Baurecht

Vorläufige Sicherung eines Überschwemmungsgebiets für geplante Flutpolder

Aktenzeichen  RO 8 K 16.542

Datum:
4.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 136743
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WHG § 46 Abs. 3, § 76, § 78, § 86
BayWG Art. 47
GG Art. 14

 

Leitsatz

1. § 76 Abs. 3 WHG beschränkt die Anwendbarkeit der vorläufigen Sicherung nicht auf bestimmte Arten noch nicht festgesetzter Überschwemmungsgebiete, sondern schreibt die vorläufige Sicherung sämtlicher noch nicht festgesetzter Überschwemmungsgebiete gem. § 76 Abs. 2 WHG und somit auch von zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung beanspruchten Gebieten gem. § 76 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 WHG vor. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Flächensicherung gem. § 76 Abs. 3 WHG dient nicht allein dazu, die Verwirklichung baulicher Vorhaben zu sichern, was schon im Wege der Veränderungssperre gem. § 86 WHG erreicht werden könnte, sondern darüber hinaus dem Ziel, angesichts des mit einem Hochwasserereignis verbundenen erwartbaren Schadenspotentials möglichst frühzeitig Maßnahmen zum Hochwasserschutz in die Wege zu leiten und bereits in einem frühen Verfahrensstadium die Grundlagen für deren möglichst ungehinderte Verwirklichung zu schaffen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus Art. 47 Abs. 1 S. 3 BayWG ergibt sich ein „Verbot der Doppelsicherung“. Eine „Doppelsicherung“ hat jedoch nur zur Folge, dass die vorläufige Sicherung nach Art. 47 Abs. 1 S. 1 BayWG insoweit entfällt. Einer entsprechenden Bekanntmachung ermittelter und kartierter Überschwemmungsgebiete, die eine vorläufige Flächensicherung bewirken soll, steht dies jedoch nicht entgegen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
4. Nach Sinn und Zweck des Instruments der vorläufigen Sicherung gem. § 46 Abs. 3 WHG muss zum Zeitpunkt der vorläufigen Sicherung von Überschwemmungsgebieten für die Errichtung von Flutpoldern noch nicht feststehen, ob und inwieweit sich die geplanten Flutpolder tatsächlich realisieren lassen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
1. Die Klage ist zulässig.
Insbesondere ist sie als Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Der Kläger begehrt die Aufhebung der durch die Bekanntmachungen des Landratsamtes 1* … vom 8.4.2015, jeweils ortsüblich bekannt gemacht im Amtsblatt des Landkreises 1* … vom 10.4.2015, bewirkten vorläufigen Sicherungen der vom WWA … ermittelten Überschwemmungsgebiete für die Flutpolder „E* …“ und „W* …“. Dabei handelt es sich um jeweils mit der Anfechtungsklage angreifbare Allgemeinverfügungen (so auch VG Augsburg, U. v. 19.02.2013 – 3 K 12.1265 – juris; VG München U.v. 14.6.2016 – M 2 K 15.1360, M 2 K15.3676, M 2 K 15.3677 – juris). Deren Regelungswirkung ist darin zu sehen, dass sie die vorläufige Sicherung der genannten Flächen bewirken und damit gem. § 78 Abs. 6 WHG die in § 78 Abs. 1 bis 5 WHG genannten Rechtsfolgen auslösen.
Der Kläger ist gem. § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt, weil eine Verletzung in eigenen Rechten zumindest möglich erscheint. Es ist nicht offenkundig ausgeschlossen, dass die von der vorläufigen Flächensicherung bewirkten Rechtsfolgen gem. § 78 Abs. 1 bis 5 WHG einen unzulässigen Eingriff in die Eigentumsgrundrecht des Klägers gem. Art. 14 GG begründen.
2. Die Klage ist unbegründet. Die Allgemeinverfügungen vom 8.4.2015 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
a) § 76 Abs. 3 i.V.m Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WHG stellt eine taugliche Rechtsgrundlage für die Allgemeinverfügungen dar.
Nach dieser Regelung sind noch nicht durch Rechtsverordnung festgesetzte Überschwemmungsgebiete gem. § 76 Abs. 2 WHG zu ermitteln, in Kartenform darzustellen und vorläufig zu sichern. Als vorläufig gesichert gelten ermittelte und kartierte Überschwemmungsgebiete, die noch nicht festgesetzt sind, wenn sie als solche ortsüblich bekanntgemacht sind, Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayWG.
aa) Bei den verfahrensgegenständlichen Flächen handelt es sich um zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung beanspruchte Grundstücke gem. § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WHG und damit um nach § 76 Abs. 2 WHG festsetzbare Überschwemmungsgebiete, die folglich einer solchen vorläufigen Sicherung nach § 76 Abs. 3 WHG zugänglich sind. Zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung beanspruchte Gebiete gem. § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WHG sind Gebiete, die bei Hochwasser nicht schon auf natürliche Weise überschwemmt oder durchflossen werden, sondern in die – etwa gerade auch durch gezielt steuerbare Flutpolder, wie im Bereich der Grundstücke des Klägers geplant – durch menschliche Tätigkeiten gezielt Hochwasser eingeleitet wird. Durch das menschliche Tätigkeit beschreibende „beansprucht“ legt dies schon der Wortlaut der Vorschrift nahe (so auch VG München U.v. 14.6.2016 – M 2 K 15.1360, M 2 K15.3676, M 2 K 15.3677 – juris). Außerdem ergibt sich dies aus Wortlaut und Systematik des § 76 Abs. 1 Satz 1 WHG, welcher zwischen Gebieten, die natürlich überschwemmt oder durchflossen werden, einerseits und zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung beanspruchten Gebieten andererseits unterscheidet. Diese Unterscheidung wäre überflüssig, wenn nicht die letztgenannte Alternative auf Gebiete bezogen wäre, in denen es zu Überschwemmungen infolge menschlich veranlasster, technischer Maßnahmen zum Hochwasserschutz kommt.
Da zu solchen Maßnahmen nach alledem auch die Errichtung von Flutpoldern zu zählen ist und die verfahrensgegenständlichen Grundstücke des Klägers für die Errichtung der Flutpolder „E* …“ und „W* …“ benötigt werden, handelt es sich dabei um zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung beanspruchte Gebiete gem. § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WHG. Dem steht nicht – wie die Klägerseite meint – entgegen, dass diese Gebiete (möglicherweise) erst zukünftig tatsächlich zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung genutzt werden, weil die Flutpolder erst noch zu errichten und die hierzu erforderlichen Planfeststellungsverfahren erst noch durchzuführen sind. Eine solch enge Auslegung gebieten weder der Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift. Denn es besteht die Absicht der Bayerischen Staatsregierung, die verfahrensgegenständlichen Flächen für die Errichtung von Flutpoldern zu nutzen. Diese Absicht ist auch schon ausreichend konkret, nachdem das Bayerische Landesamt für Umwelt auf Grundlage umfassender Untersuchungen der TU … eine konkrete Standortempfehlung für die Errichtung der Flutpolder ausgesprochen hat und die Errichtung Teil eines bereits bestehenden Gesamtkonzepts von geplanten Flutpoldern an der bayerischen G* … im Rahmen des Hochwasseraktionsprogamms 2020plus ist (vgl. zum Erfordernis eines Entlastungs- und Retentionsraumkonzepts Köck, ZuR 2015, 515, 517). Es erscheint also hinreichend wahrscheinlich, dass die verfahrensgegenständlichen Flächen zukünftig tatsächlich zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung beansprucht werden. Das ist ausreichend. Das Instrument der vorläufigen Flächensicherung verfolgt gerade den Zweck, für solche Maßnahmen benötigte Flächen im Vorfeld ihrer Realisierung von konkurrierender Nutzung freizuhalten und ermöglicht dadurch eine angemessen umfangreiche Planung solcher Vorhaben. Neben der Verhinderung von Maßnahmen gem. § 78 Abs. 1 Satz 1 WHG, die ein solches Vorhaben erschweren könnten, dient die vorläufige Flächensicherung aber auch der Vorbereitung der Unterlagen für das Verfahren, in dem die benötigte Flächen durch Rechtsverordnung gem. § 76 Abs. 2 Satz 2 WHG als Überschwemmungsgebiete festgesetzt werden und das der Errichtung der Flutpolder ebenfalls vorauszugehen hat (vgl. Cormann, in: BeckOK UmweltR, § 76 WHG Rn. 22; Hünnekes, in: Landmann/Rohmer, UmweltR, § 76 WHG Rn. 35 f.). Es liegt daher in der Natur der Sache, dass eine vorläufige Sicherung von zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung beanspruchten Überschwemmungsgebieten bereits zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem zwar bereits die Absicht besteht, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, eine tatsächliche Nutzung dieser Fläche aber erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen wird (vgl. Hünnekes, in: Landmann/Rohmer, UmweltR, § 76 WHG Rn. 6; vgl. auch VG München, U.v. 14.6.2016 – M 2 K 15.3620 – juris Rn. 24).
bb) Entgegen dem klägerischen Vorbringen kann eine vorläufige Flächensicherung gem. § 76 Abs. 3 WHG auch nicht nur gestützt auf mess- und modelltechnische Tatsachen erfolgen, sondern auch, soweit sie aufgrund einer vorläufigen planerischen Ermessensentscheidung erfolgt. Auch hierfür maßgebliche Umstände und damit die auf Grundlage dieser Umstände zu treffende Entscheidung, welche Flächen gesichert werden sollen, können der Wortbedeutung nach „ermittelt“ und das Ergebnis der Entscheidung in Kartenform „dargestellt“ werden. Der Wortlaut des § 76 Abs. 3 WHG steht also der vorläufigen Sicherung von Flächen für planfeststellungspflichtige Gewässerbaumaßnahmen wie etwa von Flutpoldern, die aufgrund planerischer Ermessensentscheidungen errichtet werden, nicht entgegen.
Überdies beschränkt § 76 Abs. 3 WHG die Anwendbarkeit der vorläufigen Sicherung nicht auf bestimmte Arten noch nicht festgesetzter Überschwemmungsgebiete, sondern schreibt die vorläufige Sicherung sämtlicher noch nicht festgesetzter Überschwemmungsgebiete gem. § 76 Abs. 2 WHG und somit auch von zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung beanspruchten Gebieten gem. § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WHG vor. Wenn nach dem oben Gesagten hierunter solche Gebiete fallen, in die – etwa gerade auch durch steuerbare Flutpolder – durch menschliche Tätigkeiten gezielt Hochwasser eingeleitet wird, so gestattet § 76 Abs. 3 WHG auch die Sicherung von Flächen für die Durchführung von baulichen Maßnahmen zur gezielten Einleitung von Hochwasser. Derartige Gewässerbaumaßnahmen werden aber in der Regel planfeststellungspflichtig sein und auf planerischen Ermessensentscheidungen beruhen. Die vorläufige Sicherung hierfür benötigter Flächen muss sich daher zwangsläufig auf das Ergebnis vorläufiger planerischer Ermessensentscheidungen stützen können.
cc) Die Sicherung der Flächen für die geplanten Flutpolder im Wege der vorläufigen Sicherung gem. § 76 Abs. 3 WHG i.V.m. Art. 47 BayWG führt nicht zu einer gesetzgeberisch nicht gewollten Umgehung der vor allem zeitlich stärker begrenzten Beschränkungen der Nutzung von Grundeigentum bei einer Flächensicherung durch eine Veränderungssperre gem. § 86 WHG. Zwar unterfallen auch Flutpolder als dem Wohl der Allgemeinheit dienende Vorhaben des Hochwasserschutzes i.S.d. § 86 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WHG grundsätzlich dem Anwendungsbereich der fachplanerischen Veränderungssperre gem. § 86 WHG und entfaltet eine vorläufige Sicherung hierfür benötigter Flächen gem. § 76 Abs. 3 WHG i.V.m. Art. 47 BayWG der fachplanerischen Veränderungssperre letztlich weitgehend gleichkommende Wirkungen. Allerdings sind in § 78 Abs. 2 bis 5 WHG zahlreiche Ausnahmetatbestände enthalten, die weit über das hinausgehen, was bei Erlass einer Veränderungssperre nach § 86 WHG (nur) noch zulässig wäre. Es widerspricht aber nicht dem gesetzgeberischen Willen, wenn im Wege der vorläufigen Sicherung gem. § 76 Abs. 3 WHG in ihrer Wirkung vergleichbare Beschränkungen über einen längeren Zeitraum herbeigeführt werden können als mit dem Erlass einer fachplanerischen Veränderungssperre gem. § 86 WHG. Da die vorläufige Sicherung gem. § 76 Abs. 3 WHG und die fachplanerische Veränderungssperre gem. § 86 WHG jeweils eigenständige Ziele verfolgen, können sie nebeneinander bestehen (vgl. Riese, in: Landmann/Rohmer, UmweltR, § 86 WHG Rn. 11). Denn während § 86 WHG die Verwirklichung geplanter wasserwirtschaftlicher Vorhaben sichern soll, bezweckt die Festsetzung von Überschwemmungsgebieten und ihre vorläufige Sicherung gem. § 76 WHG ganz allgemein das Ergreifen und die Sicherung der Verwirklichung von Maßnahmen zum Hochwasserschutz. Hierzu können, müssen aber nicht unbedingt bauliche Maßnahmen erfolgen, sondern es ist – etwa bei Festsetzung von Überschwemmungsgebieten gem. § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WHG – auch eine bloße Freihaltung von Flächen durch Beschränkungen der Flächennutzung gem. § 78 Abs. 1 WHG denkbar. Wenn aber Überschwemmungsgebiete zur Hochwasserentlastung und Rückhaltung festgesetzt und in Vorbereitung hierzu dienender baulicher Maßnahmen Flächen gem. § 76 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WHG vorläufig gesichert werden sollen, so dient die Flächensicherung gem. § 76 Abs. 3 WHG nicht nur allein dazu, die Verwirklichung baulicher Vorhaben zu sichern, was schon im Wege der Veränderungssperre gem. § 86 WHG erreicht werden könnte, sondern darüber hinaus dem Ziel, angesichts des mit einem Hochwasserereignis verbundenen, erwartbaren, teilweise erheblichen Schadenspotentials möglichst frühzeitig Maßnahmen zum Hochwasserschutz in die Wege zu leiten und bereits in einem frühen Verfahrensstadium die Grundlagen für deren möglichst ungehinderte Verwirklichung zu schaffen (vgl. Cormann, in: BeckOK UmweltR, § 76 WHG Rn. 23). Angesichts der immensen Bedeutung effektiven Hochwasserschutzes für den Schutz von Leib, Leben und Eigentum von Bewohnern hochwassergefährdeter Gebiete sollen zu diesem Zweck auch zeitlich umfassendere Beschränkungen des Grundeigentums als im Wege einer Veränderungssperre gem. § 86 WHG möglich sein. Dies unterstreicht die Existenz einer eigenständigen Regelung zur Flächensicherung in solchen Konstellationen in Form der vorläufigen Sicherung gem. § 76 Abs. 3 WHG.
Die vorläufige Flächensicherung endet, sofern kein begründeter Ausnahmefall gem. Art. 47 Abs. 2 Satz 3 BayWG vorliegt, außerdem nach fünf Jahren und wirkt daher nur wenig länger als eine Veränderungssperre gem. § 86 WHG in Kraft bleiben kann. Bezogen auf den streitgegenständlichen Sachverhalt bestehen derzeit keine Anhaltspunkte, dass eine Verlängerung der vorläufigen Sicherung notwendig werden könnte, sodass auch bei einer Betrachtung des Einzelfalls nicht ersichtlich ist, dass die verfahrensgegenständliche Flächensicherung in zeitlicher Hinsicht zu einer unverhältnismäßigen Eigentumsbindung führt. Überdies bestehen gem. § 78 Abs. 2 bis 5 WHG Möglichkeiten zur Zulassung von Ausnahmen von den Wirkungen der vorläufigen Flächensicherung, sodass bei konkreten Plänen des Klägers, bauliche Maßnahmen auf seinen Flächen vorzunehmen, zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen der Entscheidung über die Zulassung von Ausnahmen eigentumsrechtliche Positionen ausreichend Berücksichtigung finden können.
b) Ein relevanter Rechtsverstoß ergibt sich auch nicht aus einer etwaigen unzulässigen Doppelsicherung.
Der Kläger hat geltend gemacht, dass teilweise eine gem. Art. 47 Abs. 1 Satz 3 BayWG unzulässige Doppelsicherung“ der Überschwemmungsgebiete des geplanten Flutpolders „E* …“ vorliege, weil die verfahrensgegenständlichen Flächen des Klägers teilweise nicht nur der strittigen vorläufigen Sicherung unterliegen, sondern im Regionalplan für die Region 1* … als Vorranggebiet für den Hochwasserschutz „H1 G* …“ ausgewiesen sind. Das gilt jedenfalls für das Grundstück Fl.-Nr. …97 Gemarkung E* … Seitens des Beklagten wird dem entgegengehalten, dass das Vorranggebiet „H1 G* …“ nur die natürlichen Überschwemmungsgebiete betreffe, nicht aber die künstlich zu schaffenden Überschwemmungsbereiche des geplanten Flutpolders „E* …“. Dies kann aber aufgrund folgender Erwägungen letztlich dahinstehen:
aa) Zwar ergibt sich aus Art. 47 Abs. 1 Satz 3 BayWG ein „Verbot der Doppelsicherung“. Eine „Doppelsicherung“ hat jedoch nur zur Folge, dass die vorläufige Sicherung nach Art. 47 Abs. 1 Satz 1 BayWG insoweit entfällt. Bei wortlautgetreuer Auslegung bedeutet dies lediglich, dass die vorläufige Sicherung insoweit wirkungslos ist. Einer entsprechenden Bekanntmachung ermittelter und kartierter Überschwemmungsgebiete, die eine vorläufige Flächensicherung bewirken soll, steht dies jedoch nicht entgegen. Hätte der Gesetzgeber dies gewollt, so hätte er die Unwirksamkeit der Bekanntmachung anordnen können. Auch Sinn und Zweck der Regelung des Art. 47 Abs. 1 Satz 3 BayWG gebieten es nicht, dass die in einer solchen Bekanntmachung liegende Allgemeinverfügung rechtswidrig ist. Denn die Vorranggebiete in Regionalplänen und das Gebiet, welches Gegenstand einer Bekanntmachung zur Herbeiführung einer vorläufigen Sicherung von Überschwemmungsgebieten ist, sind nicht immer deckungsgleich (im Übrigen ist die Ausweisung der Vorranggebiete auch nicht parzellenscharf), so dass ein Bedürfnis bestehen kann, eine vorläufige Sicherung von Flächen herbeizuführen, auch wenn diese zum Teil im Regionalplan als Vorranggebiete für den Hochwasserschutz ausgewiesen sind. Denn so kann vermieden werden, dass bei der Beschreibung der Fläche, welche vorläufig gesichert werden soll, die als Vorranggebiete ausgewiesenen Teilbereiche mühsam ausgenommen werden müssen. Außerdem wird bei diesem Verständnis des Regelungsgehalts des Art. 47 Abs. 1 Satz 3 BayWG vermieden, dass Schutzlücken entstehen, wenn ein Regionalplan ganz oder teilweise für unwirksam erklärt wird oder Änderungen vorgenommen werden, die zum Entfall des Schutzes durch die Festlegung von Vorranggebieten führen. Letzteres ist durchaus zu erwarten, nachdem im Landesentwicklungsprogramm im Hinblick auf fachrechtliche Regelungsmöglichkeiten darauf verzichtet wurde, die Regionalplanung mit der Festlegung von Vorranggebieten für den Hochwasserschutz zu betrauen. In diesem Fall würden dann insoweit die Wirkungen einer vorläufigen Flächensicherung wieder aufleben, die bei einer „Doppelsicherung“ dann nur vorübergehend entfallen.
Die Frage nach den Wirkungen der vorläufigen Sicherung der für die geplanten Flutpolder benötigten Überschwemmungsgebiete, auf welche eine „Doppelsicherung“ gem. Art. 47 Abs. 1 Satz 3 BayWG Auswirkungen haben könnte, aber ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Der Kläger begehrt die Aufhebung der in den Bekanntmachungen liegenden Allgemeinverfügungen, d.h. er begehrt die Beurteilung der Wirksamkeit dieser Allgemeinverfügungen. Diese würde durch eine „Doppelsicherung“ aber ohnehin nicht berührt. Die Feststellung, welche Wirkungen diese Bekanntmachung konkret entfaltet, ist hingegen gerade nicht Gegenstand seines Klagebegehrens.
bb) Ohne dass es darauf noch entscheidungserheblich ankäme, würde eine unzulässige „Doppelsicherung“ gem. Art. 47 Abs. 1 Satz 3 BayWG den Kläger zudem nicht in eigenen Rechten verletzen. Wie im klägerischen Vortrag selbst ausgeführt wird, stellen schon die Rechtswirkungen von Vorranggebieten im Regionalplan eine hinreichende Sicherung vor gegenläufigen Planungen dar. Bereits die Ausweisung von Vorranggebieten im Regionalplan hat damit, wie sich aus dem Verweis auf § 78 Abs. 3 WHG in Art. 47 Abs. 1 Satz 3 Hs. 2 BayWG ergibt, Beschränkungen für die Nutzung von Grundstücken im Bereich von Vorranggebieten zur Folge, die im Ergebnis den Wirkungen einer vorläufigen Flächensicherung gem. § 76 Abs. 3 WHG gleichkommen. Die sich aus § 78 WHG ergebenden Wirkungen einer vorläufigen Flächensicherung bewirken daher schon keine zusätzlichen Beschränkungen, die eine eigenständige Verletzung von Rechten des Klägers begründen könnten. Im Übrigen begründet Art. 47 Abs. 1 Satz 3 BayWG ersichtlich auch keine subjektive Rechtsposition, sondern ist reine Ordnungsvorschrift zur Koordinierung wasserrechtlicher und regionalplanerischer Verwaltungsverfahren.
c) Es steht – entgegen der klägerischen Auffassung – zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keinesfalls offensichtlich fest, dass der geplante Bau der Flutpolder „E* …“ und „W* …“ keinerlei Aussicht auf Verwirklichung hat.
Zwar trägt der Kläger eine Vielzahl von öffentlichen und privaten Belangen vor, die einer Errichtung der Flutpolder entgegenstehen könnten und daher in einer ordnungsgemäßen Abwägung im Rahmen des erforderlichen Planfeststellungsverfahrens für eine rechtmäßige Planfeststellung Berücksichtigung finden müssen. Nach Sinn und Zweck des Instruments der vorläufigen Sicherung gem. § 46 Abs. 3 WHG muss zum Zeitpunkt der vorläufigen Sicherung von Überschwemmungsgebieten für die Errichtung von Flutpoldern jedoch noch nicht feststehen, ob und inwieweit sich die geplanten Flutpolder tatsächlich realisieren lassen. Denn die vorläufige Sicherung erfolgt nach dem oben Gesagten gerade deshalb, weil – auch angesichts der Vielzahl der zu ermittelnden und zu berücksichtigenden privaten und öffentlichen Belange – für die Errichtung von Flutpoldern eine langwierige und umfangreiche Planung notwendig ist. Die Prüfung der Rechtmäßigkeit eines künftigen Planfeststellungsbeschlusses für die Errichtung der Flutpolder ist deshalb vielmehr der weiteren Planung und insbesondere dem späteren wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren vorbehalten. Sie kann schon aufgrund ihres Umfangs und des frühen Verfahrensstadiums im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Flächensicherung nicht antizipiert werden. Nur wenn offensichtlich zu diesem Zeitpunkt bereits feststehen würde, dass die geplanten Flutpolder nicht verwirklicht werden können, könnte dies zur Rechtswidrigkeit der vorläufigen Flächensicherung führen. Hiervon ist in Bezug auf die Flutpolder „E* …“ und „W* …“ aber derzeit nicht auszugehen. Obwohl von Klägerseite durchaus Gesichtspunkte vorgetragen werden, die gegen eine Verwirklichung der geplanten Polder sprechen könnten, steht angesichts des noch frühen Planungs- und Verfahrensstadiums keinesfalls offensichtlich fest, dass diese sich in der durchaus komplexen Gesamtabwägung im Rahmen des Planungsverfahrens gegenüber der Vielzahl teilweise noch zu ermittelnder und in gleicher Weise zu berücksichtigender Belange durchzusetzen vermögen, die mit einigem Gewicht für eine Realisierung der Flutpolder sprechen. Insbesondere kann zugunsten der Verwirklichung der Flutpolder nach den derzeitigen Planungen auf die intensiven naturwissenschaftlich-technischen Untersuchungen der TU … aus den Jahren 2012 und 2014 verwiesen werden, in deren Rahmen die verfahrensgegenständlichen Flächen als geeignete Standorte identifiziert wurden. Die Beklagtenseite hat auch zutreffend darauf hingewiesen und näher dargelegt, dass der von Klägerseite behauptete zu erheblichen Beeinträchtigungen führende Grundwasseranstieg als Folge des Polderbaus zum jetzigen Zeitpunkt gerade nicht feststeht. Allein der Umstand, dass sich im weiteren Verlauf des Planungs- und Zulassungsprozesses möglicherweise herausstellen könnte, dass sich die Flutpolder etwa wegen ungünstiger Grundwasserverhältnisse doch nicht oder nicht in der zunächst vorgesehenen Weise realisieren lassen, steht der vorläufigen Sicherung eines grundsätzlich für Flutpolder geeigneten Bereichs nicht entgegen (vgl. zum Ganzen auch VG München, U.v. 14.6.2016 – M 2 K 15.3776 – juris Rn. 22; VG München U.v. 14.6.2016 – M 2 K 15.3620 – juris Rn. 25, 27).).
d) Im Übrigen sind Rechtsfehler, die den Kläger in seinen Rechten verletzen könnten nicht ersichtlich. Insbesondere verletzt die vorläufige Sicherung den Kläger nicht in seinem Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG bzw. Art. 103 BV. Der durch die vorläufige Sicherung bewirkte Eingriff in den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit ist gerechtfertigt, da er eine verhältnismäßige Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG darstellt.
Im Hinblick auf das Eigentumsgrundrecht relevante Beschränkungen begründet die vorläufige Sicherung der für die geplanten Flutpolder benötigten Flächen gem. § 78 Abs. 1 WHG nur in Bezug auf die Zulässigkeit der Errichtung oder Erweiterung baulicher Anlagen gem. §§ 30, 33, 34, 35 BauGB. Die Nutzung der Flächen des Klägers zu landwirtschaftlichen Zwecken bleibt in der derzeit betriebenen Art und Weise (Ackerbau) in vollem Umfang möglich. Beeinträchtigungen, die bei Verwirklichung der geplanten Flutpolder vom Betrieb der Flutpolder für die landwirtschaftliche Nutzung ausgehen könnten, sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Die Möglichkeit zur Erweiterung der Hofstelle des Klägers auf dem derzeit hierfür genutzten Grundstück des Klägers wird, da dieses Grundstück von der vorläufigen Sicherung nicht betroffen ist, ebenfalls nicht eingeschränkt. Eigentumsgrundrechtsrelevante Wirkungen entfaltet die vorläufige Flächensicherung allenfalls im Hinblick auf die bauliche Erweiterung der Hofstelle außerhalb des Grundstücks, auf dem diese sich derzeit befindet, oder die Errichtung baulicher Anlagen auf sonstigen betroffenen Flächen des Klägers. Dies wäre jedoch aufgrund der Lage der Grundstücke im Außenbereich ohnehin nur unter den engen Voraussetzungen des § 35 BauGB denkbar, sodass der mit der vorläufigen Sicherung verbundene Grundrechtseingriff nur von geringer Intensität ist. Im Übrigen haben zum einen Überlegungen des Klägers zur Erweiterung seines landwirtschaftlichen Betriebs (Schweinestall bzw. Legehennenstallung südlich der Hofstelle auf dem Grundstück Fl.-Nr. …28 Gemarkung 12* …*) ein konkretes Planungsstadium offenbar noch nicht erreicht, zum anderen aber die Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung bereits erklärt, dass eine solche Erweiterung auf der Grundlage einer Ausnahme nach § 78 WHG nach fachlicher Einschätzung des WWA … durchgeführt werden könne.
Die mit der vorläufigen Sicherung verbundene Grundrechtsbeschränkung ist daher unter Berücksichtigung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums gem. Art. 14 Abs. 2 GG gerechtfertigt. Der Eingriff dient mit dem Hochwasserschutz letztlich der Abwehr von Gefahren für Leib, Leben und Eigentum von Bewohnern hochwassergefährdeter Gebiete und damit einem Gemeinwohlbelang von sehr hohem Gewicht. Die Grundstücke des Klägers kommen für Maßnahmen zum Hochwasserschutz aufgrund ihrer Lage in besonderer Weise in Betracht. Insofern wirkt die Situationsgebundenheit des klägerischen Grundeigentums zu seinen Lasten. Der ohnehin nicht besonders schwere Eingriff in das Eigentumsgrundrecht des Klägers ist deshalb zumutbar und verhältnismäßig. Auch in zeitlicher Hinsicht bleiben diese Wirkungen begrenzt, da die vorläufige Sicherung gem. Art. 47 Abs. 3 Sätze 2 und 3 BayWG spätestens nach fünf Jahren endet und nur im begründeten Einzelfall um höchstens zwei Jahre verlängert werden kann. Sollten in diesem Zeitraum Situationen zutage treten, in denen es unverhältnismäßig wäre, dem Kläger mit Blick auf die Beschränkungen durch eine vorläufige Sicherung gem. § 78 Abs. 1 WHG eine bestimmte Grundstücksnutzung zu verweigern, so besteht im Rahmen der Voraussetzungen des § 78 Abs. 2 bis 4 WHG die Möglichkeit, dem durch die Zulassung von Ausnahmen Rechnung zu tragen.
Nach allem war daher die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung im Kostenpunkt war gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Gründe für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor (§ 124 a Abs. 1 VwGO).


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