Baurecht

Zur baurechtlichen Zulässigkeit des Betriebs einer Diskothek

Aktenzeichen  9 ZB 17.911

Datum:
28.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3467
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBO Art. 55 Abs. 1
GastG § 2
VwGO § 43, § 124 Abs. 2 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Die Umwandlung einer Gastwirtschaft mit Tanzsaal in eine Diskothek stellt eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2 Eine jahrelange tatsächliche Duldung kann es zwar ausschließen, eine Nutzungsuntersagung ermessensfehlerfrei allein auf die formelle Illegalität zu stützen, ändert am Fehlen einer erforderlichen Baugenehmigung für diese Nutzung jedoch nichts. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3 Daraus, dass die Baugenehmigung für eine Gaststätte im gaststättenrechtlichen Erlaubnisverfahren Bindungswirkung entfaltet, kann nicht gefolgert werden, dass umgekehrt eine Bindungswirkung für die Baugenehmigungsbehörde eintritt. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 9 K 15.2098 2017-02-22 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Auf ihren Bauantrag vom 24. Juni 1960 hin wurde der Klägerin von der Beklagten mit Bescheid vom 28. September 1960 die Baugenehmigung für das Vorhaben „Saalneubau mit Gaststätte“ auf dem Anwesen W…, FlNr. … Gemarkung A… erteilt. Mit Tekturgenehmigung vom 7. Dezember 1961 erteilte die Beklagte der Klägerin die Baugenehmigung zum Anbau eines Abstellraums sowie einer Wurstküche.
Die Klägerin begehrt festzustellen, dass für den Saal des Anwesens W… * eine Baugenehmigung besteht, die insbesondere auch die Nutzung als Diskothek erlaubt; hilfsweise beantragt sie festzustellen, dass eine baurechtliche Nutzungsuntersagung der Beklagten gegen den Betrieb einer Diskothek im Saal dieses Anwesens aufgrund Verwirkung nicht mehr wirksam ausgesprochen werden kann.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Haupt- und Hilfsantrag mit Urteil vom 22. Februar 2017 abgewiesen. Im Hauptantrag sei die Klage unbegründet, weil die Baugenehmigung vom 28. September 1960 in der Fassung der Tekturgenehmigung vom 7. Dezember 1961 die Nutzung des Saals als Diskothek und damit als Vergnügungsstätte nicht umfasse. Frühere oder spätere baurechtliche Genehmigungen für den Betrieb einer Diskothek im Anwesen W… * lägen nicht vor; eine solche Nutzung sei derzeit baurechtlich damit nicht genehmigt. Die mit dem Hilfsantrag verfolgte Feststellungsklage sei unzulässig, weil die Klägerin für den Fall, dass die Beklagte gegen eine Nutzung des Vorhabens als Diskothek mit einer Nutzungsuntersagung vorginge, eine Anfechtungsklage, insbesondere mit vorläufigem Rechtsschutz, möglich wäre. Hiergegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung der Klägerin.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
Die Klägerin beruft sich allein auf ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was die Klägerin innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Das Verwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Baugenehmigung vom 28. September 1960 in der Fassung der Tekturgenehmigung vom 7. Dezember 1961 nach den genehmigten Bauvorlagen die Nutzung des Tanzsaals als Diskothek und damit als Vergnügungsstätte nicht umfasst und mangels früherer oder späterer baurechtlicher Genehmigungen für den Betrieb einer Diskothek auf dem Anwesen W… * eine solche Nutzung derzeit baurechtlich nicht genehmigt ist. Die mit dieser Baugenehmigung genehmigte Nutzung sei jedenfalls zu Beginn nicht durch den Tanzsaal und dessen Nutzung geprägt und dominiert worden, sondern von der zeitlich wesentlich umfangreicher betriebenen Gastronomie. Dafür spreche insbesondere das Schreiben der Klägerin vom 26. Januar 1962 an die Beklagte, in dem die Klägerin darauf hingewiesen habe, dass der Saal und die sog. Bar (der als Weinstube genehmigte Kellerraum) nur samstags sowie an zwei Freitagen benutzt werde und während der übrigen Tage leer stünde, während der Gastraum täglich geöffnet sei. Dies unterliegt keinen ernstlichen Zweifeln.
Die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung und der Aufnahme der Nutzung auch die Klägerin davon ausgegangen ist, dass die gastronomische Nutzung gegenüber den Tanzveranstaltungen dominierte und die Tanzveranstaltungen nur an einzelnen Tagen als Ergänzung anzusehen waren, wie insbesondere dem Schreiben der Klägerin vom 26. Januar 1962 an die Beklagte entnommen werden könne, wird im Zulassungsvorbringen ausdrücklich bestätigt. Nach diesen Vorstellungen des Bauherrn über den Nutzungszweck, die hier auch aus den Bauvorlagen in noch ausreichendem Maß zum Ausdruck kommen, wie der vom Verwaltungsgericht erwähnten Größe des Gastraums oder der mit Tekturgenehmigung vom 7. Dezember 1961 genehmigten Wurstküche, richtet sich auch die von der Baugenehmigung erfasste bestimmungsgemäße Nutzung (vgl. Molodovsky in Molodovsky/Famers/Waldmann, BayBO, Stand 1.10.2018, Art. 68 Rn. 32). Dass sich diese gastronomisch geprägte Nutzung sich nach dem Zulassungsvorbringen später in wirtschaftlicher Hinsicht als nicht rentabel erwies und die Klägerin sich insoweit verkalkuliert hatte, ändert daran nichts.
Ob die geltend gemachte Zunahme der Nutzung des Tanzsaals neben dem Gastronomiebetrieb in der Folgezeit bis zum Beginn eines eigenständigen Diskothekenbetriebs im Jahr 1975 von der Baugenehmigung vom 28. September 1960 in der Fassung der Tekturgenehmigung vom 7. Dezember 1961 umfasst war, kann dahinstehen. Denn wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist der Hauptantrag der Klägerin hier ausschließlich darauf gerichtet, die Zulässigkeit des Betriebs einer Diskothek im Anwesen W… * auf der Grundlage der vorhandenen Baugenehmigung festzustellen. Insoweit steht es außer Frage, dass die Umwandlung einer Gastwirtschaft mit Tanzsaal in eine Diskothek ohne weiteres als gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtige Nutzungsänderung anzusehen ist (vgl. BayVGH, B.v. 6.9.2010 – 15 ZB 09.2375 – juris Rn. 16f.; BVerwG, B.v. 11.7.2001 -4 B 36/01 – juris Rn. 7f.).
Auch der Hinweis im Zulassungsvorbringen, die umfangreichere spätere tatsächliche Nutzung des Tanzsaals sei von der Beklagten zwischen den Jahren 1962 und 2014 sehenden Auges akzeptiert worden, vermag eine andere rechtliche Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Abgesehen davon, dass die Aufnahme eines eigenständigen Diskothekenbetriebs auch nach der Aussage der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erst im Jahr 1975 erfolgt ist, mag eine jahrelange tatsächliche Duldung es zwar ausschließen können, eine Nutzungsuntersagung ermessensfehlerfrei allein auf die formelle Illegalität zu stützen, sondern hierfür weitergehende Ermessenserwägungen erfordern (vgl. BayVGH, B.v. 28.12.2016 – 15 CS 16.1774 – juris Rn. 36 m.w.N.). Am Fehlen einer erforderlichen Baugenehmigung für diese Nutzung ändert dies jedoch nichts.
Soweit die Klägerin auf die Genehmigung der Anbringung zweier Lichtwerbungen im Jahre 1975 verweist, gilt vergleichbares. Der Bescheid der Beklagten vom 7. Oktober 1975 bezieht sich nur auf die Anbringung von zwei Werbeanlagen (Leuchttransparenten) am Anwesen W… *; die Nutzung des Saals als Diskothek wird davon nicht umfasst. Auch mit dem Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 1989 wurde nur die Anbringung einer Werbetafel an diesem Anwesen baurechtlich genehmigt.
Entgegen dem Zulassungsvorbringen kann auch aus den von der Beklagten mehrfach erteilten gaststättenrechtlichen Erlaubnissen gemäß § 2 GastG zum Betrieb einer Diskothek im Anwesen W… * nicht abgeleitet werden, dass diese Nutzung damit auch als baurechtlich genehmigt anzusehen ist. Vielmehr sind diese gaststättenrechtlichen Erlaubnisse für die baurechtliche Beurteilung belanglos. Zwar entfaltet die Baugenehmigung für eine Gaststätte im gaststättenrechtlichen Erlaubnisverfahren Bindungswirkung (vgl. BVerwG, U.v. 4.10.1988 – 1 C 72.86 – BVerwGE 80, 259/262 = juris Rn. 31; B.v. 14.6.2011 – 4 B 3/11 – juris Rn. 5). Daraus kann aber nicht gefolgert werden, dass auch umgekehrt eine Bindungswirkung für die Baugenehmigungsbehörde eintritt (vgl. BayVGH, B.v. 29.10.1987 – 20 B 85 A 1481 – NVwZ 1988, 1140).
Hinsichtlich der Ausführung des Verwaltungsgerichts zur Abweisung des Hilfsantrags der Klägerin werden keine Zulassungsgründe geltend gemacht.
Die Kostentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG; sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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