Baurecht

Voraussetzung einer konkreten Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs

Aktenzeichen  M 2 S 18.2234

Datum:
6.12.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 41191
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 3, Abs. 5
BayStrWG Art. 3 Abs. 1 Nr. 4, Art. 29 Abs. 2 S. 1, Art. 53 Nr. 1, Art. 54 Abs. 1, Art. 66 Nr. 4

 

Leitsatz

1 Ob die von der Behörde gem. § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO für die Anordnung des Sofortvollzugs gegebene Begründung dem Gericht auch als richtig und überzeugend erscheint, ist für die formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung unerheblich. (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine auf Art. 29 Abs. 2 S. 1 BayStrWG und Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG iVm Art. 66 Nr. 1 BayStrWG bzw. Art. 29 Abs. 2 S. 2 BayStrWG gestützte Nutzungsbeschränkungsverfügung setzt im konkreten Einzelfall die Prüfung voraus, ob die Nutzungsbeschränkung überhaupt und wenn ja, in vollem Umfang notwendig ist, um Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3 Dafür besdarf es einer konkreten Gefahr. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Ziffern 1 und 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. März 2018 (Geschäftszeichen …) wird wiederhergestellt, soweit sie die Verpflichtung des Antragstellers betreffen, den H. im Bereich der Grundstücke FlNrn. …, … und … der Gemarkung … soweit zurückzubauen, dass zum vorbeiführenden öffentlichen Feld- und Waldweg ein sog. Vorgewende in einer Tiefe von 6,00 m eingehalten ist.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Ziffern 4 und 5 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. März 2018 wird wiederhergestellt.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen Ziffern 8, 9, 10 und 11 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. März 2018 wird angeordnet.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II. Von den Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller 2/6 und die Antragsgegnerin 4/6 zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 3.750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen einen straßenrechtlichen Untersagungsbescheid.
Der Antragsteller betreibt eine Landwirtschaft, die insbesondere Hopfenanbau zum Gegenstand hat. Der Antragsteller ist Eigentümer der Grundstücke FlNrn. …, …, … und … der Gemarkung …, auf denen er jeweils einen Hopfengarten errichtet hat. Weiterhin hat der Antragsteller die Grundstücke FlNrn. … und … der Gemarkung … gepachtet, auf denen sich ein Hopfengarten befindet, den er bewirtschaftet.
An die Grundstücke FlNrn. …, … und … der Gemarkung … grenzt der im Bestandsverzeichnis der Gemeinde … eingetragene nicht ausgebaute öffentliche Feld- und Waldweg „… Feldweg II“, Grundstück FlNr. … der Gemarkung …, an. Das Wegegrundstück steht im Eigentum der Gemeinde … An die Grundstücke FlNrn. …, … und … der Gemarkung … grenzt die im Bestandsverzeichnis der Gemeinde … eingetragene Gemeindeverbindungsstraße “ …“, Grundstücke FlNrn. …, …, … und … der Gemarkung …, an.
Mit Bescheid vom 16. März 2018 verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller, die teilweise Überbauung des öffentlichen Feld- und Waldwegs „… Feldweg II“ zu beseitigen und den auf den Grundstücken FlNrn. …, … und … der Gemarkung … errichteten Hopfengarten soweit zurückzubauen, dass zum vorbeiführenden öffentlichen Feld- und Waldweg ein sog. Vorgewende in einer Tiefe von 6,00 m eingehalten ist (Ziffer 1 und 2). In Ziffer 4 und 5 verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller, die auf den Grundstücken FlNrn. …, … und … der Gemarkung … errichtete Zaunanlage sowie die eingebauten Ankeranlagen soweit zu versetzen, dass ein Mindestabstand von 1,00 m Gemeindeverbindungsstraße “ …“ eingehalten ist. Die sofortige Vollziehung wurde angeordnet (Ziffer 7). In Ziffer 8 und 9 wurde für den Fall, dass der Antragsteller den Verpflichtungen aus Ziffer 1 und 2 nicht nachkommt, ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 1.000 €, für den Fall, dass er den Verpflichtungen aus Ziffer 4 und 5 nicht nachkommt, ein Zwangsgeld in Höhe von jeweils 500 € angedroht. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Anordnungen der Beseitigung von Beeinträchtigungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs dienten.
Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 9. April 2018 Klage (M 2 K 18.1706). Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2018 ließ er weiterhin beantragen,
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Gemeinde … vom 16. März 2018 wird hinsichtlich Ziffer 1, 2, 4 und 5 wiederhergestellt, hinsichtlich Ziffer 8, 9, 10 und 11 angeordnet.
Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass es schon an einer ausreichenden Begründung im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO fehle. Der öffentliche Feld- und Waldweg FlNr. … sei für eine Befahrung grundsätzlich nicht geeignet. Der Weg sei in Natura bereits seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr vorhanden, sodass jedenfalls Verjährung und Verwirkung etwaiger Ansprüche eingetreten seien. Mittlerweile sei auch die Einziehung bei der Antragsgegnerin beantragt worden. Eine Beeinträchtigt der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs sei weder am öffentlichen Feld und Waldweg, noch an der Gemeindeverbindungsstraße erkennbar.
Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 18. Mai 2018, den Antrag abzulehnen.
Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 25. Juli 2018 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der sonstigen Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere auf den Sachvortrag des Antragstellers, die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides und die Niederschrift des Augenscheins und der mündlichen Verhandlung vom 27. September 2018 in diesem Verfahren und im Verfahren M 2 K 18.1706 Bezug genommen.
II.
I.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist zulässig.
Wegen der Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Anordnungen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO in Ziffer 7 des streitgegenständlichen Bescheids hat die Klage des Antragstellers keine aufschiebende Wirkung. Gleiches gilt nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. Art. 21a Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung. In solchen Fällen kann das Gericht auf Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen bzw. anordnen.
II.
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist auch überwiegend begründet.
Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffern 1 und 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. März 2018 hat Erfolg, soweit die Verpflichtung des Antragstellers angeordnet wird, den Hopfengarten im Bereich der Grundstücke FlNrn. …, … und … der Gemarkung … soweit zurückzubauen, dass zum vorbeiführenden öffentlichen Feld- und Waldweg ein sog. Vorgewende in einer Tiefe von 6,00 m eingehalten ist. Soweit in den Ziffern 1 und 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. März 2018 die Verpflichtung des Antragstellers angeordnet wird, die Überbauung des öffentlichen Feld- und Waldwegs zu beseitigen, ist der Antrag dagegen unbegründet. Weiterhin hat der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffern 4 und 5 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. März 2018 Erfolg.
Bei der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu treffenden Entscheidung hat das Gericht eine eigene, originäre Entscheidung über die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung aufgrund der sich ihm im Zeitpunkt seiner Entscheidung darbietenden Sach- und Rechtslage zu treffen. Das Gericht hat insoweit eine Interessenabwägung vorzunehmen, im Rahmen derer das Aussetzungsinteresse des Antragstellers und das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides gegeneinander abzuwägen sind. Hierbei kommt den Erfolgsaussichten in der Hauptsache eine besondere Bedeutung zu, soweit diese im Rahmen der im Eilverfahren nur möglichen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage beurteilt werden können.
1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist formal nicht zu beanstanden. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung schriftlich zu begründen. Dabei hat die Behörde unter Würdigung des jeweiligen Einzelfalls darzulegen, warum sie abweichend vom Regelfall der aufschiebenden Wirkung, die Widerspruch und Klage grundsätzlich zukommt, die sofortige Vollziehbarkeit des Verwaltungsaktes angeordnet hat.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt hier insoweit den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO, als die Antragsgegnerin festgestellt hat, dass ein besonderes öffentliches Interesse daran besteht, dass die durch den Überbau des Hopfengartens auf dem öffentlichen Feld- und Waldweg bzw. die durch die errichteten Zaun- und Ankeranlagen unmittelbar am Fahrbahnrand bzw. zum Teil auf der Gemeindeverbindungsstraße verursachten Beeinträchtigungen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beseitigt werden. Im Bereich des Sicherheitsrechts ergibt sich das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig aus den Gesichtspunkten, die für den Erlass des Verwaltungsakts selbst maßgebend waren. An den Inhalt der schriftlichen Begründung des Sofortvollzugs sind keine zu hohen Anforderungen zu stellen, wenn der Sofortvollzug zur Abwendung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geboten ist. Die von der Antragsgegnerin gegebene Begründung für die Anordnung des Sofortvollzugs ist zwar knapp, nach den dargestellten Maßstäben jedoch noch ausreichend. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die von der Behörde gegebene Begründung dem entscheidenden Gericht auch als richtig und überzeugend erscheint, sondern allein darauf, ob die vorgenannten Kriterien einer einzelfallbezogenen Begründung in formeller Hinsicht erfüllt worden sind. Die inhaltliche Richtigkeit der Begründung ist erst später im Rahmen der Interessenabwägung zu prüfen (SächsOVG, B.v. 7.1.2014 – F 7 B 363/13; OVG NRW, B.v. 22.1.2001 – 19 B 1757/00, NJW 2001, 3427).
2. Nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Überprüfung, sprechen die überwiegenden Gründe dafür, dass die Anordnungen in Ziffern 1 und 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. März 2018 die Überbauung des öffentlichen Feld- und Waldwegs „… * … Feldweg II“ zu beseitigen, rechtmäßig sind und den Antragsteller nicht in seinen Rechten verletzen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Bei dem streitgegenständlichen Weg handelt es sich um einen nicht ausgebauten öffentlichen Feld- und Waldweg im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Nr. 4, Art. 53 Nr. 1, Art. 54 Abs. 1 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG). Der Weg wurde mit Eintragungsverfügung vom 14. Juli 1988 in das Bestandsverzeichnis für öffentliche Feld- und Waldwege der Gemeinde … aufgenommen und verläuft auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … Hinweise darauf, dass dieses Bestandsverzeichnis nicht wirksam sein könnte, liegen nicht vor.
Der Verbotstatbestand des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG ist erfüllt. Danach dürfen unter anderem Anpflanzungen aller Art und ähnliche mit dem Grundstück nicht festverbundene Gegenstände nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Die Anordnung ihrer Beseitigung ist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) grundsätzlich zulässig. Sofern man die Eingriffsbefugnis unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG herleitet, ändert dies am Ergebnis nichts (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2009 – 8 ZB 09.469 – juris Rn. 8, grundlegend zum Ganzen: B.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 21 ff.; Wiget in Zeitler, BayStrWG, Stand Januar 2018, Art. 29 Rn. 28).
Das Gerüst des H. des Antragstellers erstreckt sich über den im Eigentum der Antragsgegnerin (Art. 14 GG, § 903 BGB) stehenden öffentlichen Feld- und Waldweg (Grundstück FlNr. … der Gemarkung …) und beeinträchtigt dessen bestimmungsgemäße Nutzung.
Die seitens des Antragstellers eingewandte Einrede der Verjährung kommt bei einer hoheitlichen Anordnung auf der Grundlage des Art. 29 BayStrWG nicht in Betracht. Das Gleiche gilt für die geltend gemachte Verwirkung.
Auch der vom Antragsteller geltende gemachte Antrag auf Einziehung führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Der Antrag wurde von der Antragsgegnerin abgelehnt. Ein Rechtsanspruch auf Einziehung kommt nicht in Betracht, da Art. 8 BayStrWG ausschließlich im öffentlichen Interesse besteht und nicht dem Schutz von Einzelinteressen Dritter dient (Häußler in Zeitler, BayStrWG, Stand Januar 2018, Art. 8 Rn. 55-57).
3. Nach der vorzunehmenden summarischen Überprüfung sprechen die überwiegenden Gründe dafür, dass die Anordnungen in Ziffern 1 und 2 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. März 2018, den H. im Bereich der Grundstücke FlNrn. …, … und … der Gemarkung … soweit zurückzubauen, dass zum vorbeiführenden öffentlichen Feld- und Waldweg ein sog. Vorgewende in einer Tiefe von 6,00 m eingehalten ist, rechtswidrig sind und den Antragsteller in seinen Rechten verletzen, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die in Ziffern 1 und 2 des streitbefangenen Bescheids angeordnete Rückbauverfügung ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4, Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG dürfen unter anderem Anpflanzungen aller Art und Zäune nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Jedoch bedarf dies der einschränkenden Auslegung im Lichte der Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG), Art. 103 Bayerische Verfassung (BV), sofern fremdes Grundstückseigentum betroffen ist.
Mit der Regelung, dass unter anderem Anpflanzungen aller Art und Zäune nicht errichtet werden dürfen, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können, enthält Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG eine Beschränkung der Nutzung des privaten Grundstückseigentums. Bei derartigen bodenrechtlichen Sachverhalten steht der Gesetzgeber angesichts des Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu regeln (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV), vor einer schwierigen Aufgabe. Einerseits gewährleisten Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 BV das Privateigentum, wie es sich in seinem rechtlichen Gehalt vor allem in der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis und in der Privatnützigkeit verwirklicht. Andererseits muss der Gesetzgeber in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung Rechnung tragen (vgl. Art. 14 Abs. 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV). Dazu muss er die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten ohne einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung in einen gerechten Ausgleich bringen. Hierbei hat er seine Bindung an die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Beschränkungen. Um vor den Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 103, 158 BV Bestand zu haben, müssen (Nutzungs-)Beschränkungen des Eigentums deshalb vom geregelten Sachbereich her geboten und auch in ihrer Ausgestaltung sachgerecht sein. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weiter gehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. In jedem Fall erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung die Erhaltung der Substanz des Eigentums und die Beachtung des Gleichheitsgebots der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV.
Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund verlangt es, die Anwendbarkeit der Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und die mit ihr gepaarte Eingriffsmöglichkeit nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG bzw. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG streng an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu binden. Damit ist in jedem konkreten Einzelfall die Prüfung erforderlich, ob die Nutzungsbeschränkung überhaupt und wenn ja, in vollem Umfang notwendig ist, um Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren. Nicht vereinbar mit der verfassungsrechtlichen Stellung des Grundstückseigentümers wäre es deshalb, eine abstrakte Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs als Tatbestandsvoraussetzung ausreichen zu lassen; denn dann würde auf der Grundlage einer nur generell-abstrakten Betrachtung denkbarer Verhaltensweisen oder Zustände ein Schadenseintritt als wahrscheinlich angesehen werden können. Der Interessenkonflikt zwischen Eigentümerbefugnissen und Schutzzweck des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayStrWG wird vielmehr nur dann gerecht und verfassungsrechtlich unbedenklich ausgeglichen, wenn im konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens eine Verletzung der Schutzgüter der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs von Gewicht zu erwarten ist und durch die Regelung abgewehrt werden soll. Notwendig ist also das Vorliegen einer so genannten konkreten Gefahr (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 aaO Rn. 22 ff.; VG München, U.v. 6.12.2016 – M 2 K 16.4386 – juris Rn. 23 ff.; VG München, U.v. 3.8.2017 – M 2 K 16.3853).
Die Anwendung der verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit bedeutet konkret, dass die Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und die mit ihr verbundene Möglichkeit, die Beseitigung anzuordnen (Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG bzw. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG), nicht pauschal und ohne Abstufung auf allen Straßen und Wegen gleichermaßen Anwendung finden können. Der Schwerpunkt ihres Anwendungsbereichs befindet sich vielmehr dort, wo auf Grund der Verkehrsbelastung einer Straße (z.B. erhebliche durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke) oder auf Grund ihrer besonderer Beschaffenheit (z.B. unübersichtlicher oder kurvenreicher Straßenverlauf) konkrete Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs drohen, wenn Sichtfelder nicht freigehalten werden oder die Übersichtlichkeit der Straße in sonstiger Weise durch Anlagen im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG beeinträchtigt wird.
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hinzukommen muss ferner, dass die konkrete Gefahr nicht hinreichend durch andere, insbesondere einfachere oder einer bestimmten Verkehrssituation angemessene Mittel wie z.B. den Einsatz geeigneter verkehrslenkender Maßnahmen (insbesondere Verkehrszeichen) abgewehrt werden kann.
Vorstehendes zu Grunde gelegt, erweisen sich die Rückbauverfügungen in Ziffern 1 und 2 des Bescheids vom 16. März 2018 voraussichtlich als rechtswidrig. Die Voraussetzungen hierfür sind von der Antragsgegnerin unzureichend ermittelt, begründet und bewertet worden. Zum einen hat die Antragsgegnerin das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs im streitbefangenen Bescheid nicht ausreichend ermittelt und begründet. Sie hat zur Begründung auf die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung herausgegebenen Richtlinien für den passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme (RPS) verwiesen, ohne darzulegen, aus welchen Gründen die für Bundesfernstraßen entwickelte Richtlinien in dem konkreten Einzelfall auf den nicht ausgebauten öffentlichen Feld- und Waldweg analog anwendbar sein sollen. Nach Aktenlage wurden keine tatsächlichen Ermittlungen der Verkehrsbelastung des öffentlichen Feld- und Waldwegs durchgeführt. Auch beim Augenschein am 27. September 2018 ergaben sich für das Gericht keine Anhaltspunkte für eine hohe Verkehrsbelastung auf dem öffentlichen Feld- und Waldweg.
Die Sachverhaltsermittlung- und -bewertung der Antragsgegnerin hinsichtlich der angeordneten Freihaltung eines sog. Vorgewendes in der Tiefe von 6,00 m zum öffentlichen Feld- und Waldweg erweisen sich als in erheblichem Umfang defizitär. Die entsprechenden Ausführungen im Bescheid können das Vorliegen einer konkreten Gefahr nicht in ausreichender Weise begründen.
Zum anderen hat die Antragsgegnerin ihrer Beurteilung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend zu Grunde gelegt. Insbesondere hat sie es unterlassen, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu untersuchen, ob die von ihr angenommene konkrete Gefahr nicht auch in ausreichender Weise durch andere angemessene Mittel abgewehrt werden kann. Es ergibt sich sonach ein i.S.d. Art. 40 BayVwVfG erhebliches Ermessensdefizit.
4. Die in den Ziffern 1 und 2 des Bescheids enthaltenen Verfügungen zur Beseitigung der Überbauung des öffentlichen Feld- und Waldweges und zum Rückbau des H. auf den angrenzenden Grundstücken bis zu einer Tiefe von 6,00 m sind teilbar, da die Anordnung zur Beseitigung der Überbauung des Grundstücks FlNr. … nicht in einem untrennbaren inneren Zusammenhang mit der Anordnung des Rückbaus zur Einhaltung eines sog. Vorgewendes in einer Tiefe von 6,00 m auf den angrenzenden Grundstücken steht (vgl. zur Teilbarkeit BayVGH, B.v. 26.5.2010 – 22 CS 09.3250, Rn. 20 juris).
5. Nach summarischer Überprüfung sprechen sind die Anordnungen in Ziffern 4 und 5 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 16. März 2018, die Zaunanlage sowie die A. des H. auf den Grundstücken FlNr. …, … und … der Gemarkung … soweit zurückzusetzen, dass ein Mindestabstand von 1,00 m zur Fahrbahnkante der Gemeindeverbindungsstraße „…“ eingehalten wird, voraussichtlich rechtswidrig und verletzen den Antragsteller in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Rechtsgrundlage für die in Ziffern 4 und 5 des streitbefangenen Bescheids angeordnete Rückbauverfügung ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) i.V.m. Art. 66 Nr. 4, Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG. Bezüglich der Voraussetzungen wird auf die Ausführungen unter 3. verwiesen.
Die Voraussetzungen hierfür sind von der Antragsgegnerin unzureichend ermittelt, begründet und bewertet worden. Die Antragsgegnerin hat das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs im streitbefangenen Bescheid nicht ausreichend ermittelt und begründet. Die Begründung ist pauschal und lässt keine Auseinandersetzung mit dem konkreten Einzelfall erkennen. Die Antragsgegnerin verweist wiederum auf die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung herausgegebenen Richtlinien für den passiven Schutz an Straßen durch Fahrzeug-Rückhaltesysteme (RPS), ohne darzulegen, aus welchen Gründen die für Bundesfernstraßen entwickelte Richtlinien in dem konkreten Einzelfall auf die Gemeindeverbindungsstraße analog anwendbar sein sollen. Nach Aktenlage wurden keine tatsächlichen Ermittlungen der Verkehrsbelastung der Gemeindeverbindungsstraße durchgeführt. Auch beim Augenschein am 27. September 2018 ergaben sich für das Gericht keine Anhaltspunkte für eine hohe Verkehrsbelastung auf der Gemeindeverbindungsstraße.
Die Sachverhaltsermittlung- und -bewertung der Antragsgegnerin hinsichtlich der angeordneten Freihaltung eines Mindestabstands von 1,00 zu der Gemeindeverbindungsstraße erweisen sich als in erheblichem Umfang defizitär. Die entsprechenden Ausführungen im Bescheid können das Vorliegen einer konkreten Gefahr nicht in ausreichender Weise begründen.
Des Weiteren hat die Antragsgegnerin ihrer Beurteilung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend zu Grunde gelegt. Insbesondere hat sie es unterlassen, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu untersuchen, ob die von ihr angenommene konkrete Gefahr nicht auch in ausreichender Weise durch andere angemessene Mittel abgewehrt werden kann. Es liegt ein i.S.d. Art. 40 BayVwVfG erhebliches Ermessensdefizit vor.
6. Die Zwangsgeldandrohungen in Ziffer 8, 9, 10 und 11 des angegriffenen Bescheides sind gemäß Art. 21a Satz 1 VwZVG kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Diesbezüglich ist die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Die Anordnungen des angefochtenen Bescheids der Antragsgegnerin sind nach der im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage teilweise (Ziffern 1 und 2) bzw. vollumfänglich (Ziffern 4 und 5) rechtswidrig und verletzen den Antragsteller aller Voraussicht nach in seinen subjektiven Rechten (vgl. obenstehende Ausführungen). Dies erstreckt sich auch auf die Zwangsgeldandrohungen in Ziffern 8, 9, 10 und 11 des Bescheids.
Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohungen in Ziffern 8 und 9 des Bescheids kann eine Teilbarkeit des Verwaltungsakts nicht bejaht werden. Nachdem die Zwangsgeldandrohung einheitlich jeweils für die Beseitigung des Überbaus und den Rückbau zur Einhaltung eines Vorgewendes erfolgt ist und insbesondere die Festsetzung der Höhe des Zwangsgelds gemäß Art. 29, 30, 31 und 36 VwZVG im Ermessen der Behörde liegt, kann das Gericht den Betrag nicht auf die verschiedenen Anordnungen aufteilen.
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 VwGO.
8. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1, 2 GKG i.V.m. Nr. 43.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.


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