nur geringfügige Abweichungen von den Schnittmustern nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV zum Ausschluss des Angebots führen würden. Die Auslegung, alle Abweichungen von den Schnittmustern ausschließlich bei der Wertung zu berücksichtigen, wäre grundsätzlich zwar mit dem Wortlaut vereinbar („Schnittkonformität“), sie setzt allerdings voraus, dass die Abweichung von einem der abschließend aufgeführten Unterkriterien erfasst wird. Da jedoch die einzelnen Unterkriterien nicht klar voneinander abgrenzbar sind, ist eine ergebnisorientierte Wertung nicht ausgeschlossen. Im Übrigen vertritt nunmehr auch die Antragsgegnerin die Ansicht, dass Angebote bei Abweichungen von den Schnittmustern auszuschließen seien, während sie zunächst der Auffassung war, etwaige Abweichungen beträfen nicht die Auftragsvergabe, da aufgrund der Komplexität der Leistung Abweichungen bei der Umsetzung zu erwarten gewesen seien. Die widersprüchliche Argumentation der Antragsgegnerin zeigt, dass nicht nur mehrere Auslegungsmöglichkeiten bestehen, sondern dass eine tragfähige, willkürfreie Entscheidung, wessen Angebot ausgeschlossen wird und/oder mehr Punkte erhält, praktisch nicht möglich ist.
2.1.3. Ohne Erfolg beruft sich die Antragstellerin darauf, die Beigeladene sei insoweit präkludiert, da sie die Bewertungsgrundlage (Bewertungsmethode mit Kriterien, Unterkriterien und Gewichtung, sowie die Punkteverteilung) seit 2017 gekannt, aber entgegen § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 3 GWB keine Rüge erhoben habe.
Die Beigeladene ist mit ihrer Argumentation, das Bewertungssystem weise Defizite auf, im Beschwerdeverfahren nicht ausgeschlossen, weil sie diesen Verstoß nicht – präventiv (vgl. Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 160 Rn. 165) – gerügt hat. Die Erkennbarkeit i. S. d. § 160 S. 1 Abs. 3 Nr. 3 GWB muss sich auf die den Verstoß begründenden Tatsachen und auf deren rechtliche Beurteilung beziehen. Ein sorgfältig handelndes Unternehmen muss den Vergabeverstoß erkennen können, ohne besonderen Rechtsrat einholen zu müssen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. März 2017, VII-Verg 39/16, juris Rn. 35).
Bei den hier vorliegenden Unklarheiten bezüglich der Wertungs- und Ausschlusskriterien handelt es sich nicht um eine unschwer erkennbar unklare Leistungsbeschreibung, zu der ein Bieter Aufklärung hätte verlangen müssen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. Dezember 2014, 11 Verg 7/14, juris Rn. 55; Prieß/Simonis in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 121 Rn. 67; Lampert in Beck’scher Vergaberechtskommentar Bd. 1, GWB § 121 Rn. 85), sondern um einen Vergabeverstoß, der in Begriffsunklarheiten liegt, die erst im Rahmen der Diskussion der Wertungsentscheidung zu Tage getreten sind. Ein Bieter ist nicht verpflichtet, die Vergabeunterlagen einer Prüfung „auf Herz und Nieren“ zu unterziehen und intensive Auslegungsbemühungen können von ihm nicht verlangt werden können (Lampert a. a. O. Rn. 85; Prieß/Simonis a. a. O.). Ohne Einblick in die vergaberechtlichen Vorgänge einschließlich der Wertungen der Angebote, war der Verstoß hier bei Anwendung üblicher Sorgfalt nicht erkennbar.
Dass erst im laufenden Nachprüfungsverfahren zu Tage tretende Verstöße nicht gesondert gerügt werden müssen, sondern unmittelbar im Verfahren geltend gemacht werden können, ist in der Rechtsprechung anerkannt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. April 2011, Verg 58/10, juris Rn. 57).
2.1.4. Sind die Vorgaben in der Ausschreibung zu der zu erbringenden Leistung und Wertung zu unbestimmt, so liegt darin nicht nur ein Verstoß gegen das Transparenzprinzip, sondern auch gegen das Gleichbehandlungsgebot (Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 121 Rn. 6). Eine Auslegung, die einer Aufhebung des Vergabeverfahrens, zwar grundsätzlich vorgeht (Prieß/Simonis a. a. O., Rn. 60), führt hier aus den oben dargestellten Gründen zu keinem eindeutigen Ergebnis.
Es daher eine Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Zustand vor der Bekanntmachung geboten.
2.1.5. Eine erneute Bewertung der Angebote auf der Grundlage eines unklaren Bewertungssystems kommt nicht in Betracht. Ob das Angebot der Beigeladenen im Unterkriterium „Umsetzung und Funktionalität“ der Taschen mit 0 oder mit 5 Punkten zu bewerten ist, bedarf keiner Entscheidung. Aus den dargelegten Gründen kommt auch ein Ausschluss eines der Angebote wegen Abweichung von zwingenden Vorgaben nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV nicht in Frage
2.2. Die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor der Bekanntmachung der Ausschreibung ist ferner geboten, um der Antragsgegnerin eine Prüfung im Hinblick auf das von der Antragstellerin erst im Schriftsatz vom 21. November 2018 erwähnte Gebrauchsmuster 20 2013 101 189 zu ermöglichen. Dabei ist zu prüfen, ob bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Leistungsbeschreibung weniger spezifisch gefasst werden kann, so dass nicht nur die Antragstellerin als Inhaberin verschiedener Schutzrechte (insbesondere des zuletzt geltend gemachten Gebrauchsmusters) erfolgreich ein Angebot abgeben kann, oder ob ein Verweis auf gewerbliche Schutzrechte nach § 31 Abs. 6 VgV durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist.
2.2.1. Die Vergabekammer hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Antragsgegnerin den Sachverhalt bezüglich des Gebrauchsmusters 20 2013 101 189 aufzuklären und einen möglichen Verletzungseingriff zu prüfen haben wird (S. 42 des Beschlusses).
Darüber hinaus ist von der Antragsgegnerin zu prüfen, ob die Leistungsbeschreibung bezüglich der „Vorrichtung für IRS-Rettungssystem“ zu modifizieren ist oder ob ein Verweis auf ein gewerbliches Schutzrecht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist (§ 31 Abs. 6 VgV).
Die Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers, ob und was beschafft werden soll, und damit auch die Frage, welche Anforderungen an die zu beschaffenden Leistungen gestellt werden dürfen, unterliegt – unter Berücksichtigung des Grundsatzes der wettbewerbsoffenen Beschaffung – vergaberechtlichen Grenzen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Juni 2017, VII-Verg 53/16 -, juris Rn. 33). Die Bestimmung des Auftragsgegenstandes muss sachlich gerechtfertigt sein und es müssen dafür nachvollziehbare, objektive und auftragsbezogene Gründe vorliegen. Eine weitere Beschränkung enthält § 31 Abs. 6 VgV für hersteller- und produktbezogene Leistungsspezifikationen, die einer besonderen Rechtfertigung bedürfen (Senatsbeschl. v. 9. März 2018, Verg 10/17, juris Rn. 48). Dem Auftraggeber steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu, den er auszufüllen hat, wobei die dafür erforderlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse in den Vergabeakten zu dokumentieren sind (Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 31 Rn. 48 ff.). Die Beurteilung, ob ein Verweis auf ein gewerbliches Schutzrecht durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist, setzt zunächst eine zutreffende und vollständige Ermittlung des Sachverhalts voraus. Der Auftraggeber muss sachlich begründen, warum diese Anforderungen gestellt werden.
2.2.2. Die Antragsgegnerin hat im Nachprüfungsverfahren nicht dargelegt, welche Überlegungen zu den Festlegungen zu der „Vorrichtung für IRS-System“ auf Seite 37 des Leistungsverzeichnisses geführt haben. In der vorgelegten Vergabeakte befindet sich eine Stellungnahme der Antragsgegnerin vom 5. Januar 2018 auf die Rüge der Beigeladenen vom 22. Dezember 2017, die sich allerdings nicht mit dem Gebrauchsmuster 20 2013 101 189 der Antragstellerin befasst, auf das diese erst mit Schreiben vom 21. November 2018 hingewiesen hat.
Es ist somit nicht feststellbar, dass die Vergabestelle ihren Beurteilspielraum ordnungsgemäß ausgeübt hat, so dass das Vergabeverfahren zurückzuversetzen ist, um eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung zu gewährleisten. Ein Verstoß gegen das Gebot der produktneutralen Ausschreibung stellt eine Verletzung des Wettbewerbsgrundsatzes und des Gleichbehandlungsgebots dar, der zur Zurücksetzung oder Aufhebung des Vergabeverfahrens führt (Prieß/Simonis in Kulartz/ Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 31 Rn. 66). Zwar führt nicht jeder Dokumentationsmangel dazu, dass eine Wiederholung der betreffenden Verfahrensabschnitte anzuordnen ist (Senatsbeschl. v. 9. März 2018, Verg 10/17, juris Rn. 55 m. w. N.). Hier liegt jedoch kein Fall einer zulässigen Nachholung einer „versäumten“ Dokumentation vor. Die Argumentation der Antragstellerin vermag eine Bewertung durch die Antragsgegnerin nicht zu ersetzen.
Soweit die Antragstellerin argumentiert, nach einer Neubewertung der Angebote sei ihr der Zuschlag zu erteilen, ist darauf hinzuweisen, dass eine Leistungsbestimmung, die im Falle des § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. c VgV zu einem völligen Wettbewerbsverzicht führt, einer wesentlich größeren Rechtfertigungstiefe bedarf als eine solche, die unter Aufrechterhaltung des Vergabewettbewerbs im Ergebnis (nur) zu einer hersteller- oder produktbezogenen Leistungsspezifikation gemäß § 31 Abs. 6 VgV führt (OLG Düsseldorf a. a. O. Rn 34; Kulartz in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 14 Rn. 46 m. w. N.).
2.2.3. Dass die Antragstellerin entgegen § 53 Abs. 8 VgV auf ihr Gebrauchsmuster 20 2013 1010 189 nicht bei Einreichung ihres Angebots hingewiesen hat, führt weder dazu, dass die Antragstellerin aus diesem Schutzrecht keine Rechte mehr herleiten kann (2.2.3.2.) noch dazu, dass ihr Angebot nach § 57 VgV auszuschließen ist (2.3.).
2.2.3.1. Nach § 53 Abs. 8 VgV haben die Unternehmen anzugeben, ob für den Auftragsgegenstand gewerbliche Schutzrechte bestehen, beantragt sind oder erwogen werden. Auf die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage der Rechtsbeständigkeit des Gebrauchsmusters 20 2013 101 189 kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Die Bestimmung lässt offen, zu welchem Zeitpunkt diese Angaben zu machen sind. Spätester Zeitpunkt ist nach der in der Literatur vertretenen Ansicht, der sich der Senat anschließt, die Einreichung des Angebotes (Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl. 2018, VgV § 53 Rn. 60 Verfürth in Kulartz/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV § 53 Rn. 81).
2.2.3.2. Die sich aus einem Verstoß gegen § 53 Abs. 8 VgV ergebenden Rechtsfolgen sind nach der Kommentarliteratur nicht eindeutig. Neben der – vom Senat nicht geteilten (s.u. 2.3.) – Ansicht, ein Verstoß könne den Ausschluss des Angebots rechtfertigen (Verfürth in Kulartz/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV § 53 Rn. 81; Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 53 Rn. 60), wird auch angenommen, für den öffentlichen Auftraggeber könne unter Umständen die Aufhebung des Vergabeverfahrens oder eine Zurückversetzung mit einer Änderung der Vergabeunterlagen notwendig werden, wenn er erst zu spät von möglichen Ausschließlichkeitsrechten erfahre (Herrmann a. a. O.).
§ 53 Abs. 8 VgV stellt somit eine Konkretisierung der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) dar. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass mit Abgabe eines Angebots als Bieter zwischen ihm und dem öffentlichen Auftraggeber als Verhandlungspartner ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis zustande kommt, das zu gegenseitiger Rücksichtnahme verpflichtet und auf beiden Seiten Sorgfaltspflichten begründet, deren schuldhafte Verletzung Schadensersatzansprüche begründen kann (BGH, Urt. v. 11. November 2014, X ZR 32/14, juris Rn. 8; OLG Celle, Urt. v. 30. Mai 2002, 13 U 266/01, juris Rn. 3 m. w. N.).
Die Verletzung eigener Pflichten nach § 53 Abs. 8 VgV, hindert den Bieter nicht daran, sich gegenüber der Vergabestelle auf das gewerbliche Schutzrecht zu berufen. Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, dass nur derjenige Rechte geltend machen kann, der sich selbst rechtstreu verhalten hat (BGH, Urt. v. 4. Dezember 2014, VII ZR 4/13, juris Rn. 33 m. w. N.; Grüneberg in Palandt, BGB, § 242, Rn. 46). Darüber hinaus lässt sich aus § 53 Abs. 8 VgV nicht ableiten, dass der Rechtsinhaber gehindert wäre, gegen seinen Konkurrenten wegen Verletzung gewerblicher Schutzrechte vorzugehen, selbst wenn er gegenüber der Vergabestelle den Hinweis auf seine Rechte (bewusst oder unbewusst) unterlassen haben sollte. Insoweit wird auf die Ausführungen unter Ziffer 2.3. Bezug genommen.
Ob und wie sich ein pflichtwidrig unterlassener Hinweis auf Schutzrechte auf Schadensersatzansprüche auswirkt, wenn die Vergabestelle wegen verspäteter Offenlegung von Schutzrechten eine Ausschreibung modifizieren muss, muss vorliegend nicht entschieden werden.
2.2.4. Der Einwand der Antragstellerin, die Beigeladene hätte einen Verstoß gegen § 31 Abs. 6 VgV in erster Instanz geltend machen müssen und sei insoweit präkludiert, greift nicht durch. Die Antragstellerin hat erst mit Schriftsatz vom 21. November 2018 auf ihr Gebrauchsmuster hingewiesen, während die Beigeladene – im Hinblick auf die anderen streitgegenständlichen Schutzrechte – bereits in ihrer Rüge vom 22. Dezember 2017 ausgeführt hat, es könne nicht von einer neutralen Formulierung des Wettbewerbs ausgegangen werden, da die Beschaffung des patentgeschützten Gegenstands den Bieterkreis auf den Patentinhaber reduziere, und mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2018 auf § 31 Abs. 6 VgV hingewiesen hat.
2.3. In ihrem Hauptantrag bleibt die Beigeladene dementsprechend erfolglos. Dass die Antragstellerin entgegen § 53 Abs. 8 VgV auf ihr Gebrauchsmuster 20 2013 101 189 nicht bei Einreichung ihres Angebots, sondern erst mit Schriftsatz vom 21. November 2018 hingewiesen hat, führt auch nicht über § 57 VgV zu einem zwingenden Ausschlussgrund in Bezug auf das Angebot der Antragstellerin.
Nach dem Wortlaut des § 57 Abs. 1 VgV werden zwar Angebote, die nicht den Erfordernissen des § 53 VgV genügen, ausgeschlossen; in einem der dann aufgezählten Fälle, in denen dies „insbesondere“ der Fall ist, ist § 53 Abs. 8 VgV aber nicht explizit genannt. § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV bezieht sich auf Unterlagen, die mit dem Angebot vorzulegen sind oder auf besondere Anforderung durch den öffentlichen Auftragsgeber vorzulegen waren (Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV § 57 Rn. 27). Der Begriff „geforderte Angaben und Erklärungen“ ist allerdings weit zu verstehen (Verfürth in Kulartz/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV § 53 Rn. 71).
Soweit in der Literatur die Ansicht vertreten wird, ein Verstoß gegen § 53 Abs. 8 i. V. m. § 53 Abs. 7 VgV könne den Ausschluss des Angebots rechtfertigen (Verfürth in Kulartz/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV § 53 Rn. 81; Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, VgV § 53 Rn. 60), überzeugt dies nicht. Wie unter Ziffer 2.2.3.2. dargestellt, kann für den öffentlichen Auftraggeber vielmehr die Aufhebung des Vergabeverfahrens oder eine Zurückversetzung mit einer Änderung der Vergabeunterlagen notwendig werden, wenn er erst zu spät von möglichen Ausschließlichkeitsrechten erfährt (Herrmann a. a. O.). § 57 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 53 Abs. 7 VgV ist teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass Angaben nach § 53 Abs. 8 VgV, die die Unternehmen von sich aus zu machen haben (Verfürth in Kulartz/Kus/Marx/Protz/Prieß, VgV § 53 Rn. 78), nicht darunter fallen. Zu den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung gehört auch die teleologische Reduktion.
Die Beschränkung des Wortsinns einer gesetzlichen Regelung durch die Gerichte ist aufgrund des vom Gesetzgeber mit ihr verfolgten Regelungsziels geboten, wenn sie nach ihrem Wortlaut Sachverhalte erfasst, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll. In einem solchen Fall ist eine zu weit gefasste Regelung im Wege der sogenannten teleologischen Reduktion auf den ihr nach Sinn und Zweck zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen. Ob eine planwidrige Gesetzeslücke als Voraussetzung einer teleologischen Reduktion vorliegt, ist nach ständiger Rechtsprechung nach dem Plan des Gesetzgebers zu beurteilen, der dem Gesetz zugrunde liegt (BVerwG, Urt. v. 28. Februar 2019, 5 C 1/18, juris Rn. 15 m. w. N.).
Nach der Begründung (BT-Drs. 18/7318 S. 191) dient § 53 Abs. 7 VgV der Vergleichbarkeit der eingereichten Informationen und beugt der Gefahr vor, dass öffentliche Auftraggeber ein Angebot bezuschlagen, das nicht ihren Anforderungen entspricht. Bezüglich § 53 Abs. 8 VgV beschränkt sich die Begründung darauf, dass die Unternehmen von sich aus anzugeben haben, ob gewerbliche Schutzrechte bestehen, beantragt sind oder erwogen werden. In der Begründung zu § 57 VgV (BT-Drs. 18/7318 S. 193) wird § 53 Abs. 8 VgV nicht erwähnt.
Die Regelung ist insoweit planwidrig unvollständig, als sie für § 53 Abs. 8 VgV keine Einschränkung des Anwendungsbereichs der § 53 Abs. 7, § 57 Abs. 1 Nr. 2 VgV vorsieht. Da der Inhaber eines gewerblichen Schutzrechts auch bei einem Verstoß gegen § 53 Abs. 8 VgV seine Rechte gegenüber Dritten geltend machen kann, widerspricht es Sinn und Zweck des Vergaberechts, sein Angebot nach § 57 VgV auszuschließen, mit der Folge, dass der Rechteinhaber den Zuschlag nicht erhalten könnte, andere Bieter sich indes im Fall des Zuschlags Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen des Rechteinhabers ausgesetzt sähen. Aus Geschmacksmustern resultierende Ansprüche unterliegen zwar der Verwirkung (vgl. Böttcher in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 242 BGB, Rn. 174a), deren Voraussetzungen sind aber bei einer bloß verspäteten Angabe eines Bieters im Vergabeverfahren, dass für den Auftragsgegenstand gewerbliche Schutzrechte bestehen, nicht gegeben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urt. v. 19. Dezember 2000, X ZR 150/98, BGHZ 146, 217/220, juris Rn. 19) ist ein Recht verwirkt, wenn sich ein Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin (Zeitmoment) bei objektiver Beurteilung darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (Umstandsmoment). Für erfolgreiche Geltendmachung des Verwirkungseinwandes ist erforderlich, dass der Verletzer durch länger andauernde und ungestörte Benutzung eines Zeichens einen schutzwürdigen Besitzstand geschaffen hat, dessen Zerstörung durch eine verspätete Rechtsverfolgung sich als unzulässig erweisen würde (Böttcher a. a. O.)
2.4. Ebensowenig vermag die Antragstellerin mit ihrem Begehren durchzudringen, dass das Verfahren unter Ausschluss der Beigeladenen fortzusetzen und ihr der Zuschlag zu erteilen sei. Soweit sie geltend macht, das Angebot der Beigeladenen müsse jedenfalls wegen einer Verletzung des Patents des Stoffherstellers ausgeschlossen werden, kann sie damit aus prozessualen Gründen nicht durchdringen.
Die Vergabekammer hat festgestellt, dass das Angebot nicht wegen der Verletzung gewerblicher Schutzrechte auszuschließen ist, insbesondere nicht wegen Verletzung des Patents des Stoffherstellers. Will der Rechtsmittelgegner mehr erreichen, als die angegriffene Entscheidung zu verteidigen, muss er Anschlussbeschwerde einlegen, die auch im Vergabenachprüfungsverfahren in Anlehnung an § 524 Abs. 2 Satz 2, § 521 Abs. 2 Satz 1 ZPO bis zum Ablauf der dem Beschwerdegegner – üblicherweise – für die Erwiderung auf die Beschwerde gesetzten Frist eingelegt und begründet werden kann (BGH, Beschl. v 4. April 2017, X ZB 3/17, juris Rn. 18), allerdings nicht als solche bezeichnet werden muss (Heßler in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 524 Rn. 6).
Lässt sich das Rechtsschutzziel nur im Wege eines Anschlussrechtsmittels erreichen, ist das Vorbringen als solches auszulegen, weil bei der Auslegung von Prozesserklärungen davon ausgegangen werden muss, dass die Partei das erreichen will, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und ihrer recht verstandenen Interessenlage entspricht (vgl. zu Anschlussberufung, BGH, Urt. v. 7. Dezember 2007, V ZR 210/06, juris Rn. 16).
Die Beschwerdegegnerin hat in der mündlichen Verhandlung vom 5. Mai 2019 auf entsprechenden Hinweis des Senats jedoch klargestellt, ihr Vorbringen, das Angebot der Beigeladenen sei – entgegen der Ansicht der Vergabekammer – wegen der Verletzung des Patents des Stoffherstellers auszuschließen, nicht als Anschlussbeschwerde zu verstehen.
2.5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 175 Abs. 2 GWB i. V. m.§ 78 GWB.
Hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens waren die Kosten zwischen der Antragstellerin und der Beigeladenen aufzuheben, da sie in gleichem Maße teils obsiegen und teils unterliegen; wobei zu berücksichtigen ist, dass die Antragstellerin keine Anschlussbeschwerde eingelegt hat. Die Antragsgegnerin hat im Beschwerdeverfahren keinen Antrag gestellt.
Die Kosten für das Verfahren vor der Vergabekammer haben die Antragstellerin, die Antragsgegnerin und die Beigeladene zu gleichen Teilen zu tragen.


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