Baurecht

Verpflichtung zur Straßenreinigung

Aktenzeichen  AN 10 S 20.01000

Datum:
14.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 28326
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayStrWG Art. 4 Abs. 1 S. 2, S. 3, Art. 51 Abs. 4, Abs. 5
VwGO § 80 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

Die Reinigungspflicht des Straßenanliegers setzt voraus, dass sich nicht nur sein Grundstück, sondern auch die streitbefangene Straße innerhalb der geschlossenen Ortslage befindet und nicht nur an ihr vorbeiführt (vgl. VGH München, BeckRS 2016, 53246 Rn. 48). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheides vom 28. April 2020 wird wiederhergestellt, der Klage gegen Ziffer 2 angeordnet.
2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die mit einer Sofortvollzugsanordnung verbundene Verpflichtung zur Reinigung eines an ihr Grundstück angrenzenden Gehweges.
Die Antragsteller sind Miteigentümer des unbebauten und bewaldeten Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … Das Grundstück grenzt südlich in einer Länge von ca. 117 m (Bayern Atlas) an den Gehweg der …Straße an.
Die Antragsgegnerin wies die Antragsteller mit Schreiben vom 26. Februar 2020 auf die Reinigungsverpflichtung des Gehweges vor ihrem Grundstück hin und bat um entsprechende Erledigung bis 20. März 2020. Mit weiterem Schreiben vom 26. März 2020 wiederholte die Antragsgegnerin die Reinigungsverpflichtung unter Fristsetzung bis 11. April 2020, da die Antragsteller der Aufforderung nicht nachgekommen sind.
Mit Bescheid vom 28. April 2020 gab die Antragsgegnerin den Antragstellern auf, den Gehweg vor dem Grundstück Frontseite zur …Straße – FlNr. … innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides zu kehren und zu reinigen, anderenfalls wurde Zwangsgeld angedroht. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet. Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen auf §§ 4 und 5 der Verordnung über die Reinhaltung und Reinigung der öffentlichen Straßen und die Sicherung der Gehwege im Winter der Antragsgegnerin gestützt. Eine Benutzung des Gehweges vor dem genannten Grundstück sei derzeit nur eingeschränkt möglich, weil Nadeln, Erde und Laub sowie Gras und Unkraut ein entsprechendes Hindernis darstellen würden. Aus Gründen der Gleichbehandlung aller Grundstückseigentümer und insbesondere zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sowie der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sei die Anordnung erforderlich.
Dagegen erhoben die Antragsteller Anfechtungsklage und ließen durch ihren Prozessbevollmächtigten einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Bescheid berücksichtige nicht, dass nach Art. 51 Abs. 4 und 5 BayStrWG die Reinigungspflicht nur „innerhalb der geschlossenen Ortslage“ im Sinne des Art. 4 Abs. 1 BayStrWG gegeben sei. In Fällen einseitiger Bebauung entlang eines größeren Straßenabschnitts sei zu untersuchen, ob ein an die unbebauten Grundstücke angrenzender Gehsteig noch der geschlossenen Ortslage zugeordnet werden könne. Verlaufe ein solcher Gehsteig, hier mindestens 120 m, entlang unbebautem Gebiet, werde der Zusammenhang mit der Bebauung unterbrochen. Dies führe dazu, dass die beiderseits vorhandenen Gehsteige unterschiedlich einzustufen seien. Der gegenüberliegende Gehsteig gehöre zur Innenbereichslage, während der Gehsteig vor dem Grundstück der Antragsteller als nicht mehr innerhalb der geschlossenen Ortslage anzusehen sei. Eine Reinigungspflicht der Antragsteller bestehe deshalb nicht. Die Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs sei abwegig, weil die Antragsgegnerin über zwei Jahre hinweg ein entsprechendes Verhalten der Antragsteller sanktionslos hingenommen habe und keinerlei Gefährdungslage existent sei.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 3 des Bescheides anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid abzulehnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die …Straße auch im Bereich des streitgegenständlichen Grundstücks der geschlossenen Ortslage im Sinne des Gesetzes zuzuordnen sei. Auf der Südseite der …Straße befinde sich geschlossene Wohnbebauung. Das Grundstück der Antragsteller werde weiter eingefasst von der … im Osten und dem …, der hier auf der Nordseite mit einer Sporthalle bebaut sei. Auf der Westseite des Grundstückes befinde sich wiederum geschlossene Bebauung. Das streitgegenständliche Grundstück sei dem örtlichen Bebauungsbereich zuzuordnen. Auf keiner Seite des Grundstückes gehe die Bepflanzung mit Bäumen in freies Gelände über. Hierin unterscheide sich die Sachlage auch von dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 18. August 2016 (8 B 15.2552 – juris). Die damals streitgegenständlichen Grundstücke seien letztlich, ohne dass sie von weiteren Gebäuden umschlossen gewesen wären, direkt in die Freifläche der … übergegangen. Es habe sich damals um Grundstücke entlang des … in Bereichen gehandelt, wo dieser nur einseitig bebaut bzw. auf beiden Seiten von Wald umschlossen gewesen sei. Die damals streitgegenständliche Wegstrecke habe über „mehrere 100 m“ entlang einseitiger Bebauung bzw. unbebauten Gebiet entlang geführt, so dass die dortigen ausgedehnten Waldflächen der Kläger so dominant in Erscheinung getreten seien, dass die kleinteilige Wohnbebauung im weiteren in den Hintergrund getreten sei. Dies gelte für das nun streitgegenständliche Grundstück nicht. Das Grundstück werde rundum von Bebauung umschlossen und münde zu keiner Seite in eine offene Fläche. Nach der gebotenen Perspektive von der Straße her und im anzulegenden weitläufigen Betrachtungsrahmen liege die …Straße beidseits innerhalb der geschlossenen Ortslage.
Die Begründung des Sofortvollzuges bringe ein besonderes Interesse an der Vollziehung zum Ausdruck. Die erhebliche Verschmutzung des Gehsteiges sei im Februar 2020 festgestellt worden. Feuchte Nadeln und zahlreiche Äste auf dem Gehsteig würden ein erhebliches Gefahrenpotential für Fußgänger darstellen. Die Nachahmungseffekte würden den Sofortvollzug ebenfalls rechtfertigen.
Die Antragsgegnerin verweist im Übrigen auf die Verordnung über die Reinhaltung und Reinigung der öffentlichen Straßen und die Sicherung der Gehbahnen im Winter vom 19. Dezember 2016, die auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
§ 2 Begriffsbestimmungen
(1) Öffentliche Straßen im Sinne dieser Verordnung sind alle dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen, Wege und Plätze mit ihren Bestandteilen im Sinne des Art. 2 Nr. 1 BayStrWG oder des § 1 Abs. 4 Nr. 1 des Bundesfernstraßengesetzes (FStrG) in der jeweiligen Fassung. Hierzu gehören insbesondere die Fahrbahnen, die Trenn-, Seiten-, Rand- und Sicherheitsstreifen, die Geh- und Radwege, die gemeinsamen Geh- und Radwege und die der Straße dienenden Gräben, Böschungen, Stützmauern und Grünstreifen. Die Bundesautobahnen sind keine öffentlichen Straßen im Sinne dieser Verordnung.
(2) Gehbahnen sind
a) die für den Fußgängerverkehr bestimmten, befestigten und abgegrenzten Teile der öffentlichen Straßen (insbesondere Gehwege sowie gemeinsame Geh- und Radwege) und die selbstständigen Gehwege sowie die selbstständigen gemeinsamen Geh- und Radwege oder
b) in Ermangelung einer solchen Befestigung oder Abgrenzung die dem Fußgängerverkehr dienenden Teile am Rande der öffentlichen Straßen in der Breite von 1 Meter, gemessen vom begehbaren Straßenrand aus.
(3) Geschlossene Ortslage ist der Teil des Gemeindegebietes, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend bebaut ist. Einzelne unbebaute Grundstücke, zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände oder einseitige Bebauung unterbrechen den Zusammenhang nicht.
Reinigung der öffentlichen Straßen
§ 4 Reinigungspflicht
(1) Zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Reinlichkeit haben die Eigentümer und die zur Nutzung dinglich Berechtigten von Grundstücken, die innerhalb der geschlossenen Ortslage an die im Straßenreinigungsverzeichnis (Anlage 1) aufgeführten öffentlichen Straßen angrenzen (Vorderlieger) oder über diese öffentlichen Straßen mittelbar erschlossen werden (Hinterlieger), die in § 6 bestimmten Reinigungsflächen gemeinsam auf eigene Kosten zu reinigen. Grundstücke werden über diejenigen Straßen mittelbar erschlossen, zu denen über dazwischen liegende Grundstücke in rechtlich zulässiger Weise Zugang oder Zufahrt genommen werden darf.

§ 5 Reinigungsarbeiten
Zur Erfüllung ihrer Reinigungsflicht haben die Vorder- und Hinterlieger die im Straßenverzeichnis (Anlage 1) aufgeführten öffentlichen Straßen innerhalb ihrer Reinigungsflächen (§ 6) zu reinigen.
Sie haben dabei die Geh- und Radwege und die innerhalb der Reinigungsflächen befindlichen Fahrbahnen (einschließlich der Parkstreifen)
a) nach Bedarf zu kehren und den Kehricht, Schlamm und sonstigen Unrat zu entfernen (soweit diese in üblichen Hausmülltonnen für Biomüll, Papier oder Restmüll oder in Wertstoffcontainern entsorgt werden können); entsprechendes gilt für die Entfernung von Unrat auf den Grünstreifen.
Im Herbst sind die Reinigungsarbeiten bei Laubfall, soweit durch das Laub – insbesondere bei feuchter Witterung – die Situation als verkehrsgefährdend einzustufen ist, ebenfalls bei Bedarf durchzuführen.
b) von Gras und Unkraut zu befreien, soweit es aus Ritzen und Rissen im Straßenkörper wächst.
c) bei Bedarf, insbesondere nach einem Unwetter sowie bei Tauwetter, die Abflussrinnen und Kanaleinläufe freizumachen, soweit diese innerhalb der Reinigungsfläche (§ 6) liegen.
Anlage 1 (zu § 4 Abs. 1 i.V.m. § 6)
Straßenreinigungsverzeichnis
Gruppe B (Reinigungsfläche: bis zur Fahrbahnmitte)
…Straße
… Für die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die vorgelegte Behördenakte und die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie im Verfahren AN 10 K 13.01573 Bezug genommen.
II.
Die Antragsteller begehren nach Auslegung (§§ 122, 88 VwGO) die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die mit einer Sofortvollzugsanordnung verbundene Reinigungsverpflichtung ihres Gehweges sowie die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Anfechtungsklage gegen die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 2 des Bescheides. Diesbezüglich hat die Klage gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, Art. 21a VwZVG keine aufschiebende Wirkung.
Der so verstandene Antrag hat Aussicht auf Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
1. Zunächst ist bereits zweifelhaft, ob die Begründung des Sofortvollzugs im streitgegenständlichen Bescheid vom 28. April 2020 den formellen Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entspricht, d.h., ob das besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug in ausreichender Form begründet wurde. Die Begründungspflicht des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO soll u.a. der Behörde den Ausnahmecharakter der Vollzugsanordnung vor Augen führen und sie veranlassen, mit besonderer Sorgfalt zu prüfen („Warnfunktion“), ob tatsächlich ein besonderes öffentliches Interesse den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung erfordert (BayVGH, B.v. 24.3.1999 – 10 CS 99.27 – BayVBl. 1999, 465). Bloß formelhafte Begründungen genügen daher regelmäßig nicht. Vorliegend wird der Sofortvollzug im Wesentlichen mit dem Inhalt des zu vollziehenden Verwaltungsaktes begründet. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass damit der Warnfunktion genüge getan wurde. Es fehlt eine auf den Einzelfall ausgerichtete, nicht nur formelhafte Darlegung des besonderen öffentlichen Interesses, dass ausnahmsweise die sofortige Vollziehbarkeit notwendig ist und dass hinter dieses Vollzugsinteresse das Interesse der Antragsteller, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens von der Reinigungsverpflichtung nicht betroffen zu werden, zurücktreten muss.
2. Zudem erscheint der streitgegenständliche Bescheid vom 28. April 2020 nach summarischer Prüfung rechtswidrig und verletzt die Antragsteller in ihren Rechten.
Im vorliegenden Fall eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 bis 3 ganz oder teilweise anordnen bzw. in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung eines Verwaltungsaktes angeordnet worden ist, die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs dagegen ganz oder teilweise wiederherstellen. Bei der Entscheidung sind die widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen. Im Rahmen dieser Abwägung können auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs berücksichtigt werden. Bleibt dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos, wird die Abwägung in der Regel zum Nachteil des Betroffenen ausfallen, da dann das von der Behörde geltend gemachte besondere öffentliche Interesse am Sofortvollzug regelmäßig überwiegt.
Nach der in diesem Verfahren gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage liegen die Voraussetzungen der Reinigungsverpflichtung für die streitgegenständliche Gehwegfläche gemäß §§ 4, 5 der Verordnung über die Reinhaltung und Reinigung der öffentlichen Straßen und die Sicherung der Gehbahnen im Winter vom 19. Dezember 2016 der Antragsgegnerin (im Folgenden: Verordnung) nicht vor, so dass der Bescheid der Antragsgegnerin vom 28. April 2020 nicht rechtmäßig erscheint.
a. Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Straßenreinigung im Gemeindegebiet der Antragsgegnerin ist die Verordnung der Antragsgegnerin. Ermächtigungsgrundlage der Verordnung ist Art. 51 Abs. 4, 5 BayStrWG. Nach dieser Vorschrift kann die den Gemeinden obliegende Pflicht zur Reinigung und zum Winterdienst von Straßen den Eigentümern oder zur Nutzung dinglich Berechtigten auferlegt werden. Gegen die Ermächtigungsgrundlage bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Abwälzung gemeindlicher Reinigungs-, Räum- und Streupflichten auf die Anlieger gemäß Art. 51 Abs. 4 und 5 BayStrWG verfassungsgemäß ist (vgl. BayVerfGH, U. v. 28.3.1977 – Vf. 3-VII-76 – BayVBl 1977, 369; BayVGH, B. v. 8.2.2011 – 8 ZB 10.1541 – BayVBl 2011, 435 Rn. 17 m. w. N.). In Übereinstimmung mit den Beteiligten geht das Gericht zudem davon aus, dass auch § 4 Abs. 1 und § 5 der Verordnung der Antragsgegnerin in der aktuellen Fassung vom 19. Dezember 2016 rechtmäßig ist.
b. Allerdings liegen die Voraussetzungen der Reinigungsverpflichtung nicht vor. Nach § 4 Abs. 1 der Verordnung haben die Eigentümer zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Reinlichkeit, die innerhalb der geschlossenen Ortslage an die im Straßenreinigungsverzeichnis aufgeführten öffentlichen Straßen angrenzen (Vorderlieger) oder über diese öffentlichen Straßen mittelbar erschlossen werden (Hinterlieger), die in § 6 bestimmten Reinigungsflächen gemeinsam auf eigene Kosten zu reinigen.
Die Antragsteller sind Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstückes FlNr. … der Gemarkung … Dieses Grundstück grenzt im Süden an die …Straße an. Die …Straße ist in Anlage 1 zur Straßenreinigungsverordnung in Gruppe B aufgelistet.
Die Reinigungspflicht besteht jedoch nach § 4 Abs. 1 der Verordnung und der Ermächtigungsgrundlage des Art. 51 Abs. 4 und 5 BayStrWG nur „innerhalb der geschlossenen Ortslage“. Dabei enthält Art. 4 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BayStrWG eine Legaldefinition des Begriffs der „geschlossenen Ortslage“. Danach handelt es sich um den Teil des Gemeindegebiets, der in geschlossener oder offener Bauweise zusammenhängend bebaut ist. Einzelne unbebaute Grundstücke, zur Bebauung ungeeignetes oder ihr entzogenes Gelände oder einseitige Bebauung unterbrechen den Zusammenhang nicht. Die Definition ist wortgleich in § 2 Abs. 3 der Verordnung übernommen worden. Es handelt sich insoweit um eigenständige straßenrechtliche Begriffe; auf die §§ 29 ff. BauGB ist nicht zurückzugreifen (vgl. BayVGH, U.v. 25.2.2009 – 8 B 07.197 – BayVBl 2009, 471; U.v. 18.8.2016 – 8 B 15.2552 – juris). Die Beurteilung muss von der Straße her ansetzen und die sich in der Nähe befindliche Bebauung in den Blick nehmen; dabei ist ein weitläufiger Betrachtungsrahmen zugrunde zu legen (BayVGH, B.v. 4.8.2008 – 4 ZB 08.59 – juris Rn. 7).
Dies zugrunde gelegt spricht zwar nach Auffassung der Kammer nach summarischer Prüfung unter Berücksichtigung der vorgelegten Lichtbilder und Planunterlagen einiges dafür, dass die streitgegenständliche Reinigungsfläche dem straßenrechtlichen Innenbereich zuzuordnen ist. Auf den ersten Blick scheint es sich hinsichtlich des streitgegenständlichen Grundstückes um eine Baulücke zu handeln, insbesondere unter Berücksichtigung der geschlossenen Bebauung im Westen und Süden. Die dann bestehende Straßenreinigungsverpflichtung der Antragsteller würde auch dem sicherheitsrechtlichen Charakter der Anliegerpflichten Rechnung tragen.
Allerdings sieht sich die Kammer aufgrund der vorliegenden vergleichbaren Lage an die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (U.v.18.8.2016 – AN 10 K 13.01573 – juris) gebunden mit der Folge, dass sich das Grundstück FlNr. … der Gemarkung … im straßenrechtlichen Außenbereich befindet und nicht innerhalb der geschlossenen Ortslage an öffentliche Straßen angrenzt.
Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes setzt die Reinigungspflicht des Straßenanliegers voraus, dass sich nicht nur sein Grundstück, sondern auch die streitbefangene Straße innerhalb der geschlossenen Ortslage befindet und nicht nur an ihr vorbeiführt (U.v. 18.8.2016 – 8 B 15.2552 – juris Rn. 48). Hierzu führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof weiter aus (a.a.O, Rn. 49):
„Wie sich aus Art. 4 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG ergibt, grenzen Grundstücke im Sinn des Art. 51 Abs. 4 BayStrWG nur innerhalb der geschlossenen Ortslage an öffentliche Straßen, wenn die Straße „durch“ eine geschlossene Ortslage führt. Die Straße darf also nicht bloß an einer geschlossenen Ortslage vorbei führen, selbst aber im straßenrechtlichen Außenbereich („freie Strecke“) verlaufen. Dementsprechend ist in Fällen durchgehend einseitiger Bebauung entlang eines größeren Straßenabschnitts wie hier vor allem zu untersuchen, ob ein an die unbebauten Grundstücke angrenzender Gehsteig noch der geschlossenen Ortslage zugeordnet werden kann. Verläuft ein solcher Gehsteig über eine größere Distanz (mehrere 100 m wie hier) entlang einseitiger Bebauung und/oder unbebautem Gebiet, wird nämlich der Zusammenhang mit der Bebauung im Sinn des Art. 4 Abs. 1 Satz 2 und 3 BayStrWG regelmäßig unterbrochen; zumindest der Gehsteig verläuft dann regelmäßig selbst nicht mehr innerhalb der geschlossenen Ortslage; auch bei der Fahrbahn selbst kann dies in Betracht kommen (vgl. BayVGH, U.v. 25.2.2009 – 8 B 07.197 – BayVBl 2009, 471 f.). Dies kann dazu führen, dass bei beidseits vorhandenen Gehsteigen einer an freier Strecke liegt, während der andere noch (teilweise) zur Innenbereichslage gehört. Ein solcher Sachverhalt ist hier teilweise gegeben, wobei die Einordnung der Fahrbahn offen bleiben kann. Dass dabei einzelne Teile/Streifen der Straße im Sinn des Art. 2 BayStrWG eine unterschiedliche rechtliche Bewertung erfahren, muss insoweit zurücktreten, weil in diesem Zusammenhang dem oben näher dargelegten Zumutbarkeitskriterium der Vorrang zukommt (zum Ganzen vgl. BayVGH, U.v. 4.4.2007 – 8 B 05.3195 – BayVBl 2007, 598/560 ff; U.v. 25.2.2009 – 8 B 07.197 – BayVBl 2009, 471 f. m.w.N.).“
Nach diesem Maßstab liegt das betroffene Grundstück im Bereich der geschlossenen Ortslage. Unter Berücksichtigung der damals streitgegenständlichen Gehwegflächen, insbesondere der Grundstücke FlNr. … und FlNr. … der Gemarkung … betreffend die Gehwegfläche der …Straße, liegt zu der nun streitgegenständlichen Gehwegfläche der …Straße eine vergleichbare Lage vor. Die Lage stellt sich wie folgt dar (vgl. hierzu auch den Plan auf Blatt 89 der Gerichtsakte im Verfahren AN 10 K 13.01573):
Bei dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … handelt es sich um ein unbebautes, bewaldetes Grundstück, wobei sich die Waldfläche über eine Länge von ca. 117 m (Bayern Atlas) erstreckt. Das Grundstück grenzt im Süden an die …Straße und im Norden an das ebenfalls unbebaute, bewaldete Grundstück FlNr. …, an das sich der … anschließt. Weiter Richtung Norden befindet sich lediglich eine Splitterbebauung (Sporthalle), im Übrigen freie Fläche. Im Westen befindet sich geschlossene Bebauung, im Osten grenzt das Grundstück zum einen an die …, zum anderen an das relativ kleine Grundstück FlNr. …, das mit einem kleinen Gebäude unbekannter Nutzung, ähnlich einem Trafo-Häuschen, versehen ist.
Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (vgl. BayVGH, U.v. 18.8.2016 – 8 B 15.2552 – juris Rn. 51) lässt die auf der Nordseite der …Straße vorhandene Bebauung die Annahme einer geschlossenen Ortslage nur bis zur Waldgrenze zu. Es wird nach summarischer Prüfung davon ausgegangen, dass sich die über eine Länge von 117 m erstreckende Waldfläche auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … (ebenso wie die ausgedehnten Waldflächen auf den Grundstücken FlNr. … und FlNr. …*) markant und dominant in Erscheinung tritt, dass die hieran anschließende geschlossene Bebauung im Westen in den Hintergrund tritt. Der Bebauungszusammenhang wird deshalb unterbrochen, so dass für die betreffende Gehwegfläche nicht mehr von einer geschlossenen Ortslage gesprochen werden kann. Dies wird mit einem Blick Richtung Osten bestätigt, wo sich erst mit gewissem Abstand geschlossene Bebauung anschließt. An das östlich angrenzende Grundstück FlNr. …, das lediglich mit einem kleinen Gebäude unbekannter Nutzung versehen ist und keinen Bebauungszusammenhang vermitteln kann, schließt sich mit dem kleinen Grundstück FlNr. …, der … und dem bewaldeten Grundstück FlNr. … unbebautes Gelände an. Auch nördlich der streitgegenständlichen Waldfläche FlNr. … befindet sich das ebenfalls unbebaute, bewaldete Grundstück FlNr. … Der nördliche Gehweg der …Straße führt deshalb auf der Strecke der Waldfläche nicht „durch“ eine geschlossene Ortslage im Sinne des Art. 4 Abs. 1 BayStrWG.
An dieser Bewertung ändert auch Art. 4 Abs. 1 Satz 3 BayStrWG, wonach einzelne unbebaute Grundstücke den Zusammenhang nicht unterbrechen, nichts. Danach sollen nur solche „einzelnen“ unbebauten Grundstücke den Eindruck einer geschlossenen Ortslage nicht stören, die aus einem sonst in der Gesamtsituation sich abzeichnenden Bebauungszusammenhang nicht herausfallen (BayVGH, B.v. 28.3.2019 – 6 ZB 19.60 – juris Rn. 11). Ein solcher Bebauungszusammenhang besteht hier jedoch, wie dargestellt, nicht. Es handelt sich im Übrigen auch nicht lediglich um ein einzelnes unbebautes Grundstück.
Der Einwand der Antragsgegnerin, die Lage sei nicht vergleichbar, da an keiner Seite des Grundstückes die Bepflanzung mit Bäumen in freies Gelände übergehe, kann nicht durchdringen. Denn im Norden befindet sich nach dem bewaldeten, angrenzenden Grundstück FlNr. … mit der vorhandenen Sporthalle lediglich eine Splitterbebauung, die im weiteren Verlauf in die … und damit in freie Fläche übergeht. Bei dem großflächigen Sportplatz handelt es sich im Großen und Ganzen um eine nicht mit Gebäuden bebaute Fläche, bei dem nur die Sporthalle als Anlage des Sportplatzes dient. Auch deshalb kann die Sporthalle allein keinen Bebauungszusammenhang vermitteln.
Im Ergebnis führt deshalb die streitgegenständliche Gehwegfläche als dem straßenrechtlichen Außenbereich zuzuordnende Strecke lediglich vorbei an der einseitigen Bebauung im Süden der …Straße. Dies ist jedoch – wie dargelegt – entsprechend des Tatbestands des Art. 4 Abs. 1 BayStrWG nicht ausreichend. Jedenfalls der nördliche Gehweg der …Straße vor dem Grundstück FlNr. … führt nicht „durch“ eine geschlossene Ortslage im Sinne des Art. 4 Abs. 1 BayStrWG mit der Folge, dass die Reinigungspflicht der Antragsteller nicht besteht.
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Ziffer 1 des Bescheides vom 28. April 2020 ist daher wiederherzustellen und gegen Ziffer 2 des Bescheides anzuordnen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 1.5, 43.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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