Baurecht

Wintergartenanbau im Außenbereich, Erweiterung/Verfestigung einer Splittersiedlung

Aktenzeichen  1 ZB 20.1674

Datum:
27.9.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 28436
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 7

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 11 K 18.4234 2020-03-12 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für den Anbau eines Wintergartens mit einer Grundfläche von 21 m² und eines hieran anschließenden Holzdecks mit einer Fläche von ca. 15 m² an ein Wochenendhaus auf dem im Außenbereich gelegenen Grundstück FlNr. …, Gemarkung B* …
Das im Jahr 1930 als Wochenendhaus genehmigte Gebäude ist das mittlere von insgesamt fünf Gebäuden, die sich dort einzeilig entlang des A* …sees im Abstand von ca. 25 bis 30 m zum Seeufer befinden. Das Landratsamt hat die Genehmigung versagt. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Das nichtprivilegierte Vorhaben beeinträchtige öffentliche Belange, da es jedenfalls die Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lasse.
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegen nicht vor bzw. sind nicht dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen, sind zu bejahen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838). Das ist nicht der Fall.
Das Zulassungsvorbringen zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichts auf, dass dem Vorhaben öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB entgegenstehen.
Durch das Vorhaben steht die Erweiterung, jedenfalls aber die Verfestigung einer Splittersiedlung zu befürchten.
1.1 Eine Splittersiedlung wird erweitert, wenn sie räumlich ausgedehnt wird (vgl. BVerwG, U.v. 17.3.2015 – 4 B 45.14 – ZfBR 2015, 548; U.v. 3.6.1977 – 4 C 37.75 – BVerwGE 54, 73), d.h. über den bisherigen Umgriff hinausgeht. Für die Bestimmung des Umgriffs einer Splittersiedlung kann auf die Betrachtungsweise zum Bebauungszusammenhang am Ortsrand zurückgegriffen werden (vgl. BVerwG, U.v. 3.6.1977, a.a.O.), wonach dieser unabhängig von der Grundstücksgrenze grundsätzlich mit der letzten Bebauung endet und sich ihr anschließende Flächen nicht mehr zum Bebauungszusammenhang gehören (vgl. BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – juris Rn. 5). Dabei ist anerkannt, dass die Grenzlinie nicht gradlinig verlaufen muss, sondern grundsätzlich auch vor- und zurückspringen kann (vgl. BVerwG, B.v. 4.7.1990 – 4 B 103.90 – BayVBl 1991, 473; BayVGH, B.v. 19.10.2020 – 1 ZB 18.335 – juris Rn. 7). Hieran gemessen kommt es nicht auf die vom Kläger angedachte Baugrenze an, sondern auf die tatsächlich bereits vorhandene Bebauung. Der Siedlungsbereich der Splittersiedlung auf dem Vorhabengrundstück endet daher in westlicher Richtung an der westlichen Außenwand des Bestandsgebäudes. Besonderheiten, die es rechtfertigen könnten, ausnahmsweise den Bereich westlich der Hauswand auf dem Vorhabengrundstück noch dem Splittersiedlungsbereich zuzuschlagen, sind hier nicht ersichtlich. Die vom Kläger vorgenommene hypothetische Betrachtung unter Annahme einer Baulücke ist verfehlt, da es für die anzustellende Wertung auf den tatsächlichen Bestand ankommt. Im Übrigen würde es sich aber auch bei Hinwegdenken des Bestandsgebäudes nicht um die bloße Verfestigung einer Splittersiedlung handeln, sondern ebenfalls um eine Erweiterung, da auch in diesem Fall die Siedlung räumlich ausgedehnt würde. Die Missbilligung einer Erweiterung des Siedlungssplitters rechtfertigt sich in der Regel – und so auch hier – ohne Weiteres (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – NVwZ 2012, 1631).
1.2 Nicht anders liegt es, wenn von einer Verfestigung, d.h. der Auffüllung des schon bisher in Anspruch genommen räumlichen Bereichs, auszugehen wäre. Zwar ist wegen ihrer tendenziell geringeren Außenbereichsunverträglichkeit die Verfestigung einer Splittersiedlung grundsätzlich eher hinzunehmen als die Erweiterung oder gar die Entstehung einer Splittersiedlung. Die Annahme eines Vorgangs der Zersiedelung bedarf daher in den Fällen der Verfestigung einer konkreten Begründung. Als Grund für eine Missbilligung kommt u.a. in Betracht, dass das Vorhaben eine weitreichende oder doch nicht genau übersehbare Vorbildwirkung besitzt und daher seine unabsehbare Konsequenz sein könnte, dass in nicht verlässlich eingrenzbarer Weise noch weitere Bauten hinzutreten werden (vgl. BVerwG, B.v. 24.6.2004 – 4 B 23.04 – BauR 2005, 73; BayVGH, U.v. 31.10.2013 – 1 B 13.794 – juris Rn. 17). Weitreichend ist die Vorbildwirkung deshalb immer dann, wenn sich das Vorhaben und die weiteren Vorhaben, die nicht verhindert werden könnten, zusammen der vorhandenen Splittersiedlung nicht unterordnen, sondern diese erheblich verstärken und dadurch eine weitergehende Zersiedlung des Außenbereichs bewirken würden (vgl. BVerwG, U.v. 27.8.1998 – 4 C 13.97 – BauR 1999, 373).
In Anwendung dieser Grundsätze hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf abgestellt, dass dem Vorhaben eine negative Bezugsfallwirkung für die anderen Gebäude in der Splittersiedlung zukommt. Soweit das Zulassungsvorbringen darauf abstellt, dass hier eine Bezugsfallwirkung von vornherein ausscheide, da bei den anderen Grundstücken jede bauliche Erweiterung nicht nur eine Verfestigung, sondern sich als eine unzulässige Erweiterung der Splittersiedlung darstelle, missversteht es die in der Rechtsprechung bereits geklärten Anforderungen an einen Bezugsfall. Der Tatbestand des Befürchtens der Verfestigung einer Splittersiedlung setzt nicht voraus, dass als Folge der Zulassung des insoweit öffentliche Belange beeinträchtigenden Vorhabens ein uneingeschränkter Rechtsanspruch auf Zulassung weiterer Vorhaben entsteht. Es genügt, dass die Gründe, die weiteren Vorhaben entgegengehalten werden könnten, an Überzeugungskraft einbüßen würden, wenn das jetzt beantragte Vorhaben nicht aus eben den Gründen (Verfestigung einer Splittersiedlung) versagt würde, mit der Genehmigung also ein sog. Berufungsfall geschaffen würde (vgl. BVerwG, U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – BauR 2012, 1626; BayVGH, U.v. 17.5.2019 – 1 B 17.2077 – juris Rn. 22). Unabhängig von den Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall zwischen Erweiterung und Verfestigung einer Splittersiedlung ist es gerade nicht auszuschließen, dass hier auch Erweiterungswünsche auf den Nachbargrundstücken auftreten, die sich ebenfalls als bloße Verfestigung darstellen würden, insbesondere in dem vom Zulassungsantrag angenommenen „Bauraum“ zwischen den Gebäuden wie beispielsweise nördlich oder südlich des Gebäudes auf dem Grundstück FlNr. … oder an der Südseite des Gebäudes FlNr. … Das Vorhaben ordnet sich auch nicht unter. Der Kläger übersieht, dass es nicht alleine darauf ankommt, ob sich die zur Genehmigung gestellte bauliche Anlage unterordnet, sondern auch die baulichen Anlagen in den Blick zu nehmen sind, die aufgrund der Vorbildwirkung des Vorhabens entstehen könnten. Im Übrigen handelt es sich bei dem Wintergarten mit einer Grundfläche von 21 m² und einem Holzverdeck mit 15 m² auch nicht um eine untergeordnete bauliche Anlage. Ob und inwieweit die bauliche Anlage durch die Eingrünung vom See aus sichtbar ist und prägend in Erscheinung tritt, ist für den öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB nicht maßgeblich. Die hiergegen erhobenen Einwände gegen die vermeintlich unterbliebene Ermittlung der Tatsachen durch das Verwaltungsgericht gehen daher ins Leere.
Hinsichtlich der Annahme des Verwaltungsgerichts, dass aus der Baugenehmigung für die Erweiterung des Gebäudes auf dem Grundstück FlNr. … im Jahr 1991 kein Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung abgeleitet werden kann, fehlt es dem Zulassungsvorbringen bereits an einer Auseinandersetzung mit der Begründung in der angegriffenen Entscheidung. Das Zulassungsvorbringen erschöpft sich insoweit in Unmutsbekundungen.
2. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass die Streitsache keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO aufweist, die eine Zulassung der Berufung erforderlich machen würden. Das Verwaltungsgericht hat ausreichende tatsächliche Feststellungen zur Beurteilung der zu entscheidenden Rechtsfragen getroffen. Die Lage der Gebäude in der Splittersiedlung ergibt sich – abgesehen von dem beim Augenschein festgestellten, nicht eingemessenen und wohl auch nicht genehmigten Bootshaus auf dem Vorhabengrundstück – aus dem Auszug aus dem Liegenschaftskataster in der Behördenakte sowie aus den Luftbildern im Bayern-Atlas.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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