Baurecht

Zuordnung eines Grundstücks zum Bebauungszusammenhang im Innenbereich bei Ortsrandlage

Aktenzeichen  1 ZB 16.1301

Datum:
19.12.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 138357
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Die Frage‚ ob ein Grundstück Teil eines Bebauungszusammenhangs ist, hängt davon ab‚ inwieweit eine aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsanschauung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich lässt sich nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben treffen, sondern nur aufgrund einer umfassenden Würdigung der gesamten örtlichen Gegebenheiten, insbesondere der optisch wahrnehmbaren topografischen Situation und der Umgebungsbebauung.  (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Fall einer Grundstückslage am Ortsrand endet der Bebauungszusammenhang unabhängig vom Verlauf von Grundstücksgrenzen regelmäßig am letzten mit den übrigen Häusern im Zusammenhang stehenden Baukörper. Etwas anderes kann gelten, wenn das Baugrundstück durch eine topografische Zäsur der benachbarten Bebauung zuzuordnen wäre (hier verneint). (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 11 K 15.2972 2016-04-28 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Vorbescheids zur bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung eines Wohnhauses mit zwei Wohneinheiten auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung E … (im Folgenden: Baugrundstück). Mit Bescheid vom 11. Juni 2015 lehnte das Landratsamt den Antrag der Klägerin ab‚ da sich das Vorhaben im Außenbereich befinde. Die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht München durch Urteil vom 28. April 2016 abgewiesen. Das Gericht hat im Wesentlichen ausgeführt‚ dass es offen bleiben könne‚ ob es sich bei der Bebauung in der Umgebung des Baugrundstücks um einen Ortsteil handle. Jedenfalls sei das Baugrundstück nicht Teil eines Bebauungszusammenhangs und die Planung deshalb als Außenbereichsvorhaben zu beurteilen. Als solches beeinträchtige es öffentliche Belange.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund‚ auf dessen Prüfung der Senat beschränkt ist‚ liegt nicht vor (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ernstliche Zweifel, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen‚ sind zu bejahen‚ wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG‚ B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011‚ 546) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG‚ B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004‚ 838). Das ist hier nicht der Fall.
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass das Baugrundstück dem Außenbereich zuzurechnen ist. Dabei konnte es die Frage‚ ob es sich bei der Ansiedlung in der Umgebung des Baugrundstücks um einen Ortsteil im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB handelt, zu Recht offen lassen‚ da das Baugrundstück schon nicht an einem Bebauungszusammenhang teilnimmt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hängt die Frage‚ ob ein Grundstück Teil eines Bebauungszusammenhangs ist, davon ab‚ inwieweit eine aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsanschauung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt. Die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich lässt sich nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben treffen, sondern nur aufgrund einer umfassenden Würdigung der gesamten örtlichen Gegebenheiten, insbesondere der optisch wahrnehmbaren topografischen Situation und der Umgebungsbebauung (BVerwG‚ U.v. 19.4.2012 – 4 C 10.11 – NVwZ 2012‚ 1631; B.v. 8.10.2015 – 28.15 – ZfBR 2016, 67). An diese Vorgaben hat sich das Verwaltungsgericht gehalten. Es hat entgegen dem klägerischen Vorbringen nicht allein auf geografisch-mathematische Maßstäbe abgestellt, sondern aufgrund eines Augenscheins an Hand der vorstehend angeführten Maßstäbe die vorhandenen Örtlichkeiten beurteilt. Es ist im Rahmen einer umfassenden Bewertung des Sachverhalts zu dem rechtsfehlerfreien Ergebnis gekommen, dass ein Bebauungszusammenhang nicht besteht.
Im Fall einer Grundstückslage am Ortsrand endet der Bebauungszusammenhang unabhängig vom Verlauf von Grundstücksgrenzen regelmäßig am letzten mit den übrigen Häusern im Zusammenhang stehenden Baukörper (BVerwG‚ B.v. 8.10.2015 a.a.O.). Eine solche Situation besteht hier, da südlich des Baugrundstücks nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts und den in den Behördenakten befindlichen Lageplänen keine Bebauung mehr vorhanden ist. Das Baugrundstück schließt in diesem Bereich unmittelbar an die freie Landschaft an. Die Zurechnung des Bereichs zu einem Bebauungszusammenhang könnte nur dann erfolgen‚ wenn das Baugrundstück im Süden durch eine topografische Zäsur der benachbarten Bebauung zugeordnet würde (BayVGH‚ U.v. 20.10.2015 – 1 B 15.1675 – juris Rn. 16). Hierauf hat das Verwaltungsgericht in seinem Urteil zutreffend hingewiesen (UA S. 9). Es hat im Rahmen des Augenscheins keine solche topographischen Besonderheiten festgestellt. Die Zulassungsbegründung legt nicht dar‚ dass das Baugrundstück trotz seiner Ortsrandlage durch eine topografische Zäsur der Bebauung nördlich und westlich zugeordnet werden könnte.
Soweit die Klägerin vorträgt, das Verwaltungsgericht habe bei der Beurteilung des Bebauungszusammenhangs unzutreffend allein geografisch-mathematische Maßstäbe angesetzt, trifft dies nicht zu. Das Erstgericht hat gerade nicht allein auf die Entfernung zwischen der Bebauung auf FlNr. 1203/1 im Westen des Baugrundstücks und des Gebäudes auf FlNr. 1202 im Osten abgestellt und daraus das Fehlen eines Bebauungszusammenhangs abgeleitet. Es hat diese Entfernung lediglich ergänzend zur Beurteilung herangezogen und ist im Rahmen der tatrichterlichen Bewertung der Gesamtsituation zu dem Ergebnis gekommen, dass schon die Gebäude auf FlNr. 1203/1 und 1203/3 dem Außenbereich zuzurechnen sind, da sie mit den Gebäuden nördlich der Straße nicht in einem Bebauungszusammenhang stehen (UA S. 10).
Zu Unrecht verweist der Zulassungsantrag auf den Abstand von 44 Metern zwischen der künftigen Außenwand des auf dem Baugrundstück zu errichtenden Gebäudes und der Außenwand des Gebäudes auf dem östlich angrenzenden Grundstück FlNr. 1202, um das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs zu begründen. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, ist bei der Beurteilung des Bestehens eines Bebauungszusammenhangs auf die vorhandene Bebauung abzustellen (BVerwG‚ B.v. 2.8.2001 – 4 B 26.01 – BauR 2002‚ 277). Auf die im Zulassungsvorbringen weiter genannten Entfernungsangaben kommt es nicht an‚ da allein der vom Verwaltungsgericht in nachvollziehbarer Weise in Folge eines Augenscheins gewonnene Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit mit der vorhandenen Bebauung ausschlaggebend ist.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ergeben sich auch nicht aus dem Vorbringen‚ die geplante Bebauung sei auch als Außenbereichsvorhaben gemäß § 35 Abs. 2 BauGB zulässig. Das Erstgericht hat zutreffend darauf hingewiesen‚ dass die Belange des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 und Nr. 7 BauGB beeinträchtigt werden. Die natürliche Eigenart der Landschaft im Sinn von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB wird schon dann beeinträchtigt‚ wenn durch das Vorhaben die Fläche der naturgegebenen Bodennutzung entzogen wird. Eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft kommt nur dann nicht in Betracht, wenn sich das Baugrundstück wegen seiner natürlichen Beschaffenheit weder für die Bodennutzung noch für Erholungszwecke eignet oder es seine Schutzwürdigkeit durch bereits erfolgte anderweitige Eingriffe eingebüßt hat (BayVGH‚ B.v. 11.8.2011 – 15 ZB 11.1214 – juris Rn. 5). Einen solchen Verlust der Schutzwürdigkeit hat die Klägerin nicht dargelegt.
Die Ergänzung der vorhandenen Bebauung stellt im Übrigen – wie das Erstgericht zutreffend festgestellt hat – eine zu missbilligende Erweiterung einer Splittersiedlung im Sinn von § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB dar. Dem ist die Klägerin mit ihrem Zulassungsvorbringen nicht substantiiert entgegengetreten. Vielmehr hat sie hierzu nur ausgeführt‚ dass es sich um Innenbereich handle. Ob darüber hinaus noch ein Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans der Beigeladenen gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB besteht, kann dahinstehen. Bei der Frage‚ ob ein Vorhaben nach § 35 Abs. 2 und 3 BauGB planungsrechtlich unzulässig ist, genügt schon der Verstoß gegen einen der in § 35 Satz 3 Satz 1 BauGB beispielhaft genannten öffentlichen Belange (BVerwG‚ B.v. 8.11.1999 – 4 B 85.99 – BauR 2000‚ 1171).
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen‚ da ihr Rechtsmittel erfolglos geblieben ist (§ 154 Abs. 2 VwGO). Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie sich im Zulassungsverfahren nicht geäußert hat (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1‚ § 47 Abs. 1 und 3‚ § 52 Abs. 1 GKG und entspricht dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Betrag. Da mit dem Vorbescheid abschließend über die Baulandqualität und damit über den Wert des betroffenen Grundstücks entschieden wird, entspricht der Streitwert demjenigen einer Klage auf Erteilung einer Baugenehmigung für ein Einfamilienhaus (BayVGH‚ B.v. 19.2.2015 – 1 ZB 14.2696 – juris Rn. 6).
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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